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Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der Demokratie | Öffentlich-rechtlicher Rundfunk | bpb.de

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk Editorial Selbstbewusst anders sein - Essay Integration als Programmauftrag Die zweite Säule des "dualen Systems": Privater Rundfunk Das Ende der Rundfunkpolitik Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der Demokratie Die BBC, das Internet und "Public Value"

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der Demokratie

Jens Lucht

/ 12 Minuten zu lesen

Welche Bedeutung hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk für eine moderne demokratische Gesellschaft? Für eine funktionierende gesellschaftliche Öffentlichkeit leistet er nach wie vor einen wichtigen Beitrag.

Einleitung

Das Bundesverfassungsgericht betonte in seinem vierten Rundfunkurteil von 1986 den inhaltlichen Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Demnach werden von ihnen die ungekürzte Darstellung der Meinungsvielfalt und ein inhaltlich umfassendes Programmangebot verlangt. Das Bundesverfassungsgericht sah die Wahrnehmung dieser Aufgabe als essentielle Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik Deutschland an. Die Grundsätze dieses Rundfunkurteils gelten in unveränderter Form noch heute. Vor dem Hintergrund der Dualisierung des Rundfunkssystems durch die Einführung des privatenRundfunks und angesichts neuer technologischerEntwicklungen wurde vom Bundesverfassungsgericht im sechsten Rundfunkurteil von 1991 eine Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk festgeschrieben.



Dennoch ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer wieder umstritten: Es werden ihm zu hohe Kosten, politische Beeinflussbarkeit bis hin zur Abhängigkeit vom politischen System, mangelnde gesellschaftliche Rückbindung, Programmkonvergenz mit den privaten Anbietern und unklare Aufgabendefinition vorgeworfen. Seit einigen Jahren sind auch die Online-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stark in der Diskussion. Meist in Verbindung mit geplanten Gebührenerhöhungen werden in der Öffentlichkeit Stimmen laut, die eine Reduzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf seine "Kernbereiche" oder die Einschränkung der Haushaltshoheit der Rundfunkanstalten fordern. Der vorliegende Beitrag wird daher aus demokratietheoretischer Perspektive der Frage nachgehen, ob sich eine Demokratie wie die Bundesrepublik Deutschland ein teures, öffentlich finanziertes Rundfunksystem leisten muss oder ob dieses vor dem Hintergrund der medientechnischen und -inhaltlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre obsolet geworden ist. Dabei wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Mittelpunkt der Untersuchung stehen.

Öffentlichkeit als Prinzip der Aufklärung

Um die eingangs gestellten Fragen beantworten zu können, müssen wir uns zunächst dem Begriff "Öffentlichkeit" zuwenden, denn fast alle Funktionen, die heute den Massenmedien in normativer und demokratietheoretischer Hinsicht zugerechnet werden, entstammen letztlich dem Öffentlichkeitsideal der Aufklärung. Vor dem Hintergrund der Abgrenzung zu den Anciens Régimes verlangte die Aufklärung nichts weniger, als dass eine (bürgerliche) Öffentlichkeit Publizität und Transparenz von staatlichem und politischem Handeln herstellt. Dies ist die unabdingbare Voraussetzung für Kontrolle und Rationalität hoheitlicher Machtausübung, aber auch für die Beteiligung der Bürger am politischen Prozess, da diese nur durch Transparenz und Publizität Zugang zu politischen Informationen erhalten.

Diesem demokratischen Idealbild nach hat "Öffentlichkeit" noch eine weitere Funktion: Hier treffen sich die Bürger, aber auch Regierende, zum Austausch von Meinungen und um über politisch relevante Themen und Fragen zu diskutieren und Entscheidungen zu fällen. Hier wird die "öffentliche Meinung" gebildet, nach der dann im Folgenden politisch gehandelt wird, bzw. die politisches Handeln und Machtausübung kontrollieren und korrigieren soll.

Das aufklärungsliberale Öffentlichkeitsverständnis wirkt bis heute fort und bestimmt wesentliche Grundentscheidungen des demokratischen Rechtsstaates. Nur dadurch, dass Verfahren und Akte der staatlichen Gewalt öffentlich verhandelt und diskutiert werden, kann politische Legitimität und Legitimation erzeugt und verbindliche Geltung für politisches Handeln geschaffen werden. Hierbei spielen die Massenmedien mit ihrer umfassenden Reichweite eine entscheidende Rolle: Die massenmedial hergestellte Öffentlichkeit ist der dominante Kommunikationsraum moderner Gesellschaften. Die modernen Medien verstetigen die öffentlichen Auseinandersetzungen und Diskurse und machen sie den Bürgern zugänglich.

"Neuer" Strukturwandel der Öffentlichkeit

Als Reaktion auf die wirtschaftlichen Rezessionsphasen der ausgehenden 1960er und vor allem der 1970er Jahre setzten sich Anfang der 1980er Jahre neoliberale, aus dem angelsächsischen und US-amerikanischen Bereich stammende (wirtschafts)politische Steuerungsmodelle auch in Deutschland immer mehr durch. Die Zauberwörter, die den wirtschaftlichen Aufschwung bringen sollten, lauteten Deregulierung, Autonomie, Eigenverantwortlichkeit und insbesondere Privatisierung.

Diese Vorstellungen wurden auch auf das Rundfunkwesen übertragen: Die am 1. Januar 1984 eingeläutete Dualisierung des Rundfunksystems, also die Zulassung privatrechtlichen Rundfunks, beschleunigte eine Entwicklung, die in Anlehnung an Jürgen Habermas häufig mit dem Begriff "zweiter" oder "neuer" Strukturwandel der Öffentlichkeit umschrieben wird. Selbiger führte zu tief greifenden Änderungen in der gesellschaftlichen und politischen Kommunikation und veränderte somit auch "die demokratische Entscheidungsfindung, die Steuerung und Legitimation moderner Gesellschaften grundlegend". Folgende Entwicklungsdynamiken, die sich zum Teil gegenseitig bedingen bzw. katalysieren, kennzeichnen diesen Strukturwandel: - Herausbildung eines hochgradig wettbewerbsorientierten Mediensystems. - Deutlicher Bedeutungszuwachs medieninterner Faktoren (Nachrichtenwerte); Selektions- und Interpretationslogiken werden an den Aufmerksamkeitsbedürfnissen des Publikums ausgerichtet. - Dadurch erhalten politische Informationen aufgrund zu erwartender Publikums- und weniger aufgrund von Absenderwünschen aus dem politischen System Relevanz. Die politischen Akteure müssen sich den neuen Inputbedingungen des kommerzialisierten Mediensystems anpassen. Die Bedeutung des politischen Wettbewerbs für die medialen Inhalte sinkt, wichtiger wird dagegen der Wettbewerb um Marktanteile.

Die verstärkte Orientierung an Werbemarkt- und Publikumsinteressen gegenüber "kulturellen Faktoren und den Vermittlungsinteressen gesellschaftlicher Organisationen und politischer Akteure" wirkt sich zwangsläufig auf das inhaltliche Angebot der Medien aus. Mit dieser Entwicklung wird häufig die Befürchtung verbunden, dass sich die Qualität des über die Medien vermittelten Diskurses zwischen Bürgern und Politik "bereits nachhaltig verschlechtert habe und noch weiter verschlechtern werde".

Leistungsfunktionen von Massenmedien

Gerade vor dem Hintergrund dieser Veränderungen im Mediensektor ist es für eine funktionierende politische Öffentlichkeit in einer Demokratie entscheidend, sich erneut vor Augen zu führen, welche Leistungsanforderungen Medien im Allgemeinen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Besonderen zu erfüllen haben. Nur vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, Medien unter den allgemeinen Schutzbereich des Art. 5 GG zu stellen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine privilegierte Stellung zu sichern. Aus den geschilderten Prinzipien der Öffentlichkeit in der Moderne ergeben sich für die Massenmedien folgende Leistungsfunktionen: - Forumsfunktion: Medienvermittelte öffentliche Kommunikation muss eine Plattform für den offenen Meinungsaustausch verschiedener gesellschaftlicher und politischer Akteure sein. Medien vermitteln so den Entdeckungszusammenhang und Problemhorizont einer Gesellschaft. Sie stellen Informationen zur Verfügung und machen politische und gesellschaftliche Prozesse transparent, um so die Meinungs- und Willensbildung der Bevölkerung zu ermöglichen. Medienvermittelte öffentliche Kommunikation sorgt damit, abgestützt auf die elementaren Grundrechte der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, für eine begründete Rationalitätserwartung gegenüber Problemauswahl und -bearbeitungsprozessen. - Legitimations- und Kontrollfunktion: Die massenmediale öffentliche Kommunikation sichert die Kontrolle und die Legitimation politischer Macht. Massenmedien sind sowohl Kontrolleur von Machtausübung, in dem sie politisches Handeln transparent und damit öffentlich machen. Sie sind aber auch Forum für die politischen Akteure, die hier ihr Handeln begründen und damit legitimieren müssen. - Integrationsfunktion: Massenmediale öffentliche Kommunikation ist der Hauptzugang zur Gesellschaft für ihre Mitglieder. Ganz überwiegend hier können sich die Bürger als Mitglied eines gemeinsamen Kollektivs selbst wahrnehmen. Durch die Bereitstellung einer entsprechenden Informationsbasis können die Bürger an der Gesellschaft als aktive Mitglieder partizipieren.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist durch seine herausgehobene Stellung im besonderen Maße zur Erfüllung dieser Aufgaben verpflichtet. Nur solange diese Aufgaben durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirksam gesichert sind, ist es gerechtfertigt, am Gebührenprivileg festzuhalten und an den Privatfunk weniger hohe Anforderungen zu stellen. Fraglich ist, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk diesen Leistungsanforderungen gerecht wird. Um dies empirisch zu überprüfen, ist zunächst ein Blick auf das Fernsehangebot und die Fernsehnutzung angezeigt.

TV-Angebot

Udo Michael Krüger und Thomas Zapf-Schramm haben für die Jahre 2004 und 2006 die Vollprogramme von ARD und ZDF, sowie RTL, Sat.1 und Pro Sieben untersucht. Ihre Studie belegt, dass das Informationsangebot (Nachrichten-, Magazin- und Dokumentationssendungen, Sendungen mit beratendem oder informatorischem Inhalt) in der Gesamtsendezeit bei ARD und ZDF am höchsten ist (2004: 41,7 %; 2006: 41,8 % bzw. 48,8 % und 47,8 %). Die privaten Anbieter liegen hier mit einem Anteil von 16 bis etwa 30 Prozent Informationsanteil deutlich zurück. Es wird eine Entwicklung dahingehend deutlich, dass auch private Veranstalter - im Gegensatz zu ihrer Anfangszeit - den Markt "Information" entdeckt haben, aber eine andere Form von Information anbieten: Die Informationen aus den zentralen Handlungsfeldern einer Gesellschaft (Politik, Wirtschaft) werden ganz überwiegend von den öffentlich-rechtlichen Sendern zur Verfügung gestellt. Auch Informationen aus den gesellschaftlichen Teilbereichen Kultur, Wissenschaft und Religion finden überwiegend in den öffentlich-rechtlichen Vollprogrammen Beachtung. Die Programme der Privaten haben hier nur eine ergänzende Funktion vgl. Tabelle in der PDF-Version.

Dieses Bild ist noch eindeutiger, wenn man das Gesamtprogramm der öffentlichen-rechtlichen Anbieter einschließlich der Regionalprogramme (Dritte Programme) und der politischen und kulturellen Spartensender (Phoenix, 3sat, ARTE) mit dem privaten Gesamtangebot vergleicht. Diese und andere Studien zeigen auch, dass die Konvergenzthese, die von einer Nivellierung von Programminhalten und -formaten zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern ausgeht, nicht haltbar ist. Obwohl die privaten Sender vor allem zur Hauptsendezeit im allgemeinen Informationsbereich zugelegt haben, finden sich auch 25 Jahre nach Einführung der Dualisierung gerade im Bereich der "klassischen" Informationsvermittlung strukturelle Unterschiede zwischen den verschiedenen Veranstaltern, sowohl im Inhalt, als auch in der Präsentation.

Fernsehnutzung

Generell werden die angebotenen Informationssendungen weiterhin viel gesehen. Es konnte hier sogar - bei stagnierender Fernsehnutzung insgesamt - eine leichte Steigerung festgestellt werden. Die durchschnittliche Nutzung öffentlich-rechtlicher Informationsangebote stieg von 2002 zu 2005 um zwei Minuten auf 43 Minuten täglich. Auch die Nutzung privater Angebote stieg an, von 18 auf 23 Minuten täglich.

Der Frage, welche politischen Informationssendungen von den Rezipienten bevorzugt werden, bin ich mit Linards Udris in einer gemeinsamen Studie nachgegangen. Dabei haben wir die 30 meist gesehenen periodisch ausgestrahlten Informationsendungen mit überwiegend politischem und/oder wirtschaftlichem Inhalt (Daten von 2005) in drei Kategorien eingeteilt: in "Hard News" (überwiegend Berichterstattung über Politik und Wirtschaft), "Vermischtes" (politische und wirtschaftliche Inhalte in gleichem Umfang wie Inhalte aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Religion etc.) und "Soft-News" (Fokus auf Prominenz und Privatsphäre der Akteure, stark emotionalisierende Darstellung politischer und wirtschaftlicher Vorgänge).

Im Ergebnis zeigt sich, dass im "Hard News"-Bereich ausschließlich Sendungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu finden waren (z.B. "Tagesschau" oder "Plusminus"). Erst im Bereich "Vermischtes" tauchen Informationssendungen der privaten Veranstalter auf (z.B. "RTL-Nachtjournal" oder "Spiegel-TV"), wobei dieser Bereich noch von den Öffentlich-Rechtlichen dominiert wird. Im "Soft-News"-Bereich sind nur Sendungen privater Veranstalter zu finden (z.B. "Akte 04").

Erfüllt das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine Funktionen?

Hinsichtlich der Forumsfunktion ist das Gesamtangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, insbesondere unter Berücksichtigung der Programminhalte der Dritten Programme und Spartensender, durch die selbst auferlegte Verpflichtung zur Binnenpluralität eine Plattform für verschiedene politische und gesellschaftliche Akteure, die im Fernsehbereich sonst kaum Berücksichtigung finden (z.B. Landes- und Kommunalpolitik, Auslandsberichterstattung). Allerdings ist in diesem Zusammenhang die relativ starke Konzentration auf politisch prominente Akteure, Regierungsmitglieder sowie Institutionen in den öffentlich-rechtlichen Vollprogrammen zu beachten. In diesem Bereich geben die privaten Sender nicht-etablierten und nicht-staatlichen Akteuren mehr Raum und leisten hier einen Beitrag, um die von der Forumsfunktion geforderte Plattform für Meinungsäußerungen und damit Meinungsvielfalt sicherzustellen.

Legitimation politischer Macht ist nur möglich, wenn politische Macht thematisiert und gesellschaftlich diskutiert wird. Diese Legitimationsfunktion sichern überwiegend die öffentlich-rechtlichen Anbieter. Sie berichten über politische, institutionelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse und Vorgänge. Auch hier haben die Privaten eine ergänzende Funktion, da sie in verstärktem Maße in Form von Skandalisierungen das politische und wirtschaftliche System überwachen. Diese Art von Kontrolle zeitigt aber durchaus auch dysfunktionale Effekte, da diese Skandalisierungen sehr häufig Verkaufskalkülen unterliegen und stark moralisierender und emotionalisierender Art sind.

Was die Integrationsfunktion angeht, hat der Blick auf die Angebotsstruktur der öffentlich-rechtlichen und der privaten Anbieter im TV-Bereich gezeigt, dass die öffentlich-rechtlichen Programme im Hinblick auf die Information über Politik, Wirtschaft, aber auch Wissenschaft und Kultur führend sind. Sie sind es, die in diesen Bereichen ganz überwiegend die anschlussfähigen Kommunikationsangebote zur Verfügung stellen. Im Sinne der Anforderungen an eine funktionierende politisch-gesellschaftliche Öffentlichkeit leistet der öffentlich-rechtliche Rundfunk somit einen wichtigen Beitrag. Er bleibt daher ein "unverzichtbarer Dienstleister an der Demokratie".

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen über die Zukunft des Rundfunks im Online-Zeitalter ist fraglich, ob dies auch für die Zukunft gilt oder ob die privilegierte Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unnötig wird. Es soll daher abschließend ein kurzer Ausblick auf die unmittelbare Zukunft des Rundfunksektors und der sich verändernden Rahmenbedingungen gewagt werden.

Ausblick

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts heißen die Schlagwörter im Rundfunkbereich Digitalisierung und (technische) Konvergenz. In Folge der Digitalisierung wird die Zahl der Programme, Texte und Titel noch stärker steigen, das Programmangebot wird sich deutlich weiter ausdifferenzieren. Text, Bild, Ton und Video werden zunehmend zu "Multimedia" verschmelzen und alle Inhalte werden sich auf einer Vielzahl von Endgeräten von PC bis Mobiltelefon empfangen lassen. Es entstehen neue Angebote wie IPTV, Video-on-Demand, Near-Video-on-Demand etc. Schon jetzt entzündet sich an den Online-Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks massiver Streit darüber, ob die öffentlich-rechtlichen Anstalten auch im Rahmen dieser neuen medientechnischen Entwicklungen ihre privilegierte Stellung behalten können. Zum einen wird befürchtet, dass die Kostenintensität von technischen Neuerungen dazu führen wird, "dass der öffentliche Rundfunk bei jedem Technologieschub von neuem in finanzielle Schwierigkeiten gerät". Zum anderen wird kritisiert, dass dadurch die Möglichkeiten privater Anbieter (speziell von Zeitungsverlagen) im Internet massiv beeinträchtigt werden.

Es ist heute noch nicht abzuschätzen, wie die neuen Angebote im Einzelnen genutzt und welche Bedeutung sie haben werden. Zwei Dinge scheinen allerdings klar: Erstens werden die TV-Vollprogramme mittelfristig nicht wesentlich an Bedeutung verlieren, wie verschiedene Studien belegen (die Nutzungsdauer des Fernsehens ist 2007 durchschnittlich mehr als viermal höher als die des Internet). Gerade auch an der Tatsache, dass im Internet stark Angebote "klassischer" Fernsehanbieter nachgefragt werden, zeigt sich, dass Nachrichten- und Informationsselektion stark mit Vertrauen und dem Glauben an Professionalität und vor allem Sichtbarkeit des einzelnen Medienanbieters zu tun hat.

Zweitens ist zu bezweifeln, ob die Notwendigkeit der Sicherung von Meinungsvielfalt durch die erwartete Vervielfachung der Programme (sei es als Satellitenempfang oder im Internet) tatsächlich relativiert wird, wie teilweise etwas leichtfertig behauptet wird. Das gleiche Argument wurde bereits zu Beginn der Dualisierung des Rundfunksystems vorgebracht. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass privatwirtschaftlich organisierte Sender nicht zum Qualitätsanstieg in den Fernsehprogrammen und - speziell im Bereich der (politischen) Informationsangebote - auch kaum zur Meinungsvielfalt beigetragen haben. Gerade im Zeitalter einer rasant ansteigenden Anzahl von Medienangeboten und immer unüberschaubarer werdender Online-Angebote, über deren Herkunft, Authentizität und Professionalität kaum etwas bekannt ist, ist es entscheidend, Medienangebote zu haben, die genau dies vermitteln können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. BVerfGE 73, S. 118.

  2. Vgl. u.a. Jens Lucht, Der öffentlich-rechtliche Rundfunk: ein Auslaufmodell? Grundlagen - Analysen - Perspektiven, Wiesbaden 2006; Ingrid Hamm (Hrsg.), Die Zukunft des dualen Systems. Aufgabe des dualen Rundfunkmarktes im internationalen Vergleich, Gütersloh 1998.

  3. Vgl. Ralf Müller-Terpitz, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und neue Medien - Eine gemeinschafts- und verfassungsrechtliche Betrachtung, in: AfP - Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (AfP), (2008) 4, S. 335-341.

  4. Die im Januar 2009 in Kraft tretende Rundfunkgebührenerhöhung sichert dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Gebühreneinnahmen in Höhe von 7,5 Milliarden Euro jährlich. Dazu kommen Einnahmen aus Werbung (ca. 0,5 Mrd. Euro) und sonstige Einnahmen (ca. 0,8 Mrd. Euro). Vgl. Wolf-Dieter Ring, Die Medienordnung der digitalen Zukunft. Grundsätzliche Überlegungen zu den Entwicklungschancen im dualen Rundfunksystem, in: AfP, (2008) 4, S. 343.

  5. Vgl. Kurt Imhof, "Öffentlichkeit" als historische Kategorie und als Kategorie der Historie, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 46 (1996) 1, S. 4, 11.

  6. Vgl. Sabine Lang, Politische Öffentlichkeit im modernen Staat. Eine bürgerliche Institution zwischen Demokratisierung und Disziplinierung, Baden-Baden 2001, S. 3 f.

  7. Vgl. Stefan Marschall, Öffentlichkeit und Volksvertretung. Theorie und Praxis der Public Relations von Parlamenten, Opladen 1999, S. 49.

  8. Kurt Imhof, Politik im "neuen" Strukturwandel der Öffentlichkeit, in: Armin Nassehi/Markus Schroer (Hrsg.), Der Begriff des Politischen. Grenzen der Politik oder Politik ohne Grenzen?, München 2003 (Vorabexemplar), S. 9.

  9. Otfried Jarren, Medien, Mediensystem und politische Öffentlichkeit im Wandel, in: Ulrich Sarcinelli (Hrsg.), Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, Bonn 1998, S. 92.

  10. Max Kaase, Demokratisches System und die Mediatisierung von Politik, in: U. Sarcinelli (Anm. 9.), S. 25.

  11. Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann/Winfried Schulz/Jürgen Wilke (Hrsg.), Publizistik. Massenkommunikation, Frankfurt/M. 20006, S. 260. Zu den speziellen, nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geltenden Leistungsfunktionen vgl. J. Lucht (Anm. 2), S. 172-176.

  12. Vgl. Udo Michael Krüger/Thomas Zapf-Schramm, Sparten, Sendungsformen und Inhalte im deutschen Fernsehangebot 2006, in: Media Perspektiven, (2007) 4, S. 166-186.

  13. Vgl. ausführlich J. Lucht (Anm. 2), S. 219-270.

  14. Vgl. z.B. die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebene Studie von Tibor Kliment/Wolfram Brunner, Fernsehen in Deutschland. Angebotsprofile und Nutzungsmuster im dualen Rundfunksystem, in: I. Hamm (Anm. 2), S. 231-322.

  15. Vgl. Heribert Schatz, Rundfunkentwicklung im dualen System: die Konvergenzthese, in: Otfried Jarren (Hrsg.), Politische Kommunikation in Hörfunk und Fernsehen. Elektronische Medien in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1994, S. 67f.

  16. Vgl. Camille Zubayr/Heinz Gerhard, Tendenzen im Zuschauerverhalten. Fernsehgewohnheiten und Fernsehreichweiten im Jahr 2005, in: Media Perspektiven, (2006) 3, S. 132.

  17. Die Studie wurde am Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (fög) durchgeführt. Vgl. Linards Udris/Jens Lucht, Öffentliche Kommunikation im Umbruch? Wandel der Medienstrukturen und Medieninhalte in ländervergleichender und diachroner Perspektive, in: Relation. Beiträge zur vergleichenden Kommunikationsforschung, (2009) i.E.

  18. Vgl. J. Lucht (Anm. 2), S. 239-243.

  19. Vgl. Mark Eisenegger, Reputation in der Mediengesellschaft. Konstitution - Issuses Monitoring - Issues Management, Wiesbaden 2005.

  20. Peter Voß, Warum es ohne die ARD nicht geht, in: Media-Perspektiven, (1999) 6, S. 278-287.

  21. Vgl. Maria Gerhards/Walter Klingler, Mediennutzung in der Zukunft. Traditionelle Nutzungsmuster und innovative Zielgruppen, in: Media Perspektiven, (2006) 2, S. 80.

  22. Vgl. ausführlich Ulrich Ellinghaus, Rundfunkregulierung im Umbruch?, in: Computer und Recht, (2008) 4, S. 217.

  23. Heinz Bonfadelli/Werner A. Meier/Michael Schanne, Öffentlicher Rundfunk und Kultur. Die SRG zwischen gesellschaftlichem Auftrag und wirtschaftlichem Kalkül, Zürich 1998. Vgl. auch R. Müller-Terpitz (Anm. 3), S. 335.

  24. Vgl. Hubert Burda, Was ist Grundversorgung?, in: Die Zeit vom 22. 11. 2007, S. 39.

  25. Vgl. u.a. Maria Gerhards/Annette Mende, Offliner 2007: Zunehmend distanzierter, aber gelassener Blick aufs Internet, in: Media Perspektiven, (2007) 8; Kommunikationsordnung 2010 - ein Zukunftspapier der Bertelsmann Stiftung, in: www.bertelsmann-stiftung.de (25. 6. 2006).

  26. Mediennutzungszahlen siehe unter: www.ard.de/intern/basisdaten/onlinenutzung/
    onlinenutzung_3A_ 20zeiten_20und_20dauer/-/id=55190/1l98aso/index. html (2. 1. 2009).

  27. Vgl. R. Müller-Terpitz (Anm. 3), S. 338.

  28. Vgl. Ulrike Handel, Die Fragmentierung des Medienpublikums. Bestandsaufnahme und empirische Untersuchung eines Phänomens der Mediennutzung und seiner Determinanten, Wiesbaden 2000, S. 142.

Dr. phil., geb. 1967; Politologe und Medienwissenschaftler, Leiter des Forschungsfeldes Politik am Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich, Andreasstr. 15, 8050 Zürich/Schweiz.
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