Einleitung
Die Filmzensur ist so alt wie der Film selbst. In Deutschland war (und ist) die kommerzielle Aufführung von Filmen nur mit einer Genehmigung möglich. Vollständige Verbote oder Auflagen, bestimmte Szenen nicht zu zeigen, hat es immer gegeben - vom Kaiserreich bis in die Gegenwart.
Die Zensur von Filmen ist ein interessantes Indiz für die moralischen, religiösen und politischen Ansichten einer Gesellschaft und für ihre politische Kultur. Wird ein Film offiziell verboten, dann hat er entweder ein Tabu verletzt oder gegen eine Ansicht verstoßen, die in der jeweiligen Gesellschaft als "wahr" oder "richtig" gilt. Gerade vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs werfen Filmverbote viele interessante Fragen auf: Welche Filme aus dem jeweils anderen Machtblock durften dies- bzw. jenseits der Mauer gezeigt werden? Welche Bilder waren umstritten? Welche Inhalte waren verboten? Und welche Motive steckten hinter den Verboten?
Diesen Fragen soll im Folgenden am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren nachgegangen werden. Im Mittelpunkt steht das deutsch-deutsche Sonderverhältnis und der Umgang mit einzelnen Filmen der Deutschen Film-AG (DEFA), dem volkseigenen Filmstudio der DDR.
Interministerieller Ausschuss für Ost-West-Filmfragen
Neben der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die bis heute über die Freigabe von Filmen nach Altersgrenzen entscheidet, gab es in den 1950er und 1960er Jahren in der Bundesrepublik eine weitere Institution, die für die Überprüfung von Filmen zuständig war - den "Interministeriellen Ausschuss für Ost-West-Filmfragen". Hinter dem sperrigen Namen verbarg sich ein Gremium der Bundesregierung, das sich aus Vertretern verschiedener Ministerien zusammensetzte. Seine Aufgabe bestand darin, alle Filme, die aus den sozialistischen Ländern importiert und in der Bundesrepublik vorgeführt werden sollten, vorab zu sichten.
Die Initiative zur Gründung des Ausschusses ging vom Bundesinnenministerium (BMI) aus. Dort fand am 5. Januar 1953 eine Besprechung statt, an der Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Presse- und Informationsamtes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Innenministeriums teilnahmen. Auf der Tagesordnung stand das Thema "Import von Filmen aus sowjetisch dirigierten Ländern". Das als "streng vertraulich" eingestufte Protokoll der Sitzung gibt einen Einblick in die Motive, die zur Gründung des Ausschusses führten: In Zukunft sollten nur noch Filme zu sehen sein, "die inhaltlich politisch einwandfrei sind".
Seine eigentliche Tätigkeit nahm der Ausschuss im Dezember 1953 auf. In den folgenden Monaten und Jahren tagte das Gremium regelmäßig, meist ein bis zwei Mal pro Monat, mitunter auch häufiger. Wann genau der Ausschuss seine Tätigkeit eingestellt hat, lässt sich nicht mehr eindeutig ermitteln. Mit Beginn des Jahres 1967 wurde die Filmprüfung an das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft übertragen. Das Bundesamt übermittelte bereits seit 1961 anstelle des Wirtschaftsministeriums die Entscheidungen des Interministeriellen Ausschusses an die Antragsteller. Es sollte ab 1967 nur noch in besonders umstrittenen Fällen auf die Arbeit des Ausschusses zurückgreifen, was jedoch bei keinem Film mehr geschah. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Ausschuss seine Tätigkeit Ende des Jahres 1966 eingestellt hat.
Statistisch betrachtet hat der Ausschuss zwischen 1953 und 1966 etwa 3180 Filme geprüft und in ca. 130 Fällen keine Genehmigung erteilt.
Die rechtlichen Grundlagen, auf die sich der Interministerielle Ausschuss bei seiner Arbeit stützte, waren von Beginn an umstritten. Im Mittelpunkt stand die Frage, inwiefern die Verbote im Einklang mit dem Zensurverbot des Grundgesetzes standen.
Unabhängig von den juristischen Aspekten, die mit der Existenz des Interministeriellen Ausschusses verbunden sind, stellt sich die Frage, wie der Ausschuss tatsächlich gearbeitet hat. Aufschlussreich sind dabei die überlieferten Kurzprotokolle der Filmprüfungen, die in vielen Fällen nicht nur die getroffene Entscheidung dokumentieren, sondern auch Rückschlüsse auf die Motive zulassen, warum einzelne Szenen oder gar ganze Filme nicht genehmigt worden sind. Im Folgenden sollen diese Motive anhand der vom Ausschuss begutachteten DEFA-Filme genauer untersucht werden.
Der Ausschuss und die DEFA
Die Liste der DEFA-Produktionen, die durch den Ausschuss geprüft wurden und dabei nur mit Schnittauflagen oder gar nicht für eine Aufführung in der Bundesrepublik zugelassen worden sind, ist lang. Bereits im Mai 1954 wurden vier von 13 Filmen, die von der DEFA für die Mannheimer Kultur- und Dokumentarfilmwoche angemeldet worden waren, nicht zugelassen. Interessant am Protokoll dieser Sitzung ist, dass sich der Interministerielle Ausschuss weitaus größere Kompetenzen aneignete als die rechtlich ohnehin umstrittene Prüfung der Filme. So wurde zum Beispiel über die Delegation der DEFA zum Mannheimer Festival diskutiert und die Frage aufgeworfen, wie man mit den Gästen aus der DDR umgehen solle. Der Vertreter des zuständigen Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen (BMG) betonte, dass die Aufführung der DEFA-Filme "davon abhängig gemacht werde, dass bei Empfängen und ähnlichen Anlässen im Laufe der Veranstaltung die DEFA-Abordnung nicht ausdrücklich begrüßt und ihr damit auch keine Gelegenheit gegeben werde, in ihrer Antwort auf die Begrüßung eine Art gesamtdeutsche Kulturpropaganda zu treiben".
Auch in anderen Fragen, die einen generellen Austausch von ost- und westdeutschen Filmen oder gemeinsame Produktionen betrafen, nahm der Ausschuss ein Mitspracherecht in Anspruch. So beantragte die DEFA 1955 beispielsweise eine Drehgenehmigung für die Bundesrepublik, um einen Dokumentarfilm über berühmte Orgeln anfertigen zu können. Angesichts des "völlig unpolitischen Charakters" des geplanten Films schlug die DEFA eine "gesamtdeutsche Gemeinschaftsarbeit" vor, da mit einer solchen Produktion "der gemeinsame Wille zur Verständigung selten eindrücklich vor aller Welt bezeugt werden" könne.
In den folgenden Jahren boten DEFA-Filme - und insbesondere ihre Aufführung auf den Filmfestivals von Mannheim und Oberhausen
Verboten wurden aber auch Filme, die weniger durch ihren propagandistischen Inhalt auffielen, so zum Beispiel Wolfgang Staudtes "Der Untertan", eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Heinrich Mann, der dem Ausschuss im Dezember 1955 zur Prüfung vorlag. Er durfte "zunächst nur in studentischen Filmclubs vorgeführt werden, einen Einsatz im normalen Kinoprogramm untersagte der Ausschuss im April 1956 ausdrücklich. Im November 1956 gab das Gremium den Film schließlich in einer stark gekürzten Fassung auch für die kommerzielle Auswertung frei."
Andere Verbote von DEFA-Filmen werfen ein skurriles Licht auf die Arbeit des Interministeriellen Ausschusses. So wurde 1957 zum Beispiel der DEFA-Märchenfilm "Das tapfere Schneiderlein" verboten. Anders als im Grimm'schen Märchen wird am Ende des Films der König mit seiner Gefolgschaft vom Volk vertrieben und stattdessen das Schneiderlein auf den Thron gesetzt. Statt der Königstochter heiratet er eine Magd, die an seiner Seite zur neuen Königin wird.
Die geschilderten Beispiele werfen die Frage auf, ob die vom Interministeriellen Ausschuss verhängten Verbote tatsächlich dazu geführt haben, dass die beanstandeten Filme nicht von einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wurden. Insbesondere die zeitgenössischen Pressestimmen lassen den Schluss zu, dass gerade die Verbote dazu führten, dass lange und ausgiebig über die Filme diskutiert wurde - ohne dass sich die Bevölkerung ein Bild von den Filmen machen konnte. Gerade wenn sich Prüfverfahren über Monate oder gar Jahre erstreckten, dürfte die Arbeit des Ausschusses zur Mystifizierung und Überhöhung der Filme beigetragen haben. Das Verbot machte die Filme umso interessanter. Das zeigt auch das Fallbeispiel des Umgangs mit dem Film "Berlin - Ecke Schönhauser", anhand dessen die Motive für ein Verbot von DEFA-Filmen in der Bundesrepublik im Detail ersichtlich werden.
"Berlin - Ecke Schönhauser"
"Berlin - Ecke Schönhauser" gilt bis heute als einer der wichtigsten DEFA-Filme der 1950er Jahre. Geprägt vom italienischen Neorealismus zeigten der Regisseur Gerhard Klein und der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase 1957 ein für DEFA-Verhältnisse außergewöhnlich kritisches Bild der Lebenswirklichkeit in der DDR. Im Mittelpunkt von "Berlin - Ecke Schönhauser" steht eine Gruppe von Berliner Jugendlichen, die wenig mit sich anzufangen weiß und ihre Zeit damit verbringt, orientierungslos unter den Brückeneiner U-Bahnstation "herumzuhängen". Auch die meisten Erwachsenen kommen im Film nicht als "sozialistische Heldenfiguren" daher: Prügeleien, Heuchelei, Fremdgehen und Schwärmerei für den Westen - all das gehört zum Alltag der Menschen. Eine solche Schilderung der DDR-Gesellschaft stieß im Kulturministerium der DDR auf wenig Gegenliebe. "Berlin - Ecke Schönhauser" wurde scharf angegriffen. Der Film sei geeignet, "den Feinden unserer Republik in ihrer Hetze zu helfen", hieß es in einer Stellungnahme der Hauptverwaltung Film, die für die Abnahme zuständig war.
Doch anders als die SED-Funktionäre vermuteten, stieß der Film bei den politischen Gegnern auf keine große Gegenliebe. Schuld daran war die einseitige Darstellung des Westens. Unter anderem wird im Film ein Notaufnahmelager für Flüchtlinge in West-Berlin gezeigt, in dem Gewalt und Unterdrückung herrschen und einer der Jugendlichen auf tragische Weise ums Leben kommt. Szenen wie diese riefen die Ablehnung des Interministeriellen Ausschuss hervor, als "Berlin - Ecke Schönhauser" im Herbst 1958 erstmals in der Bundesrepublik aufgeführt werden sollte. Ausschlaggebend für das Verbot des Films war, so die Begründung im Kurzprotokoll der Sitzung, "daß er in seiner kommunistischen Tendenz Institutionen der Bundesrepublik (z.B. die Notaufnahmelager) verächtlich macht und die Verhältnisse nicht wahrheitsgetreu schildert". Außerdem würden "Freiheitsberaubungen (...) als im Westen übliche Delikte dargestellt". Daher hätten sich "fast alle Mitglieder" des Ausschusses dafür ausgesprochen, den Film nicht freizugeben. Während die Teilnehmer der Sitzung sich uneinig darüber waren, ob rechtliche Einwände gegen den Film geltend gemacht werden können, sei er "aus politischen Gründen (...) in jedem Fall abzulehnen".
Drei Wochen später wurde "Berlin - Ecke Schönhauser" dem Ausschuss erneut vorgeführt, diesmal in einer geschnittenen Fassung, in der die Szenen aus dem Notaufnahmelager fehlten. Der Ausschuss blieb jedoch bei seiner ablehnenden Haltung. Herbert Leitreiter, der Vorsitzende des Gremiums, erhielt den Auftrag, die Bedenken an die FSK zu melden - offenbar hoffte man, mit ihrer Unterstützung eine Aufführung des Films verhindern zu können.
Die dritte Vorführung von "Berlin - Ecke Schönhauser" fand am 13. März 1959 statt. Insgesamt nahmen 24 Beamte an der Sitzung des Interministeriellen Ausschusses teil, darunter Vertreter des Wirtschaftsministeriums, des Auswärtigen Amtes, des Innenministeriums, des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen, des Bundespresseamtes, des Bundeskanzleramtes und des Justizministeriums. Wieder gab es keine Freigabe. "Alle Ressorts waren der Auffassung, daß der vorgeführte Film ein typisches Produkt der Ostblockstaaten ist, und daß es wünschenswert wäre, wenn er im Bundesgebiet nicht gezeigt würde", heißt es im Protokoll. Während die Vertreter des Justiz- und des Wirtschaftsministeriums darauf beharrten, dass es keinerlei rechtliche Grundlage für ein Verbot gebe, blieben die anderen Teilnehmer dabei, "daß die Einfuhr des Films (...) in jedem Fall verhindert werden müsse".
Doch fünf Jahre später beschäftigte der Film den Ausschuss erneut, nachdem der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) aus München den Film einmalig vorgeführt hatte, ohne vorher die entsprechende Genehmigung einzuholen. Daraufhin wurde die Kopie des Films angefordert, um gegebenenfalls ein Verfahren gegen den SDS einzuleiten. Dem Interministeriellen Ausschuss wurde der Film erneut vorgeführt - einmal im September und ein weiteres Mal im Oktober 1964. Erneut gab es keine Freigabe für den Film. Die beteiligten Ministerien betonten wiederum ihre politischen Bedenken, waren sich aber uneinig, ob der Film gegen das inzwischen geltende Verbringungsgesetz verstoße.
Die rigorose Stellungnahme des Innenministeriums war umstritten. Ob sie überhaupt ausreichte, um ein erneutes Verbot zu begründen, sollte das Justizministerium prüfen. Da der zuständigen Referent den Film bislang jedoch noch nicht gesehen hatte, wurde eine weitere Vorführung im Interministeriellen Ausschuss ins Auge gefasst - inzwischen die sechste. Zu dieser kam es jedoch nicht mehr, weil der Münchner Studentenbund seine Kopie längst in die DDR zurückgeschickt hatte.
Fazit
Der Interministerielle Ausschuss für Ost-West-Filmfragen war ein Produkt des Kalten Krieges. In der Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Block schreckte die Bundesregierung nicht davor zurück, Filme aus sozialistischen Ländern politisch zu überprüfen, bevor diese eine Vorführgenehmigung erhielten. Dass eine derartige Zensur durch das Grundgesetz verboten war, spielte bei der Arbeit des Ausschusses nur eine untergeordnete Rolle. Kommunistische Propaganda, positive Darstellungen der Lebenswirklichkeit in den sozialistischen Ländern, Kritik an der nationalsozialistischen Vergangenheit und Verweise auf personelle Kontinuitäten vom "Dritten Reich" zur Bundesrepublik - das waren die zentralen Themenfelder, die der Interministerielle Ausschuss von der Leinwand verbannen wollte. Speziell bei der Überprüfung von DEFA-Filmen wendete der Ausschuss strenge Richtlinien an. Nicht nur politische Propagandafilme wurden verboten, auch Produktionen, in denen unterschwellig Kritik an der Bundesrepublik geäußert oder einseitig Partei für das politische System der DDR ergriffen wurde, durften nur mit Schnittauflagen, vor einem ausgewählten Zuschauerkreis oder gar nicht aufgeführt werden.
Betrachtet man die Verbote in einem größeren Kontext, fallen zwei Aspekte ins Auge, die bezeichnend sind für die politische Kultur des Kalten Krieges: Einerseits hatten die Regierungsvertreter großen Respekt vor dem Medium Film. Ihm wurde ein meinungsprägender Einfluss auf die politischen Ansichten des Publikums zugesprochen. Selbst Märchenfilmen wurde unterstellt, dass sie die politische Meinung der Zuschauer beeinträchtigen können. Andererseits zeigen die Filmverbote, welch geringe Urteilsfähigkeit den Bürgerinnen und Bürgern zugetraut wurde. Die Mitglieder des Interministeriellen Ausschusses nahmen für sich in Anspruch, als einzige die von den sozialistischen Staaten betriebene Propaganda auch als solche zu erkennen - den Zuschauern wurde die Fähigkeit dazu abgesprochen.