Einleitung
Wenn moderne Gesellschaften als Konsumgesellschaften beschrieben werden, dann impliziert dies eine Reihe von Bestimmungsmerkmalen: Nicht jeder Gebrauch und Verbrauch von Gütern ist Konsum. Zum Konsum gehört, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr um ihr Überleben kämpfen muss. Stattdessen geht es jetzt um die Gestaltung des Lebens mit Hilfe von Gütern, für die keine Notwendigkeit, dafür aber die Freiheit der Wahl besteht. Vorsichtiger formuliert: Die Notwendigkeit physischer Existenzsicherung wird von der Notwendigkeit sozial-distinktiver Existenzsicherung abgelöst. Damit verbunden ist die Massenproduktion von Gütern für einen anonymen Markt kaufkräftiger Kundinnen und Kunden, was heißt: Konsumgesellschaften sind immer auch Gesellschaften des Warentausches, der Monetarisierung und des (relativen) Wohlstandes.
In einer entwickelten Konsumgesellschaft werden nicht nur Güter als Waren produziert, sondern gleichzeitig wird auch der Versuch unternommen, die Bedürfnisse zu produzieren, die eine steigende Nachfrage nach den betreffenden Waren sichern. Psychostrukturell setzt dies Konsumenten voraus, die keine dauerhaften Bindungen an Güter entwickeln, sondern stets bereit sind, sogar gebrauchsfähige alte Güter durch neue zu ersetzen. In dieser Hinsicht ist die Konsumgesellschaft immer auch eine Wegwerfgesellschaft, deren Müllberge mindestens so schnell wachsen wie ihre Warenlager.
Spätestens dieses Bestimmungsmerkmal fordert zu einer wertenden Stellungnahme des Begriffes der Konsumgesellschaft heraus. Deshalb führt die Konsumkritik,
Für Konsumgesellschaften ist der Glaube konstitutiv, dass das subjektive Wohlbefinden der Bürger maßgeblich davon abhängt, wie gut sie mit Konsumgütern ausgestattet sind. Die Konsumkritik stellt diesen Glauben unter Ideologieverdacht: Er diene dazu, dass sich die Bürger von der politischen Öffentlichkeit fern halten; dass sie sich mehr für eine Demokratisierung des Konsums als für eine demokratische Kontrolle der Herrschenden einsetzen und damit letztlich blind für die politische Partei votieren, die ihnen eine Glück verheißende Güterausstattung verspricht.
Sehnsucht nach Glück
Wer aus einer psychoanalytischen Perspektive auf das Glück blickt, sieht sich mit einer tiefen Skepsis des Ur-Vaters der Psychoanalyse Sigmund Freud konfrontiert: "Dass der Mensch glücklich' sei, ist im Plan der Schöpfung' nicht enthalten."
Ungeschmälerte Lust gibt es nur im Naturzustand des Menschen, der aber erweist sich als eine retrospektive Phantasie, da erst die Kultur den Menschen zum Menschen macht. Der Mensch weiß, dass er nie ungeschmälerte Lust erlangen wird, so wie er weiß, dass er sterben muss. Und das kränkt ihn, da das Lustprinzip, das ihn als einziger "Lebenszweck"
Da der Mensch diese Situation schwer erträgt, ersinnt er beständig neue "Linderungsmittel",
Ersatz wofür? Solange das Lustprinzip regiert, gibt es keinen Ersatz für das erstrebte und ersehnte Ziel einer ungeschmälerten Triebbefriedigung. Ersetzt werden kann lediglich das Gut, das mehr oder weniger bewusst die Hoffnung nährt, mit ihm lasse sich ungeschmälerte Triebbefriedigung erreichen. Und der vom Lustprinzip regierte Mensch glaubt gern, dass jedes neue Gut endlich das Glück bringt, das alle vorhergehenden nicht gebracht haben. Denn Menschen sind und bleiben anfällig für Glücksversprechen und damit auch all denen hörig, die ihnen Glück versprechen. Verführbarkeit ist ein konstitutives Merkmal der Menschheit, die auch durch die Anerkennung des Realitätsprinzips, das Einsicht in die Kultur stiftende Notwendigkeit eines Verzichts auf ungeschmälerte Triebbefriedigung verlangt, nicht dauerhaft verhindert werden kann.
Glück und Zufriedenheit
Die empirische Forschung differenziert in der Regel nicht oder nur unzureichend zwischen Glück und Zufriedenheit. Beides ist aber nicht dasselbe, weshalb wir jemandem, dem wir alles Gute wünschen, eigentlich wünschen, er möge "glücklich und zufrieden" sein. Während Glück - ganz so, wie es Freud denkt - ein emotionales Spitzenerlebnis meint, klingt Zufriedenheit sehr viel abgeklärter und bescheidener. Wer zufrieden ist, hat seinen Frieden gefunden, verlangt nicht mehr Befriedigung, als er erhält. Demnach ist Zufriedenheit mehr als Unglücklichsein, aber weniger als Glücklichsein. Glück und Zufriedenheit in einem Atemzug zu nennen, verweist darauf, dass beide zusammen das Optimum ergeben. Auf der einen Seite steht das Streben nach Glück: danach, mehr als die derzeit möglichen Befriedigungen vom Leben zu erwarten; auf der anderen Seite das gegenläufige Streben, sich mit den erreichten Befriedigungen zufrieden zu geben, ohne in Enttäuschung zu versinken. Das Streben nach Glück treibt an, das nach Zufriedenheit mäßigt: Wer seine Ansprüche, glücklich zu werden, sehr hoch setzt, dem fällt es schwer, sich mit dem zufrieden zu geben, was er erreicht. Wer sie zu gering ansetzt, der gibt sich zu schnell zufrieden, ohne das, was ihm zu erreichen möglich wäre, auch nur anzustreben. Wer bei seinem Glücksstreben die Zufriedenheit aus den Augen verliert, der riskiert, mit nichts zufrieden und deshalb ständig getrieben zu sein, wodurch letztlich das Glück dahin geht, dem er nachjagt. Wer bei seinem Zufriedenheitsstreben das Glück aus den Augen verliert, der erniedrigt sein Glücksstreben zur bloßen Unglücksvermeidung - und riskiert mit dieser defensiven Haltung, arm an Lebenslust und Lebensfreude zu bleiben. Obgleich also die Unterscheidung zwischen Glück und Zufriedenheit psychologisch triftig ist, soll sie im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter verfolgt werden. Stattdessen wird, wie in vielen Untersuchungen üblich, von subjektivem Wohlbefinden die Rede sein.
Wohlstand und subjektives Wohlbefinden
Viele Bürgerinnen und Bürger einer Konsumgesellschaft glauben, ihr subjektives Wohlbefinden wäre größer, wenn sie über mehr Geld und damit auch mehr Möglichkeiten verfügten, sich Konsumgüter zu kaufen. Forschungsbefunde belegen jedoch, dass dies nur mit Einschränkungen gilt.
Zu den Faktoren, für die es empirische Bestätigungen gibt, gehören: sichere Arbeitsplätze, physische und psychische Gesundheit, Zugehörigkeit vermittelnde soziale Beziehungen, eine sinnstiftende (religiöse) Weltanschauung, eine unzerstörte Umwelt und - nicht zuletzt - eine freiheitliche gesellschaftliche Ordnung. So ist festzustellen,
Je mehr solcher Faktoren in eine Analyse einbezogen werden, desto mehr relativiert sich - vor allem in reiche(ren) Ländern - der Einfluss, den der (finanzielle, materielle) Wohlstand auf das subjektive Wohlbefinden hat. Damit stellt sich dann auch die Frage, ob das Entwicklungsniveau eines Landes wirklich am besten durch sein wirtschaftliches Wachstum zu kennzeichnen ist. So wird etwa dafür plädiert, einen differenzierten "Happiness-Index" einzuführen, der das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Maßstab der politischen Gestaltung einer wohlgeordneten Gesellschaft ablösen soll.
Kompetent Konsumieren
Keine noch so starke Ausdifferenzierung der Einflussfaktoren aber kann das subjektive Wohlbefinden der Bürger allein auf ihre objektiven Lebensbedingungen zurückführen. Vielmehr kommt es immer auch auf die psychische Verarbeitung dieser Bedingungen an. Vier Fälle lassen sich unterscheiden: Sind die objektiven Lebensbedingungen und das subjektive Wohlbefinden beide (1) gut oder beide (2) schlecht, dann ist das in sich stimmig oder konsistent. Es können aber auch Inkonsistenzen vorkommen: Dann sind (3) die objektiven Lebensbedingungen gut, aber das subjektive Wohlbefinden schlecht, oder aber (4) das subjektive Wohlbefinden gut, obwohl die objektiven Lebensbedingungen schlecht sind.
Die Fälle (3) und (4) verweisen darauf, dass das Erleben und Handeln von Menschen nicht allein durch äußere Faktoren determiniert ist, vielmehr erleben und handeln sie nach ihren Wahrnehmungen, und diese sind selektiv, wobei bewusste, aber auch vor- und unbewusste lebensgeschichtliche Erfahrungen, die sich als bestimmte Persönlichkeitsstrukturen niedergeschlagen haben, die Selektionsparameter sein können. Das erklärt, warum Menschen mit gleichen objektiven Lebensbedingungen ein sehr unterschiedliches Ausmaß subjektiven Wohlbefindens aufweisen können.
Wie groß dieses Ausmaß ist, hängt von einer Kompetenz ab, die man "Lebenskunst"
Hinsichtlich der Dynamik von Bedürfnis, erwarteter und tatsächlich erfolgter Befriedigung können Konsumenten eine ganze Reihe von Fehleinschätzungen unterlaufen: Erstens: Sie wählen ein bestimmtes Konsumgut aus, weil es ein bestimmtes Bedürfnis befriedigen soll; das ausgewählte Konsumgut bietet aber keine bedürfnisspezifische Befriedigung, Zweitens: Das Konsumgut bietet zwar eine solche Befriedigung, die Konsumenten erwarten aber - aus welchen Gründen auch immer - eine größere Befriedigung, als sie das Konsumgut zu bieten vermag. Drittens: Die erwartete Befriedigung tritt zwar ein, die Konsumenten unterschätzen aber, wie schnell sie sich an diesen Effekt gewöhnen und dass mit jedem Gebrauch des bedürfnisspezifischen Konsumguts dessen Befriedigungswert sinkt und es sie zu langweilen beginnt.
Werden zur Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses verschiedene Varianten desselben Konsumgutes bzw. verschiedene Konsumgüter angeboten, hat ein Konsument die Qual der Wahl, die mit der Anzahl der Alternativen zunimmt. Einerseits schätzt er die Vermehrung seiner Wahlmöglichkeiten, weil sie eine vergleichsweise individuelle Güterausstattung erlaubt und drohender Langeweile begegnet, andererseits fühlt er sich aber auch schnell überfordert. Denn mit der Vermehrung seiner Wahlmöglichkeiten steigen auch seine Opportunitätskosten: Da er den Befriedigungswert eines wählbaren, aber nicht gewählten Konsumgutes nicht kennt, muss er befürchten, die Alternative zu verpassen, die ihn am meisten befriedigt haben würde, hätte er sie gewählt. Das kann zu einem mehr oder weniger bewussten Druck führen, ein gewähltes Konsumgut bereits zu einem Zeitpunkt durch eine Alternative zu ersetzen, bevor es überhaupt seinen Befriedigungswert entfalten konnte. Mit anderen Worten: Der Konsument erlebt es nur deshalb als langweilig, weil er es an einem größeren Befriedigungswert misst, den er sich für ein alternatives Konsumgut vorstellt. Kommt dies gewohnheitsmäßig vor, bleibt er unter seinen Befriedigungsmöglichkeiten und wird dauerhaft unzufrieden sein.
Die Entscheidung, die Konsumenten für ein bestimmtes Konsumgut als Mittel zur Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses treffen, ist immer auch durch ihre Bezugs- bzw. Statusgruppe mit bedingt, der sie sich darin mehr oder weniger bewusst fügen. Sie handeln damit wertrational, was ihre Entscheidungen erleichtert, weil die "Moral" der Gruppe vorschreibt, bestimmte Konsumgüter (wenn nicht sogar bestimmte Bedürfnisse) zu ächten. Solange die Konsumenten freiwillig verzichten, wird der Befriedigungswert der moralisch legitimierten Konsumgüter durch den der Zugehörigkeit zu der Gruppe erhöht. Je mehr sie sich aber zu einem Verzicht gezwungen fühlen, desto mehr wird der Befriedigungswert des Konsumgutes um den der Zugehörigkeit zu der Gruppe geschmälert, was die bisher geächteten Konsumgüter als besonders befriedigend erscheinen lässt: Ihr Befriedigungswert wird überschätzt, weil sie bisher geächtet (oder sonst wie unerreichbar) gewesen sind.
Freilich müssen Bedürfnisse nicht zwangsläufig durch den Erwerb und den Gebrauch von Konsumgütern befriedigt werden. Dass es in einer Konsumgesellschaft eine Präferenz für diese Art der Bedürfnisbefriedigung gibt, hängt mit dem Glauben zusammen, es seien die Güter, die aus sich selbst heraus befriedigten. Der Befriedigungswert eines Konsumgutes hängt jedoch davon ab, wie Konsumenten es gebrauchen, und ist somit das Resultat eines Aneignungsprozesses. Je besser Konsumenten ihre eigene Bedürfnisstruktur und die Gebrauchsbedingungen eines bedürfnisspezifischen Konsumguts kennen, desto mehr Befriedigung können sie gewinnen.
Traumarbeit im Warenparadies
Wenn die Konsumgesellschaft dazu tendiert, subjektives Wohlbefinden bevorzugt über Konsumgüter herstellen zu wollen, dann wird Enttäuschungsprophylaxe und -bewältigung zu einer Schlüsselqualifikation von Konsumenten, weil Konsumgüter oft nicht halten, was sie versprechen. Insofern trifft die Konsumkritik den Punkt, wenn sie die notwendige Ent-Täuschung als Resultat eines täuschenden "Gebrauchswertversprechens"
Ein Begriff wie "Gebrauchswertversprechen" unterstellt, Konsumenten gebrauchten das erworbene Gut tatsächlich im Sinne des ihm von der Werbung zugeschriebenen Zweckes. Wofür wirbt beispielsweise ein Anti-Aging-Produkt, das verspricht, sein Gebrauch hebe die Zeit auf? Sollen die Konsumentinnen und Konsumenten wirklich glauben, mit Hilfe dieses Produktes könnten sie ihr Altern hinauszögern oder gar verhindern? So dumm werden die meisten nicht sein, unter Umständen aber dennoch Gefallen an dem Versprechen finden!
Je mehr sich die Konsumgesellschaft von einer Güterproduktion entfernt, die der physischen Selbsterhaltung dient, desto psychologisch aufgeladener wird der Nutzen sein, den sich Konsumenten von den Konsumgütern versprechen, die sie erwerben. Zugespitzt formuliert, bemisst sich der Gebrauchswert eines Gutes für Konsumenten immer häufiger danach, welchen Imaginations- und Inszenierungswert es für sie hat
Um bei dem gewählten Beispiel zu bleiben: Das Anti-Aging-Podukt wird nicht daran gemessen, ob es das Altern tatsächlich hinauszögern oder gar verhindern kann, sondern daran, ob es Konsumenten hilft, einen emotional stimulierenden Tagtraum über eine Welt anzuregen und in Gang zu halten, in dem die Zeit aufgehoben ist. Mit dem Erwerb und dem Gebrauch eines solchen Produktes treten die Konsumenten als Figur in diese Tagtraumwelt ein, ohne zwangsläufig realitätsflüchtig werden zu müssen. "Schön wäre es, wenn ..., aber es ist nicht so und muss auch nicht so sein."
Die Konsumgesellschaft produziert von Anfang an Tagträume. Schon die Metropolen des späten 19. Jahrhunderts waren Tagtraumfabriken, in denen der Einkauf hinter dem Einkaufsbummel zurücktreten konnte und die erworbenen Konsumgüter als Erinnerungssymbole einer entfesselten Sinnlichkeit dienten. Was sich seit jener Zeit in erster Linie verändert hat, ist die Anstrengung, das durch Konsumgüter gestützte Tagträumen zu verwissenschaftlichen, das heißt: die psychologische Funktion von Konsumgütern durch einen Zugriff auf die geheimen, womöglich sogar unbewussten Wünsche der Konsumentinnen und Konsumenten zu steigern.
In letzter Konsequenz wird Konsum zum Therapeutikum. So findet sich in einer Ausgabe der "Oncology Times"
Konsum als Lebensversicherung
Die zitierte Krebspatientin betont in ihrem Erfahrungsbericht nachdrücklich, dass sie keine zwanghafte oder süchtige Käuferin sei. Vielleicht betreiben aber auch pathologische Käuferinnen und Käufer
Zu guter Letzt schließt sich der Kreis, und Sigmund Freud bekommt Recht. Denn ausgeklügelte Experimente zeigen, dass Bürgerinnen und Bürger mit einer starken materialistischen Einstellung, die mit ihrer Sterblichkeit konfrontiert werden, verstärkt materialistisch handeln: