Einleitung
Nach dem militärischen Triumph über das Deutsche Reich verfolgte Stalin ein doppeltes Ziel. Einerseits sollte ein langfristig stabiles, eigenes Sicherheitssystem aufgebaut, andererseits die hinzugewonnene Rolle als zweite Weltmacht neben den USA unverzüglich ausgefüllt werden. Beide Strategien bargen erhebliche Risiken und verursachten gewaltige Kosten, welche die begrenzten Ressourcen der Sowjetunion nach dem verheerenden Krieg extrem beanspruchten. Auf beiden Feldern der internationalen Politik genügte es nicht, die ideologischen Muster der Zwischenkriegszeit fortzuschreiben. Vielmehr betrieben die Sowjetführungen in wachsendem Maße eine pragmatische Interessenpolitik, die sich den Zeitumständen und den regionalen, nationalen und globalen Gegebenheiten anzupassen suchte. Bei der Ausweitung der Einflusssphäre in bislang diplomatisch nicht frequentierte Weltgegenden vermischten sich ideologisch-revolutionäre Konstanten mit konventionell-traditionellen Zielen und neu definierten Ambitionen. Außenpolitische Erfolge außerhalb Europas und zuungunsten des gegnerischen Lagers im Kalten Krieg wurden als Gradmesser für Größe, Macht und Ansehen der Sowjetunion genommen.
Jahrzehntelang stritten "orthodoxe" und "revisionistische" Forscher darüber, wann und wodurch der Kalte Krieg ausgelöst worden und wem letztlich die "Schuld" für den Ost-West-Gegensatz und die Teilung Europas zuzuweisen sei. Erst das Ende der Sowjetunion und dadurch bedingte Veränderungen in der historischen Wahrnehmung sowie nicht zuletzt die Öffnung russischer Archive haben dieser apodiktischen Debatte die Schärfe genommen. Neue Einsichten in die sowjetischen Entscheidungsprozesse legen nahe, das Kausalitätsprinzip im Kalten Krieg nicht über Gebühr zu strapazieren. Im Lichte der neuen Quellen erscheint der Kurswechsel nach 1945 weniger radikal und stärker auf Kontinuität angelegt gewesen zu sein.
"Antiimperialismus" und Hegemonialpolitik
Das Auseinanderbrechen der Kriegskoalition beendete aus Stalins Sicht ein Zweckbündnis auf Zeit.
In historischer Perspektive erschien es vordringlich, die Gunst der Stunde zu nutzen, um den gegen die Sowjetunion gerichteten cordon sanitaire der Zwischenkriegszeit umzukehren.
Obwohl die Gründung der NATO 1949 und die Sicherheitsgarantien der USA für Westeuropa dem sowjetischen Ausgreifen Grenzen setzten, war die Sowjetunion nicht zuletzt wegen der Überwindung des amerikanischen Atomwaffenmonopols zum Zeitpunkt von Stalins Tod 1953 mächtiger als jeder andere russische Staat in der Geschichte. Der antiimperialistische Impetus der frühen sowjetischen Nachkriegspolitik spiegelt sich exemplarisch wider in einem Memorandum des Sowjetbotschafters in Washington, Nikolai W. Nowikow, vom September 1946.
Stalin folgerte aus der neuen Weltlage gleichwohl nicht, dass ein Krieg unmittelbar bevorstand. Er traute Amerikanern und Briten aufgrund divergierender Interessen keine konsequente Einkreisungspolitik gegen die Sowjetunion zu. Selbst die Atombombe, die offenbar die sowjetische Führung tief beeindruckte, spielte er in ihrer strategischen Bedeutung zunächst herunter. Sie diente nach seiner Ansicht einzig dem Zweck, Politiker "mit schwachen Nerven" einzuschüchtern. Die Atombombe war demnach nicht geeignet, Kriege endgültig zu entscheiden. Im Übrigen trachtete Stalin jedoch energisch danach, im Bereich der Kernwaffen mit den Amerikanern gleichzuziehen.
Entkolonialisierung und Weltpolitik
Aus der Verbindung von ideologischem Geltungsanspruch und erneuerten russischen Traditionen erwuchs ein imperiales Bewusstsein, das die bisherigen Grenzen zu überschreiten, in neue Räume vorzustoßen und dafür die eigenen Ressourcen ebenso wie die der neuen "Brudervölker" rücksichtslos auszubeuten bereit war. Die Offensive der Kommunisten in Asien bestärkte die Westmächte in der Ansicht, dass Moskau sich nicht mit der Vorherrschaft in Europa begnügen würde.
Drei Jahrzehnte, nachdem die Kommunistische Internationale (Komintern) im Jahr 1920 Thesen zur nationalen und kolonialen Frage verkündet und ihre Solidarität mit den Befreiungsbewegungen im Nahen, Mittleren und Fernen Osten erklärt hatte, fühlte sich Moskau mehr denn je als antikolonialer Fürsprecher. Getragen von der Euphorie des Sieges im Weltkrieg, knüpfte der Sekretär des Zentralkomitees Andrei Schdanow auf der Gründungskonferenz des Kommunistischen Informationsbüros (Kominform) im September 1947 an die Strategie der Komintern an. Als neue Weltmacht war die Sowjetunion demnach berufen, an der Spitze des "demokratischen Lagers" den Kampf gegen die "imperialistische Expansion" anzuführen und "neue Kriege" zu verhindern.
Während in Ostmitteleuropa die Einrichtung von Satellitenstaaten noch andauerte, brachten die chinesischen Kommunisten unter Mao Zedong der nationalistischen Guomintang 1949 im Bürgerkrieg die entscheidende Niederlage bei. Der Norden der koreanischen Halbinsel fiel in die Hände von Kommunisten. Auch in Süd- und Südostasien befanden sich die europäischen Kolonialimperien in der Defensive. Der Kalte Krieg begann, eine "Dritte Welt" aus Entwicklungsländern von der "Ersten" aus kapitalistischen Industriestaaten und der "Zweiten" aus den Ländern des sowjetischen Hegemonialbereichs abzusondern, auf die sich fortan die rivalisierenden Interessen konzentrierten.
Obgleich die nationalen Revolutionen meist ohne sowjetische Unterstützung auskamen, beanspruchte Moskau die alleinige Führung im Unabhängigkeitskampf. Dies belastete das ambivalente Verhältnis zur Kommunistischen Partei Chinas nach deren Sieg zusätzlich.
Unter Stalins Nachfolgern wurde das Engagement in der "Dritten Welt" erheblich ausgeweitet. Nikita Chruschtschow erklärte die "strategische Reserve des Imperialismus" zum bevorzugten Schauplatz, auf dem man dem Westen erfolgreicher und weniger riskant als an den Brennpunkten der bipolaren Rivalität in Korea, Berlin oder auf Kuba entgegentreten könne.
Die ideologische Nachsicht gegenüber der praktischen Experimentierfreude vor Ort veranlasste die Volksrepublik China in den 1960er Jahren, den Alleinvertretungsanspruch Moskaus bei der Auslegung des Marxismus für die Länder der "Dritten Welt" offen in Frage zu stellen. Das Schisma äußerte sich nun auch in zahlreichen bewaffneten Zwischenfällen an der chinesisch-russischen Grenze. Sie widerlegten den Mythos von der internationalen Solidarität des "Proletariats".
Insgesamt zeitigte das sowjetische Engagement in der "Dritten Welt" eher prekäre Folgen. Zum einen belastete die Unterstützung von Rebellen die Entspannungspolitik gegenüber dem Westen. Zum anderen durchkreuzten der Nationalismus der postkolonialen Staaten und die wachsenden Konflikte untereinander die Stabilität der regionalen Stützpunkte. Aus der Unterstützung von "Befreiungsbewegungen" entwickelten sich nicht selten "Stellvertreterkriege" im globalen Konflikt der Supermächte.
Doch der Schein trog. Der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat kündigte einseitig das Vertragsverhältnis mit der Sowjetunion. Sudan und Somalia folgten 1977 diesem Beispiel. Nichts trübte allerdings den Nimbus als "Friedensmacht" mehr als die Intervention in Afghanistan im Dezember 1979.
Entspannungspolitik und Konfrontationsideologie
Mit der massiven Aufrüstung der strategischen Streitkräfte nach der Kubakrise erreichte Moskau innerhalb eines Jahrzehnts eine Pattsituation mit den USA.
Die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition in der Bundesrepublik nach 1969, die Anerkennung der Unverletzlichkeit der Grenzen in Europa, die Verträge mit den osteuropäischen Nachbarn, das Viermächteabkommen über Berlin, die deutsch-deutschen Vereinbarungen über einen geregelten diplomatischen Verkehr, die Aufnahme der Bundesrepublik und der DDR in die Vereinten Nationen und schließlich die Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki am 1. August 1975 waren Ausdruck eines ost-westlichen Normalisierungsprozesses. Die Sowjetunion erreichte eines ihrer Hauptziele, die Anerkennung des politischen und territorialen Status quo nach dem Zweiten Weltkrieg. Ausdruck dieser Akzeptanz war es, dass die internationalen Proteste gegen die Intervention von Truppen des Warschauer Paktes 1968 in der Tschechoslowakei rasch abebbten.
Für die Entspannungspolitik wie für die "Dritte-Welt"-Politik markierte "Moskaus Vietnam", die Besetzung Afghanistans, den Wendepunkt. Die vom amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter Anfang 1980 verkündete Boykottpolitik tangierte nahezu alles, was die Ost-West-Beziehungen für etwa zehn Jahre in Schwung gebracht hatte. Die Getreidelieferungen wurden gekürzt, die Ausfuhr von Hochtechnologie eingefroren, der Kulturaustausch eingeschränkt und die prestigeträchtigen Olympischen Spiele von Moskau boykottiert. Für den Fall einer Unterbrechung der Ölpipelines in den Persischen Golf drohte Washington sogar mit militärischen Operationen. Carters Amtsnachfolger Ronald Reagan verschärfte den antisowjetischen Kurs. Doch auch Moskaus unmittelbares Vorfeld geriet in Bewegung. Streiks und Unruhen in Polen führten 1981 an den Rand einer Invasion. Am Ende von Breschnews Amtszeit bestand die sowjetische Außenpolitik in defensiver Bestandswahrung. Die sowjetische Weltpolitik war an ihre Grenzen gestoßen. Für ein erneutes Wettrüsten im Bereich der Mittelstreckenraketen fehlten ebenso die Ressourcen wie für ein Gegenstück zum angekündigten amerikanischen weltraumgestützten Raketenabwehrsystem (SDI).
Eine Wirtschaftskrise, die Überalterung des Partei- und Staatsapparates und das Machtvakuum unter den Übergangsführern Juri Andropow und Konstantin Tschernenko schwächten das Imperium weiter. Dennoch zögerte Gorbatschow, der dritte Parteichef innerhalb von drei Jahren, mit einer Wende in der Außenpolitik. Erst nach 1987 kam es aufgrund der bedrohlichen inneren Krise sowie unter dem Eindruck der verheerenden Folgen des Atomunglücks von Tschernobyl ein Jahr zuvor und der anhaltenden internationalen Spannungen zu bedeutsamen Erfolgen in der Abrüstungspolitik und bei der Lösung regionaler Konflikte in Afrika, Asien und Lateinamerika.
Von besonderem Gewicht war der Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan 1988/89. Er brachte den traumatischen Krieg gegen die antikommunistische Guerilla zum Abschluss. Im Mai 1989 reiste Gorbatschow zum ersten Gipfeltreffen seit zwanzig Jahren nach Peking. Es leitete mit der Entmilitarisierung an der sowjetisch-chinesischen Grenze und mit Wirtschafts- und Wissenschaftsabkommen eine Phase der Deeskalation und Kooperation ein. Eines der letzten Anzeichen für das nahe Ende des Kalten Krieges war, dass sich die Sowjetführung gegen erhebliche innere Widerstände dazu bereit fand, in der Golfkrise von 1990 mit den USA zusammenzuarbeiten.
Das "Neue Denken" in der sowjetischen Außenpolitik kehrte eine jahrzehntelange Entwicklung imperialer Expansion und steigenden globalen Einflusses um.
"Internationalismus" und Kulturtransfer
Die beachtlichen Erfolge in der Europapolitik waren durch die Anerkennung der "bürgerlichen" Freiheitsrechte auf der Konferenz von Helsinki nur scheinbar günstig erkauft worden. Schon bald zeigte sich, dass die Verpflichtung auf die Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religionsausübung und das Bekenntnis zu ungehindertem Informationsfluss, Freihandel und menschlichen Kontakten die weltanschauliche Deutungshoheit der Sowjetunion erodieren ließ. Im Innern war es Breschnew in den 1960er Jahren noch gelungen, die kulturelle Liberalisierung des "Tauwetters" nach Stalins Tod teilweise zurückzunehmen. Nach außen, so hoffte er, werde es ebenfalls gelingen, durch das Prinzip der "Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten" unliebsame Einflüsse aus dem Westen von der sowjetischen Bevölkerung fernzuhalten.
Die Anerkennung der Menschenrechte bedeutete jedoch ganz im Gegenteil den Eintritt in eine neue Dimension der internationalen Beziehungen, in der das Paradigma des Sowjetmarxismus seine allumfassende Gültigkeit verlor. Zudem wirkten sich nun auch die Folgen der mit dem Supermachtstatus verbundenen Öffnung des Landes gegenüber der Außenwelt aus. Internationale Großereignisse wie Jugendfestivals oder Olympische Spiele wurden zu öffentlichen Räumen eines schwer reglementierbaren Kulturtransfers zwischen Ost und West. Das offizielle Selbstbild vom "sowjetischen Lebensstil", aber auch die von Moskau allein beanspruchte normative Auslegung des Sozialismus kontrastierten mit der Vielfalt möglicher Alternativen.
Die Geschichte des Kalten Krieges ist meist als eine der Abschottung und Konfrontation zweier gegensätzlicher gesellschaftlicher Systeme geschrieben worden. Diese dichotome Sicht setzte voraus, die Propaganda der gegnerischen Lager für einen verlässlichen Spiegel der tatsächlichen Kulturbeziehungen zu nehmen.
Nicht minder politisch erschienen Wissenschaftsbeziehungen und technologische Kooperationen, die in den Jahren der Entspannungspolitik in beträchtlichem Umfang zunahmen, jedoch in der Orientierung auf amerikanische Vorbilder und internationale Modernekonzepte eine lange Tradition hatten.
Die chauvinistischen Kampagnen der frühen Nachkriegsjahre bzw. der späten Stalinzeit widersprachen dem Selbstbild der Sowjetunion als Hüterin einer universalen "Völkerfreundschaft". Sie bestätigten, ganz im Gegenteil, mit ihrer militant fremdenfeindlichen und antisemitischen Rhetorik eher den Eindruck eines radikalen kulturellen Isolationismus. Umso erstaunlicher war, dass die groben Gleichschaltungstendenzen in Kunst, Musik, Literatur und Wissenschaft durch eine Entscheidung der Parteiführung unmittelbar nach Kriegsende konterkariert wurden, die in ihren Folgewirkungen offenbar unterschätzt wurde. Sowjetische Leistungssportler sollten durch Siege bei internationalen Wettkämpfen, insbesondere bei Olympischen Spielen, maßgeblich zur Mehrung des Ansehens der Sowjetunion beitragen.
In kurzer Folge fanden im Zuge des kulturpolitischen "Tauwetters" nach Stalins Tod in Moskau zwei Großveranstaltungen mit reger internationaler Beteiligung statt. Im August 1956 wurde die Spartakiade der Völker der Sowjetunion und im Jahr 1957 das 6. Studentenfestival der Jugend und Freundschaft (auch: 3. Freundschaftsspiele der Jugend) auf dem Gelände des gerade fertig gestellten Sportparks Luschniki ausgerichtet. Für die Initiatoren ging es vor allem darum, der Weltöffentlichkeit das multifunktionale Gelände als Beispiel moderner Stadt- und Landschaftsarchitektur zu präsentieren.
Vor diesem Hintergrund erwies sich der intensivierte internationale Kulturaustausch als ambivalentes Feld kompensatorischer Konfliktaustragung. Einerseits gelang es der Sowjetunion, westliche Gesellschaften kulturell zu "infiltrieren". Andererseits erhielten Sowjetbürger aber auch direkten oder aus der offiziellen Kritik erschließbaren indirekten Zugang zu Attributen des "Westens" in Mode, Konsumverhalten, Musik, Film und Theater.
Besser erforscht sind inzwischen die offiziellen Freundschaftsgesellschaften, Solidaritätskomitees und sonstigen Kulturorganisationen.
Die individuellen und kollektiven Bilder von "Europa" und dem "Westen" bzw. von der "Sowjetunion" und dem "Osten" setzten sich unter dem Dach des Kalten Krieges und in Konkurrenz zu den offiziell verbreiteten Mustern neu zusammen.