Einleitung
Keine politische Institution in der Bundesrepublik spiegelt in den Jahren der staatlichen Teilung das facettenreiche, von menschlicher Tragik, von Irrationalität und Widersprüchlichkeiten geprägte innerdeutsche Verhältnis so wider wie das im September 1949 gegründete Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG).
Nicht zuletzt deshalb steht das gesamtdeutsche Ministerium stellvertretend für die Geschichte des Antikommunismus im Nachkriegsdeutschland. Seine Mitarbeiter, die in erster Linie persönliche Betroffenheit, ähnliche Biographien und Schicksale miteinander verbanden - sei es als Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten oder als politisch Verfolgte und Dissidenten aus der SBZ/DDR -, hatten sich aus tiefer innerer Überzeugung dem Kampf für die staatliche Einheit verschrieben. Freilich wurde ihr politischer Auftrag in dem 1949 niedergelegten Gründungsdokument weitaus zurückhaltender - als Angehörige einer Art deutschlandpolitischer Informationseinrichtung - beschrieben. Das BMG sollte gesamtdeutsche Klammer und moralisches Gewissen in einem sein. Offiziell oblagen ihm die "Aufklärung Westdeutschlands über die Verhältnisse Ostdeutschlands", die "Pflege und Förderung einer Volksgesinnung (...) zur Einheit der Nation in Freiheit", die "Vorbereitung für die Angleichung der ostdeutschen Verfassungs- und Rechtsverhältnisse an den Westen" sowie die "Bereitstellung einwandfreien Tatsachenmaterials über die ostdeutschen Wirtschafts- und Sozialverhältnisse".
Gleichwohl stellte sich heraus, dass das Ministerium mit seinen Mitarbeitern nicht zu der erhofften Entscheidungs- und Nahtstelle werden sollte, die fortan für die zentralen politischen Fragen der Wiedervereinigung verantwortlich zeichnete. Denn in der frühen Bonner Republik war es Bundeskanzler Konrad Adenauer, der das wichtige Terrain der Außen- und Deutschlandpolitik als seine Domäne beanspruchte. Dem BMG wies er lediglich flankierende Aufgaben zu. Diese bestanden beispielsweise darin, nach außen zu demonstrieren, dass der Gedanke der staatlichen Einheit - ungeachtet der vom Kanzler entschlossen auf Westintegration der Bundesrepublik ausgerichteten Grundorientierung - keinesfalls abgeschrieben war.
Innerhalb dieser - quasi vom Kanzleramt begrenzten - Vorgaben suchten die Bediensteten des Ministeriums nach Kompensation für ihre enttäuschten Hoffnungen. Da in ihren Reihen Konsens darüber bestand, den Kommunismus als Urheber für die Teilung der Nation zu betrachten, war ein alternatives Exerzierfeld schnell gefunden. Man verlegte sich auf eine möglichst wirkungsvolle, operative antikommunistische Auseinandersetzung. Unter dieser Prämisse galt es, dem politisch-ideologischen Gegner nicht nur im Osten empfindliche Schläge zu versetzen. Weitaus gefahrloser und mitunter wesentlich effektiver erschien ihnen die antikommunistische Frontstellung in der Bundesrepublik. Der durch sie seit den frühen 1950er Jahren in die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft hineingetragene staatliche Antikommunismus, der mitunter das Ausmaß eines "Kalten Bürgerkriegs" annahm, richtete sich gegen politische Gruppierungen wie die KPD und deren Tarnorganisationen. Fortan wurde mit besonderer Priorität der Kampf gegen diesen inneren Feind geführt. Dessen zahllosen Versuchen, die westdeutsche Gesellschaft politisch zu unterwandern und die junge Republik politisch zu destabilisieren, wollte man sich energisch widersetzen.
Zugleich bemühte sich das Ministerium, mit publizistisch aufwändigen und öffentlichkeitswirksamen Kampagnen das staatspolitische Bewusstsein der Bundesbürger auf den deutschlandpolitischen Regierungskurs auszurichten. Durch die Vermittlung von Leitideen und Überzeugungen produzierte das BMG damit nicht nur politische Kultur, es prägte auch deren Wandel. All das erfolgte - wie nachfolgend anhand einiger Beispiele der politisch-operativen West-Arbeit des Ministeriums verdeutlicht werden soll - vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts und unter dem Eindruck, einer massiven kommunistischen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei standen freilich die perzipierte und die tatsächliche Gefährdung in keiner Relation zueinander.
Im Angesicht der östlichen Bedrohung
Das in den Gründerjahren der Bundesrepublik weit verbreitete Gefühl, dem Zugriff Moskaus und seiner kommunistischen Helfershelfer schutzlos ausgesetzt zu sein, entsprang nicht allein der sich für jedermann sichtbar verschlechternden internationalen Lage seit dem Beginn des Koreakrieges. Der politische Alltag in Deutschland lieferte Argumente genug, die expansiven Absichten des Ostens nicht leichtfertig anzuzweifeln. Die Machthaber in der SBZ/DDR waren dazu übergegangen, ihr Regime zu stabilisieren. Sie eliminierten die Reste der bürgerlichen Parteien und stellten die Weichen für den "Aufbau des Sozialismus". Im Deutschen Bundestag saß dagegen mit der KPD ein enger Verbündeter und ein willfähriges Sprachrohr Ost-Berlins, das auf unvergleichbare Weise das Parlament als politische Arena und Agitationsforum zu nutzen wusste.
Doch damit nicht genug. Die Anzeichen mehrten sich, dass es die SED nicht bei einem rhetorischen Schlagabtausch belassen wollte. Überzeugt von dem Anspruch, die stalinistische DDR zum Modell für das wiederzuvereinigende Deutschland zu machen, bedurfte es einer ganzen Palette praktisch-politischer und propagandistischer Maßnahmen. Eine hierfür konzipierte Westarbeit zielte darauf ab, den "Sturz des Adenauer-Regimes" herbeizuführen. Sie stützte sich nicht allein auf die westdeutschen Kommunisten. Die SED bediente sich in diesem Zusammenhang ebenso der Unterstützung vermeintlich überparteilicher Organisationen wie der "Nationalen Front des demokratischen Deutschlands". In dieser durch die SED gesteuerten Einrichtung waren ost- und westdeutsche Repräsentanten tätig, die sich unablässig in einer wahren Propagandaschlacht mit millionenfach aufgelegten Broschüren, Traktaten, Flugblättern, Zeitungen und Zeitschriften, über spezielle Korrespondenzzirkel, Aufsehen erregende Pressekonferenzen, Diskussionsbeiträge und Auftritte in der Bundesrepublik darum bemühten, die dortige öffentliche Meinung zugunsten der deutschlandpolitischen Vorstellungen von DDR und Sowjetunion zu manipulieren. Es sollte nicht bei solchen Werbeversuchen bleiben. Die östlichen Aktivitäten hoben zugleich darauf ab, die SPD-Basis zu gewinnen, sie in einer Aktionseinheit mit der KPD gegen die antikommunistische Parteiführung eines Kurt Schumacher oder Herbert Wehner zu mobilisieren.
Selbst bürgerlich-konservative, mitunter sogar rechtsnationalistische Kreise in der Bundesrepublik gehörten zum Kreis der Adressaten. Dabei bediente man sich der Requisitenkiste kommunistischer Bündnispolitik. Konzepte aus den 1920er Jahren der Weimarer Republik oder der sowjetischen Deutschlandpolitik der frühen 1940er Jahre tauchten wieder auf, als Stalin zeitweise die bürgerlich-nationale Karte im Kampf gegen Hitler auszuspielen versucht hatte. All das war dem Ziel verpflichtet, das parlamentarisch-demokratische System der Bundesrepublik zu erschüttern und auf diese Weise, losgelöst von der großen Deutschlandpolitik, der Wiedervereinigung unter östlichen Vorzeichen mit Mitteln der Konspiration zu ihrem Durchbruch zu verhelfen.
Als bekannt wurde, welche immensen Geldsummen Ost-Berlin dafür zur Verfügung stellte, waren die Bonner Parteien und Regierungskreise beunruhigt. So lagen Anfang der 1950er Jahre dem BMG interne Informationen darüber vor, dass die SED für die politische Arbeit der KPD jährlich zwischen 20 und 25 Millionen DM illegal in den Westen transferierte. Angesichts solch besorgniserregender Entwicklungen zögerte die Bundesregierung nicht, die östliche Infiltration durch eine Reihe von Gesetzesinitiativen möglichst wirkungsvoll einzudämmen.
"Säuberung" des öffentlichen Dienstes und Staatsschutzgesetze
Zusammen mit dem Bundesinnenministerium (BMI) war das BMG die treibende Kraft für einen am 19. September 1950 herbeigeführten Kabinettsbeschluss, der die Entlassung von Angehörigen der KPD und ihrer nachgeordneten Tarnorganisationen aus dem öffentlichen Dienst anstrebte. Das BMG vertrat dabei eine ausgesprochen harte Linie. Es engagierte sich während der interministeriellen Abstimmungsprozesse erfolgreich dafür, möglichst umfassende und scharfe Maßnahmen einzuleiten. Wo manche Ressorts aus Sicht des Ministeriums noch nicht ausreichend für die Gefahren der kommunistischen Unterwanderung sensibilisiert waren, leisteten seine Mitarbeiter Überzeugungsarbeit. Sie setzten sich schließlich mit ihrer Forderung durch, von allen Angehörigen des öffentlichen Dienstes eine Erklärung abzuverlangen, in der versichert wurde, zu keinem Zeitpunkt nach dem 8. Mai 1945 der KPD oder einer dieser Partei nahestehenden Organisationen angehört zu haben. Als im Bundespostministerium Bedenken aufkamen, die sich gegen ein Entlassungsverfahren von vermeintlichen Kommunisten richtete, ohne zuvor eine umfassende Vorermittlung durchgeführt zu haben, boten die antikommunistischen Experten des BMG entschlossen Paroli. Ihr Appell an die Zivilcourage und den Ethos der Beamten, als "Dienstvorgesetzte im Bund die ersten Kämpfer für die Demokratie" zu sein, schuf am Ende Konsens darüber, die vom Postressort artikulierten Zweifel nicht länger gelten zu lassen.
Kaum war der Beschluss über die "Politische Betätigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Grundordnung" publiziert, entbrannte eine öffentliche Debatte darüber. Die rechtliche Tragweite der Verordnung war nicht unumstritten, wie manche Rechtsgutachten überaus deutlich machten. Doch vor den Arbeitsgerichten setzte sich zumeist die Auffassung durch, dass schon der Verdacht einer kommunistischen Betätigung als Grund für eine Entlassung gelten könne.
Ermutigt durch solche Erfolge, warfen sich die Vertreter des gesamtdeutschen Ministeriums mit Verve in die Debatte, als innerhalb des Regierungsapparats 1950/51 Überlegungen zur Formulierung so genannter Staatsschutzgesetze angestellt wurden. Ihr Interesse bestand in erster Linie darin, eine rechtlich wirkungsvolle Handhabe gegen die Flut von kommunistischem Agitationsmaterial zu erhalten. Als sie in dieser Angelegenheit im Dezember 1950 die Federführung übertragen bekamen, warteten sie sogleich mit einem unorthodoxen Vorschlag auf. So war es angesichts der nur wenige Jahre zurückliegenden Erfahrung mit dem NS-Regime überaus befremdlich, wenn die BMG-Unterhändler in ihren Gedankenspielen zeitweilig sogar so weit gingen, Postzensur oder gar ein Druckverbot von kommunistischen Propagandaschriften in der Bundesrepublik verhängen zu wollen. Gleichwohl verwarfen sie diese Position, kaum dass sie ausgesprochen war. Dabei schien sie weniger der antidemokratische Charakter als vielmehr die ungünstige psychologische Wirkung und die Gefahr davon abzuhalten, die DDR könnte aus solchen Maßnahmen propagandistisch Kapital schlagen.
Als am 30. August 1951 nicht zuletzt unter dem Einfluss des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts der strafrechtliche Staatsschutz die letzte parlamentarische Hürde genommen hatte, zeigte sich das gesamtdeutsche Ministerium überaus zufrieden. Denn unter den darin festgeschriebenen Paragrafen 88 bis 98, welche die "gewaltlosen Methoden des Kalten Krieges" definierten und dafür das "mögliche Strafmaß speziell" festlegten, befand sich ein Abschnitt, der - entsprechend vorangegangener BMG-Anregungen - künftig auch "verfassungsverräterische Publikationen" ahndete.
Mittel des Gegners anwenden
Im Kampf gegen den inneren kommunistischen Feind gab es zwar von Anfang an zwischen dem BMG, dem BMI und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln eine klare Kompetenzabgrenzung. Doch in den ersten Jahren der Bonner Republik, vor allem zu jenem Zeitpunkt, als sich das BfV noch im Aufbau befand, nahm man es damit nicht immer so genau. Hier galt als oberstes Gebot der antikommunistische Konsens; dieser bestimmte die Wahl der Mittel und Methoden. Er rechtfertigte vieles, was der erfolgreichen Eindämmung der "kommunistischen Wühlarbeit" im Bundesgebiet diente. Vor allem das BMG legte mitunter einen antikommunistischen Übereifer an den Tag, der unter der Vorgabe der freiheitlich-demokratischen Grundordnung überaus zweifelhaft war.
Die einzig am Erfolg ihrer Arbeit interessierten Akteure irritierte dies zumeist wenig. Es verwundert nicht, dass sie mit politisch Andersdenkenden, zu denen nicht nur Kommunisten, sondern auch Pazifisten oder so genannte Neutralisten zählten, keineswegs zimperlich umgingen. Überaus deutlich brachte dies Ewert von Dellingshausen, einer der im BMG für "Psychologische Kriegführung" - so die in der internen Amtssprache übliche Bezeichnung für die politisch-operative Abwehrarbeit - federführend verantwortlichen Ministerialen auf den Punkt. Im Februar 1958 votierte er freimütig dafür, im Kampf gegen den Kommunismus die "Mittel, die der Gegner anwendet, für uns selbst nutzbar zu machen".
Anfang der 1950er Jahre hatte das BMG damit begonnen, für seine nach innen gerichtete antikommunistische Abwehrarbeit erste administrative Vorkehrungen zu treffen. Das Ganze lief auf eine Geheimkartei hinaus. Der generelle Charakter der Datenbank, ihre Inhalte, die Art, wie die entsprechenden Informationen beschafft und schließlich verwendet wurden, waren nicht unproblematisch. All dies war geradezu beispielhaft für die damals vorherrschende politische Mentalität des Kalten Krieges. Mit jenen Maßnahmen driftete das Ministerium in Arbeitsbereiche ab, die eigentlich den Nachrichtendiensten, allen voran dem BfV, oblagen.
Unter der Bezeichnung "Apparat Booch", so benannt nach der gleichnamigen betreuenden Hilfssachbearbeiterin, wurden ab dem 1.April 1951 zwei vertrauliche Karteien aufgebaut. Sie erfassten sowohl Organisationen als auch Personen, die im Zusammenhang mit einer kommunistischen Betätigung aufgefallen waren, sich irgendwann öffentlich positiv über die DDR geäußert hatten, mit links stehenden oder neutralistischen Kreisen in Verbindung standen oder mit diesen sympathisierten. Diese ausgesprochen dubiose Angelegenheit war von vornherein als vertraulich konzipiert und damit der öffentlichen Kontrolle entzogen. Wer oder welche Institution mit welcher Charakteristik in jener ominösen Kartei landete, blieb allein der Willkür des BMG vorbehalten. Es wurde, so die offizielle Sprachregelung, von der jeweiligen "politische(n) Situation bestimmt" - was immer das bedeuten mochte. In Zweifelsfällen verfuhr man nicht nach dem alten Rechtsgrundsatz in dubio pro reo, sondern plädierte - frei nach der Lenin'schen Devise: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser - vielmehr dafür, sich "für eine Erfassung zu entscheiden".
Mit dem Ziel, möglichst schnell über eine Nachschlagekartei zu verfügen, um der antidemokratisch-neutralistischen Umtriebe in der Bundesrepublik Herr zu werden, und mit dem ambitionierten Anspruch eines "sofortige(n), umfassende(n) Überblick(s) über die Tätigkeit der in Rede stehenden Organisation bzw. Person"
Eine solche Kooperation beruhte auf Gegenseitigkeit. Als im März 1954 innerhalb des BMG darüber nachdacht wurde, die Datenkartei durch ein entsprechendes Bildarchiv zu ergänzen und das BfV um Amtshilfe zu bitten, begrüßten die Verfassungsschützer diesen Schritt außerordentlich. Sogleich wurde vereinbart, Materialien und Erkenntnisse künftig auszutauschen sowie einen Informationsabgleich vorzunehmen. Gut zehn Jahre später hatte die akribische Sammelleidenschaft des BMG ein respektables Ergebnis vorzuweisen: Inzwischen waren rund 20 000 Personen und etwa 3000 Institutionen in speziellen - wegen ihrer Brisanz als Verschlusssache deklarierten - Dossiers erfasst. Die antikommunistisch motivierte Erfassungswut hielt an. Und so überrascht es nicht, dass selbst in den frühen 1960er Jahren noch daran gedacht wurde, die Planstellen für diesen Bereich aufzustocken, um Rückstände aufarbeiten zu können.
Da es sich bei der Datensammlung nicht um eine rein interne Arbeitskartei handelte, die dem BMG als Entscheidungsgrundlage bei der Vergabe von Fördermitteln an Personen oder private Einrichtungen diente, war die ganze Angelegenheit höchst bedenklich. Das BMG sah sich durch das in seinem Hause angehäufte Wissen aufgewertet. Mit seinem eigenen "Nachrichtendienst" erteilte es in Sachen Antikommunismus Auskünfte gegenüber den Anfragen von benachbarten Ministerien, aber auch von nichtstaatlichen Institutionen wie etwa dem "Industrie-Warndienst zur Abwehr wirtschaftsschädigender Tätigkeit" oder dem "Volksbund für Frieden und Freiheit" (VFF), mit dem es in der antikommunistischen Abwehrarbeit eng kooperierte. Das BMG zögerte nicht, Informationen weiterzuleiten, die zweifelhaften Charakter besaßen. Nichts anderes war es nämlich, wenn dabei auf sensible Daten von Personen zurückgegriffen wurde, "die Kommunisten waren oder von denen wir es annahmen", wie ein früherer, mit Geheimschutzfragen betrauter Mitarbeiter sich erinnert
Ambivalentes Demokratieverständnis
Dieses Grundproblem erstreckte sich auch auf viele andere Bereiche, in denen sich das BMG während der 1950er und frühen 1960er Jahre im Sinne eines bundesdeutschen Rollback zu profilieren suchte. Nicht zuletzt mit Hilfe des durch das BMG alimentierten antikommunistischen VFF wurden westdeutsche politische Persönlichkeiten und Organisationen, die auf Dialog mit der DDR setzten, etwa die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann, als vermeintliche Antidemokraten und Kommunistenfreunde öffentlich verunglimpft. Dabei machte das BMG während der Hochphase des Kalten Krieges immer wieder von verdeckten Maßnahmen Gebrauch, welche die Kompetenzen eines Bundesministeriums weit überschritten. Während des niedersächsischen Landtagswahlkampfs 1951, aber auch im Bundestagswahlkampf 1953 mischte es sich in den Wettstreit von Parteien und Organisationen ein. Am 29. Juli 1953 etwa informierte der im BMG hierfür bekannte Abwehrspezialist Ewert von Dellingshausen den Verfassungsschutz über eine von seinem Fachreferat geplante Kampagne gegen ein aus Heinemanns GVP und Joseph Wirths neutralistisch orientiertem "Bund der Deutschen" gebildetes Wahlbündnis. Im Zuge der Amtshilfe bat er um geeignete Unterlagen, um eine wirkungsvolle Flugschrift gegen diese politische Gruppierung auf den Weg bringen zu können. Das Projekt zerschlug sich bald, da sich das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung bereits mit dem BfV auf ein ähnliches Vorhaben verständigt hatte.
Gleichwohl zog sich das BMG keinesfalls aus der wahlkampfpolitischen Arena zurück: Es griff weiterhin auf in seinem Auftrag verdeckt operierende antikommunistische, private Vereinigungen zurück, die politische Gruppierungen, die keinesfalls illegal waren, allein wegen ihrer von der Bundesregierung abweichenden deutschlandpolitischen Grundüberzeugungen diffamierten. Hier wurden Propagandakampagnen initiiert, die darauf zielten, die Wahlchancen jener Einrichtungen empfindlich zu reduzieren. Diese Aktivitäten verstießen nicht nur gegen alle Regeln der politisch-demokratischen Kultur, sie waren auch rein rechtlich betrachtet illegale Eingriffe.
Selbst in den 1960er Jahren lassen sich solche Praktiken des BMG noch nachweisen. In Hamburg beispielsweise bediente sich das Ministerium der privaten staatsbürgerlichen Bildungsorganisation "Der Ring e.V.", um dort 1961 bei Betriebsratswahlen in den dortigen Groß- und Dienstleistungsunternehmen den öffentlichen politischen Willensbildungsprozess zu beeinflussen. Das BMG stellte jener privaten Institution, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Arbeiter, Angestellte und Beamte staatsbürgerlich zu schulen, um damit zur "Abwehr totalitärerer Bestrebungen in Betrieben, Verwaltungen und Organisationen" beizutragen,
Während des im selben Jahr in der Hansestadt stattfindenden Bürgerschaftswahlkampfs engagierte sich der aus dem BMG-Etat finanzierte Verein gegen die Deutsche Friedens-Union (DFU). Diese heterogene Sammelbewegung aus Kommunisten, Sozialisten, Neutralisten und Nationalisten, welche die deutsche Frage durch eine Verständigung mit den östlichen Nachbarn zu lösen wünschte und nicht verboten war, sollte durch entsprechende Wahlkampfpropaganda daran gehindert werden, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Hier wurde den Vertretern des BMG zugesagt, die politischen Kundgebungen der DFU mit rhetorisch versierten Diskussionsrednern zu stören und die hier - in gewisser Weise nachrichtendienstlich - gewonnenen Beobachtungen unverzüglich an den Geldgeber weiterzuleiten.
All dies kam den seit geraumer Zeit geläufigen antikommunistischen Abwehrstrategien des gesamtdeutschen Ressorts sehr entgegen. Es erhielt vom Verfassungsschutz regelmäßig Listen mit genauen Orts- und Zeitangaben über politische Veranstaltungen linksradikaler Vereinigungen und Gruppierungen. In diese wurden dann gezielt Vertrauenspersonen des Ministeriums eingeschleust. Ähnlich wie im Vorfeld der Hamburger Bürgerschaftswahl übten sie verfassungswidrig gegenüber politisch legalen Organisationen Überwachungsfunktionen aus - quasi als verlängerter Arm des BMG und des BfV. Dabei ergab sich immer wieder die Gelegenheit, mittels präventiver Provokationsmaßnahmen ansonsten schwer angreifbare politische Gegner auf eine halbwegs legale Weise dem Zugriff der Polizeiorgane auszusetzen.
Diese Praktiken machten abermals deutlich, wie sehr die antikommunistischen Akteure im BMG Gefangene ihrer selbst waren. In dem Bewusstsein, der östlichen Bedrohung unter allen Umständen Paroli bieten zu müssen, fiel es ihnen offenbar nicht mehr auf - jedenfalls wurde dies nicht offen thematisiert -, wie sehr sie sich den Methoden ihrer politischen Gegner annäherten. Es mutet an wie eine ironische Fußnote in der Geschichte des Antikommunismus in Deutschland, wenn gerade jenes Ministerium, das zusammen mit dem BMI nachhaltig darauf gedrängt hatte, mit den im August 1951 verabschiedeten Staatsschutzgesetzen ein Instrumentarium an die Hand zu bekommen, um die verfassungspolitische Grundordnung der Bundesrepublik zu bewahren, Maßnahmen ergriff, die nicht in Einklang mit Teilen dieser Staatsschutzordnung standen.
Das galt besonders für den Paragrafen 88, der in dem Verstoß gegen das "Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen", eine Staatsgefährdung erblickte. Und selbst hinsichtlich des Rechts "auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition"