Einleitung
Wollte man sich der politischen Kultur der griechischen und türkischen Zyprioten hermeneutisch nähern - indem man die an sich logische Vermutung anstellen würde, sie habe etwas mit Griechen und Türken zu tun -, käme man zu irreführenden Schlussfolgerungen. Denn die zypriotische Gesellschaft ist eine ausgesprochen bürgerliche und weit europäischere Gesellschaft als die der Mutterländer.
Vielmehr erfassen die daraus resultierenden Klientelnetze auf Grund der kleinen, zum großen Teil in sich geschlossenen Gesellschaft das ganze soziale und politische Geschehen. Dennoch gibt es kaum Standesunterschiede und daher wenig Standesschranken. Die Religion spielt nach wie vor in beiden Gesellschaften zwar eine übergeordnete Rolle, verlor aber im Laufe der Zeit ihr traditionelles und historisch geprägtes Gewicht, so dass heute in beiden Fällen von einer aufgeklärten Gesellschaft ausgegangen werden kann. Die Tatsache, dass der griechisch-zypriotische Teil seit 2004 der Europäischen Union (EU) angehört und dass seine Wirtschaft seit Jahrzehnten boomt, prägte das politische System des Südens und europäisierte ihn viel stärker als den Nordens.
Die Republik Zypern
Die völkerrechtlich anerkannte Republik Zypern ist eine Präsidialdemokratie. Grundlage des Staatsaufbaus ist die Verfassung vom 16. August 1960, die der Insel Zypern auf der Grundlage der Abkommen von Zürich und London staatliche Unabhängigkeit verlieh.
Dem Staatspräsidenten ist ein Vizepräsident zugeordnet, der ebenfalls weitgehende Kompetenzen (absolutes Vetorecht) besitzt. Gemäß der seit 1963 nur zum Teil geltenden Verfassung von 1960 ist das Amt des Präsidenten einem griechischen und das des Vizepräsidenten einem türkischen Zyprioten vorbehalten. Die Parlamentswahlen, die alle vier Jahre abgehalten werden, beeinflussen daher nur indirekt den Regierungsbildungsprozess, bewirken aber keine unmittelbare Veränderung der Zusammensetzung der Regierung.
Die Gesetzgebung liegt beim Abgeordnetenhaus der Republik, einem Einkammerparlament mit zur Zeit 80 Sitzen (56 griechisch-zypriotische Abgeordnete, 24 Sitze für türkisch-zypriotische Abgeordnete, die jedoch seit den Unruhen zwischen den beiden Volksgruppen im Jahre 1963 vakant sind). Dem Staatspräsidenten steht ein Vetorecht in den Bereichen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu.
Politische Kultur, Parteien und Massenorganisationen
Der Einfluss der Parteien
Gegenwärtiges Staatsoberhaupt der Insel ist seit Februar 2008 Dimitris Christofias, der gleichzeitig Generalsekretär der erfolgreichsten kommunistischen Partei des Westens ist, der AKEL,
Ihr Organisationsnetz erstreckt sich traditionell auf alle Bereiche und Schichten der zypriotischen Gesellschaft, aus denen die Kommunisten beständig neue Parteimitglieder rekrutieren. Der AKEL sind heute folgende Organisationen angegliedert: der größte Gewerkschaftsdachverband Zyperns PEO (75 000 Mitglieder),
Der Hauptrivale der AKEL im politischen Spiel Zyperns ist die Demokratische Sammlung DISY (mit 30,33 Prozent Stimmenanteil momentan die stärkste Oppositionspartei). Die 1974 vom ehemaligen Staatspräsidenten Glafkos Kliridis ins Leben gerufene DISY trat die Nachfolge der 1969 ebenfalls von Kliridis gegründeten Vereinigten Partei des Nationalgesinnten Lagers an und bildet heute die konservative Säule der griechisch-zypriotischen Parteienlandschaft. Sie tritt für eine föderative Lösung des Zypernproblems ein und unterstützte aus diesem Grund den Annan-Plan von 1999, der in mancher Hinsicht föderative Elemente enthielt. Innenpolitisch vertritt die DISY einen klaren konservativen politischen Standpunkt und unterstützt vehement die freie Marktwirtschaft. Außenpolitisch setzt sie sich für die Forcierung des europäischen Integrationsprozesses und die Föderalisierung Europas ein. Auf der Basis dieser Parameter gelang es der in den 1990er Jahren amtierenden DISY-Regierung, Zypern Eintritt in die Europäische Union (EU) zu verschaffen. Sie ist Mitglied der Europäischen Volkspartei; ihr stehen der konservative Gewerkschaftsverband SEK und der Arbeitergeberverband OEB nahe.
Die drittstärkste politische Kraft auf der Insel ist die Demokratische Partei DIKO (17,91 Prozent der Stimmen bei den letzten Parlamentswahlen und elf Mandate). Sie wurde im Jahre 1976 auf Veranlassung des Erzbischofs und der wichtigsten politischen Persönlichkeit der Insel, Makarios, gegründet
Die Vereinigte Demokratische Zentrumsunion-Sozialdemokratische Bewegung EDEK, die bei den letzten Parlamentswahlen von 2006 8,91 Prozent der Stimmen und fünf Sitze für sich erringen konnte, ist das Gegenstück zur griechischen PASOK - die von Andreas Papandreou gegründete Sozialistische Bewegung Griechenlands - auf Zypern, mit der die EDEK ausgesprochen enge Kontakte unterhält. Dieser Umstand prägte das ideologische Profil der Partei entscheidend. Sie wurde in die Periode der griechischen Junta gegründet, als der Leibarzt von Makarios, Vasos Lyssarides, zugleich Mitglied des Komitees zur Wiederherstellung der Demokratie in Griechenland, 1969 die Initiative zur Gründung einer Partei ergriff, die das sozialistisch gesinnte Lager auf Zypern ansprechen sollte. Er selbst übernahm den Vorsitz der Partei, den er bis 2001 ununterbrochen inne hatte. Tatsachlich entwickelte die Partei im Laufe der Zeit ein sozialistisches, aber zugleich stark nationalistisches und antikommunistisches Programm, das stets weit über die tatsächliche politische Stärke hinaus Akzeptanz fand. Verbunden mit der EDEK sind die Jugend-und Studentenorganisation EDEN, die Sozialistische Frauenbewegung und die Sozialistische Gewerkschaft DEOK.
Das Parteienspektrum Zyperns wird heute durch zwei Splitterparteien ergänzt, die Europäische Partei EVROKO, welche im Taumel des Beitritts Zyperns in die EU im Juli 2005 gegründet wurde und schon beim ersten Wahlgang 5,73 Prozent und drei Sitze im Parlament errang, und die Umweltpartei, die im März 2006 ins Leben gerufen wurde und bei den Wahlen von 2006 1,95 Prozent und ein Mandat zu gewinnen vermochte.
Trotz ihrer jeweiligen Differenzen zeichnen sich sowohl die Parteien als auch die Gewerkschaftsorganisationen durch erhöhte Kooperationsbereitschaft aus. Letztere unterhalten etwa untereinander sowie zur türkisch-zypriotischen Gewerkschaftsbewegung institutionelle Kontakte im Rahmen des so genannten All Trade Union Forum. Das Forum wurde im Jahre 1995 von 18 Gewerkschaftsorganisationen des gesamten politischen Spektrums ins Leben gerufen, um die Vereinheitlichung der Löhne auf der Insel voranzutreiben und dem Lohndumping durch Einwanderer und Pendler-Arbeiter einen Riegel vorzuschieben.
Die "Türkische Republik Nordzypern" (TRNZ)
Die konstitutionelle Geschichte der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern ist kurz: 1975, nicht lange nach der türkischen Militärinvasion und der sich daran anschließenden Teilung der Insel erklärte sich der Norden zum föderierten türkisch-zypriotischen (Teil-)Staat. Am 15. November 1983 erfolgte dann die Proklamation der ausschließlich von der Türkei anerkannten "unabhängigen", "souveränen Republik" (Turkish Republic of Northern Cyprus).
Seither weist der Staat folgende konstitutionellen Charakteristika auf: Der Staatspräsident und das Parlament werden für fünf Jahre direkt vom Volk gewählt. Der Präsident hat vornehmlich repräsentative Aufgaben. Er ist jedoch Verhandlungsführer mit der griechischen Seite und in Friedenszeiten Oberbefehlshaber der nordzyprischen Streitkräfte. Erster Staatspräsident wurde der alte Führer der türkisch-zypriotischen Volksgruppe Rauf Denktaş, der 1985, 1990, 1995 und 2000 im Amt bestätigt wurde.
Nach der Verfassung herrscht in der TRNZ eine Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Die TRNZ versteht sich als eine laizistische, parlamentarische Republik. Das Parlament der Republik hat 50 Sitze;
Parteien, Politische Kultur und Massenorganisationen
Bis 1974 ähnelten die türkisch-zypriotische und die griechisch-zypriotische Volksgruppe einander kulturell, wobei die türkischen Zyprioten eher der am wenigsten entwickelten Schicht der gesamtzypriotischen Gesellschaft angehörten. Mit der Invasion von 1974 kam es jedoch zu Entwicklungen, die sowohl den homogenen Bestand der türkisch-zypriotischen Volksgruppe als auch ihre politische Kultur radikal veränderten: Die Bevölkerungsstruktur Nordzyperns veränderte sich schlagartig. Zehntausende türkische Zyprioten emigrierten ins westliche Ausland. An ihre Stelle traten Siedler vom türkischen Festland, die von der Regierung in Ankara auf der Insel angesiedelt wurden: vielfach Menschen mit geringerer Bildung und schlechterer beruflichen Qualifikation. Außerdem stationierte die Türkei rund 30 000 Soldaten auf der Insel. Diese wurden zur Stütze des Denktaş-Regimes.
Die aus der Türkei stammenden Siedler veränderten nicht nur die demographische Balance zu Ungunsten der türkisch-zypriotischen Bevölkerung; sie brachten auch eine tiefverwurzelte altosmanische Mentalität mit. Für die Denktaş-Partei waren sie eine privilegierte Stimmenquelle, womit sie maßgeblich zu der drei Jahrzehnte währenden Alleinherrschaft der Nationalen Einheitspartei (NUP) beitrugen .
Diese von Rauf Denktaş 1975 gegründete Partei
Im Jahre 2003 gab es erstmals Hinweise, die auf einen grundlegenden Wandel im türkisch-zypriotischen Leben hindeuteten. Die Parlamentswahlen im Dezember dieses Jahres hatten den regierenden rechten Parteien, die dem Präsidenten Rauf Denktaş nahe stehen, eine schwere Niederlage versetzt. Denktaş musste wegen eines Patts in der Sitzverteilung des Parlaments den bisherigen Oppositionsführer, Mehmet Ali Talat, mit der Regierungsbildung beauftragen. Die politische Wende auf Nordzypern hatte sich bereits im Juni 2002 mit dem Sieg von Talats Republikanisch-Türkischer Partei, der ältesten zyperntürkischen politischen Partei,
Mit dem Ringen um eine politische Lösung des Zypernkonfliktes auf Basis des Annan-Planes polarisierte sich seit 2003 die Politik Nordzyperns in Befürworter und Gegner einer künftigen bizonalen und bikommunalen Föderation und eines Beitritts in die EU. Da der Machtmensch Denktaş seinen Verbleib im Amt vom Ausgang des Referendums über den Annan-Plan am 24. April 2004 abhängig gemacht hatte, konnte er bei den bevorstehenden Parlamentswahlen nicht mehr antreten, nachdem der von ihm strikt verworfene Plan von der türkischen Bevölkerung mit großer Mehrheit angenommen worden war. Demgegenüber gelang es Talat und seiner Partei, die den Annan-Plan unterstützten, ein proeuropäisches Profil zu erarbeiten und stark an Zulauf zu gewinnen. Die Wahlen vom Februar 2005 gewann die Republikanisch-Türkische Partei, die aber knapp die Mehrheit der Sitze (sie erhielt 25 von 50 Sitzen) verfehlte. Talat blieb Ministerpräsident einer provisorischen Mitte-Links-Koalitionsregierung, bestehend aus der Republikanisch-Türkischen Partei und der Demokratischen Partei.
Zwei Monate später, am 17. April 2005, fanden Präsidentschaftswahlen auf Nordzypern statt, bei denen der bisherige Ministerpräsident und Annan-Plan-Befürworter, Mehmet Ali Talat, nun auch zum Präsidenten gewählt wurde. Mit eindrucksvollen 55,6 Prozent der Stimmen ließ Talat bereits im ersten Wahldurchgang seinen rechtskonservativen Hauptrivalen Dervis Eroglu, der sich gegen den Annan-Plan wandte und nur 22,73 Prozent der Stimmen erhielt, weit hinter sich und beendete damit endgültig die Ära des Nationalisten Rauf Denktaş. Der politische Umsturz vervollständigte sich 2006, als die Koalitionsregierung, an der Serdar Denktaş teilnahm, zusammenabrach und sich eine neue formierte, die sich aus der Republikanisch-Türkischen Partei und einer neuen Partei, der Freiheits- und Reformpartei, zusammensetzte.
Talats Wahl stellte eine Zäsur in der Geschichte des türkisch-zypriotischen Teils Zyperns dar, zumal sie mit großen Hoffnungen auf eine baldige Lösung des Zypernkonflikts verbunden war, die sich allerdings mittlerweile als gegenstandlos erwiesen haben. Bei den jahrzehntelangen Bemühungen um eine Wiedervereinigung des türkischen Nordzyperns mit dem griechischen Südteil der Insel, die im Vorfeld des EU-Beitritts der Republik Zypern verstärkt worden waren, galt der Verhandlungsführer Denktaş als Bremser, beharrte er doch auf der separaten Existenz der TRNC.
Im Parlament des Nordens sind heute insgesamt fünf Parteien vertreten. Neben der Republikanischen und der Einheitspartei sind dies der Koalitionspartner Freiheits- und Reformpartei mit vier Abgeordneten - eine Partei, die im Ergebnis zweier gleichzeitiger Abspaltungen von der Einheitspartei und der Demokratischen Partei von Serdar Denktaş entstand -, die Demokratische Partei (13,47 Prozent und sechs Sitze) sowie die Partei der Gesellschaftlichen Demokratie, die lediglich über einen Sitz verfügt.
Die Administration der "Türkischen Republik Nordzypern" besteht aus zehn Ministerien und etlichen Organisationen und Staatsunternehmen, die reichlich finanzielle Hilfe vom Staat TNRC bzw. vom türkischen Staat erhalten.
Im Laufe der Zeit hat die internationale Nichtanerkennung der TRNC maßgeblich die civil society der türkisch-zypriotischen Gesellschaft beeinflusst. Eine westlichen Maßstäben entsprechenden Bürgergesellschaft existiert im Norden der Insel nicht. Andererseits haben die Bemühungen zur Lösung des Zypernproblems zur Herausbildung zahlreicher Nichtregierungsorganisationen (NGOs) geführt. Deren Anliegen besteht in der Regel darin, bikommunale Kontakte zur Republik Zypern mit dem Ziel der gegenseitigen Verständigung zu organisieren und die Weichen für eine gemeinsame panzypriotische Existenz zu stellen, wobei sie vom Denkaş-Regime in der Vergangenheit mehrmals daran gehindert wurden.
Die wichtigsten Gewerkschaftsorganisationen heute sind: die Press Laborers Union, die Trade Union Municipality Employees United Public, die Cooperative, Agricultural and other Services and Crafts Workers' Union, die Cyprus Trade Union Confederation (CTUC), die Cyprus Turkish Civil Servants' Trade Union, die Cyprus Turkish Municipal Labor Union, die Turkish Workers' Trade Union Federation, die Turkish Cypriot Association of University Women und die Cyprus Turkish Construction, Wood and Public Service Workers' Union.
In den 1990er Jahren entstanden weitere NGOs, die sich auf verschiedenen Ebenen des sozialen Lebens, wie der Ökologie, der Menschenrechte, der Gleichberechtigung der Frauen usw. betätigen.
Fazit
Sowohl die Rechts- und Verfassungsordnung als auch die politische und gesellschaftliche Machtverteilung sowie die politische Kultur zwischen dem türkisch-zypriotischen Norden und dem griechisch-zypriotischen Süden zeigen, dass auf der Insel zwei sehr verschiedene Gesellschaftsmodelle existieren. Die nach 1974 erfolgende separate gesellschaftliche und politische Entwicklung der beiden Volksgruppen und die wenigen Kontakte miteinander haben dazu geführt, dass in der Zeit der Koexistenz vorhandene Ähnlichkeiten, wie die Patronage-Klientel-Beziehungen, im Süden weitgehend verkümmerten und im Norden zum integralen Teil des politischen Lebens wurden. Die internationale Isolation des Nordens, seine starke Abhängigkeit vom Mutterland Türkei, die massive Einwanderung türkischer Siedler aus Anatolien, und die wirtschaftliche Misere entfernten im Laufe der Zeit den türkisch-zypriotischen Norden vom mittlerweile völlig europäisierten Süden.