Einleitung
Die Diskussion um das Verhältnis von Architektur und Gesellschaft hat Konjunktur. In verschiedenen (Fach-)Öffentlichkeiten werden die Rolle und Bedeutung der gebauten Umwelt für die gesellschaftliche Entwicklung intensiv debattiert. Das Spektrum der Perspektiven und Interessen ist dabei weit und heterogen: In den anwendungsorientierten Disziplinen Stadtpolitik, Städtebau und Stadtplanung geht es häufig vor allem um den strategischen Einsatz oftmals spektakulärer Architektur für die Ziele der Stadt- oder Quartierserneuerung. Hierfür gibt es zahlreiche aktuelle Beispiele - von Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao über die Londoner Docklands bis hin zur Hamburger Hafen-City oder zum Potsdamer Platz in Berlin.
Architektursoziologinnen und -soziologen wiederum betrachten solche markanten (städte)baulichen Projekte - ebenso wie die Diskussionen oder Aneignungskämpfe, die sich an ihnen entzünden - als bedeutende Ausgangspunkte der Gegenwartsdiagnose: als Materialitäten, die zentrale gesellschaftliche Leitbilder, Werthaltungen, Strukturen und Entwicklungstendenzen verkörpern. In diesem Zusammenhang werden Architekturen gerne als "Abbilder" oder "Spiegel" der Gesellschaft bezeichnet. Diese Feststellung will ich nicht in Frage stellen. Nichtsdestoweniger möchte ich in diesem Beitrag argumentieren, dass Architekturen mehr sind und mehr tun als gesellschaftliche Verhältnisse (bloß) abzubilden oder zurückzuwerfen: Gezeigt werden soll, dass sie (im Zusammenspiel oder Widerstreit mit anderen Medien der Vergesellschaftung) einen wichtigen Beitrag zur Produktion und Reproduktion sozialer Beziehungen leisten.
Diese These möchte ich im Folgenden anhand der langjährigen geschlechterbezogenen Auseinandersetzungen mit den Wirkungen der gebauten Umwelt erläutern. Am Beispiel des Komplexes Wohnen/Wohnumfeld soll der spezifische Beitrag verdeutlicht werden, den die Ergebnisse der Genderforschung zur jüngeren architektursoziologischen Diskussion leisten können, in welcher die Vorstellung von Architektur als zentralem Medium des Sozialen eine große Rolle spielt.
Fordistische Wohnstrukturen als "Anzeiger" patriarchaler Vergesellschaftung
Aus architektursoziologischer Perspektive wird Wohnen als "das gesamtgesellschaftlich verbreitetste Verhalten im Umgang mit Architektur" bezeichnet und gilt "von den Arten der Benutzung der Architektur" als "die gesellschaftlich bedeutsamste, weil sie die meisten Menschen während ihres Lebens einbezieht".
Es überrascht daher kaum, dass die Wohnstrukturen der fordistischen Epoche einer der Schwerpunkte der feministischen Stadt- und Planungskritik waren, die sich Ende der 1970er Jahre in enger Verbindung zur Zweiten Frauenbewegung formierte. Im Elias'schen Sinne wurden diese als präziser "Anzeiger" nicht nur der bürgerlich-kapitalistischen, sondern auch der patriarchalen Verfasstheit der westlich-modernen Industriegesellschaften gedeutet: "als materialisierter Ausdruck eines hierarchischen Geschlechterverhältnisses",
Wohnsuburbanisierung bedeutete die Schaffung und Abgrenzung reiner Reproduktionsräume. Insofern diese auf der Durchsetzung des typischen Lebensmodells der bürgerlichen Kleinfamilie mit vollerwerbstätigem männlichen Haushaltsvorstand einerseits und Vollzeit-Hausfrau und Mutter andererseits beruhte, stand der Begriff "Suburbia" in der geschlechterbezogenen Stadtforschung lange für den patriarchal geprägten Raum schlechthin.
Die strukturelle Nichtbeachtung von Reproduktions- und damit "Frauenarbeit" zeigte sich auch in der Größe, Gestaltung und im Zuschnitt der Wohnungen selbst. Insbesondere die normierten Grundrisse des Großsiedlungsbaus zeichneten sich durch die hierarchische Aufgliederung der überdies sehr engen Räume für eine standardisierte Vater-, Mutter- und Zwei-Kinder-Familie aus. Im Zuge der Rationalisierung der Hausarbeit wurde der einzige "Frauenraum", die Küche, vom zentralen Ort der Wohnung, der "Wohnküche", auf einen minimal ausgestatteten, meist schlecht besonnten Arbeitsraum reduziert. In diesem konnte sich außer der arbeitenden Person niemand anderes mehr aufhalten. So wurde Hausarbeit auch innerhalb der Wohnungen mehr und mehr isoliert und unsichtbar gemacht. In Bezug auf das Wohn- und Quartiersumfeld der monofunktionalen Siedlungen wurden vor allem schlechte öffentliche Personennahverkehrsanbindungen, fehlende Einrichtungen zur Deckung des täglichen und speziellen Bedarfs (zum Beispiel Kinder- und Frauenärzte) sowie die mangelnde Ausstattung mit Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Sport- und Spielstätten beanstandet.
Architekturen als Medien sozialer (Geschlechter-)Beziehungen
Forschungsergebnisse haben vielfach belegt, dass die wohnungs- und städtebaulichen Strukturen der fordistischen Epoche maßgeblich zur Erschwerung und Einengung des Alltagslebens von Frauen und zur Befestigung geschlechtsspezifischer Rollenzuweisungen beitrugen und so zum "Emanzipationshindernis" wurden.
Architektur erweist sich damit als wichtige "Konstruktionsmacht von Lebenswelten",
Charakteristika des feministischen Architekturverständnisses
Wie diese Ausführungen zeigen, zeichnet sich die feministische Sichtweise auf die gebaute Umwelt durch einen weiten Architekturbegriff aus, der die Gesamtheit der baulichen Bestände vom einzelnen Gebäude bis zum architektonischen Ensemble und ausdrücklich auch die städtebaulichen Kontexte einbezieht.
Ein anderes wesentliches Kennzeichen der Gender-Perspektive auf Architekturen ist der starke Alltagsbezug. Dieser drückt sich in zweifacher Hinsicht aus: Zum einen ist für den gendersensiblen Blick gerade "das alltägliche Bauen" respektive die "Alltagsarchitektur der Gesellschaft" besonders aussagekräftig für das Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse und Entwicklungen. Hierin unterscheidet sich die feministische Sicht auf Architekturen fundamental von einer Architekturtheorie oder -soziologie, welche die Strukturen und den Wandel der Gesellschaft vor allem an "starchitecture", also an spektakulären, repräsentativen oder avantgardistischen Bauwerken ablesen will. Wenngleich Vertreterinnen und Vertreter der Gender Studies die gesellschaftsdiagnostische Bedeutung solcher Architekturen keinesfalls in Abrede stellen und selbst gewinnbringend für geschlechterkritische Analysen nutzen, so unterstreichen sie in ihren Arbeiten doch die in den meisten Architekturbetrachtungen stets vernachlässigte große Wirkmächtigkeit der Alltagsarchitekturen für die alltägliche Lebensgestaltung sowie deren Eigenschaft als Medien der alltäglichen materiellen und symbolischen Produktion und Reproduktion (hierarchischer) sozialer Beziehungen.
Zum anderen ist, damit eng zusammenhängend, der Lebensalltag derjenigen, für die (nicht) geplant wird, ein wichtiger Maßstab der Betrachtung. In Bezug auf die Deutung und Bewertung architektonischer Produkte zeichnet sich das feministische Architekturverständnis durch den hohen Stellenwert aus, der nicht nur der formal-ästhetischen, auf die Symbolik von Bauwerken fokussierenden, sondern auch der sozialen, nutzungs- und gebrauchswertorientierten Dimension beigemessen wird.
Von Frauen zu Gender: Entwicklungen im Feld der Geschlechterforschung
In der ersten Phase der feministischen Stadt- und Architekturkritik, die nicht zufällig in der Ära der höchsten Verfestigung des traditionellen Geschlechterrollenmodells einsetzte, konzentrierten sich Analyse und Kritik auf die sträfliche Vernachlässigung der Anforderungen, die sich aus der alltäglichen Verrichtung von Haus- und Reproduktionsarbeit ergaben, und auf das Ziel von deren gesellschaftlicher wie planerisch-gestalterischer Aufwertung und Anerkennung. Diese historisch bedingte Fixierung auf den Lebensalltag von Hausfrauen und Müttern ist längst überwunden. Mit der zunehmenden Differenzierung von Arbeits- und Lebenswelten trat die polarisierende Sichtweise auf Männer- und Frauenwelten in den Hintergrund zugunsten einer differenzierten Betrachtung unterschiedlichster Alltagsmuster und Lebenszusammenhänge.
Die Gender Studies sind heute ein multiparadigmatisches Feld, zu dem Frauen-, Männer- und Geschlechter- sowie "Queer"-Forscherinnen und -Forscher aus dem ganzen Spektrum der Wissenschaften beitragen. Geschlecht wird dabei nicht (mehr) vor allem als ein Merkmal von Personen aufgefasst, sondern als ein zentrales Organisations- und Strukturprinzip der Gesellschaft. Neben die Analyse der Wirkungen von "Geschlecht" als einem wesentlichen (mit anderen Strukturkategorien zusammen wirkenden) Faktor der ungleichen Positionierung im sozialen Raum sind vor allem Fragen nach den basalen Prozessen der kulturellen und sozialen Herstellung von "Geschlecht", das heißt nach den "Modi und Medien" der Geschlechterkonstruktionen sowie nach den Möglichkeiten von deren Subversion getreten.
Im Fokus: Gentrifizierung
Viele der Entwicklungen und Ausdifferenzierungen im Feld der Gendertheorie lassen sich an den geschlechterbezogenen Forschungen zu Stadt, Raum und Architektur nachvollziehen.
Aus der Vielfalt der Themen möchte ich, um beim Beispiel der Wohnstrukturen zu bleiben, die geschlechterbezogenen Analysen von Gentrifizierungsprozessen herausgreifen.
Ähnlich wird die "gay gentrification" als Resultat urbaner Emanzipationsbestrebungen gedeutet. Sie gilt als gezielte und bewusste Antwort einkommensstarker, überwiegend weißer Mittelklassemänner auf die Erfahrungen von alltäglicher Marginalisierung, sexueller Unterdrückung und aggressiver Homophobie: "Gentrification was just one of the ways in which gay identity was consolidated, gay space was asserted and sexuality could be performed out of the closet' without fear of opposition."
Anders als dieser letzte Abschnitt es nahelegen mag, wird dabei die Kehrseite dieser Entwicklungen von der kritischen Genderforschung keineswegs übersehen: dass nämlich die Schaffung nicht-traditioneller, tendenziell emanzipatorischer Räume für die privilegierten Gewinnerinnen und Gewinner des gesellschaftlichen Strukturwandels mit der Verdrängung einkommensschwacher Schichten aus ihren angestammten Wohngebieten einhergeht. Insofern belegen gerade die Untersuchungen von Gentrifizierungsprozessen die unlösbare Verbindung von "Geschlecht" und "Sexualität" mit anderen Strukturkategorien wie "Ethnie" oder "Klasse/Schicht".
Schlussfolgerungen
Die zuletzt zitierten Studien können exemplarisch für eine allgemeine Veränderung der Blickrichtung in der Analyse des Verhältnisses von Gender und Architekturen stehen: Thematisiert wird nicht mehr vor allem die Behinderung und Benachteiligung marginalisierter Gruppen durch baulich-räumliche Strukturen, sondern die aktive planerische Herstellung, Aneignung und Umgestaltung/Umdeutung von Gebäuden, Räumen und Orten in oftmals widerständigen und konfliktreichen sozialen Prozessen.
Auch in neueren Forschungen werden die Wechselwirkungen betont, die zwischen Architekturen, sozialen Strukturen und Prozessen bestehen. Architekturen bringen hierarchisch (nach Geschlecht, Klasse, Ethnie, Alter etc.) differenzierte soziale Beziehungen nicht nur zum Ausdruck, sie bringen sie selbst mit hervor und sind wichtige Faktoren ihrer Reproduktion. Aus Genderperspektive bedeutet dies: Geschlechterbilder, Annahmen über das Wesen der Geschlechter und die diesen entsprechenden Rollen gehen in die Gestaltung der gebauten Umwelt ein; sie werden buchstäblich versteinert oder betoniert. Solchermaßen materialisiert, machen sie sich wiederum als Voraussetzungen geltend, unter denen Geschlechterbeziehungen ausgehandelt werden.