Einleitung
Von einem Parteienwesen im modernen Verständnis kann erst die Rede sein, wenn es ansatzweise demokratische Strukturen mit einem Wahlrecht für große Teile der Bevölkerung gibt. Dies war im Deutschen Reich kontinuierlich seit 1871 der Fall, seit der Einführung des gleichen Stimmrechts für Männer bei Reichstagswahlen. Erst nach der Abdankung des Kaisers und mit Beginn der Republik erhielten auch Frauen und Fürsorgeempfänger 1919 das Stimmrecht, ebenso wurde das in Bundesstaaten wie Preußen bestehende Dreiklassenwahlrecht abgeschafft. Vom selben Jahr an bestimmten Parteien bzw. ihre Parlamentsfraktionen und nicht mehr der Monarch die Zusammensetzung der Regierungen.
Mit der Entstehung von politischen Parteien mussten sich christliche Kirchen, ihre Amtsträger wie Bischöfe, Priester oder Pastoren, sowie einzelne Christen entscheiden, ob sie selbst Parteien gründen oder in ihnen mitarbeiten und durch diese vermittelte Aufgaben wie Parlamentsmandate übernehmen wollten. Bis dahin hatte die katholische Kirche versucht, durch Vereinbarungen zwischen dem Papst und den monarchischen Regierungen sowie zwischen Bischöfen und Staat ihr Verhältnis zur Politik zu bestimmen. Seit der als Unrecht empfundenen Säkularisierung von 1803 gab es im 19. Jahrhundert heftige Konflikte zwischen der katholischen Kirche und dem Staat in Deutschland. Aufgrund dieser Konfliktlage, die kurz nach der Reichsgründung 1871 im "Kulturkampf" eskalierte, organisierte sich die katholische Bevölkerungsminderheit politisch in der Zentrumspartei.
Da in protestantischen Territorien wie Preußen der König oberster Repräsentant der evangelischen Kirche war, wurde diese eng an den Staatsapparat gebunden. Da ein politischer Zusammenschluss zur Verteidigung kirchlicher Rechte in der protestantischen Mehrheitsbevölkerung nicht notwendig war, die Lockerung der kirchlichen Bindungen von Kirchenmitgliedern im Protestantismus eher als bei Katholiken einsetzte und dieser stärker die Gewissensfreiheit betonte, gab es im politischen Raum einen stärkeren Pluralismus politischen Engagements als unter Katholiken. Dieses konnte in traditionell konservativen, häufig ländlich geprägten Parteien ebenso stattfinden wie in eher liberal-bürgerlichen Parteien. Der Versuch des Hofpredigers Adolf Stoecker, 1878 eine mit der evangelischen Arbeiterschaft verbundene christlich-soziale Partei zu gründen, scheiterte an mangelnder Resonanz.
Die schrittweise Entwicklung zur Demokratie und dem dazugehörigen Parteienwesen hatte Konsequenzen für die kirchliche Verkündigung und die Theologie. Um gesellschaftlich handelnden Katholiken und katholischen Wählern Orientierung zu geben, wurde vom kirchlichen Lehramt mit der ersten Sozialenzyklika "Rerum Novarum" Papst Leos XIII. von 1891 eine neue Form der kirchlichen Sozialverkündigung entwickelt.
Parteipolitisches Handeln als Teil des Weltengagements
Zwar gibt es im Christentum Ansätze, sich auf die Liturgie, das Gebet und die Meditation zu konzentrieren und sich im Weltengagement zurückzuhalten. Aber diese Tradition ist in der Orthodoxie stärker als im westlichen Christentum ausgeprägt. Dort gehörte die Förderung humaner Lebensbedingungen immer zum Christsein dazu. Dies lässt sich gerade an Klöstern ablesen, die als Orte des Gebets häufig auch soziale Funktionen wahrnehmen, etwa in der Versorgung von Armen, in der Betreuung von Waisen, Alten und Kranken sowie in Erziehung und Bildung. Katholische wie evangelische Kirchen stimmen darin überein, dass Weltgestaltung aus dem Glauben heraus verpflichtend ist. Als Christ kann und darf man keine prächtigen Gottesdienste feiern oder intellektuell keine rein theoretischen theologischen Reflexionen anstellen. Dies wäre jenseits der sozialen Realität und der konkreten Nöte der Menschen. Ebenso wenig würde es der Botschaft des Evangeliums und der Nachfolge Jesu entsprechen, der sich in seinen Taten und seiner Verkündigung den Armen, Notleidenden und Bedrückten zugewandt hat.
Für dieses Weltengagement der institutionalisierten Kirche, der Gemeinden und Pfarreien, freier kirchlicher Vereinigungen, Verbände, Gruppen und einzelner Christen bestehen in modernen Gesellschaften vielfältige Möglichkeiten. Davon zeugen kirchliche Einrichtungen wie Caritas, Brot für die Welt und andere Hilfswerke. Es gibt eine Vielfalt von christlichen Organisationen und Verbänden mit sozialem und gesellschaftlichem Bezug. Daneben existiert eine Fülle von Einrichtungen im Bildungswesen. Darüber hinaus können sich einzelne Christen auch innerhalb von nicht ausdrücklich christlichen Organisationen (Gewerkschaften, Bürgerinitiativen) gesellschaftlich betätigen.
Während ein Engagement in den genannten Feldern kirchlicher Institutionen unbestritten ist und engagierten Personen Wertschätzung einbringt, stößt ein Weltengagement in Form parteipolitischer Betätigung innerhalb von Gemeinden durchaus auf Skepsis: Soll ein guter Christ sich auf die Politik einlassen? Ist Politik nicht von Intrigen, Machtstreben, Seilschaften, Lüge und Demagogie, Freund-Feind-Denken und der Abwertung politischer Gegner gekennzeichnet? Widersprechen diese Erscheinungen nicht diametral christlichen Werten, sodass sich ein Christ besser von der Parteipolitik fernhält?
Dafür, dass Christen sich auch in Parteien organisieren sollen, spricht, dass Parteien die zentrale Verbindung zwischen der Zivilgesellschaft,
Ebenso können Christen die Vertretung von Interessen ihrer Kirchen und den Einsatz für ihre grundlegenden Ziele verwirklichen, die seit den ökumenischen konziliaren Prozessen der 1980er Jahre mit den zentralen Kategorien Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und Frieden zugespitzt formuliert werden, wenn sie sich in politischen Parteien engagieren. Aus theologisch-ethischer Sicht kann ein solches politisches Engagement nur begrüßt und als hervorragende Tat der Nächstenliebe angesehen werden.
Wesentlich durch politisches Gestalten können die Strukturen des menschlichen Zusammenlebens so geregelt werden, dass die institutionellen Grundvoraussetzungen gerechter Gesellschaften geschaffen werden. Wenn das christliche Gebot der Nächstenliebe darauf zielt, das Wohl der Mitmenschen zu fördern, kann dies am besten durch politisches Handeln geschehen, weil praktisch kein anderer Bereich menschlichen Gestaltens eine so breite Wirkung hinsichtlich des Personenkreises und des Ausmaßes der Wohlfahrtsförderung erreichen kann. Ebenso groß kann aber auch das Unheil sein, das von Politik verursacht werden kann, weshalb Christen in der Politik dem entgegentreten können. Politiker zu werden, um das Gemeinwohl zu fördern, kann durchaus im religiösen Sinne als Berufung verstanden werden: "Wer dazu geeignet ist oder sich dazu ausbilden kann, soll sich darauf vorbereiten, den schweren, aber zugleich ehrenvollen Beruf des Politikers auszuüben, und sich diesem Beruf unter Hintansetzung des eigenen Vorteils und materiellen Gewinns widmen."
Da in modernen Gesellschaften Parteien eine unverzichtbare Rolle für politisches Handeln einnehmen und ohne diese politisches Gestalten zum Allgemeinwohl kaum möglich erscheint, ist eine Mitwirkung von Christinnen und Christen in politischen Parteien erwünscht. Dabei sollten sie sowohl Inhalte vertreten, die christlichen Wertvorstellungen entsprechen, als auch sich im politischen Wettbewerb und Meinungskampf nur ethisch zu billigender Instrumente und Methoden bedienen. In der Weimarer Republik war es den politischen Parteien nicht gelungen, durch hinreichende inhaltliche Übereinstimmung und Kompromissfähigkeit sowie eine angemessene politische Kultur im Parteienwettbewerb der jungen Demokratie hinreichende Stabilität zu verleihen.
Christen in politischen Parteien in Deutschland
Das politische Engagement von Christen war in Deutschland bis 1933 weitgehend konfessionell getrennt. Zwar war die Zentrumspartei nominell nicht katholisch, doch de facto traf dies zu. Zaghafte Bemühungen, die Partei nach 1918 konfessionell zu öffnen, blieben ohne Bedeutung. Sie war hinsichtlich ihrer Wähler- und Mitgliedschaft die Partei der kirchentreuen Katholiken, die sich durch regelmäßigen Gottesdienstbesuch und Mitgliedschaften in katholischen Organisationen auszeichneten. Diese Organisation erfolgte jenseits der sozioökonomischen Interessenkonflikte zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern, Großgrundbesitzern und Kleinbauern, Handwerksmeistern und Gesellen.
Der Zentrumsfraktion im Reichstag gehörten bis 1933 Priester und Laien, darunter viele Adlige, an. Das Verhältnis der Zentrumspartei zum Papst und den Bischöfen war nicht immer spannungsfrei. So kam es etwa auf dem Katholikentag 1920 in München zum Zusammenstoß zwischen dem Münchener Erzbischof Kardinal Faulhaber, welcher der Monarchie der Wittelsbacher nachtrauerte und die Weimarer Demokratie ablehnte, und dem rheinischen Zentrumspolitiker und Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der die Katholiken aufforderte, den Weimarer Staat zu unterstützen.
Protestanten engagierten sich vorwiegend in konservativen und deutschnationalen Parteien. Noch in der Weimarer Republik hing die Mehrzahl der evangelischen Pastoren deutschnationalen Parteien an. Kräfte in der evangelischen Kirche, die als religiöse Sozialisten eine Verbindung zwischen Christentum und Sozialismus anstrebten, waren zwar größer als vergleichbare Gruppen in der katholischen Kirche, blieben jedoch eine sehr kleine Minderheit.
Neubeginn nach 1945
Aus dem Bewusstsein heraus, dass nach den Verbrechen des Nationalsozialismus nur eine Neuordnung Deutschlands auf christlicher Grundlage möglich sei, wurden 1945 die Christlich Demokratische Union (CDU) und die Christlich-Soziale Union (CSU) als interkonfessionelle neue Parteien gegründet. Der konkurrierende Versuch, die katholische Zentrumspartei wiederzubeleben, scheiterte, weil diese weder bei den Bischöfen noch bei Führungspersonen katholischer Laienorganisationen die notwendige Unterstützung fand. Die Zentrumspartei blieb eine Splitterpartei, während CDU und CSU als Schwesterparteien zur stärksten politischen Kraft in der Bundesrepublik aufstiegen.
Eine solche interkonfessionelle Zusammenarbeit war damals theologisch noch nicht selbstverständlich und nicht ohne Risiken. Daher unterließ man es in beiden Parteien, programmatische Grundsatzdebatten über das "C" im Namen bis zu den theologischen Fundamenten vorstoßen zu lassen, weil sich hier Unterschiede zwischen dem katholischen Naturrecht und der protestantischen Priorität der biblischen Schriften (sola scriptura) aufgetan hätten. CDU und CSU beschränkten sich vielmehr auf pragmatische Politikkonzeptionen, die wie die "Soziale Marktwirtschaft" erfolgreich verbreitet werden konnten. Die CDU, noch stärker die CSU, waren nach Gründung der Bundesrepublik sowohl von der Wählerschaft, der Mitgliedschaft wie den Mandats- und Funktionsträgern von Katholiken dominierte Parteien. Die protestantische Minderheit organisierte sich im Evangelischen Arbeitskreis, der drei zentrale Aufgaben übernahm: die Verbindung von CDU und CSU zur evangelischen Kirche zu halten, in der Parteiprogrammatik allzu eindeutig katholische Positionen beziehungsweise Semantiken zurückzudrängen und eine ausreichende protestantische Repräsentanz in Führungspositionen von Parteien, Parlament und Regierung zu fordern. Während der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) dem katholischen Glauben angehörte, waren die Parlamentspräsidenten Hermann Ehlers und Eugen Gerstenmaier die führenden evangelischen Repräsentanten in der CDU. Der Konfessionsproporz spielt seit den 1980er Jahren in den Unionsparteien keine große Rolle mehr.
Für die katholische Kirche besteht seit 1945 ein wesentlicher Unterschied zur Zeit vor 1933 darin, dass Priester keine Erlaubnis mehr erhalten, sich in politischen Ämtern zu betätigen. Zwar ist es ihnen auch heute möglich, einfaches Parteimitglied zu sein. Sie dürfen aber keine Parteifunktionen und Parlamentsmandate übernehmen. Hingegen können evangelische Pastoren sich auch parteipolitisch herausgehoben engagieren und Parlamentsmandate annehmen. Sie werden in diesem Fall von der Kirche von ihrem Pastorenamt beurlaubt. Im Deutschen Bundestag hat es sowohl in der SPD- wie in der CDU/CSU-Fraktion evangelische Pastoren gegeben, wobei die Zahl der Pastoren bei der SPD bis heute größer ist.
Bereits bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates über das Grundgesetz war deutlich geworden, dass SPD und FDP die Rechte der Kirchen und explizit christliche Wertpositionen viel zurückhaltender in die Verfassung aufnehmen wollten als die Unionsparteien. Daher wurden als Kompromiss die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung als Artikel 140 in das Grundgesetz übernommen. Die FDP profilierte sich in den 1950er und 1960er Jahren als Partei, die einen zu starken kirchlichen Einfluss auf das öffentliche Leben ("Kampf dem Klerikalismus") zurückdrängen wollte. Dies entzündete sich vor allem in den Bundesländern, wo die Frage der Konfessionsschulen vielfach ein Streitthema war. Vor allem für kirchengebundene Katholiken kam ein politisches Engagement in der FDP zu Beginn der Bundesrepublik nicht in Frage.
In der Sozialdemokratie galt bis zum Godesberger Programm 1959 das Heidelberger Grundsatzprogramm von 1925, das deutliche religions- und kirchendistanzierte Bezüge aufwies. Trotzdem engagierten sich nach 1945 viele Protestanten in der Sozialdemokratie, weil sie vor allem in einer veränderten Wirtschaftsordnung eine Konsequenz aus dem Nationalsozialismus sahen. Die Distanz von kirchengebundenen Protestanten zur Sozialdemokratie in den 1950er Jahren kam dadurch zum Ausdruck, dass Personen wie Gustav Heinemann nach seinem Austritt aus der CDU, Johannes Rau oder Erhard Eppler zunächst die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) gründeten und sich erst später der Sozialdemokratie anschlossen, mit der sie in höchste Staatsämter gelangten. Die stärkere Orientierung der Protestanten zur Sozialdemokratie wurde von prominenten Theologen wie Karl Barth untermauert, der Harmonie von Sozialismus und Christentum propagierte.
Engagierte Katholiken in Führungspositionen der Sozialdemokratie blieben bis 1970 die Ausnahme. In den 1960er Jahren war der Gewerkschaftsvorsitzende und spätere Bundesminister Georg Leber eine solche Persönlichkeit. Später übernahmen viele Katholiken auch in der SPD Spitzenämter. Eine Pluralisierung des politischen Engagements von Katholiken setzte sich erst im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils durch. Dabei waren zwei Faktoren entscheidend: Erstens hatten SPD und FDP ihre traditionellen weltanschaulichen Positionen hinter sich gelassen und sich so auch für Katholiken geöffnet. Zweitens wurde auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil das Verhältnis von Kirche und Welt neu bestimmt. Indem in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes"
Gerade der letzte Aspekt führte in der Diskussion um die Liberalisierung des Paragraphen 218 in den 1970er Jahren noch einmal zu erheblichen Konflikten zwischen der katholischen Amtskirche und katholischen Laienorganisationen, ihrem Zusammenschluss im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) einerseits sowie der Sozialdemokratie und der FDP, später auch der neu gegründeten Partei der Grünen anderseits. Damit Abgeordnete nicht zwischen der Loyalität zu Mehrheitsbeschlüssen ihrer Partei und den ethischen Auffassungen ihrer Kirchen entscheiden müssen, ist es seit Längerem im Deutschen Bundestag üblich, dass es bei Themen, die ethische Grundsatzfragen berühren, etwa Abtreibung, Stammzellenforschung oder Patientenverfügung, keine Abstimmungsempfehlungen der Fraktionen gibt, sondern parteiübergreifende Anträge von Abgeordneten formuliert werden, für welche die jeweiligen Unterzeichner Mehrheiten suchen. Bei einer Reihe dieser Fragen gibt es zudem zwischen beiden großen Kirchen sowie zwischen theologischen Ethikern unterschiedliche Auffassungen, wie die jüngste Änderung des Gesetzes zur Stammzellenforschung gezeigt hat. Da sich aufgrund dieser Abstimmungspraxis kein Christ gedrängt sieht, in solchen ethischen Grundsatzfragen gegen sein Gewissen und gegen kirchliche Überzeugungen zu handeln, steht einem politischen Engagement von Christen in verschiedenen politischen Parteien nichts entgegen.
Nach dem Fall der Mauer 1989 und der Wiedervereinigung hat sich durch die PDS/Linkspartei eine neue Konstellation ergeben. Aufgrund der kirchenfeindlichen Haltung der SED in der DDR gibt es erhebliche Vorbehalte auch gegen ihre Nachfolgeparteien PDS und Die Linke. Bei der friedlichen Revolution und nach 1989 haben sich in den östlichen Bundesländern viele Christen parteipolitisch engagiert. Während die Mehrzahl der Bevölkerung in Ostdeutschland (etwa 70 Prozent) nicht getauft ist, bilden in den Landtagen vielfach Christen, die unterschiedlichen Parteien angehören, eine deutliche Mehrheit (vor allem in Sachsen und Thüringen).
Probleme des parteipolitischen Engagements
Für Christen, die sich politisch engagieren wollen, stellt sich zunächst die Frage, für welche Partei sie sich entscheiden sollen: "Der Christ kann keine Partei finden, die den aus seinem Glauben und seiner Kirchenzugehörigkeit entsprechenden ethischen Forderungen voll und ganz entspricht: Deshalb soll seine Zugehörigkeit zu einem politischen Lager niemals ideologisch, sondern immer kritisch sein."
Weiterhin stellt sich für Christen die Bestimmung ihres Verhältnisses zu ihrer Kirche und zu christlichen Organisationen, insbesondere, wenn die Mehrheit der Parteimitglieder keine engagierten Christen darstellt. Da es in evangelischen Kirchen kein Lehramt wie im katholischen Bereich gibt, ist dies für Protestanten einfacher. Das Lehramt der katholischen Kirche gibt in der Moral- und Soziallehre Vorgaben, und es wird erwartet, dass sich Katholiken in der Politik an diesen orientieren. Dabei vertritt die Kirche die Auffassung, dass es sich nicht etwa um katholische Sondernormen handelt, die in einer pluralistischen Gesellschaft nun allen Staatsbürgern vorgegeben werden sollen, sondern um allgemein-menschliche Werte, die auch von Nichtkatholiken und Nichtchristen eingesehen werden können und für diese annehmbar sind. Unter diesen Normen stellt der Lebensschutz von der Befruchtung bis zum Ende des Lebens den Kern dar. Katholiken haben immer für einen umfassenden Lebensschutz einzutreten.
In der Vergangenheit hat es politische Fragen gegeben, in denen sich katholische Laien amtskirchlichen Vorgaben (z.B. nach Abschaffung der Konfessionsschule) entzogen haben und amtskirchliche Forderungen als Grenzüberschreitungen zurückgewiesen haben. Es existiert also ein immer wieder neu auszutarierender Bereich zwischen einer legitimen kirchlichen Verkündigung, die aus christlicher Sicht ethische Grundfragen des Politischen anspricht, und der Autonomie politisch handelnder Laien, die in eigener Verantwortung und Sachkompetenz politische Entscheidungen treffen müssen. Angesichts der Pluralität des christlichen Engagements in politischen Parteien darf mit Recht erwartet werden, dass sich Christen mit unterschiedlichen parteipolitischen Optionen nicht gegenseitig als "unchristlich" verurteilen oder gar bekämpfen. Dies bedeutet etwa, dass das "C" in CDU und CSU als freiwillig angenommene Selbstverpflichtung, aber nicht als exklusiver Anspruch zu verstehen ist.
Von Christen ist weiterhin zu erwarten, dass sie auch Nichtchristen mit Achtung und Respekt begegnen. Sie können für sich per se keinen Vorrang in Werte- wie in Sachkompetenz beanspruchen, sondern haben die Argumente anderer zu beachten. Parteipolitisches Engagement von Christen, wenn es tatsächlich mit Einfluss verbunden ist, kann auf Grund seiner Dauerhaftigkeit, seiner Zeitintensität und seines Aufwandes etwa in zeitlicher Hinsicht mit anderen Verpflichtungen wie der Pflege der Beziehungen in Familien oder im Freundeskreis, aber auch mit religiösen Pflichten (Gottesdienstbesuch) in Konflikt geraten.
Für Christen bleibt Politik immer etwas Vorläufiges und Relatives. Sie werden daher politische Ideologien mit umfassendem Weltanschauungscharakter und Erlösungsanspruch zurückweisen. Solche Ansprüche können sie aufgrund der christlichen Anthropologie, die um die Anfälligkeit der Menschen für sachliche und moralische Irrtümer weiß, nicht annehmen. Weiterhin sollte der christliche Glaube politisch handelnde Christen ermuntern, über die Vertretung ihrer eigenen Interessen hinauszugehen und sich durch einen Gerechtigkeitssinn auszuzeichnen, der die Interessen anderer, auch von Nichtwählern, z.B. kommender Generationen, Ausländer, der "Dritten Welt", einbezieht. Das Handeln von Christen in der Politik steht unter dem Selbstanspruch, einen Beitrag zu größerer Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu leisten.