Einleitung
There can be no peace without justice, no justice without law and no meaningful law without a Court to decide what is just and lawful under any given circumstance", lauteten die Worte des Anklägers Benjamin B. Ferencz in Nürnberg im Jahre 1946.
Obgleich die Verknüpfung von Gerechtigkeit und Frieden historisch weit zurückreicht, wird erst seit Ende des Kalten Krieges der Rechtsprechung in Post-Konfliktsituationen zunehmende Bedeutung beigemessen. Seit dem Beginn der 1990er Jahre ist eine steigende Anzahl von internationalen und hybriden (sowohl mit internationalen als auch mit nationalen Richtern besetzten) Kriegstribunalen aktiv geworden, die nach gewaltsamen Konflikten extreme Vergehen und Gräueltaten ahnden sollen. Dieser Trend geht einher mit einer zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Friedenssicherung und mit normengeleitetem Handeln.
Gerechtigkeit und Rechtssprechung
Gerechtigkeit ist ein normativer Begriff, der einen Soll-Zustand beschreibt. Sein Ziel ist eine ausgeglichene Ordnung innerhalb einer Gesellschaft, in der ungerechtes Vorgehen in gerechtes gewandelt wird, etwa durch strafrechtliche Sanktionierung. Diese Verständnis von strafender Gerechtigkeit - oft auch ausgleichende Gerechtigkeit genannt - basiert auf den geltenden Normen und Werten einer Gemeinschaft, die allgemein verbindlich sind und in Form von kodifiziertem, geschriebenem Recht im Falle eines Vergehens als Grundlage für strafrechtliche Sanktionen dienen. Gerechtigkeit wird daher oft mit Rechtsprechung gleichgesetzt.
Auf dem internationalen Parkett ist dies der Fall, wenn in einem gewaltsamen Konflikt "angemessene" Parameter der Kriegsführung (jus in bello) überschritten und/oder Menschenrechte verletzt wurden. Vor dem Hintergrund der Militärtribunale von Nürnberg (1945-1949) und Tokio (1946 - 1948) wurden in den frühen 1990er Jahren die ersten internationalen Kriegstribunale zur Ahndung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit installiert. Sie verfolgen das Ziel, vergangenes Unrecht richtig zu stellen, den Wunsch nach Vergeltung zu reduzieren, einen Ausgleich zwischen Vergehen und Strafe herzustellen, erlittenes Leid anzuerkennen und von künftigen Straftaten abzuschrecken.
Die Tribunale richten über Einzelpersonen und beruhen auf einer individualisierten Vorstellung von Schuld, womit sie zumindest formal eine klare Trennung zwischen Tätern und Opfern vorsehen, selbst wenn dies nicht immer möglich ist. Diese Individualisierung führt dazu, dass Tätern ein Gesicht gegeben wird, wodurch der Rest einer Gemeinschaft implizit unschuldig gesprochen wird, was sich positiv auf den Aussöhnungsprozess niederschlagen kann. Obwohl strafrechtliche Aufarbeitung das Hauptziel der Tribunale bleibt, beanspruchen einige Gerichte, zur Konsolidierung des Friedens in einer Nachkriegsgesellschaft beizutragen.
Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda
Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda waren die ersten und somit richtungweisenden Strafgerichtshöfe der UNO. Über 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen wurde ihre Einrichtung durch eine Reihe von politischen, rechtlichen und diplomatischen Faktoren begünstigt: die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts, die Verbesserung der internationalen Beziehungen nach Ende des Kalten Krieges, eine Erweiterung des Sicherheitsbegriffs sowie die massiven Vergehen in Jugoslawien und Ruanda.
Das Jugoslawien-Tribunal mit Sitz in Den Haag wurde am 25. Mai 2003 durch die Resolution 827 des UN-Sicherheitsrats - gestützt auf Kapitel VII der UN-Charta - geschaffen und markierte den ersten Versuch, humanitäres Völkerrecht und ein internationales Rechtsprechungssystem durchzusetzen. Seine Ziele umfassen die Bestrafung von Kriegsverbrechern, die Schaffung von Gerechtigkeit für Opfer, Abschreckung von künftigen Verbrechen und die Konsolidierung von Frieden.
Aufgrund der zeitlichen Befristung seiner Zuständigkeit wird es als Ad-hoc-Tribunal bezeichnet. Seine Gerichtsbarkeit umfasst ausschließlich natürliche Personen - keine Regierungen, Truppen oder Milizen -, die persönlich anwesend sein müssen und denen, je nach Vergehen, ein Strafmaß bis zu "lebenslänglich" droht, das in einem UN-Vertragsland abgegolten werden muss. Bisher wurde gegen 161 Personen Anklage erhoben; in 115 Fällen sind die Verfahren abgeschlossen, 46 Verfahren dauern noch an.
Ein Jahr nach Errichtung des Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien beschloss der UN-Sicherheitsrat durch Resolution 955 am 8. November 1994 ein zweites Ad-hoc-Tribunal, diesmal, um die Verantwortlichen für den Völkermord in Ruanda zur Rechenschaft zu ziehen sowie andere damit zusammenhängende Verletzungen des humanitären Völkerrechts zu ahnden. Ein weiteres Ziel seiner Etablierung war es, zum nationalen Versöhnungsprozess in Ruanda sowie zu Frieden und Sicherheit in der Region beizutragen.
Hybride Sondergerichtshöfe
Um local ownership zu erhöhen, Kosten zu reduzieren, Effizienz und Effektivität zu steigern und Tribunale besser gesellschaftlich zu verankern, wird aufgrund der Erfahrungen mit den Ad-hoc-Tribunalen verstärkt eine gemischte Gerichtsbarkeit in Form von hybriden Gerichtshöfen eingeführt, in denen sowohl nationale als auch internationale Richter amtieren. Bis dato umfasst dies weitere durch internationale Unterstützung ins Leben gerufenen Gerichte, den Spezialgerichtshof für Sierra Leone und die Außerordentlichen Kammern an den Kambodschanischen Gerichten, ferner den Spezialgerichtshof für Osttimor, die Kammer für Verbrechen in Bosnien Herzegowina, das Spezialgericht für den Libanon sowie die Besetzung durch internationale Juristen im Kosovo.
Der Spezialgerichtshof für Sierra Leone (Special Court for Sierra Leone/SCSL) wurde 2002 auf Basis eines Abkommens zwischen der sierra-leonischen Regierung und der UNO gegründet und vom Parlament Sierra Leones ratifiziert. Auslöser war die UN-Sicherheitsratsresolution 1315 vom 15. April 2000, die den Generalsekretär legitimierte, mit der Regierung Sierra Leones zu verhandeln und eine gemischte Gerichtsform zu entwickeln, um die Gräueltaten des Krieges zu ahnden. Der SCSL ist Teil des nationalen Justizapparats - bekommt jedoch starke Unterstützung von der UNO -, verfügt über eine eigene Rechtspersönlichkeit und hat Vorrang vor den Gerichten Sierra Leones.
Das entscheidende Merkmal des hybriden Sondergerichtshofs ist seine personelle Zusammensetzung: Die erstinstanzliche Kammer verfügt über drei Richter, wovon einer von der Regierung Sierra Leones und die beiden anderen vom UN-Generalsekretär bestimmt werden.
Ein dem sierra-leonischen Gerichtshof ähnliches Modell wird seit 2003 in Kambodscha in Form der Außerordentlichen Kammern an den Kambodschanischen Gerichten (Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia/ECCC) angewendet, welche die Gewalttaten der Roten Khmer im Zeitraum von 1975 bis 1979 aufarbeiten sollen.
Der Internationale Strafgerichtshof
Ein bedeutender Meilenstein in der Aufarbeitung von kriegsbedingter Gewalt wurde mit dem Internationalen Strafgerichtshof gesetzt, der seit 2002 mit Sitz in Den Haag operiert. Seine Arbeit basiert auf dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs aus dem Jahre 1998, das seine Zuständigkeit auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggressionsverbrechen festlegt, wobei Letzteres bis dato nicht definiert worden ist.
Bisher ist der Internationale Strafgerichtshof in vier Konfliktsituationen in Afrika aktiv geworden: Nord-Uganda, Sudan (Darfur), der Demokratischen Republik Kongo und der Zentralafrikanischen Republik. Von den zwölf bisher ausgegebenen Haftbefehlen befinden sich vier Angeklagte in Gewahrsam und sechs noch auf freiem Fuß; vier sind inzwischen gestorben.
Obgleich die Verfahren des Internationalen Strafgerichtshof auf eher mäßiges öffentliches Interesse stoßen, hat jüngst die Diskussion um eine mögliche Ausstellung eines Haftbefehls für den amtierenden sudanesischen Staatspräsidenten Omar Hassan al Bashir zu Diskussionen in den Medien geführt. Nichtsdestotrotz wird aufgrund der Vielzahl von potentiellen Fällen bereits wenige Jahre nach Schaffung des Strafgerichtshofs deutlich, dass er aufgrund seiner begrenzten Kapazität nur beschränkt selbst aktiv werden kann und ihm vielmehr eine überwachende und beratende Funktion als supranationales Element eines globalen Justizsystems zukommt.
Rechtsprechung und Friedenskonsolidierung
Vor dem Hintergrund der wachsenden Bemühungen um internationale Strafverfolgung nach gewaltsamen Konflikten stellt sich die Frage, ob Rechtsprechung durch internationale oder hybride Gerichtshöfe uneingeschränkt zur Konsolidierung von Frieden beiträgt. Hier muss zunächst bemerkt werden, dass es nicht nur eine Auffassung von Gerechtigkeit gibt, sondern dass eine Reihe von Interessengruppen identifiziert werden können, die jeweils eigene Absichten und Motivationen hinsichtlich der Benennung von Verbrechen und der Verfolgung von Tätern hegen.
Die Unterteilung in Interessengruppen macht deutlich, dass Rechtsprechung immer auch ein politisches Projekt ist.
Wichtig im Kontext einer Nachkriegsgesellschaft ist ferner, dass sich die Verfahren von internationalen und hybriden Gerichtshöfen nur gegen Einzelpersonen richten, weil sie auf dem Konzept individueller Schuld basieren. Doch sind Individuen keine unabhängigen Täter, vielmehr sind sie in soziale und politische Kontexte eingebettet. Der Philosoph Karl Jaspers unterscheidet daher neben der individuellen Schuld drei weitere Formen: die politische Schuld derer, die Straftäter legitimiert, die moralische Schuld derer, die tatenlos zugesehen, und die metaphysische Schuld derer, die überlebt haben, ohne alles zu tun, um die Straftat zu verhindern. Strafgerichte können diesen verschiedenen Formen von Schuld nicht Rechnung tragen. Für eine Nachkriegsgesellschaft bedeutet dies, dass der Großteil der Mitwisser und Zuschauer seine Rolle und Verantwortung weder hinterfragen noch eingestehen muss, was einer nachhaltigen Friedenskonsolidierung im Wege stehen kann.
Ein weiteres zentrales Anliegen von Tribunalen ist es, von künftigen Verbrechen abzuschrecken. So argumentiert der Strafgerichtshof für Ruanda "(i)n view of the grave nature of the crimes committed in Rwanda in 1994, it is essential that the international community condemn them in a manner that carries a substantial deterrent factor against their reoccurrence anywhere, whether in Rwanda or elsewhere".
Ausgleichende vs. wiedergutmachende Gerechtigkeit
Vor dem Hintergrund dieser Kritikpunkte an Rechtsprechung als Mittel der Friedenskonsolidierung sollte beachtet werden, dass das ihr zugrundliegende Konzept der ausgleichenden Gerechtigkeit nicht die einzige Form ist, die Gerechtigkeit annehmen kann. Es kann vielmehr zwischen ausgleichender und wiedergutmachender Gerechtigkeit unterschieden werden: Während sich ausgleichende Gerechtigkeit auf die Vergeltung eines Vergehens mit Strafe bezieht, wie es bei Tribunalen und Strafgerichten der Fall ist, ist das Ziel von wiedergutmachender Gerechtigkeit die (Wieder-) Herstellung der sozialen Beziehungen zwischen den Konfliktparteien. Sie basiert auf der Annahme, dass eine Straftat im Wesentlichen die Verletzung einer Person durch eine andere Person ist und nicht nur eines Gesetzes. Folglich ist es wichtig, dies den Tätern ins Bewusstsein zu rufen und sie zu ermutigen, ihre Taten wiedergutmachen zu wollen, zum Beispiel in Form von Reparationen. Im Gegensatz zu einem Verfahren der ausgleichenden Gerechtigkeit diskutieren Opfer, Täter und Gemeindemitglieder den Sachverhalt im Rahmen eines informellen, auf Konsens ausgerichteten Prozesses, der auf die Verbesserung ihrer Beziehungen abzielt und die Täter, falls reumütig, wieder in die Gemeinde eingliedern. Das oberste Ziel ist demnach nicht Vergeltung durch Strafe, sondern eine Verbesserung der Beziehung zwischen den Konfliktparteien. Im Idealfall konsolidiert dies einen fragilen Frieden und beugt der erneuten Anwendung von Gewalt vor.
Alternativ zur ausgleichenden, d.h. strafenden Gerechtigkeit setzten sich daher vermehrt Instrumente zur wiedergutmachenden Gerechtigkeit in Nachkriegsgesellschaften durch. Hierzu zählen u.a. Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, symbolische und materielle Wiedergutmachung, Erinnerungsarbeit, politische Bildung und Geschichtsschreibung. Zudem lässt sich eine Renaissance nicht-westlicher Formen der Konfliktbearbeitung, in denen nicht Strafe, sondern die Wiederherstellung von sozialen Beziehungen im Vordergrund steht, verzeichnen.
Obgleich der Ansatz kein Wundermittel für die Konsolidierung von Frieden in Nachkriegsgesellschaften ist, erfreut er sich großer Popularität und versucht, durch seine permanente Fortentwicklung globale Ambitionen mit lokalen Kontexten in Einklang zu bringen. Dies erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und unterschiedliche Perspektiven - vor allem jenseits westlicher Normen und Werte, wie sie dem internationalen Recht zugrunde liegen -, um adäquate Lösungen für Nachkriegsgesellschaften zu finden.