Einleitung
Architektur und Städtebau haben - anders als die Stadtplanung - in den vergangenen drei Jahrzehnten verstärkte gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhalten. Die Gründe dafür liegen zum einen in den veränderten Architekturstilen und dem gebauten Raum selbst, zum anderen in der gestiegenen Bedeutung von Architektur innerhalb gesellschaftlicher Diskurse und den damit verbundenen Positionierungen und Instrumentalisierungen. Diese wiederum sind Folgen eines komplexen wirtschaftlichen, technologischen, kulturellen und administrativen Wandels. Vor dem Hintergrund einer sich wieder stärker ausdifferenzierenden Gesellschaft haben die Produktion von Architektur und der Diskurs über diese zunehmend sozial selektive Wirkungen, die sich keinesfalls allein in Geschmacksfragen äußern, sondern auch bestehende soziale Inklusions- und Exklusionsprozesse unterstützen, ermöglichen und legitimieren.
In diesem Beitrag wird darüber reflektiert, dass Architektur und Städtebau in ihren bzw. seinen sozial selektiven Auswirkungen und Bedeutungen strategisch bewusst eingesetzt werden (beispielsweise beim "branding" eines Standortes oder beim "designing out" sozialer Problematik
Ökonomische Umstrukturierung, gesellschaftliche Ausdifferenzierung und Postmoderne
Über das Ausmaß, den Tiefgang, die Komplexität und Reichweite der aktuellen Prozesse des gesellschaftlichen Wandels besteht insofern Konsens, als diese gegenwärtig als intensiv eingeschätzt werden. Dennoch gibt es eine kaum übersehbare Breite an Deutungsangeboten seitens der Sozialwissenschaften, die sich zum einen hinsichtlich der Betonung der positiven resp. der negativen Effekte grundsätzlich unterscheiden, und die zum anderen bei der Betonung der wichtigsten "driving forces" sehr unterschiedliche Schwerpunkte setzen.
Neben der verwirrenden Vielzahl unterschiedlicher Deutungsangebote sehe ich vor allem das Problem, dass die Vielfalt einzelner Aspekte und die noch größere Zahl an Zusammenhängen oftmals auf nur eine Kategorie reduziert werden. Wissenschaftliche Deutungsangebote einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft sind damit ähnlichen Prozessen unterworfen, wie die Architekturproduktion und Positionierung von Gebietskörperschaften: Prozessen der "Ökonomie der Aufmerksamkeit",
Dieses zu kritisieren und gleichzeitig unzulängliche Verkürzungen weitgehend zu vermeiden, ist eine Gratwanderung auf engem Raum. Zentral sind sicherlich die Auswirkungen der Globalisierung als Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Entwicklungen, die vor Ort unterschiedliche Auswirkungen haben: hinsichtlich des Arbeitsmarktes, der Arbeitsbedingungen, der Lohnniveaus, der Prestige von Berufen sowie die daran eng gekoppelten sozialstaatlichen Leistungen, deren Möglichkeiten selbst an die ökonomische Entwicklung gebunden sind. Der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft ist davon analytisch zu trennen, auch wenn es intensive Durchdringungen mit Globalisierungseffekten gibt. In dessen Folge verändern sich Arbeitsinhalte, -motivationen und Identifikationsprofile, was sich wiederum in veränderten Wertvorstellungen, Rollenbildern und Sozialisationsmustern niederschlägt.
Beide Veränderungen führen dazu, dass die Differenzen der Entlohnungen größer werden, die Arbeitsplatzsicherheit in spezifischen Branchen und für bestimmte Bildungsniveaus abnimmt, mit der Folge, dass die sozioökonomischen Ungleichheiten seit den 1980er Jahren wieder zunehmen.
Schließlich verändern sich auch soziodemographische Faktoren, was gegenwärtig vor allem als Überalterung resp. "Unterjüngung" diskutiert wird.
Sozioökonomische und soziodemographische Umstrukturierungen bewirken ihrerseits soziokulturelle Veränderungen: der Geschlechterrollen aufgrund der gerade für Frauen veränderten Bildungsniveaus, der berufsfeldbezogenen Sozialisationsmuster der modernen Dienstleistungsbranchen sowie der gesellschaftlichen Trends aus den Öffnungstendenzen der 1970er Jahre, aber auch der Individualisierung, die in den 1990er Jahren (erneut) ihren Anfang nahmen.
Die gesellschaftlichen Umbrüche, die in den 1980er Jahren ihren Anfang nahmen, werden zudem unterschiedlich interpretiert. Für die Analyse der komplexen Formen des Wandels erscheinen mir die Postfordismus-Thesen, insbesondere die regulationstheoretischen Ansätze am plausibelsten. Für die veränderten Formen, Wahrnehmungen und Instrumentalisierungen von Architektur bietet sich die Bandbreite an Postmoderne-Thesen an, die vor allem unter Künstlern und Architekten einen erheblichen Einfluss auf den Diskurs haben.
Diese Diskurse werden in der Regel voneinander getrennt geführt, beschreiben jedoch aus der jeweils spezifischen Sicht Umbrüche mit zumindest zeitlicher Parallelität, ohne jedoch auf die Wechselbeziehungen zwischen ökonomischer Umstrukturierung und neuen Steuerungsmodellen im zunehmend internationalen Maßstab auf der einen Seite und lokal ausgebildeten Auf- und Umbruchtendenzen im künstlerischen und kulturellen Bereich auf der anderen Seite einzugehen. Erst die Inkorporierung der Breite postmoderner kultureller "Glocalitäten" in flexible Formen der Kapitalverwertung macht den Übergang zur "Ökonomisierung der Kultur" in ihren standortbildenden Wirkungen verständlich.
Die flexiblen Formen der gesellschaftlichen Steuerung treffen ebenso wie die Postmoderne-Thesen zudem auf multiple gesellschaftliche Ausdifferenzierungen. Dabei entspricht die Sichtweise auf eine neue Vielfalt von architektonischen Möglichkeiten und Ausdrucksformen ("form follows fiction", "anything goes") am ehesten dem Lebensstil-Modell (Raum der Lebensstile), steht allerdings den Klassenmodellen fundamental gegenüber (Raum der sozialen Positionen).
Doch nicht nur der Diskurs über die unterschiedlichen Aspekte des umfangreichen Sozialen Wandels
In diesem Zusammenhang nimmt die Möglichkeit, sich mit dem jeweiligen (Wohn-)Ort identifizieren zu können, deutlich zu (auf der regionalen Ebene, der Gemeinde, des Stadtteils und Kiezes) und wird für immobile Gruppen sogar zur Notwendigkeit. In dieser Situation wird eine Zuspitzung der Auseinandersetzung um die kulturelle Hoheit - gegenüber Fremden, die Menschen mit Zuwanderungshintergrund sein können ebenso wie Bourgeois Bohemians (BoBos) -, um neue Einrichtungen des Einzelhandels und der Gastronomie, aber auch neue Architektur resp. städtebauliche Gestaltung des öffentlichen Raumes zu einem wesentlichen Element der Identifikation mit dem Ort. Vor diesem Hintergrund ist die zunehmende Tendenz des Rückzugs in "geschützte Quartiere" nachvollziehbar (über die "gated community", die "edge city" zum Themenwohnen resp. den zahlreichen Projekten des Gemeinschaftswohnens).
Architektur im "Zeitalter der Ästhetisierung"
Architektur ist als gebaute und rhetorische Symbolisierung in spezifische gesellschaftliche Diskurse eingebettet
Gerade die "ModernisierungsgewinnerInnen" und VertreterInnen der neuen, kreativen Dienstleistungsberufe
Diese postmaterielle und -moderne Positionierung ist die Voraussetzung dafür, dass die Ökonomie der Aufmerksamkeit ihre Bedeutung gewinnt und sich vom Ort des Gebäudes lösen kann: "Den eigentlichen Durchbruch der Medienästhetik signalisiert in der Architektur der Umstand, daß es wichtiger geworden ist, wo die Publikation des Hauses erscheint, als wo es steht."
Die dort ausgetauschten, vor allem ästhetischen Codes dienen der Positionsbestimmung in einer Gesellschaftsinterpretation (Bedeutung), die im Diskurs als bedeutsam durchgesetzt wurde. Vor diesem Hintergrund sind postmoderne Architekturformen, resp. der Diskurs über "gute Architektur" eine (wichtige) "Währung" des Tauschs von Positionierungen und - unter "Gleichen" - der Distinktion (Suche nach Individualität).
Architektur und Städtebau als Standortfaktor
Spätestens seit dem Bau des Guggenheim Museums in Bilbao (Frank O. Gehry, 1997)
Durch die Verschiebungen des Kräfteverhältnisses zwischen InvestorInnen und Stadtverwaltungen gerät die Architektur der Profanbauten in ein weiteres Spannungsverhältnis. ArchitektInnen verkleiden durch Fassadengestaltung häufig nur noch die Innenorganisation der Gebäude, deren Struktur vor allem betriebswirtschaftlich bestimmt wird.
Das Guggenheim-Museum ist die "Spitze des Eisbergs" eines Trends, möglichst viele Gebäude unterschiedlicher "Star"-ArchitektInnen
Paradox erscheint in diesem Wettbewerb, dass die Suche nach dem Alleinstellungsmerkmal (usp - unique selling preposition) zu immer gleichen Strategien (Star-Architektur, Städtebau nach den jeweiligen Modeströmungen) und Personen führt, das heißt, dass lediglich "Erfolgsmodelle" kopiert werden.
Die Bedeutung von Architektur und Städtebau für die Verstärkung von Inklusions- und Exklusionstendenzen
Architektur - das ist nicht neu - kann als Identifikationsgegenstand genutzt werden. Ebensowenig neu ist, dass Architektur auch verwendet wird, um Herrschaft und Macht über das Territorium zu bestätigen oder zu erringen, wobei dies nicht nur auf die Gebäude mit ihrer Funktion zutrifft, sondern auch auf die damit verbundenen Symbole (die 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr "senden") resp. die damit verbundenen Diskurse um Urbanität, Moderne, Wettbewerbsfähigkeit, Kreativität etc.
Wenn Architektur und der Städtebau mit ihren Produkten auf spezifische soziale Gruppen zielen, gibt diese Architektur nur diesen Gruppen die Gelegenheit, sich mit deren Ergebnissen über die Ästhetik resp. diskursive Logik zu identifizieren, das heißt, diese Orte zu Ihren Bühnen zu machen.
Augenfälltig wird die in der "zweiten Gründerzeit" an den Orten der frühen Industrialisierung, die nach langer Brache einer neuen Nutzung zugeführt werden. In den alten Hafen- und Industrieanlagen, auf den Bahn- und Postflächen wurden die gegenwärtig größten Baustellen eingerichtet, und diese Flächen wurden mit erstaunlich homogener Ästhetik entwickelt. Statt sich - wie in der Vergangenheit - um soziale Mischung bei funktionaler Trennung zu bemühen, sind diese neu entwickelten Gebiete bei funktionaler Heterogenität sozial eher homogen (nach sozialer Lage und dem sozialen Milieu).
Nicht nur Kaufpreis und Mieten sowie das Preisniveau der Waren machen diese Orte nur für einen Teil der StadtbewohnerInnen zugänglich, sondern auch die architektonischen Formen und gewählten Materialien. Der "teure" Eindruck führt dazu, dass diese Orte von vielen sozialen Gruppen gemieden werden: "In vielen Fällen ist die Semiotik des sogenannten zu verteidigenden Raumes ungefähr so subtil wie ein großspuriger weißer Polizist. Die schicken, pseudoöffentlichen Räume von heute - Luxus-Einkaufspassagen, Bürozentren usw. - sind voll unsichtbarer Zeichen, die den Anderen aus der Unterschicht zum Gehen auffordern. Architekturkritikern entgeht zwar meist, wie die gebaute Umwelt zur Segregation beiträgt, aber die Parias - arme Latinofamilien, junge schwarze Männer oder obdachlose alte weiße Frauen - verstehen ihre Bedeutung sofort."
Eine besondere Bedeutung kommt dem Umbau der Bahnhöfe zu, der in fast jeder deutschen Großstadt durchgeführt wird.
Vor etwa 20 Jahren setzte ein Sicherheitsdiskurs in deutschen Großstädten ein, verursacht durch den Konsum und Handel illegaler Drogen sowie der damit einhergehenden Beschaffungskriminalität und Prostitution. In dieser Situation suchten Kommunen die "Lösung" ihrer Probleme durch den Import von Strategien, die in New York "erfolgreich" eingesetzt wurden. Auf den broken windows-Thesen
Ohne länger über Ursachen und Folgen nachzudenken, geht es in der Strategie darum, die Kontrolle über den Raum zurückzugewinnen. Da die sozialen Gruppen mit eigenständiger sozialer Kontrolle überfordert schienen, trat an ihre Stelle eine institutionelle Kontrolle - meist in Zusammenarbeit von Polizei und privaten Sicherheitsdiensten unter Einsatz technischer Hilfsmittel wie Kameras und Abhöranlagen.
Mit städtebaulichen und architektonischen Maßnahmen soll also die Ordnung im öffentlichen Raum im Sinne einzelner Gruppen hergestellt werden. Mit diesem "designing out" sozialer Problematik, die sich an bestimmten Orten "mit guten Gründen" zeigt, wird zwar der Ort sozial gereinigt, nicht aber das soziale Problem gelöst - es wird allenfalls verlagert.
Subtiler, aber im Ergebnis ähnlich, wirken die "business improvement districts" (BID). Hier finanzieren GrundstückseigentümerInnen sowie Einzelhandels- und Gastronomiebetriebe (bisweilen auch die Kommunen resp. das Bundesland) Maßnahmen zur Verschönerung und Aufwertung des öffentlichen Straßenraumes. Mit architektonischen und gestalterischen Mitteln wird ein Image geprägt, über SSS-Strategien werden "Ordnung und Sauberkeit" gesichert und schließlich über ein gemeinsames Marketing wird die Adresse "gebrandet".
Diese Strategien bilden eine neue "Politik der Lebensstile",