Einleitung
Von sechs Kriegen, die den Süd-und Nordkaukasus seit 1991 erschütterten, war der russisch-georgische Waffengang mit Abstand der kürzeste. Die Kriegshandlungen dauerten vom 7. bis 15. August 2008. Ein im Januar 2009 veröffentlichter Bericht von Human Rights Watch dokumentiert massive Verletzungen von Menschenrechten durch alle Konfliktseiten, durch georgische und russische Streitkräfte wie durch südossetische Milizen.
Gleichwohl bleiben Georgiens ungelöste Sezessionskonflikte auf der Agenda internationaler Politik. Ein Grundproblem ist der völkerrechtliche Gegensatz zwischen Russland, das die Eigenstaatlichkeit Abchasiens und Südossetiens und damit die Teilung Georgiens anerkennt, und der übrigen Welt, die von der Zugehörigkeit dieser Territorien zum international anerkannten Staatsgebiet Georgiens ausgeht. Der Gegensatz belastete die Genfer Gespräche über Georgien, die Erneuerung eines Südossetien einschließenden Georgien-Mandats der OSZE und die seit Oktober im Einsatz befindliche EU-Beobachtungsmission. Das Mandat dieser Mission bezieht sich auf das Gesamtterritorium Georgiens. Der Zugang zu Abchasien und Südossetien wird ihr aber durch Russland und seine Protegés in Suchumi und Zchinwali verwehrt. Mit dieser Einschränkung würde sich die Mission für die Sicherung faktischer, von Europa und der übrigen Welt aber nicht anerkannter Grenzen einsetzen. Die Zugangssperre etwa zu Südossetien schränkt ihre Fähigkeit ein, bewaffnete Zwischenfälle zu überprüfen. Die Notwendigkeit dazu besteht auch nach dem Krieg.
Aufmarsch der Schlagworte
Die zwischenstaatliche Dimension machte den Krieg zum weltpolitischen Thema. Da geriet Russland in militärischen Konflikt mit einem souveränen Nachbarstaat, und zwar mit dem "nahen Ausland", das sich in seiner Außen-und Sicherheitspolitik am weitesten nach Westen ausgerichtet und um Austritt aus russischen Einflusszonen bemüht hatte. Dabei wurde nicht so sehr bemängelt, dass russisches Militär auf eine georgische Offensive in Südossetien reagierte. Schließlich waren dort russische Friedenstruppen im Rahmen eines Waffenstillstandsabkommens stationiert, die am 8. August 2008 zusammen mit der Zivilbevölkerung im Hauptort Zchinwali unter wahllosen Artilleriebeschuss durch georgische Streitkräfte kamen. Bemängelt wurde der Übergang der Militäraktion "Erzwingung des Friedens" in Südossetien in eine Operation zur Bestrafung und Teilung Georgiens. Das Bestrafungsmotiv war seit Langem gereift. Seit Sommer 2004 hatten sich die russisch-georgischen Beziehungen zum prekärsten Verhältnis entwickelt, das Russland mit einem Nachbarstaat unterhielt. Auf teilweise theatralisch inszenierte Provokationen durch Tbilissi (Tiflis) wie in der "Spionagekrise" (Herbst 2006) reagierte Russland mit Maßnahmen, die das angeblich wieder gewachsene Selbstbewusstsein einer Großmacht vermissen ließen. Da Georgien sich schon länger mit westlichen Partnern in Beziehung gesetzt hatte, provozierte die zwischenstaatliche Dimension des neuen Kaukasuskriegs Schlagworte wie "neuer Kalter Krieg", "Krieg um Öl", "Wende in der Weltpolitik". Es wurden Vergleiche mit historischen Zäsuren in internationalen Beziehungen wie dem 11. September 2001 gezogen. Einige Schlagworte wie "Stellvertreterkrieg" in Anspielung auf russisch-amerikanische Einflusskonkurrenz im Südkaukasus haben zwar Wahrheitsgehalt, sind aber gleichwohl simplizistisch. Das Schlagwort vom "neuen Kalten Krieg" setzte sich hinweg über das Ausmaß ideologisch-militärischer Systemkonfrontation zwischen einem westlichen und östlichen Block, für das dieser Begriff ursprünglich steht. Die durch den Georgienkrieg bewirkte Störung im Verhältnis zwischen Russland und dem Westen war damit nicht vergleichbar.
Vor allem zwei "weltpolitische" Themen überschatteten die sich seit Frühjahr 2008 verschärfende Entwicklung um die Sezessionskonflikte Georgiens: die Unabhängigkeitserklärung Kosovos und ihre diplomatische Anerkennung durch rund 50 Staaten und die Auseinandersetzung um die Erteilung eines Aktionsplans für den NATO-Beitritt Georgiens und der Ukraine. In der Auseinandersetzung um den Membership Action Plan drohte Moskau wiederholt, Georgien verliere durch Konkretisierung seines NATO-Beitritts seine seit mehr als 15 Jahren abtrünnigen Landesteile definitiv. In Reaktion auf die Entwicklung um Kosovo verstärkte die russische Regierung im April 2008 laut Präsidentenerlass ihren Schulterschluss mit den von ihr schon seit Langem unterstützten Sezessionsregierungen in Abchasien und Südossetien. Allerdings lautete vor dem Krieg die Prognose russischer, westlicher und georgischer Experten: Der Kreml wird sich darauf beschränken, die Integration Kosovos in internationale Strukturen zu behindern und die Sezessionsregierungen in Abchasien und Südossetien zu unterstützen. Er wird nicht unter Berufung auf den Präzedenzfall die beiden De-facto-Staaten diplomatisch anerkennen. Schließlich hatte Wladimir Putin noch in seiner Amtszeit als russischer Präsident gesagt, man werde den Fehler westlicher Staaten hinsichtlich der Legalisierung von Sezession nicht wiederholen. Die Abwendung von dieser Linie kam dann am 26. August, als Russland die beiden Territorien doch als unabhängige Staaten anerkannte. Weltweit folgte mit dem kaukasusfernen Nicaragua nur ein einziger Staat diesem Schritt - wohl in der Absicht, den USA die Stirn zu bieten, wo nun die Parole "We are all Georgians" erklang.
Die USA in der Georgienkrise
Georgien betrachtet die USA als engsten Sicherheitspartner. Die dringlich notwendige Modernisierung seiner Armee wurde seit 2002 vor allem mit US-Unterstützung betrieben. Washington förderte den baldigen NATO-Beitritt Georgiens. Im Gegenzug stellte Georgien Truppen für den Einsatz in internationalen Krisengebieten. Im Irak stellte es mit 2000 Soldaten sogar eines der größten Kontingente. In diesem Zusammenhang wurde in Tbilissi betont, Georgien befinde sich im Übergang vom Security Consumer zum Security Provider. Dazu kam aus Washington moralische und politische Unterstützung der "Rosenrevolution" und ihrer Reformprogramme. Nach Angaben des State-Department war Georgien 2006 das drittgrößte Empfängerland von US-Finanzhilfe pro Kopf der Bevölkerung. Für den "Anker der Stabilität und Prosperität", als welcher Georgien auch noch plakatiert wurde, als die demokratische Entwicklung des Landes schon als rückläufig eingestuft wurde,
Welchen Einfluss haben US-Militärberater in Georgien in der Eskalationsphase seit Frühjahr 2008 auf den Präsident Michail Saakaschwili und das georgische Militär genommen? Konnte eine georgische Militäraktion ohne Wissen dieser vor Ort befindlichen Verbündeten vorbereitet werden? Das State Department widersprach der von Russland vertretenen Version, Washington habe Tbilissi zu militärischer Konfliktlösung ermuntert. Auf hoher diplomatischer Ebene, zuletzt beim Besuch der damaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice wenige Wochen vor dem Krieg, hatten westliche Partner einschließlich Washingtons Georgien vor militärischer Eskalation gewarnt. Nach dem Krieg sagte die Bush-Administration Georgien noch gesteigerte Finanzhilfe für den Wiederaufbau zu. Sie stellte dafür eine Milliarde Dollar für die nächsten zwei Jahre in Aussicht - das Zigfache der bisherigen jährlichen Zuwendungen. Einige Kongressabgeordnete aus beiden Parteien kritisierten die verstärkte Unterstützung der georgischen Führung, die sich doch gegen den Ratschlag ihrer Verbündeten auf eine prekäre Konfliktpolitik eingelassen habe.
In der Georgienkrise im Sommer und Herbst 2008 hatten sich US-Politiker wie der Präsidentschaftsbewerber John McCain zwar laut zu Wort gemeldet, insgesamt hatte sich Washington aber mit Maßnahmen gegen Russland zurückgehalten. Auch die Friedensdiplomatie ging diesmal nicht von den USA aus. Erstmals war die Europäische Union unter französischer Ratspräsidentschaft Herr des Verfahrens bei der Schlichtung eines militärischen Konflikts im Umfeld Europas.
Georgienkrise und europäische Ostpolitik
Georgien liegt an einer Schnittstelle sich überlappender ostpolitischer EU-Projekte: der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP), in die der Südkaukasus 2004 mit Verspätung einbezogen wurde, der Schwarzmeerpolitik (Black Sea Synergy) und zuletzt des im Mai 2008 von Polen und Schweden initiierten Projekts der Östlichen Partnerschaft (Eastern Partnership). Auch die 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft entwickelte EU-Zentralasienstrategie liegt in diesem Spektrum. Als Transitkorridor für Erdöl und Erdgas ist der Südkaukasus aus energiepolitischer Perspektive auch mit der Region östlich des Kaspischen Meeres verbunden. Es sind gerade die transiträumlichen Aspekte, die diese Projekte miteinander vernetzen. Die Georgienkrise hat besonders Eastern Partnership angestoßen. Im Oktober mahnte Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner verstärkte EU-Ostpolitik an: Aus der Georgienkrise resultiere ein "Gefühl der Dringlichkeit" zur Heranführung der östlichen Nachbarn an die EU. Ihnen seien nun fast alle Türen zu öffnen - außer der zur Mitgliedschaft.
Der europäische Blick auf den Krieg ging über den Kaukasus hinaus auf andere Teile der gemeinsamen Nachbarschaft. Er richtete sich auf den Schwarzmeerraum, auf die Ukraine, dort wiederum besonders auf die Krimhalbinsel als Brennpunkt russisch-ukrainischer Auseinandersetzungen, die eskalieren könnten.
Eine Wende in der russischen Außenpolitik?
Mit der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens vollzog Russland eine Wende in seiner Politik gegenüber ungelösten Sezessionskonflikten. Hatte es bisher den ungeklärten Status solcher Konflikte als seinen Einflusshebel im Südkaukasus benutzt, ging es nun in Teilen der Region zur kostenintensiveren Protektoratsherrschaft über. Der in Südossetien angestrebte Anschluss an die Russische Föderation über die Vereinigung mit Nordossetien wurde vorläufig von Moskau zurückgewiesen bzw. auf ein bizarres Unionskonstrukt zwischen Russland, Belarus und Südossetien umgeleitet. Aber von Eigenständigkeit kann beim kleinsten und wirtschaftlich schwächsten der postsowjetischen Sezessionsgebilde nicht die Rede sein. Seine Regierung unter "Präsident" Eduard Kokoity war schon lange vor dem Krieg mit Kadern aus den Militär-und Geheimdienstapparaten Russlands besetzt worden. Seine schon zuvor schwache, durch den Krieg nun völlig beschädigte Wirtschaft ist hochgradig von russischer Hilfe abhängig. Doch von der Wiederaufbauhilfe aus Moskau in Höhe von 350 Millionen Euro versickert ein Teil bereits in dubiosen Kanälen, die das Kokoity-Regime schon vordem als ein "schwarzes Loch der Ordnungslosigkeit" ausgewiesen hatten.
Nach der Zäsur, die der Krieg und die diplomatische Anerkennung Abchasiens und Südossetiens markierten, nannte ein prominenter Kommentator russischer Außenpolitik folgende Konsequenzen: Der Krieg habe eine Verschiebung außenpolitischer Akzente eingeleitet. Es gehe Russland nun weniger um Integration in das globale System, die Präsident Medwedjew zuvor eindringlich betont hatte, als um den eigenen "privilegierten Einflussbereich".
Dem stehen andere Akzente gegenüber: die Berufung auf das Völkerrecht, ein Verzicht auf konfrontative Politik, die Betonung "multipolarer Weltordnung". "Multipolare Ordnung" und "multilaterale Politik" beherrschen die außenpolitischen Aussagen Russlands. Doch Russland hat in seiner Georgienpolitik unilateral und mit der diplomatischen Anerkennung Abchasiens und Südossetiens gegen bestehende Resolutionen des UN-Sicherheitsrats gehandelt. Eines hat die Georgienkrise deutlich gemacht: Russland fehlt es an Verbündeten selbst in seiner "privilegierten Einflusszone". Applaus für seine Georgienpolitik bekam es von keinem seiner Sicherheitspartner in eurasischen Regionalorganisationen wie der Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). In westlichen Analysen wurden Überlegungen dazu angestellt, ob die politische Elite Russlands einen solchen Alleingang als Problem oder eher als ein Mittel zur Konsolidierung ihrer Position in der eigenen Gesellschaft ansieht. In gewisser Weise war der Georgienkrieg auch eine Unternehmung zur Festigung der innenpolitischen Kohärenz. Im September 2008 erreichte die Zustimmung zu Putin 88 Prozent und die zu Medwedjew 83 Prozent.
Der Südkaukasus nach dem "Unfrozen Conflict"
Vorübergehend wurden "Georgienkrise" und "Kaukasuskonflikt" zu Synonymen. Erst nach und nach öffnete sich der Blick über Georgien hinaus für das regionale Umfeld und den ebenfalls ungelösten Sezessionskonflikt um Berg-Karabach. Obwohl aus Armenien und Aserbaidschan offiziell nur zurückhaltende Stellungnahmen zum Krieg im Nachbarland kamen, waren beide in die Krise verwickelt. Aserbaidschan als der ebenfalls sezessionsgeschädigte Nachbar Georgiens beobachtete mit gesteigerter Aufmerksamkeit die russische und internationale Politik gegenüber Sezessionsgebilden. Beim Besuch seines Präsidenten Ilham Alijew in Moskau betonte die russische Seite, dass sich ihre Karabachpolitik nicht geändert habe und sie sich weiterhin im Rahmen der Minsker OSZE-Gruppe um friedliche Konfliktregelung bemühe. Dasselbe bekundete sie im Konflikt um Transnistrien gegenüber der moldauischen Regierung. Hatte Russland sich in seiner Politik gegenüber Abchasien und Südossetien noch auf den "Präzedenzfall Kosovo" bezogen, betonte es nun mit Nachdruck, dass seine diplomatische Anerkennung Abchasiens und Südossetiens keineswegs einen Präzedenzfall für andere ungelöste Sezessionskonflikte im GUS-Raum darstelle.
Für Aserbaidschan fiel die Georgienkrise auch energiepolitisch ins Gewicht. Durch die russische Besetzung der Hafenstadt Poti und die Schließung eines in aserbaidschanischem Besitz befindlichen Ölterminals an der georgischen Schwarzmeerküste war sein Ölexport über das Schwarze Meer vorübergehend blockiert. Allerdings wurde die als strategisch wichtig geltende Ölpipeline von Baku über Tbilissi zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan von dem Krieg nicht unmittelbar betroffen. Als ein "Krieg um Öl" erwies sich die Georgienkrise allenfalls in einem eingeschränkten Sinne. Sollte das militärische Vorgehen Russlands durch das Motiv mitbestimmt gewesen sein, auswärtigen Investoren die Unsicherheit der kaukasischen Landbrücke vor Augen zu führen, ist dieses Kalkül kaum aufgegangen. Durch die Georgienkrise und den Gasstreit zwischen Moskau und Kiew zu Beginn des Jahres 2009 kamen geplante, aber umstrittene Leitungssysteme für kaspische Energieressourcen über diese Landbrücke wie das Nabucco-Projekt
Für Armenien fiel die Beschädigung von Transitwegen besonders ins Gewicht, da ein Großteil seiner Exporte über georgisches Territorium verläuft. In Eriwan wurde der Schaden, den der Krieg für Armenien verursacht hat, auf 680 Millionen US-Dollar beziffert. Diese Erfahrung stärkte die Hinwendung der armenischen Außenpolitik in Richtung Iran und lenkte Aufmerksamkeit auf gemeinsam Verkehrs- und Pipelineprojekte.
Als historische Regionalmacht spielt die Türkei hier eine Rolle, die Aufmerksamkeit verdient. In die Regionalkonflikte des Kaukasus und des Schwarzmeerraums ist sie wie kaum ein anderer Staat außerhalb der GUS involviert. In der Georgienkrise regte Ankara eine "Plattform der Zusammenarbeit und Sicherheit im Kaukasus", ein regionales Dialogforum für die Türkei, Russland und die drei südkaukasischen Staaten, an. Allerdings ist dieses Projekt bislang kaum vorangekommen. Es erinnert an "Stabilitätspakte für den Südkaukasus", die von Politikern und Think-Tanks in der Türkei und in der EU seit 1999 in Anlehnung an den Stabilitätspakt für Südosteuropa konzipiert wurden und dann in der Schublade verschwanden. Allerdings ist das internationale Interesse für ungelöste, bis vor Kurzem noch als "frozen" bezeichnete Regionalkonflikte im GUS-Schwarzmeerraum seit 2008 größer als je zuvor. In diesem Kontext ist allen diplomatischen Bemühungen um Konfliktregelung Aufmerksamkeit zu widmen.
Auch Russland startete nach seiner militärischen Operation gegen Georgien eine diplomatische Offensive im Karabachkonflikt. Präsident Medwedjew lud seine Amtskollegen aus Armenien und Aserbaidschan nach Moskau ein und konnte sie zu - freilich unverbindlichen - Erklärungen zu friedlicher Konfliktlösung bewegen. Das fiel insofern ins Gewicht, als Aserbaidschan mit Blick auf die Besetzung eines beträchtlichen Teils seines Staatsterritoriums durch armenische Truppen in den vergangenen Jahren bellizistische Rhetorik bemüht und erhebliche militärische Aufrüstung betrieben hat. Die Kriegsrhetorik ist in der Georgienkrise jedoch zurückgetreten und spielte im aserbaidschanischen Präsidentschaftswahlkampf im Oktober 2008 kaum ein Rolle.
In der Neujahrsrede des aserbaidschanischen Präsidenten fiel ein Satz, der die Hoffnung auf Gewaltverzicht im Karabachstreit wieder ernüchtert: "Berg-Karabach ist ein historisches aserbaidschanisches Territorium. Wir werden jede Anstrengung - politisch, diplomatisch, wenn nötig auch militärisch - unternehmen, die territoriale Integrität Aserbaidschans wiederherzustellen. Wir haben das Recht dazu."
Und Georgien selbst? Drei Problemfelder bestimmen die Nachkriegssituation: die Kriegsschäden und ihre Behebung, die innenpolitische Krise, das Problem territorialer Integrität und die Frage, ob nach der diplomatischen Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Russland noch Spielraum für eine einvernehmliche Regelung der Sezessionskonflikte besteht. Wie hoch auch immer die Kriegsschäden zu veranschlagen sind, die Geldsummen, die internationale Geber für Wiederaufbau in Aussicht stellten, liegen offenbar weit darüber. Kritiker warnten, dass hier der Eindruck von Belohnung prekärer Konfliktpolitik entstehen könnte. In den Kriegstagen und danach bildeten die erneuten Flüchtlingsströme (laut UNHCR: 130 000) das dringlichste Problem für die georgischen Behörden. Inzwischen ist ein großer Teil der Flüchtlinge aus der Pufferzone um Südossetien wieder in seine Heimatorte zurückgekehrt. Langfristig bleiben an der Rückkehr in ihre Heimatorte aber die rund 20 000 georgischen Flüchtlinge aus Südossetien gehindert.
Kehrt die innenpolitische Krise nach Georgien zurück, die sich seit Herbst 2007 im Vorfeld von Präsidenten- und Parlamentswahlen abgezeichnet hatte und in der Präsident Saakaschwili und sein Regierungsstil in Frage gestellt worden war? In den Kriegstagen schlossen oppositionelle Kräfte einen Burgfrieden mit der Regierung. Solange russische Truppen in "Kerngeorgien" standen und Moskau den Sturz des "Saakaschwili-Regimes" forderte, vollzog die Bevölkerung den patriotischen Schulterschluss mit ihrem Präsidenten. Mit dem Rückzug russischer Truppen bis Ende September änderte sich die Situation, begann eine "Phase der Fragen". Die ehemalige Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse, die das nicht radikale Spektrum der Opposition repräsentiert, publizierte 43 Fragen an Saakaschwili zum militärischen Vorgehen im August 2008. Die Kernfrage lautete: "Warum wurde eine Entscheidung über regelrechte Kriegshandlungen getroffen, obwohl Georgiens Partner mehrmals und direkt davor gewarnt haben, auf Provokationen durch Russland solcherart zu reagieren?"
Freilich ist der Begriff der Kriegsursachen dehnbar. Er kann sich nicht nur auf die Zeitspanne von 19:00 bis 23:30 Uhr des 7. Augusts beschränken, die zwischen einer einseitigen Waffenstillstandserklärung Saakaschwilis an die südossetische Adresse und dem Befehl zur Offensive gegen Zchinwali gelegen hat. Sie muss die sich seit Frühjahr 2008 von Tag zu Tag verdichtende Ereigniskette gegenseitiger Provokationen berücksichtigen, in der alle Konfliktseiten mit dem Feuer gespielt haben. Eine Verstärkung russischer Militärpräsenz in Abchasien und Südossetien Monate vor dem Krieg, der Abschuss georgischer Aufklärungsdrohnen, die als "humanitäre Aktion" ausgewiesene Instandsetzung abchasischer Eisenbahnlinien im Mai, über die dann im August russische Truppentransporte nach Westgeorgien rollten, und das Militärmanöver "Kaukasus 2008", nach dessen Abschluss die beteiligten russischen Truppen nicht in die Kasernen zurückbeordert, sondern im Zustand der Kampfbereitschaft unweit der georgischen Grenze gehalten wurden, gehören zu den Maßnahmen, die als Kriegsvorbereitung auf der russischen Seite gedeutet werden können.
Nach dem Krieg verkündete Saakaschwili eine "zweite Rosenrevolution". Für seine westlichen Partner ist dies ein Anlass, sich noch einmal mit den Resultaten der ersten "Rosenrevolution" auseinanderzusetzen. Was ist aus den Hauptversprechen dieser ersten "Farbrevolution" im postsowjetischen Raum geworden - aus Demokratisierung, Stärkung von Staatlichkeit, Wiederherstellung territorialer Integrität? "Demokratisierung" wich rasch der Stärkung von Präsidialgewalt und Exekutive. Verfassungsänderungen verschoben die Gewaltenteilung in diese Richtung. Wichtige Funktionen von Staatlichkeit, die im "Ancien Régime" unter Präsident Eduard Schewardnadse weitgehend zum Erliegen gekommen waren, konnten tatsächlich gestärkt werden. Dazu gehörten eine Haushaltskonsolidierung, die Reform der Polizei und andere Maßnahmen. Als schicksalhaft erwies sich die dritte Versprechung: die zügige Wiederherstellung der Einheit des Landes, die Saakaschwili am Grabe des bedeutendsten georgischen Königs gelobt hatte. Auf diesem schwierigen Handlungsfeld traten Zügigkeit und Friedlichkeit in Widerspruch und klafften die in Georgien und außerhalb des Landes gesetzten Zeitperspektiven für Konfliktlösung auseinander.
Schon lange bevor der Kreml Abchasien und Südossetien diplomatisch anerkannte, praktizierte er hier eine "Friedenspolitik", die in Tbilissi treffend mit "not peacekeeping, but keeping in pieces" kommentiert wurde. Im Ergebnis finden wir einen Zustand vor, in dem die von westlichen Partnern nun erst recht bekräftigte territoriale Integrität Georgiens zur Beschwörungsformel wird. Sie trifft nun auf eine Realität, in der die Trennung Abchasiens und Südossetiens von Georgien ganz und gar erhärtet ist.