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Korruption Editorial Korruption: Spiegel der politischen Kultur - Essay Kapitulation vor der Korruption? Deutsche Ansichten zur Korruption Korruption als Wachstumsbremse Der korrupte Akteur Lobbyismus in Deutschland

Kapitulation vor der Korruption?

Wolfgang Hetzer

/ 17 Minuten zu lesen

In einer Welt, in der materieller Wohlstand Lebenssinn geworden ist und zwischen Arbeit und Einkommen kein nachvollziehbarer Zusammenhang mehr besteht, ist Korruption allgegenwärtig. Sie hat eine unverzichtbare Scharnierfunktion.

Einleitung

Korrumpierung zählt zu den ältesten und wirkungsvollsten Techniken gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und staatlicher Selbstorganisation. In der politischen Diskussion ist "Korruption" einer der meistbenutzten Begriffe. Inzwischen wird gar das Porträt einer "Wachstumsbranche" gezeichnet. In Deutschland gibt es die Behauptung, dass selbst Vorstände großer Konzerne nicht nur ihre Aufsichtspflicht verletzt, sondern sogar Bemühungen zur Eindämmung von Korruption behindert hätten.


Rechtsgutachten zufolge hätte fast jeder der seinerzeit im Amt befindlichen Zentralvorstände des Siemens-Konzerns gegen das in ihrer Firma bestehende "Korruptionssystem" einschreiten müssen. Auch verdiente Schriftsteller äußern sich zum Thema. Martin Walser zum Beispiel hält Bestechung durch deutsche Unternehmen bei der Auftragsbeschaffung für gerechtfertigt. Er sieht Manager wie Heinrich von Pierer (ehemals Siemens) oder Klaus Zumwinkel (ehemals Deutsche Post) zu Unrecht unter Beschuss. Walser vermutet, dass ein Unternehmen wie Siemens derart konstruiert sei, "dass bis zu einer gewissen Ebene alle wissen, wir müssen bestechen, aber wir müssen für den Fall des Falles die Spitze davon freihalten". Dieses sei dann "eine sehr solide, vernünftige Konstruktion".

Kampagnen

Diese Weltsicht ist zwar verbreitet. Sie ist aber nicht haltbar, weil sie in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu unserer Rechts- und Werteordnung steht. Ausländische Amtsträger und Mitarbeiter ausländischer Unternehmen dürfen nach deutschem Recht genauso wenig bestochen werden wie einheimische Amtsträger oder Mitarbeiter deutscher Unternehmen. Auch die beabsichtigte Sicherung von Arbeitsplätzen kann die Missachtung der einschlägigen Vorschriften nicht legitimieren. Weder steht das Strafrecht unter einem Wirtschaftlichkeitsvorbehalt noch genießen kriminelle Vereinigungen aus beschäftigungspolitischen Gründen Bestandsschutz. Es gibt keinen Grund, warum moralische und rechtliche Wertorientierungen im Hinblick auf die Korruption außerhalb des eigenen Heimatlandes und Firmensitzes nicht gelten sollten. Korruption ist in vielen Ländern nämlich nicht nur ein unrechtmäßiges Mittel im Wettbewerb. Sie ist auch ein Hauptgrund für Unterentwicklung und ein Hemmnis für die Demokratie.

Ein Ökonom stellte dennoch unverdrossen öffentlich die Frage, welchen Nutzen der deutsche Staat davon hätte, die Wirtschaftskorruption im Ausland zu verfolgen. Er hält es für zweifelhaft, ob Bestechung "moralisch" so verwerflich ist, dass man entsprechende Zahlungen dem Strafrecht unterwerfen sollte. Die Idee, Bestechung im Ausland unter Strafe zu stellen, komme aus der Entwicklungspolitik und sei den Politikern von einigen Nichtregierungsorganisationen eingeflößt worden. Die Entwicklungshilfe auf diese Weise zu unterstützen, sei aber ineffektiv und teuer, weil sich an der Korruption nichts ändere und bei uns die Aufträge wegfielen, während andere die Geschäfte machten. Aus dieser Sicht ist es anscheinend bedeutungslos, dass sich im Wettbewerb um lukrative Aufträge Mitarbeiter und Führungskräfte ganzer Konzerne auf allen Hierarchieebenen so weit korruptiv verstrickt haben, dass eine "Systemkriminalität" entstanden ist. Wirtschaftsunternehmen habensich in Hochburgen krimineller Machenschaften verwandelt, in denen Handlungsmuster der Organisierten Kriminalität alltägliche Geschäftspraxis geworden sind.

Umso erstaunlicher ist es, dass sich die bisherige strafrechtliche Aufarbeitung überwiegend auf nachgeordnete Mitarbeiter konzentriert und auf den Vorwurf der Untreue (§ 266 Strafgesetzbuch, StGB) beschränkt. Das Landgericht München I hat am 28. Juli 2008 den früheren Siemens-Direktor Reinhard Siekaczek zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 108 000 Euro verurteilt. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, Untreue begangen zu haben, indem er allein zwischen Juni 2002 und September 2004 in 49 Fällen Zahlungen von insgesamt knapp 50 Millionen Euro durch ein "undurchdringliches Geflecht von Scheinfirmen" geschleust habe. Damit sind weltweit Bestechungstransaktionen finanziert worden. Der Verurteilte hatte sich dabei nicht persönlich bereichert, sondern die Beträge auf Aufforderung leitender Mitarbeiter als "nützliche Aufwendungen" bewilligt. Das Wort "Schmiergeld" soll dabei jedoch stets verpönt gewesen sein, Korruption habe bei Siemens einfach "das Thema" geheißen.

Als Siekaczek für die Anweisung "nützlicher Aufwendungen" zuständig geworden war und wissen wollte, wofür sie im Einzelnen vorgesehen waren, habe er die Antwort erhalten: "Das wollen Sie nicht wirklich wissen." Die Manager hätten mit einem "Augenzwinkern" darüber geredet. Nach den Angaben von Siekaczek habe sogar ein Zentralvorstand Wirtschaftsprüfer angewiesen, bestimmte korruptive Praktiken nicht zu durchleuchten. Ein Vorstand der Telekom-Sparte, so der Delinquent weiter, habe gar gesagt, dass sie im Bedarfsfall jemanden hätten, der mit einem Vertreter der Justiz in die Sauna gehe und der Fall dann geregelt sei. Dies habe die mit den Schmiergeldzahlungen Beauftragten beruhigt. Im Übrigen habe es ständig neue Begründungen zur Erforderlichkeit von Bestechungshandlungen gegeben: "Erst zahlte man, um den Auftrag zu bekommen, dann für die Einfuhrgenehmigung in das Land, später, damit der Kunde die Ware überhaupt bezahlte. Oder: Mitarbeiter in Osteuropa oder Afrika sagten: Es gibt Versprechungen, wenn Ihr nicht zahlt, ist unser Leben in Gefahr."

Hinter der Korruptionskultur habe eine Kalkulation gestanden: Ohne Aufträge aus den Ländern, in denen man schmieren "musste", wäre eine Milliarde Euro Umsatz weggefallen, also 25 Prozent allein in diesem Bereich. Das ganze Telefon-Netzwerk-Geschäft mit 50 000 Mitarbeitern wäre ohne Bestechung untergegangen, behauptet Siekaczek. Man sei allerdings "quer durch den Konzern" so vorgegangen. Er selbst habe ein bereits bestehendes "Modell" nur übernommen, das "keine große Sache" gewesen sei: Der Treuhänder in Liechtenstein habe nur ein Papier gewollt, das seine Berechtigung nachwies, für Siemens Konten zu eröffnen. Dies habe die Rechtsabteilung des Konzerns bestätigt. Allen Managern, "bis nach ganz oben", sei klar gewesen, "dass wir etwas Strafbares tun".

Auch das Gericht äußerte erhebliche Zweifel daran, dass der gesamte Zentralvorstand von dem Vorgehen keine Kenntnis gehabt haben soll. Den Aussagen des Finanzvorstandes Joe Kaeser entnahm der Vorsitzende Richter Peter Noll immerhin, dass es bei Siemens ein "weithin erodiertes Rechtsbewusstsein" und ein "System organisierter Unverantwortlichkeit" gegeben habe. Er erinnerte in seiner Urteilsbegründung auch daran, dass die Anklage gegen Siekaczek nicht wegen Korruption erfolgt war - diese sei höchstens mittelbar ein Thema gewesen. In ersten Kommentaren wurde das Urteil als "Startschuss" bezeichnet. Der Vorsitzende Richter habe gewichtige Indizien dafür gefunden, dass die höchste Führungsebene über das ausgeklügelte Bakschisch-System Bescheid gewusst habe. Die Staatsanwälte könnten sich nun noch einmal überlegen, ob sich ihr Verdacht gegen von Pierer & Co. wirklich nur auf eine "Ordnungswidrigkeit" richte.

Kontinente

Korruption ist kein unbekannter Kontinent, dessen Entdeckung überraschen müsste. Geographisch und zeitlich lässt sich von jedem beliebigen Punkt aus aufbrechen - schon nach wenigen Schritten beginnt ein Streifzug durch ganze Landschaften. Der Weg führt dabei immer wieder in Gerichtssäle, wo eine Topographie besonderer Art sichtbar wird. Aber auch von dort aus sind nicht alle Höhen und Tiefen hinreichend klar zu ermessen. Patentrezepte gegen die Korruption gibt es nicht. In der Priorisierung strafrechtlicher Instrumente liegt jedenfalls nicht das Heil.

Korruptive Verflechtungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik spiegeln möglicherweise einen dramatischen Bewusstseinswandel wider, der mit dem groben Raster von Strafgesetzen überhaupt nicht erfassbar ist. Dies gilt auch im Hinblick auf objektive Strukturen. Gesellschaftliche Einrichtungen, politische Parteien, demokratische wie undemokratische Regierungen, Justiz, Verwaltung, aber auch Polizei und Armee sowie Wirtschaftsunternehmen haben in etlichen Ländern Verknüpfungen gebildet, welche die Leistungskraft konventioneller krimineller Vereinigungen oft überschreiten. Dass sich die Gewinnabsichten von Wirtschaftssubjekten, die Ambitionen von Politikern, die Finanzierungsbedürfnisse von Parteien und die Geldgier von Amtsträgern immer häufiger kreuzen, ist nicht mehr zu übersehen. Daraus entsteht eine besonders "anspruchsvolle" Korruption, an der die vergleichsweise einfachen Begriffe des Strafrechts zerschellen.

Wenn Käuflichkeit den inneren Charakter eines Gemeinwesens prägt, degeneriert Rechtsgehorsam zur lächerlichen Attitüde. Justizielle Bewältigungsversuche werden zur leeren Geste. Die mit der Korruption einhergehende Entkopplung von Arbeit und Erfolg, Leistung und Einkommen destabilisiert früher oder später jedes gesellschaftliche System. Polizei und Justiz können in diesem Zusammenhang die etwaigen Verklammerungen durch Lebenslügen nicht lösen. Fatalistische Erkenntnisse ("Jeder Mensch hat seinen Preis ...") dürfen einen klaren Blick auf die weiten Ebenen des "Kontinents Korruption" aber nicht verhindern.

Im Jahre 1982 konzentrierten sich umfangreiche staatsanwaltschaftliche Ermittlungen auf die "Flick-Gruppe": Der Flick-Konzern hatte seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig Zahlungen an die großen, im Bundestag vertretenen Parteien geleistet ("Landschaftspflege"). 1976 und 1978 hatten die Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs und Otto Graf Lambsdorff dem Konzern auf Grundlage von § 6 b des Einkommensteuergesetzes und § 4 des Auslandsinvestitionsgesetzes eine Steuerbefreiung für die Neuanlage des Erlöses aus dem Verkauf von 29 Prozent der Daimler-Aktien genehmigt. Die Staatsanwälte gingen nun davon aus, dass durch die jahrelangen Zuwendungen des Hauses Flick an die verschiedenen Parteien Abhängigkeiten entstanden waren, welche die Minister dazu veranlasst hatten, die entsprechenden Anträge zu befürworten. In seinem Urteil stellte das Landgericht Bonn zwar fest, dass die Zahlungen und die Entscheidungen der Ministerien nicht in einen kausalen Zusammenhang zu bringen waren. Aber aus der Sicht eines Beteiligten hatte der Freispruch vom Vorwurf der Bestechlichkeit und Vorteilsnahme im Amt einen "Schönheitsfehler". Denn das Gericht erkannte ein klares Versäumnis der Beteiligten in der Art und Weise, wie sich die Parteien über Jahre hinweg die von ihnen benötigten Geldmittel - mutmaßlich am Gesetzgeber und am Fiskus vorbei - aus der Wirtschaft besorgt hatten. Die Spender sahen indes in ihren Leistungen nichts anderes als eine Form von indirekten Steuern.

Es ließe sich darüber spekulieren, ob die große Verwirrung über den Wert oder Unwert von Korruption erst durch die egalisierenden Effekte der Demokratie entstanden sind und ob bis dahin, also bis zur Aufhebung der Grenzen zwischen unten und oben, korrupte Praktiken wie selbstverständlich zum Verhaltensrepertoire der Mächtigen gehörten. Hier mag der Hinweis genügen, dass zu jener Zeit (1983) das Wort von der "gekauften Republik" in der öffentlichen Diskussion prägende Kraft entfaltete.

Dieser Tage beginnt ein ähnlicher Begriff Karriere zu machen: "Der gekaufte Staat". Das Buch mit diesem Titel könnte allerdings genauso gut "Der verkaufte Staat" heißen. Es werden darin zahlreiche Beispiele dafür geschildert, wie Vertreter der Privatwirtschaft an Gesetzgebungsvorhaben in den zuständigen Bundesministerien mitwirken - ein klarer Fall von "Korruption", wie Kritiker betonen. Nationale Grenzen sind in diesem Zusammenhang nicht mehr wichtig, wie anhand der europäischen Chemikalienverordnung "REACH" (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals) deutlich wird. Konfrontiert mit journalistischen Rechercheergebnissen, soll der auch für Betrugs- und Korruptionsbekämpfung zuständige Kommissar der Europäischen Kommission, Siim Kallas, erklärt haben, dass es das Beste wäre, überhaupt keine Leute mehr aus der Privatwirtschaft zu engagieren und dass diese Praxis endgültig gestoppt werden sollte. Die Mitarbeit der Privatkonzerne sei eine "deutsche Idee" gewesen.

Wie dem auch sei: Während des vergangenen Vierteljahrhunderts haben sich auf unserem mysteriösen Kontinent weitere Gebirge aufgetürmt. Auch wenn sie hier nicht alle genau zu benennen sind, ist Eines klar erkennbar: Es gibt mittlerweile beunruhigende Beispiele dafür, dass die Gesetzgebung aufgrund von Inkompetenz besonderen Korrumpierungsrisiken ausgesetzt ist. Besonders eindrucksvoll zeigt dies das deutsche Investmentmodernisierungsgesetz. Bei der Vorbereitung und Formulierung dieses Gesetzes haben diejenigen Personen und Institutionen maßgeblich mitgewirkt, die davon selbst am meisten profitiert haben.

Eine weitere Erhebung auf dem Kontinent: Im Dezember des Jahres 1999 verbreiteten deutsche Nachrichtenagenturen, dass der Bundeskanzler a. D. Helmut Kohl eingeräumt habe, in seiner Amtszeit anderthalb bis zwei Millionen DM Spenden angenommen zu haben. Unter Hinweis auf sein Ehrenwort verweigert Kohl bis heute gesetzwidrig Angaben zur Identität der Finanziers. Für seine Nachfolgerin im Amt, Angela Merkel, stellte die Bewältigung der sich daraus entwickelnden Lage eine besondere Herausforderung und Chance dar. Am 22. Dezember 1999 forderte das Präsidium der CDU Kohl auf, die Namen der Spender offenzulegen. Aus der Sicht von Beobachtern markierte dies auch den endgültigen Bruch zwischen Kohl und dem heutigen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Das Verhalten Kohls in dieser Angelegenheit war und ist kein Beitrag, die Grenzziehung zwischen Politik, Korruption und Erpressung zu erleichtern. Er hatte der deutschen Öffentlichkeit am 30. November 1999 zudem mitgeteilt, dass für ihn in seinem gesamten politischen Leben persönliches Vertrauen wichtiger gewesen sei als rein formale Überprüfungen. Pressekommentatoren sahen darin den "härtesten Satz", die "wahre Wahrheit" und sogar einen "katastrophalen Zusammenbruch".

Das fragliche Finanzgebaren spielte zwar in den Dimensionen der Politik. Diese ist aber kein rechtsfreier Raum. Ein "Ehrenwort" steht nicht über dem Gesetz. Schon gar nicht, wenn es exklusiv dem parteilichen Interesse dienstbar gemacht wird und Teil einer vorsorglichen Selbstverteidigungsstrategie ist. Andernfalls wäre ein derartiger Sprachgebrauch nur Ausdruck einer mafiösen Degeneration. Auch die Anwendung des strafrechtlichen Untreuetatbestands wäre in diesem Fall sinnlos. Transparenz bei der Parteienfinanzierung wäre in jedem Fall ein erster Schritt, um der Aufweichung der politischen Macht durch korruptive "Handelsgeschäfte" entgegenzuwirken.

Konkurrenzen

In der Praxis der Strafverfolgung spielen Korruptionsdelikte in Deutschland ungeachtet der Aufsehen erregenden Presseberichterstattung der jüngeren Zeit immer noch keine bedeutende Rolle. Nur ein geringer Anteil der bekannt gewordenen Fälle gelangt überhaupt zur Anklage. Die Dunkelziffer ist sehr hoch, die Schadensberechnung schwierig. Es sind daher nur grobe Schätzungen möglich. Gleichwohl wird mittlerweile ein vorsichtiger Wandel im Umgang mit der Korruption konstatiert. Bislang beschäftigten sich, so der Eindruck eines erfahrenen Beobachters, die wenigen Korruptionsfahnder vorwiegend mit "Durchstechereien" in der öffentlichen Verwaltung. Die Wirtschaft sei unterdessen "Terra incognita" geblieben. Nun sei dieses Reich als Aufgabengebiet entdeckt worden. Ein Fall wie Siemens wäre früher vermutlich längst nicht so konsequent wie heute bearbeitet worden.

Die Tatbestände der Straftaten gegen den Wettbewerb sind erst durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997 in das Strafgesetzbuch (StGB) eingeführt worden. Einerseits sollte damit die Verfolgung korrupten Verhaltens effektiviert werden. Andererseits strebte man vor allem eine Stärkung generalpräventiver Aspekte an. Man erkannte auch, dass die wirksame Verfolgung der Korruption insbesondere von präventiven Maßnahmen und der Stärkung eines korruptionshemmenden Rechtsbewusstseins der Bevölkerung abhängt.

Das von den §§ 298ff. StGB geschützte Rechtsgut ist zunächst der freie Wettbewerb, also die Freiheit der Marktkonkurrenz vor unlauteren, nicht offenbarten Einflüssen, die das Austauschverhältnis von Waren und Leistungen einseitig zugunsten eines Beteiligten verzerren. Dahinter soll letztlich die marktwirtschaftliche Gesellschaftsordnung als Ganzes stehen. Für diese seien das Funktionieren des auf dem Leistungsprinzip beruhenden Wettbewerbs und das Bewusstsein der Bevölkerung von der Rationalität und Öffentlichkeit des Marktes schlechthin konstituierend. Es handelt sich mithin um ein "offenes Rechtsgut", das in hohem Maße von gesetzlichen Vorgaben bestimmt und vielfältigen Wandlungen unterworfen ist. Das ändert nichts an der strafrechtlichen Schutzbedürftigkeit, verlangt aber eine rechtsstaatlich klare Begrenzung des Unrechtstatbestandes.

Wer als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes im geschäftlichen Verkehr einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, muss mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen. Ebenso macht sich strafbar, wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebes einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen in unlauterer Weise bevorzuge.

Diese Regelungen gelten auch für Handlungen im ausländischen Wettbewerb (§ 299 StGB). Daraus ergeben sich erhebliche Probleme. In der Literatur ist die Behauptung zu finden, dass in nicht unerheblichen Teilen des Weltmarktes Vorteilsgewährungen nicht nur weithin üblich seien, sondern für den Abschluss größerer Geschäfte vielfach geradezu vorausgesetzt würden. Gleichwohl sind Schmiergeldzahlungen, für welche in manchen Bereichen des Exportgeschäfts regelmäßig mindestens fünf Prozent des Auftragsvolumens eingeplant werden, nicht als "sozialadäquat" anzusehen. Es ergibt sich keine Rechtfertigung im Rechtssinne daraus, dass wirtschaftliche Erfolge auf korruptiven Auslandsmärkten nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen möglich seien; selbstverständlich auch nicht aus der (ehemaligen) steuerlichen Anerkennung solcher Leistungen als Betriebsausgaben ("nützliche Aufwendungen"). Die kriminalpolitische Bedeutung der Vorschrift liegt im Schutz des freien Wettbewerbs. Die Vermögensinteressen der Mitbewerber sowie des Geschäftsherrn sind nur mittelbar geschützt. Bei der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Auf das Täuschungselement zu Lasten Dritter sowie auf den Eintritt eines Vermögensvorteils in Folge der Bevorzugung kommt es nicht an.

Eine gesetzwidrige oder sittenwidrige geschäftliche Betätigung fällt grundsätzlich nicht unter den Anwendungsbereich des § 299 StGB. Wettbewerb illegaler oder sittenwidriger geschäftlicher Betätigung als solcher wird durch diesen Straftatbestand nicht geschützt. Das Rechtsgut des freien legalen Wettbewerbs kann jedoch durch Taten im Zusammenhang mit illegaler Geschäftstätigkeit gefährdet sein, etwa durch einzelne gesetzwidrige Betätigungen im Rahmen eines im Übrigen rechtmäßigen Geschäftsbetriebes, zum Beispiel bei der Anlage von "Schwarzgeld" oder bei Geldwäschegeschäften im Zusammenhang mit einem legalen Geschäftsbetrieb. Ausgeschlossen sind daher nur Geschäftsbereiche mit ausschließlich illegaler Tätigkeit, nicht aber einzelne gesetzwidrige Betätigungen innerhalb eines im Übrigen legalen geschäftlichen Betriebs. Der "freie Wettbewerb" des Drogen- oder Menschenhandels ist also kein "Schutzgut".

Die Problematik reicht weit über die materiellrechtlichen Grundlagen der Korruptionsstrafbarkeit im Wirtschaftsverkehr hinaus. Das Bemühen, Verhaltensänderungen mit den Mitteln des Strafrechts zu erzielen, konzentriert sich in Deutschland - auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung ebenso wie in anderen Bereichen - bislang auf die beteiligten Personen. Es gibt hier keine Strafbarkeit von Unternehmen (Juristische Personen). Gerade im Hinblick auf Korruptionsgeschäfte, die zugunsten von Unternehmen eingegangen werden, ist dies "inadäquat". Die Strafbarkeit von Unternehmen stößt insbesondere in Deutschland traditionell auf grundsätzliche Vorbehalte. Sie gilt als unvereinbar mit dem Grundsatz, dass Strafe Schuld voraussetzt. Unternehmen seien nicht in demselben Sinne schuldfähig wie natürliche Personen. Daraus folgt aber nicht, dass es für Unternehmen keine Strafbarkeit geben kann. Es gibt keinen Grund, weshalb Unternehmen nicht in der Lage sein sollten, auch strafrechtliche Verantwortung zu tragen. Der deutsche Gesetzgeber weigert sich seit vielen Jahren, dem Beispiel fast aller europäischer Nachbarstaaten zu folgen und stützt sich dabei auf Argumente, die offen lassen, wessen Interessen damit letztlich geschützt werden.

Konklusionen

Im Anfang war nicht das Wort. Alles begann mit Mord und Totschlag. Diese Art der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung ist nicht nur Geschichte. Sie dauert mit wechselnder Intensität an. Der Ursprung von Wirtschaftssystemen war Raub, Diebstahl und Erpressung, nicht Vertragsschlüsse nach Treu und Glauben. Mittlerweile scheint sich einiges geändert zu haben. Das zivile Recht soll den Austausch von Waren und Dienstleistungen moderieren und die gewaltsame Durchsetzung von einzelnen Absichten verhindern. Überspitzt ausgedrückt: Aus dem Schlachtfeld wird der gemeinsame Markt.

Vor diesem Hintergrund ist Korruption vielleicht sogar ein "kultureller" Quantensprung, scheint sie doch auf den Gipfel der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung zu führen: Heutzutage muss man Menschen, die bestimmten Interessen im Wege stehen, nicht mehr vernichten. Gewaltanwendung wird durch Verführung abgelöst. Zahlungsanweisungen machen Kriegserklärungen überflüssig. Im Medium des Geldes wandeln sich Gegensätze in Kooperation. Moralische Grundsätze werden im Verhältnis zur Höhe vermögenswerter Zuwendungen geschmeidig interpretiert. Machtfragen lassen sich einvernehmlich behandeln. Die Überzeugungskraft von Argumenten wird unerheblich. Selbst die angebliche "historische Gerechtigkeit" von Staatsgründungen lässt sich durch Entnahmen aus "Reptilienfonds" befördern, und (mindestens) ein parlamentarisches Misstrauensvotum ist mit Hilfe von Barzahlungen zu überstehen.

Im politischen Alltagsgeschäft bietet sich ein breites Spektrum zur Emanzipation von wirtschaftlichem Sinn, Sachverstand und demokratischer Kontrolle. Der Instrumentenkasten ist übervoll. Er enthält lukrative Posten, Gefälligkeiten, Gesetzesinitiativen, Subventionen und Versorgungszusagen. In einer Welt, in der materieller Wohlstand Lebenssinn geworden ist und zwischen Arbeit und Einkommen kein nachvollziehbarer Zusammenhang mehr besteht, ist Korruption allgegenwärtig. Sie hat eine unverzichtbare Scharnierfunktion. Rechtstreue zählt nicht mehr zu den wichtigsten Funktionsprinzipien von Gemeinschaften als Solidarverband. Und solange die Beteiligten nicht verstehen wollen oder nicht verstehen können, dass sie innerhalb einer korruptiven Beziehung ihre Selbstachtung riskieren, bleiben alle Debatten über Korruptionsbekämpfung ohnehin eine nutzlose Leidenschaft. Dieser Hinweis kann nicht beeindrucken, wenn mangelnder Respekt vor der eigenen Würde zur Entwertung aller Beziehungen führt, die durch Arbeit und Loyalität geprägt sein sollten. Dennoch: Die korrumpierende Annahme von Geld ist ein Angriff auf die Selbstachtung. Wer das nicht einsieht, ist vermutlich auch durch Strafdrohungen nicht zu beeindrucken. Dann wäre nur eine Forderung plausibel: Abschaffung der Strafvorschriften zur Korruptionsbekämpfung!

Darüber, ob damit zwangsläufig nachteilige Auswirkungen auf den Rechtsfrieden und die soziale Gerechtigkeit verbunden wären, kann nur spekuliert werden. Wer der Hypothese über die "friedensstiftende" Wirkung der Korruption folgt, mag derartige negative Effekte einer Legalisierung vielleicht ausschließen. Die Anarchie der Gewalt scheint ohnehin bereits weitgehend durch die "geometrische" Ordnung des Geldes abgelöst zu sein. Doch genau darin steckt möglicherweise eine ganz besondere anarchische Kraft. Diese könnte ganze Gesellschaften zum beschriebenen Beginn der Geschichte zurückschleudern. Das mag dann geschehen, wenn die Masse der Rechtsunterworfenen verstanden hat, dass ihr Selbstwertgefühl und ihr sozialer Achtungsanspruch sowohl durch eine korruptiv zersetzte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, gekaufte Machthaber sowie durch eine strategisch wirkungslose Strafrechtspflege missachtet werden. Keine Rechtsordnung kann dann noch Abhilfe schaffen. Der Souverän wird andere Mittel einsetzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. "Korruption gibt es seit Menschengedenken." Rudolf Claussen/Heribert Ostendorf, Korruption im öffentlichen Dienst, Köln u.a. 20022, S. 3.

  2. Vgl. Britta Bannenberg/Wolfgang Schaupensteiner, Korruption in Deutschland: Porträt einer Wachstumsbranche, München 2004.

  3. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 23.7. 2008, S. 17.

  4. Martin Walser in einem Interview mit der Zeitschrift "Capital", in: www.capital.de/unternehmen/100013 069.html (24. 11. 2008).

  5. Vgl. Heinrich von Pierer, Zwischen Profit und Moral, in: Ders./Karl Homann/Gertrude Lübbe-Wolff, Zwischen Profit und Moral: Für eine menschliche Wirtschaft, München 2003, S. 7 und 27.

  6. Vgl. zutreffend: Rüdiger Jungbluth, Untreu waren sie nicht, in: Die Zeit vom 31. 7. 2008, S. 25.

  7. Vgl. "Nutzen fraglich", Interview mit Jochen Zimmermann in: Die Zeit vom 24. 1. 2008, S. 24.

  8. Vgl. Wolfgang Hetzer, Organisierte Kriminalität und Korruption, in: APuZ, 32-33/2001, S. 30 - 38.

  9. "Eine Million in der Aktentasche", Interview mit Reinhard Siekaczek, in: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 1. 8. 2008, S. 28 und in: www.sueddeutsche.de/finanzen/566/304542/
    text (25. 11. 2008).

  10. Ebd.

  11. Ebd.

  12. FAZ vom 29. 7. 2008, S. 11.

  13. Vgl. Wolfgang Hetzer, Strafrecht ist kein Allheilmittel, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Korruption in Deutschland. Ursachen, Erscheinungsformen, Bekämpfungsstrategien, Berlin 1995, S. 123ff.

  14. Vgl. aber: Johann Rzeszut, Gerichtliche Strafrechtspflege als Antikorruptionssignal, in: Martin Kreutner (Hrsg.), The Corruption Monster: Ethik, Politik und Korruption, Wien 2006, S. 345ff.

  15. Vgl. Wolfgang Hetzer, Korruption. Legalisierung oder Bekämpfung?, in: Kriminalistik, 58 (2004) 2, S. 86 - 92.

  16. Akatshi Schilling/Uwe Dolata (Hrsg.), Korruption im Wirtschaftssystem Deutschland. Jeder Mensch hat seinen Preis, Murnau 20042.

  17. Vgl. Eberhard von Brauchitsch, Der Preis des Schweigens, Berlin 1999, S. 102ff.

  18. Hans Werner Kilz/Joachim Preuss, Flick. Die gekaufte Republik, Reinbek 1983.

  19. Sascha Adamek/Kim Otto, Der gekaufte Staat. Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben, Köln 2008. Ebenfalls instruktiv: Thomas Leif, Beraten & verkauft: McKinsey & Co. - der große Bluff der Unternehmensberater, München 20064.

  20. Vgl. S. Adamek/K. Otto (Anm. 19), mit Hinweis auf Hans Herbert von Arnim.

  21. Ebd., S. 17.

  22. Vgl. dies., S. 83ff. Ausführlich auch: Wolfgang Hetzer, Tatort Finanzmarkt, Hamburg 2003, S. 115ff.; ders., Globalisierte Kriminalität auf internationalen Finanzmärkten?, in: Kriminalistik, 60 (2006) 10, S. 579 - 587.

  23. Vgl. Hans Leyendecker, Helmut Kohl, die CDU und die Spenden. Eine Fortsetzungsgeschichte, in: Hans Leyendecker/Heribert Prantl/Michael Stiller, Helmut Kohl, die Macht und das Geld, Göttingen 2000, S. 213ff.; Klaus Dreher, Kohl und die Konten. Eine schwarze Finanzgeschichte, Stuttgart 2002.

  24. Zu den parteirechtlichen Hintergründen vgl. Wolfgang Hetzer, Parteispenden - Eine Spielart der Korruption?, in: Kriminalistik, 54 (2000) 2, S. 83 - 87.

  25. Vgl. ders., Ehre oder Untreue?, in: Recht und Politik, 36 (2000), S. 100 und 107.

  26. Zu den Schäden gehören: Arbeitsplatzverluste, unnötiger Ressourcen- und Energieverbrauch, Umweltschädigungen, Vermögensnachteile, allgemeine Verteuerung durch Preisabsprachen, Beeinträchtigung des Vertrauens in die Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit und Handlungsfähigkeit des Staates, Verringerung der Akzeptanz staatlichen Handelns, Beeinträchtigung der Integrität der Wirtschaft, negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Verringerung der Transparenz volkswirtschaftlicher Prozesse.

  27. Vgl. Thomas Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, München 200855, vor § 298, Rz. 4; Britta Bannenberg, Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle, Neuwied-Kriftel 2002.

  28. Vgl. Hans Leyendecker, Die grosse Gier, Berlin 2007, S. 18.

  29. BGBl. I 2038.

  30. Vgl. T. Fischer (Anm. 27), Rz. 5.

  31. Vgl. ebd., Rz. 6.

  32. Vgl. ebd., Rz. 23 a.

  33. Vgl. ebd., Rz. 2 a.

  34. Vgl. ebd., Rz. 5.

  35. So Gertrude Lübbe-Wolff, Die Durchsetzung moralischer Standards in einer globalisierten Wirtschaft, in: H. von Pierer/K. Homann/G. Lübbe-Wolff (Anm. 5), S. 89.

  36. Vgl. Wolfgang Hetzer, Verbandsstrafe in Europa - Wettbewerbsverzerrung durch Korruption, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW), 18 (2007) 3, S. 75 - 80; ders., Korruption: Konzerne und Komplizen - Unternehmenskriminalität oder Ordnungswidrigkeit?, in: Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (EWS), 19 (2008) 3, S. 73 - 83; ders., Korruption als Betriebsmodus?, in: Kriminalistik, 62 (2008), S. 284 - 292.

Dr. jur., geb. 1951; Berater des Generaldirektors des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, European Anti-Fraud Office (OLAF), Rue Joseph II 30, 1049 Brüssel/Belgien.
E-Mail: E-Mail Link: wolfgang.hetzer@ec.europa.eu