Einleitung
Trotz Krieg, Vertreibung und Stacheldraht hat es in den Jahren der Trennung immer Begegnungen zwischen den Volksgruppen Zyperns gegeben. Parteien, Gewerkschaften, Kommunalpolitiker, Nichtregierungsorganisationen und viele engagierte Einzelpersonen haben - teilweise mit internationaler Unterstützung - dafür gesorgt, dass der Kontakt zwischen griechischen und türkischen Zyprioten nie abgebrochen ist. Die Bedingungen dafür waren schwierig, denn nach der Teilung von 1974 hatten die Bewohner Zyperns so gut wie keine Möglichkeit mehr, in den jeweils anderen Inselteil zu gelangen. So mussten die Treffen in der von den Vereinten Nationen (UN) kontrollierten Pufferzone oder im Ausland stattfinden. Seit 2003 der erste Checkpoint an der Waffenstillstandslinie (Green Line) geöffnet wurde, ist die bikommunale Zusammenarbeit leichter geworden. Doch die Mauer in den Köpfen der Menschen ist noch lange nicht überwunden.
Der Nikosia Masterplan
Es waren pragmatische Gründe, weshalb sich die beiden Bürgermeister Nikosias 1978 an einen Tisch setzten und mit einer gemeinsamen Stadtentwicklung begannen: Es gab in der Stadt nur eine Kläranlage. Der griechische Zypriote Lellos Demetriades und sein türkisch-zypriotischer Amtskollege Mustafa Akıncı mussten daher die Abwässer der geteilten Hauptstadt in gemeinsame Bahnen lenken. Die beiden Politiker hatten schon damals die Vision, die gesamte Stadtplanung in beiden Teilen so aufeinander abzustimmen, dass im Falle einer Wiedervereinigung alles sofort funktionieren würde. Dies war die Geburt des ersten bikommunalen Projekts: des Nikosia Masterplans.
Unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen nahmen die Planungen rasch konkrete Formen an. Architekten, Stadtplaner und Ingenieure, Verkehrsexperten, Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen aus beiden Teilen Nikosias setzten sich mit internationalen Fachleuten zusammen und diskutierten das Projekt an einem neutralem Ort in der Pufferzone. Ziel war es, die Altstadt innerhalb der historischen Befestigungsmauern als Kulturerbe zu bewahren, wieder bewohnbar zu machen und mit Leben zu erfüllen. Darüber hinaus ging es um die nachhaltige Entwicklung von Bebauungsplänen und Verkehrsstrukturen. "Wir wissen, dass bestimmte Teile des Masterplans erst umgesetzt werden können, wenn eine umfassende Lösung des Zypernproblems erreicht ist. Aber für eine realistische, lebensfähige und dauerhafte Lösung ist es notwendig, Felder der Zusammenarbeit zwischen den beiden Seiten zu schaffen",
Brücken bauen
Nikosia ist noch immer geteilt und die Arbeit am Masterplan noch lange nicht abgeschlossen. Doch gibt es bereits Beispiele, an denen der Erfolg der gemeinsamen Stadtplanung sichtbar geworden ist. Als am 3. April 2008 der Checkpoint an der Ledra Straße mitten in der Altstadt Nikosias geöffnet wurde, konnten die Menschen bequem von einem Teil in den anderen spazieren, denn auf beiden Seiten war die Geschäftsstraße als Fußgängerzone angelegt worden. Aus der Vision der beiden Bürgermeister von damals war an diesem Tag ansatzweise Wirklichkeit geworden. "Das Zypernproblem werden wir nicht lösen...", hatte Lellos Demetriades fast 20 Jahre zuvor gesagt, "... aber wir bauen Brücken. Sie sind immer nützlich. Ich wünschte, andere würden noch mehr davon bauen."
Auch andere haben Brücken gebaut. Seit 1974 gab es regelmäßige Treffen politischer Parteien aus beiden Teilen Zyperns. Sie fanden im Ledra Palace Hotel statt, dem Hauptquartier der UN-Truppen UNFICYP in der Pufferzone. Hier trafen sich auch Gewerkschafter aus Nord und Süd, besprachen Probleme der sozialen Absicherung und sorgten dafür, dass türkische Zyprioten ihren Anspruch auf Rentenauszahlungen aus der Zeit vor der Teilung geltend machen konnten. 1995 wurde das All Trade Union Forum gegründet mit 18 Mitgliedsorganisationen aus dem gesamten Spektrum der Arbeiterklasse beider Volksgruppen. Dieses Forum setzt sich für eine Wiedervereinigung Zyperns und für gerechte Arbeitsbedingungen auf der ganzen Insel ein.
Internationale Akteure
In den 1990er Jahren engagierten sich verstärkt Akteure aus dem Ausland für eine Annäherung der Volksgruppen auf Zypern. Insbesondere US-amerikanische Institutionen wie die Fulbright Commission, das American Center oder die US-Botschaft in Nikosia förderten die bikommunale Zusammenarbeit. Sie ermöglichten den Aufbau einer Conflict Resolution Trainer Group, deren Mitglieder zahlreiche friedensbildende Projekte initiierten und koordinierten. Bis Ende 1997 entstanden daraus 25 bikommunale Gruppen, in denen bis zu eintausend Menschen aktiv waren.
Auch die Treffen der bikommunalen Gruppen fanden mit Unterstützung der Vereinten Nationen meist im Ledra Palace Hotel statt. Griechische Zyprioten konnten ohne Formalitäten in die Pufferzone gelangen; türkische Zyprioten benötigten einen Passierschein für ihren Checkpoint. Dies nutzten die Behörden im Nordteil immer wieder dazu, bikommunale Zusammenkünfte zu verhindern, indem sie Passierscheine verweigerten - insbesondere in Zeiten politischer Spannungen. Als auf dem Luxemburger EU-Gipfel im Dezember 1997 die Republik Zypern zum Beitrittskandidaten ernannt wurde, während die Türkei ein weiteres Mal in die Warteschleife musste, reagierte der damalige Führer der türkischen Zyprioten Rauf Denktaş mit einer Blockade und ließ die Friedensaktivisten aus dem Norden nicht mehr an den Treffen im Ledra Palace teilnehmen.
Erschwerte Bedingungen
Neben der aufwendigen und kostspieligen Möglichkeit von Treffen im Ausland mussten neue Wege gefunden werden, um die bikommunale Arbeit auf Zypern fortzusetzen. Zu einem wichtigen Ort der Begegnung wurde das Dorf Pyla, das in der Pufferzone liegt, nicht weit entfernt von Larnaca und Famagusta. Dieses Dorf ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Hier leben bis heute griechische und türkische Zyprioten zusammen. Es gibt eine Kirche und eine Moschee, zwei Bürgermeister, zwei Schulen, zwei Kaffeehäuser und einen UN-Posten. Eine weitere Besonderheit war damals ein Checkpoint etwas oberhalb des Dorfes, über den türkische Zyprioten tageweise in die Pufferzone gelangen konnten, um von dort aus zur Arbeit auf die angrenzende britische Militärbasis Dhekelia zu fahren.
Diesen Übergang nutzten auch die Friedensaktivisten aus dem Norden, um sich mit ihren Mitstreitern aus dem Süden in Pyla zu treffen. Da die Kaffeehäuser und Restaurants von Geheimdienstagenten und Polizisten überwacht wurden, sponserte der griechisch-zypriotische Hotelier Dinos Lordos im Jahr 2000 das "Friendship House". Das kleine Wohnhaus mitten im Dorf mit drei Zimmern und einer Küche wurde jedes Wochenende zum Treffpunkt der Menschen, die weiterhin an eine gemeinsame Zukunft Zyperns glaubten und den Mut hatten, dies auch öffentlich zu zeigen. Hier diskutierten diese Projekte, hier probte der bikommunale Chor und hier fanden auch einige Mitgliederversammlungen des Deutsch-Zyprischen Forums (DZF) statt.
In dieser 1999 in Köln gegründeten Nichtregierungsorganisation engagieren sich Deutsche, griechische und türkische Zyprioten sowie Interessierte aus anderen europäischen Ländern für eine Annäherung der Volksgruppen und für eine friedliche Wiedervereinigung Zyperns. Das DZF organisiert Konferenzen, Kulturveranstaltungen und Projekte zu unterschiedlichen Themen, um den Kontakt und die Zusammenarbeit von griechischen und türkischen Zyprioten zu fördern. Dabei werden Aspekte aufgegriffen, die Menschen in beiden Inselteilen bewegen und zu gemeinsamem Handeln anregen, wie zum Beispiel Umweltfragen, Migrationsprobleme, europäische Rechtsfragen oder die Suche nach kulturellen Wurzeln und einer zypriotischen Identität.
Friedliche Begegnungen
Am 23. April 2003 änderten sich die Bedingungen für die bikommunale Arbeit schlagartig. Völlig unerwartet ließ Rauf Denktaş den Übergang am Ledra Palace Hotel öffnen. Griechische und türkische Zyprioten konnten sich wieder frei auf ihrer Insel bewegen. Zu Beginn war die Neugier groß, wie es wohl auf der anderen Seite aussehen würde. Vor allem die Flüchtlinge wollten ihre Häuser wiedersehen und wissen, wer jetzt darin wohnt. In den ersten sechs Monaten wurden mehr als eine Million Grenzübergänge registriert. Die Begegnungen verliefen allesamt friedlich, es gab keinerlei Zwischenfälle. Inzwischen wurden fünf weitere Checkpoints geöffnet.
Die bikommunale Arbeit ist durch die Grenzöffnung einfacher geworden. Treffen können jederzeit ohne großen organisatorischen Aufwand stattfinden; Kontakte sind ohne bürokratische Hürden auch auf privater Ebene möglich. Doch das Scheitern des Annan-Plans
Neue Hoffnungen?
Am 24. Februar 2008 wurde in der Republik Zypern ein neuer Präsident gewählt. Die griechischen Zyprioten entschieden sich für einen Kandidaten, der sich im Wahlkampf deutlich für eine Wiederannäherung an die türkischen Zyprioten ausgesprochen hatte. Bereits einen Monat später traf sich Dimitris Christofias mit dem Führer der türkischen Zyprioten Mehmet Ali Talat. Die beiden Politiker beschlossen neue Verhandlungen sowie die Umsetzung vertrauensbildender Maßnahmen. Mit der Öffnung des Checkpoints an der Ledra Straße setzten sie ein erstes Zeichen der Versöhnung. Diese neue politische Konstellation sollte Grund zur Hoffnung geben, dass eine baldige Lösung gefunden wird. Doch die Menschen auf Zypern sind sehr skeptisch.
Laut einer Umfrage, die im April und Mai 2008 in beiden Inselteilen durchgeführt wurde, setzen nur 18 Prozent der griechischen und 13 Prozent der türkischen Zyprioten große Hoffnung in den neuen Verhandlungsprozess. Und dies, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung die Vorgehensweise ihrer Führung unterstützt und eine bizonale bikommunale Föderation befürwortet (75 % der griechischen und 78 % der türkischen Zyprioten sind für eine solche Lösung, auch wenn sie nicht als die beste angesehen wird). Vor allem das fehlende Vertrauen in die politische Führung der anderen Seite gibt Anlass zu diesem Pessimismus. Nur 17 Prozent der griechischen Zyprioten vertrauen Talat, während 26 Prozent der türkischen Zyprioten Vertrauen in Christofias setzen. Das allgemeine Vertrauen in die jeweils andere Bevölkerungsgruppe ist deutlich höher. 45 Prozent der griechischen und 55 Prozent der türkischen Zyprioten hätten nichts gegen Nachbarn aus der anderen Volksgruppe.
Umso wichtiger ist es, dass sich Talat und Christofias während eines Treffens im Mai 2008 auf die Umsetzung vertrauensbildender Maßnahmen in zivilen und militärischen Bereichen einigten.
Blick in die Vergangenheit
Ein wichtiger Schritt zur Versöhnung ist die gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit. Die International Crisis Group empfiehlt die Bildung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission, die helfen kann, die Wunden aus den Zeiten von Krieg und Bürgerkrieg zu heilen. Dazu könnte auf der Arbeit des Committee on Missing Persons aufgebaut werden, das sich mit der Suche nach den fast 2000 Vermissten aus den Jahren 1963/64 und 1974 beschäftigt. Dieses bikommunale Komitee steht unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen und wird von den Behörden beider Seiten unterstützt. Bislang wurden 453 Grabstellen in beiden Inselteilen gefunden. Mit Hilfe von DNA-Analysen konnten inzwischen 105 Personen identifiziert werden.
Wie wichtig es für die Angehörigen ist, endlich Gewissheit über den Verbleib der jahrelang Vermissten zu erhalten und sie im Kreis der Familie begraben zu können, beschreibt die türkisch-zypriotische Journalistin Sevgül Uludag in ihrem Buch "Oysters with the Missing Pearls". Darin ist über viele Schicksale griechischer und türkischer Zyprioten zu lesen, die während der Kriegs- und Bürgerkriegswirren ermordet wurden. Ihre Berichte basieren auf Interviews mit Zeitzeugen, die oft zum ersten Mal über ihre traumatischen Erlebnisse sprachen. Deren Angaben haben es in vielen Fällen ermöglicht, dass die Grabstellen gefunden werden konnten. Das Buch hat nicht nur dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen über die Geschehnisse der Vergangenheit sprechen und Verbrechen dadurch aufgedeckt werden können. Es hat bei vielen auch ein Bewusstsein dafür geweckt, dass auf beiden Seiten gelitten wurde, und damit einen wichtigen Anstoß zur Versöhnung gegeben.
Einen gemeinsamen Blick auf die Vergangenheit zu finden, ist auch das Ziel der Association for Historical Dialogue and Research. In dieser 2003 gegründeten NGO arbeiten griechisch-zypriotische und türkisch-zypriotische Historiker und Pädagogen zusammen, um Schulbücher und Lehrpläne im Hinblick auf eine differenzierte Geschichtsvermittlung zu überarbeiten. In Zusammenarbeit mit den Lehrergewerkschaften beider Inselteile und dem Europarat werden Bildungskonferenzen und Lehrerseminare organisiert, deren Ziel darin besteht, methodische Ansätze für eine kritische Geschichtsbetrachtung zu entwickeln. Kinder sollen im Unterricht dazu angeregt werden, sich in die Lage "der anderen" zu versetzen und Vorurteile und Feindbilder zu überdenken. Die Association wurde für ihren außergewöhnlichen Beitrag zur inselweiten Kooperation im Juni 2008 mit dem Cyprus Civil Society Special Award ausgezeichnet.
Aktuelle Beispiele
Die bikommunalen Gruppen sind heute nicht mehr so überschaubar wie in den 1990er Jahren, und es ist schwer einzuschätzen, wie viele Menschen sich für eine Kooperation über die Green Line hinweg engagieren. Viele Akteure finden sich nur für zeitlich begrenzte Projekte zusammen. Andere Gruppen haben sich für eine formelle Institutionalisierung entschieden, um sich international besser vernetzen zu können, so auch die bikommunale Umweltbewegung Friends of Nature Cyprus, die auf Initiative des Deutsch-Zyprischen Forums im Rahmen einer Nachhaltigkeitskonferenz 2004 in Nikosia gegründet wurde. Friends of Nature Cyprus engagieren sich für einen inselweiten Naturschutz und sind inzwischen assoziiertes Mitglied der Naturfreunde Internationale.
Einige Interessengruppen arbeiten eher informell zusammen. Das Cyprus Academic Forum organisiert regelmäßig Vorträge von Wissenschaftlern aus beiden Teilen Zyperns und diskutiert öffentlich aktuelle Themen. Dies ermöglicht es Universitätsangehörigen aus Nord und Süd, sich auszutauschen und gemeinsame Forschungsprojekte zu realisieren. Griechisch-zypriotische und türkisch-zypriotische Unternehmer haben sich im Cyprus Producers' Network zusammengefunden. Das Netzwerk bietet Beratung und technische Unterstützung beim Handel zwischen beiden Inselteilen (Green Line Regulation). Heutige Bewohner Famagustas erarbeiten gemeinsam mit ihren ehemaligen griechisch-zypriotischen Nachbarn, die 1974 vertrieben wurden, einen Plan zur Renaissance der Stadt. Famagusta einschließlich der Geisterstadt Varosha soll zu einer Modellstadt für ein künftig wiedervereintes Zypern werden, zu einem Ort des Austausches und der Kooperation. Dabei geht es auch um den Erhalt des Kulturerbes der mittelalterlichen Handelsmetropole.
Hilfe von außen
Viele dieser Initiativen sind über das United Nations Development Programme (UNDP) mit finanzieller Unterstützung von USAID ermöglicht worden. Im Rahmen des Programms "Action for Cooperation and Trust in Cyprus" werden Projekte aus den Bereichen Zivilgesellschaft, Umwelt, Bildung und Kulturerbe gefördert. Auch von der Europäischen Union kommt Unterstützung. Im Rahmen des Hilfsprogramms für die türkisch-zypriotische Gemeinschaft werden Infrastrukturmaßnahmen, Projekte zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung sowie vertrauensbildende Maßnahmen gefördert. Beispielsweise finanziert die EU ein Projekt zur Abfallentsorgung, das Committee on Missing Persons sowie die Minenräumung in der Pufferzone. Zur Umsetzung der Maßnahmen wurde das EU Programme Support Office in Nord-Nikosia eingerichtet.
International tätige NGOs wie das Deutsch-Zyprische Forum oder Friends of Cyprus in Großbritannien sowie zypriotische Migrantenverbände in Athen, Istanbul, London, Australien und den USA unterstützen den Friedensprozess von außen und halten als weltweites Netzwerk den Kontakt zu beiden Volksgruppen. Die politischen Führer in Zypern zeigen derzeit guten Willen für den Versöhnungsprozess. So verzichteten sie 2008 auf die Demonstration militärischer Stärke und sagten die alljährlich im Herbst stattfindenden Militärmanöver "Nikoforos" und "Taurus" ab. Viele Menschen auf beiden Seiten der Green Line bemühen sich um Verständigung und Kooperation. Doch die Wunden der Vergangenheit sind noch längst nicht geheilt. Wie auch immer eine politische Lösung für Zypern aussehen wird, die bikommunale Arbeit ist und bleibt wichtig, um Versöhnung und Vertrauen in eine gemeinsame Zukunft zu finden.