Einleitung
Für die neuen Formen gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Koordination und Steuerung in komplexen institutionellen Strukturen, in Regierungssystemen moderner Staaten, in der öffentlichen Verwaltung, in Bereichen des Dritten Sektors (Verbände, Universitäten) und in privaten Unternehmen hat sich der Begriff Governance etabliert. Governance-Forschung ist zur boomenden Branche geworden.
Zu den bekanntesten Begriffskombinationen gehören Global Governance, Regional Governance, Local Governance, Corporate Governance und Internet Governance. Im Kern geht es bei den dadurch erfassten Phänomenen um Steuerungs- und Regelungsstrukturen, um das Zusammenwirken von Akteuren (Einzelpersonen, Gruppen, Verbände, Unternehmen, juristische Personen) in einem oder mehreren Praxisfeldern, auf einer oder mehreren territorialen Ebenen. Charakteristisch für Governance ist, dass organisationale, sektorale und/oder staatliche Grenzen überwunden werden.
Eine wesentliche Erkenntnis der Governance-Perspektive besteht darin, dass die Relativität des Staates in der Politik im doppelten Wortsinn reflektiert und bewusst gemacht wird. Der Staat kann nicht allein Macht beanspruchen und durchsetzen, vielmehr gibt es Kombinationen staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Selbststeuerung:
In diesem Beitrag geht es darum, die Kulturpolitik mit Ergebnissen und Erkenntnissen der Governance-Forschung und -diskussion zu konfrontieren und einen Blick auf das Ganze zu wagen: Steuerung und Führung in der Kulturpolitik. Welche Rolle
"Kulturstaat" Deutschland
Der Schlussbericht der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestags, der die umfassendste kulturpolitische Bestandsaufnahme in der Geschichte der Bundesrepublik enthält, entfaltet eine Gesamtperspektive auf alle drei Sektoren: Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Das aus dieser Sichtweise entwickelte Leitbild eines "Aktivierenden Kulturstaates" zielt auf ein neues, ganzheitliches Verständnis von Kulturpolitik.
Diese nutzt vielfältige Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Kulturinstitutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln, Interessen ausgleichen und kooperatives Handeln vereinbaren. Mit dem Enquete-Schlussbericht ist die Governance-Perspektive auch in der kulturpolitischen Diskussion angekommen und gibt zur Reflexion des Selbstverständnisses Anlass, das Staat und Kommunen in der Kulturpolitik ihrem Agieren zu Grunde legen. Das vorgeschlagene Leitbild einer "aktivierenden Kulturpolitik" hat sowohl innerhalb der Enquete-Kommission als auch in der Fachöffentlichkeit eine intensive Debatte ausgelöst.
Im Gegensatz vor allem zu den angelsächsischen Ländern und auf der historischen Grundlage der "Verbürgerlichung der Künste"
Vom Kulturmanagement zu Cultural Governance
In den 1980er Jahren setzte unter "New Public Management" (NPM) eine Diskussion über die Reform der öffentlichen Verwaltung ein.
Wofür und wozu in der Kulturpolitik gesteuert wird, richtet sich weniger nach ökonomischen als nach inhaltlichen Zielsetzungen. Kulturpolitik hat eine inhaltliche, eine strukturelle und eine prozessuale Dimension. Governance betrifft vor allem die Strukturen und Prozesse der Politik. Sie ist nicht per se kulturpolitische Zielsetzung oder ein kulturpolitisches Handlungsfeld, sondern beleuchtet, welche Steuerungs- und Regelungssysteme aktiv sind, um kulturpolitische Ziele zu erreichen. Governance geht indes über Kulturmanagement hinaus, denn es fragt in stärkerem Maße auch danach, wie solche Zielsetzungen im Zusammenwirken von Akteuren herausgearbeitet und vereinbart werden können. Als Verwaltungskonzept und eingebettet in die Idee des aktivierenden Staates zielt es darauf, die Zivilgesellschaft mit ihren hohen Problemlösungskompetenzen bei der Bewältigung von gesellschaftlichen Herausforderungen einzubeziehen. Es geht um Kooperation, nicht um Konkurrenz von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Bestehende Bestrebungen und Praxiserfolge können mit dem begrifflichen und strategischen Potential von Governance weiterentwickelt und verstärkt werden (vgl. die Tabelle).
Das Governance-Konzept setzt nicht auf Aufgaben- und Verantwortungstrennung, sondern auf Verantwortungsteilung und Kooperation, mithin auf Verantwortungspartnerschaft. Trotz eigenverantwortlichen Handelns der Akteure geht es um eine grundsätzliche gemeinsame Verantwortung, auf deren Basis kulturpolitische Ziele verwirklicht werden. Die Handlungslogiken Hierarchie (Staat), Tausch (Markt) und Solidarität (Bürgergesellschaft) werden nicht gegeneinander ausgespielt, sondern miteinander verbunden. Akteurs-Netzwerkkonstellationen werden in den Blick genommen. Steuerungs- und Regelungsmechanismen in Netzwerken sind dahingehend zu reflektieren, ob ein Netzwerk geeignet ist, Steuerungsfunktionen zu übernehmen und gemeinsame Aktivitäten zu entfalten. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass der "kulturelle Trägerpluralismus"
Kulturelle Infrastruktur für den "Kulturbürger"
"Kulturelle Infrastruktur" ist in intensiver Auseinandersetzung mit den Termini "Kulturelle Grundversorgung" sowie "Kulturelle Daseinsvorsorge" als zentraler Leitbegriff herausgearbeitet worden.
Die kulturelle Infrastruktur umfasst die Angebote aller Kulturakteure, nicht nur die des Staates. Ein wohl verstandenes Konzept eines "aktivierenden Kulturstaates" setzt auf eine Cultural Governance, die unter Einbeziehung von Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft eine Infrastruktur entwickelt, die ein qualifiziertes, rechtlich wie finanziell planvoll gesichertes kulturelles Angebot garantiert. Dabei geht es um die Inklusion eines jeden Kulturbürgers, während ein "schlanker Staat" auf ein Verständnis von kultureller Angebotspolitik abzielt, nach dem lediglich elementare Leistungen durch die öffentlichen Hände vorgehalten werden sollen. Auch denjenigen jedoch ist kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, die in Hinblick auf Einkommen, soziale Anerkennung und Selbstwertgefühl zu den Schwächeren gehören.
Cultural Governance setzt auf Inklusion. Sie bezieht nicht nur die unterschiedlichsten Akteure bei der kulturpolitischen Steuerung und Leistungsentwicklung ein, sondern achtet auf ein ausgewogenes kulturelles Angebot für alle Bevölkerungskreise. Nicht einer allein, nicht nur auf der Basis einseitig festgelegter Ziele, nicht nur akteurszentriert wird kulturpolitisches Handeln begründet, sondern im Zusammenspiel der beteiligten, mehr oder weniger institutionalisierten Träger kulturellen Lebens. Partizipation, Mitwirkung und Kooperation sind wesentliche Elemente der Steuerung und der Teilung von Verantwortung. Staat und Kommunen nehmen - auch unter Berücksichtigung künstlerischer und kultureller Freiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) - Trägerschafts- und Förderaufgaben dialogisch wahr, bis hin zur legislativen Tätigkeit des Staates, die im Kulturbereich ohnehin eher rahmensetzend denn interventionistisch auszurichten ist.
Zentraler Bezugspunkt ist aber immer das kulturelle Wohl jeder einzelnen Person. Jedes Individuum wird durch die Kultur befähigt, über sich nachzudenken. Durch Kultur erkennen wir Werte und treffen wir Entscheidungen in der Sinnsuche. Erst durch Kultur drücken sich die Menschen aus, werden sie sich ihrer selbst bewusst und schaffen Werke, durch die sie ihre Begrenztheit überschreiten.
In der globalisierten und medialisierten Gesellschaft ist die Persönlichkeitsbildung entscheidend. Diese ist nicht allein durch einen "bildungsbürgerlichen Kanon" zu erfassen und zu bestimmen. Es bedarf umfassender "Kulturkompetenz", um die richtige Wahl in der unerschöpflichen Vielfalt medialer, kultureller Einwirkungen und Angebote zu treffen. Um dies deutlich werden zu lassen, bietet es sich an, im Dreiklang von Individuum, Gesellschaft und Staat das Individuum als Kulturbürger in den Blick zu nehmen, auch, um sich vom allzu lange prägenden Leitbild des Bildungsbürgers klassischer Prägung zu entfernen.
Cultural Governance sollte auf den freien, mündigen und vor allem kompetenten Kulturbürger zielen, der in der Lage ist, mit der Komplexität von Kultur umzugehen. Er ist nicht nur als Nutzer und Besucher ansprechbar, sondern auch als Kulturförderer und als Aktiver in eigenen künstlerischen oder kulturellen Betätigungsfeldern und schließlich auch als Akteur in kulturpolitischen Prozessen. Die Kulturkompetenz des Individuums und ihre Förderung werden zur zentralen kulturpolitischen Zielsetzung. Ästhetische Phänomene und Produkte zu verstehen und mit ihnen selbständig umzugehen, ist entscheidend für die Selbstbestimmung des Einzelnen in der "offenen Gesellschaft". Der kompetente Kulturbürger wird sich aktiv einbringen in Prozesse der Cultural Governance, in welcher Konstellation auch immer.
Handlungsfelder und Instrumente von Cultural Governance
Governance betont das "Zusammenwirken von Staat und Zivilgesellschaft bei der Regelung kollektiver Sachverhalte im gemeinschaftlichen Interesse"; dieses wird als "Neben- und Miteinander von Regelungsformen" gedacht.
Auch das Verhältnis zwischen Kultur(-politik) und Wirtschaft hat sich gewandelt. In den Aufbaujahren war es eine der wichtigsten Initiativen, mit der Gründung des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft die Verantwortung der Unternehmen an einem gesellschaftspolitischen Neubeginn zu verdeutlichen und zu zeigen, dass die Wirtschaft eine wichtige Säule kultureller Entwicklung darstellt und nicht neben oder unabhängig von der Kultur besteht.
Cultural Governance ist der Versuch, Aufgaben der Trägerschaft, der Finanzierung und der gesellschaftlichen Entwicklung von Kultur zu lösen und den Kulturstaat durch unterschiedliche, auch sektoral übergreifende Bündnisse gemeinsam herzustellen. Der Kulturstaat wird hier nicht "von oben" gedacht oder gar entlastungsstrategisch an die Gesellschaft delegiert, sondern gerade als Mittleres gesetzt. Die Fürsorge des Staates zielt auf eine neue Selbstregelung einerseits und auf die Modi alternativer Leistungserbringung durch nichtstaatliche Anbieter andererseits. Im Leitbild des "aktivierenden Kulturstaates" verbirgt sich keine Staatsgläubigkeit, sondern der Versuch, Kulturpolitik in die Mitte der Gesellschaft zu führen, sie stärker als bisher zum gemeinsamen Anliegen unterschiedlicher Akteure zu machen.
In Auswertung des Abschlussberichts der Enquete-Kommission sieht das auch der Kulturausschuss des Deutschen Städtetages so, denn er hat sich zum Governance-Ansatz im Wesentlichen zustimmend positioniert.
In einigen ostdeutschen Bundesländern ist es im Zuge der demokratischen Erneuerung auf vorbildliche Weise gelungen, umfassende Ansätze im Sinne einer Governance umzusetzen. So initiierte das Land Brandenburg 1997einen Prozess, der unter der Bezeichnung "Kulturentwicklungskonzeption" Land, Kommunen und freie Kulturträger in eine enge Kooperation zur Ermittlung kulturpolitischer Prioritäten brachte. Im Freistaat Sachsen erwuchs aus der Übergangsfinanzierung Kultur des Bundes das Gesetz über die Kulturräume in Sachsen, das alle Landkreise in regionale Zweckverbände einteilt und Land und Kommunen zu einer solidarischen Kulturfinanzierung verbündet. Besondere Bedeutung bei der Erarbeitung von Fördervorschlägen kommt einer breiten Beteiligung der Bevölkerung zu.
Zur Umsetzung von Governance gehört auch die Öffnung für Prozesse außerhalb von Verwaltung und ein Höchstmaß an Transparenz. Es muss sichtbar werden, in welcher Weise Staat und Kommunen kulturpolitisch planen und handeln, um Entwicklungen erkennen und Anknüpfungspunkte für gemeinsame Gestaltungsformen finden zu können. Neue Maßstäbe für die Kommunikation von Landeskulturpolitik setzt der erste Kulturbericht Nordrhein-Westfalens,
Auf Bundesebene gibt es teils schon lange praktizierte Ansätze, die sich einer Governance-Perspektive zuordnen lassen, etwa die selbstverwalteten Förderfonds, die aus Bundesmitteln gespeist werden. In der Rechtsform eines eingetragenen Vereins bilden Verbände und Fachorganisationen der Kultursparten Organe einer unabhängigen, dicht an der Praxis operierenden Kulturförderung aus. So gibt es den Fonds Darstellende Künste e.V., den Deutschen Literaturfonds e.V. oder etwa den Fonds Soziokultur e.V., die im Rahmen der Bundeskulturpolitik eine zeitgemäße und transparente Förderpraxis ausprägen. Auch die im Jahr 2002 gegründete Kulturstiftung des Bundes hat mit einer aufsuchenden Förderpolitik sich ausdifferenzierende Formen staatlicher Steuerung in kooperativen Netzwerken entwickelt.
Fazit
Das Paradigma der Cultural Governance ist letztlich (oder lediglich) der Ausdruck eines gewachsenen Bewusstseins von Vielfalt in der Kultur, komplexen und einseitig nicht zu bewältigenden Koordinations- und Finanzierungsbedarfen. Dazu zählt eine starke zivilgesellschaftliche Basis, deren Bedeutung für eine tragfähige Kulturlandschaft der Zukunft immer höher eingeschätzt werden sollte, je dramatischer auch der Wandel von Lebensstilen und die Zersplitterung von Interessenlagen geraten. In einer von globalen Transformationen gezeichneten Gesellschaft bedarf es zur Maximierung von Chancen sowie zur Minimierung von Risiken eines "koordinierten Einsatzes der Macht", die sich keineswegs nur auf den Staat beschränkt.
Mit anderen Worten: "Der Staat wird auf Kooperation setzen müssen, weil er in einer dynamischeren Welt keine andere Chance hat. Der Staat verfügt über kein Wissen, über das die Gesellschaft - die Bürger wie ihre Wirtschaft - nicht längst besser verfügt."