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Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen

Edward A. Ceska Michael Ashkenazi Michael Edward A. Ceska / Ashkenazi

/ 15 Minuten zu lesen

Sowohl an der Ost- als auch an der Westküste Afrikas gefährden Piraten die internationale Schifffahrt. Zu den Ursachen an Land zählen schwache Regierungen, Umweltzerstörung und Perspektivlosigkeit.

Einleitung

Von der Malakkastraße bis zum karibischen Archipel - seit jeher treiben sich auf allen Weltmeeren Piraten herum, ganz gleich, ob sie es dabei auf Geld oder Frachtgut als Beute abgesehen haben. Seit dem 20. Jahrhundert hat sich Piraterie jedoch zu einer immer raffinierteren Hightech-Unternehmung entwickelt, die verbesserte Technologien wie größere "Mutterschiffe" und komplexe Kommunikationsgeräte einsetzt. Piraten sind zunehmend in der Lage, Zielschiffe auf rasche Weise und hinsichtlich der begehrten Lösegelder oder Güter erfolgreich zu entern. Heute stellt die Piraterie vor den afrikanischen Küsten - im Westen wie im Osten - ein ernstes Problem dar. Ermutigt durch die jahrelange Nichtbeachtung durch die entwickelten Länder, sind die Piraten vor Somalia (Ostafrika) und Nigeria (Westafrika) immer erfolgreicher geworden. Ihre Opfer sind vor allem Handelsschiffe und Ölbohrinseln. Die internationale Handelsschifffahrt ist derart bedroht, dass das für den Seeweg von Europa nach Asien entscheidende "Nadelöhr" vor der somalischen Küste, der Golf von Aden, inzwischen von Kriegsschiffen einer internationalen Flottenkoalition überwacht wird.


In diesem Beitrag wollen wir auf ein paar grundlegende Fragen eingehen. Was sind die Grundursachen der Piraterie in diesen beiden Regionen? Welche internen und externen Faktoren veranlassen die Piraten zu ihrem Vorgehen?

Sowohl im Fall Somalias als auch im Fall Nigerias scheint es eine Vielzahl an Ursachen für die Zunahme der Piraterie zu geben. Wir legen zudem dar, dass die angebotenen Lösungen - erhöhte Sicherheitsmaßnahmen und eine stärkere Flottenpräsenz - wenig zur Beseitigung der Grundursachen der Piraterie beitragen.

Fall Somalia

Somalia ist seit der Verdrängung von Siad Barres Regime im Jahr 1991 als gescheiterter Staat (failed state) gebrandmarkt. In den vergangenen zwanzig Jahren hat Somalia unter zwar schwachen, aber doch feindseligen Machtteilungsbestrebungen gelitten, die das Land noch weiter auf eine politisch, wirtschaftlich und sozial nachteilige Bahn geführt haben. Kriegsherren-, Stammes- und Territorialkämpfe sind zur Regel geworden. Spannungen zwischen den konkurrierenden Stämmen scheinen tief verwurzelt zu sein, so dass es wellenartig immer wieder zu Kriegen zwischen Stämmen kommt, zu humanitären Katastrophen und fatalen Engpässen in der Lebensmittelversorgung. Mit der kürzlich eingesetzten Übergangsregierung, die lediglich in der Lage ist, einzelne Blöcke im Herzen der Hauptstadt Mogadischu zu kontrollieren, verfügt die Regierung nicht über genug Macht, die Unzahl bestehender Probleme zu bewältigen. Die teilautonomen Gebiete Puntland und Somaliland bleiben sich selbst überlassen. Die Küsten und küstennahen Gebiete sind faktisch ein "Niemandsmeer".

Zunächst stellte Piraterie vor der somalischen Küste nur eine Bedrohung im Hafengebiet Mogadischus dar, doch seit Ende 2007 hat sich die Piraterie zunehmend in den Golf von Aden hinein ausgedehnt, wo größere und reichere Schiffe auf der Durchfahrt sind. 20.000 Schiffe passieren alljährlich die von Piraten heimgesuchten Gewässer vor der Küste Somalias und im Golf von Aden. Viele Reedereien mussten Erhöhungen ihrer Versicherungsprämien in Kauf nehmen, was nicht nur ein Problem für den Transport von Gütern darstellt, sondern auch Unregelmäßigkeiten auf dem Weltmarkt erzeugt.

Die mangelnde Regierungskontrolle der Hoheitsgewässer vor Somalia stellt zudem eine Einladung an ausländische Schiffe dar, Meeresressourcen zu wildern oder Giftmüll zu verklappen. Die Betreiber derartiger Schiffe haben erkannt, dass ihr illegales Handeln ohne eine effektive Regierung, die in ihren Hoheitsgewässern die Umsetzung der Gesetze sicherstellt, keine rechtlichen Konsequenzen hat. Beispielsweise gibt es Hinweise darauf, dass Schiffe der italienischen Mafia Giftmüll vor der somalischen Küste abgeladen haben. Die Kosten-Nutzen-Analyse ist für sie klar: Giftstoffe in die somalischen Gewässer abzulassen kostet pro Tonne etwa acht Euro, die fachgerechte Entsorgung in Europa würde sie tausende kosten. Zur Überfischung und Verseuchung der somalischen Hoheitsgewässer kommen die endlosen Kampfhandlungen zwischen den Clans hinzu, die das Problem der Nahrungsmittelknappheit zusätzlich verschärfen. Verschiedene Stämme kämpfen erbittert um Rohstoffe wie Kohle, Khat, Nutztiere und Wasser. Viele Somalis haben keine andere Wahl, als in Gebiete abzuwandern, in denen die Ressourcenkonkurrenz gewaltlos ist und Lebensmittel leichter zugänglich sind. Dadurch wird jedoch ein Flüchtlings- und Vertriebenenproblem geschaffen und der Nachschub an untätigen jungen Männern als Kanonenfutter für gewaltsame Aktivitäten gewährleistet. Zum Teil ist es ein Ergebnis dieses weitverbreiteten Missbrauchs, dass einige Somalis Vergeltung üben, indem sie sich der Piraterie zuwenden.

Die von den Entführern verwendeten Waffen sind relativ einfach - Sturmgewehre, leichte Maschinengewehre und Panzerfäuste - und im Überfluss vorhanden. Es ist nicht schwer, sie über die unbewachten Grenzen Somalias zu bringen. So ist seit dem Sturz des Barre-Regimes Anfang der 1990er Jahre eine enorme Waffenmenge in das Land gespült worden. Eine wichtige Rolle bei der Aufstockung der örtlichen Bestände spielte der Einmarsch äthiopischer Truppen im Jahr 2006. Auch Munition ist in rauen Mengen verfügbar.

Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts haben die Operationen somalischer Piraten immer weiter an Umfang, Kühnheit, Reichweite und Raffinesse gewonnen. Die Piraten haben ihre Aktivitäten auf bis zu 400 Seemeilen (740 Km) vor der Küste Somalias ausgedehnt. Es wurden Fälle dokumentiert, bei denen größere "Mutterschiffe" eingesetzt worden sind, um die Reichweite der kleinen Schnellboote, die bei den eigentlichen Überfällen verwendet werden, auszudehnen. Durch den Verkauf von Beutegut haben Piraten inzwischen Kontakte zu Hehlern und Financiers im Persischen Golf und Europa. In jüngster Zeit gibt es Berichte, dass Hintermänner in London die Piraten durch ausgeklügelte Informationsnetzwerke und Seeüberwachung unterstützen. Kriminelle Banden und Auswanderer sind in der Lage, die Routen von Schiffen aus aller Welt nachzuverfolgen. Dies war zum Beispiel der Fall beim türkischen Tanker "Karagöl", dessen Fahrt von London aus verfolgt und in den rechtlosen Gewässern des Golfs von Aden unterbrochen wurde. Weil es sich bei dem Schiff um einen Chemietanker handelte, besteht der Verdacht, dass die Piraten damit möglicherweise eine Verklappung verhindern wollten.

Piraterie hat sich zu einer alternativen Lebensgrundlage entwickelt, die finanziell einträglich ist und für viele Somalis einen Ausweg aus den ärmlichen Verhältnissen darstellt - das ganze Land befindet sich in starkem Elend. Nach Angaben des Evangelischen Entwicklungsdienstes sicherten sich somalische Piraten im Jahr 2008 etwa 30 bis 40 Millionen US-Dollar Lösegeld. Andere Angaben gehen im selben Jahr von bis zu 150 Millionen US-Dollar aus. Angesichts des Mangels an anderen Einkommensquellen in Somalia stellt selbst die geringere Schätzung ein beträchtliches Einkommen sowohl für Einzelpersonen als auch für die regionale Wirtschaft als ganzes dar. Die Einnahmen werden breit gestreut: Die Lösegelder investieren die Piraten in luxuriöse Häuser, Autos, Alkohol, Hochzeiten und in die Prostitution. In manchen Küstengemeinden, die bisher von den Lösegeldern profitiert haben, gibt es jedoch erste Anzeichen des Unmuts den Piraten gegenüber. Es entstehen Bürgerwehren, die fest entschlossen sind, den Piratenbanden Widerstand zu leisten und sie zu verurteilen.

Während in letzter Zeit vor allem die Piratenangriffe vor dem Horn von Afrika in den Medien äußerste Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, darf jedoch nicht vergessen werden, dass Piraterie auch in anderen Regionen gedeiht, insbesondere im Nigerdelta und im gesamten Golf von Guinea in Westafrika.

Fall Nigeria

Nigerianische Piraten sind in den vergangenen zehn Jahren zunehmend kühner bei ihren maritimen Raubzügen geworden, vor allem im Golf von Guinea. Zwischen den Bewohnern des Nigerdeltas und verschiedenen Ölfirmen gibt es einen Konflikt, dessen Ursprung im Jahr 1958 liegt, als der Shell-Konzern die Ölreserven im Delta entdeckte. Seit dieser Zeit haben ethnische Spannungen, religiöse Unterschiede, mangelnde wirtschaftliche Perspektiven und zahlreiche soziale und politische Missstände stark zu dem langwierigen Konflikt beigetragen. Nigeria ist der sechstgrößte Öllieferant der Welt, etwa 2,5 Millionen Barrel Öl werden pro Jahr im Delta gefördert. Die USA, Europa und Asien wetteifern um den Zugang zu den Ölfeldern. Unternehmen wie BP, Agip/Phillips, Safrap, Mobil, Texaco und Chevron betreiben Ölsuch- und Ölförderungsaktivitäten in Nigeria. Die Regierung empfängt die Ölkonzerne gegen großzügige Lizenzgebühren mit offenen Armen. In dem notorisch korrupten politischen System des Landes hat bislang nur ein geringer Teil dieses Geldes die Bevölkerung erreicht.

Die Bewohner des Deltas sind besonders schwer betroffen. Zwar gefährden die Ölfirmen leichtfertig ihr Leben und ihre Existenzgrundlagen durch Umweltverschmutzung, Verbrennung (unerwünschter Gase) und (unkontrollierte) Probebohrungen. Aber durch die Korruption wird nur ein geringer Anteil der Lizenzgebühren verwendet, um die Bevölkerung für entstehenden Nachteile zu entschädigen. Die Bewohner des Nigerdeltas glauben nicht, dass sie einen gerechten Anteil der Lizenzgebühren erhalten und dass die Ölkonzerne angemessen mit der Umwelt umgehen. Die Zentralregierung hat bisher keine Strategien für die wirtschaftliche, infrastrukturelle oder bildungspolitische Entwicklung dieser Region hervorgebracht, die so dringend notwendig wäre. Die Deltabewohner üben Vergeltung, indem sie Pipelines beschädigen und auf diese Weise vorsätzlich den Ölfluss unterbrechen - sowohl als Sabotage aus Protest, als auch, um Öl zu stehlen.

Militante politische Bewegungen, die sich dem bewaffneten Kampf gegen das verschrieben haben, was sie als Ausbeutung und Unterdrückung der Bewohner des Nigerdeltas betrachten, sind überaus zahlreich. Eine ist die "Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas" (MEND, Movement for the Emancipation of the Niger Delta). Sie entstand Anfang 2006 als große, mehr oder minder geschlossene Organisation, mit dem Ziel, die Lebensumstände ihrer Mitglieder zu verbessern. Diese Gruppe erweist sich weniger als reine Piraten-, sondern vielmehr als eine allgemeine militante Gruppierung. Doch trotz ihres ideologischen Strebens nach Gerechtigkeit ist anzunehmen, dass auch die MEND finanzielle Gewinne durch Entführungen von ausländischen Ölarbeitern und die "Bunkerung" von Öl "erwirtschaftet" hat (Bei der "Bunkerung" wird Öl aus Tankern in eigene Tanker abgesaugt, die dann im Ausland verkauft werden). Die politische Opposition hat sich erhoben, um dem Vorgehen der multinationalen Ölkonzerne und der Regierung entgegenzuwirken - teilweise jedoch aus Motiven, die der Gier der Regierung in nichts nachstehen. Die andauernden ausbeuterischen Aktivitäten der Ölfirmen und der Regierung haben zudem für eine Zunahme der Gewalt gesorgt. In einem Fall bekannte sich die MEND zu Anschlägen auf wichtige Export-Pipelines, wodurch die Ölkonzerne gezwungen waren, ihre tägliche Fördermenge um 20 000 bis 50 000 Barrel zu senken. Zusätzlich zur MEND gibt es weitere regionale militante Gruppierungen, die zu politischen und wirtschaftlichen Aktionen anstiften, aber weniger gut organisiert sind.

Ein Großteil von Nigerias Ölfördermenge stammt aus Offshore-Plattformen. Wie Inlandsbohrungen schaffen auch Offshore-Bohrungen Verschmutzungsprobleme durch auslaufendes Öl und Abfackelung. Sowohl die MEND als auch andere bewaffnete Gruppen - viele von ihnen handeln aus rein wirtschaftlichen Motiven - versuchen immer wieder, Kontrolle über Offshore-Öl zu gewinnen, welches sie als ihr rechtmäßiges Eigentum betrachten. Häufige Überfälle auf Bohrinseln und selbst Öltanker sind zu einem ernsten Problem für die Ölfirmen geworden. Im Juni 2008 beispielsweise war Shell gezwungen, nach einem MEND-Überfall auf eine ihrer Bohrinseln die Produktion dieser Plattform einzustellen. Piraten machen Gewinne durch Lösegelder für entführte Ölarbeiter, durch das Kapern von Exportöltankern und durch "Bunkerung". Die meisten dieser Aktivitäten spielen sich in Nigerias Hoheitsgewässern ab. Seit der Wende zum 21. Jahrhundert sind Entführungen von ausländischen Mitarbeitern der Ölfirmen im Golf von Guinea immer häufiger geworden. Ölsuche und -förderung sind daher zu einer ernsthaften Herausforderung für die multinationalen Ölkonzerne geworden.

Eine der Hauptursachen ist das Problem der Umweltzerstörung. Der Ärger darüber brach sich schließlich Bahn in Überfällen von Piraten und anderer militanter Gruppen auf ausländische Mitarbeiter von Ölfirmen und Erdölverwertungsanlagen. Einige Quellen deuten darauf hin, dass die ethischen Standards der internationalen Ölfirmen niedrig sind und die Verschmutzung der Umwelt zur alltäglichen Praxis gehört. Auch die Praktiken der regionalen nigerianischen Öl-Betriebe sind problematisch. Wie in Somalia haben Fischer ihre Lebensgrundlage verloren, weil die Verschmutzung einen Großteil der Fischbestände in der Region vernichtet hat. Im Nigerdelta sind aber nicht nur die Fischer, sondern auch viele Bauern durch die Bohrungen ihrer Existenzgrundlage beraubt: Durch Lecks ausgelaufenes Öl ist tief in den Erdboden gesickert und hat riesige Flächen einst fruchtbaren Landes im Nigerdelta unbrauchbar gemacht. Obst- und Gemüseanbau, woraus große Teile der Bevölkerung ihren Lebensunterhalt bestreiten, ist hier oft nicht mehr möglich. Piraterie wird deshalb letztlich als Rache angesehen.

Der immense Schaden ist zum Teil auf die Fahrlässigkeit der Ölfirmen zurückzuführen, zum Teil aber auch auf Lecks, die durch die Beschädigung von Pipelines durch Einheimische entstanden sind, die Öl als Treibstoff stehlen oder die Ölkonzerne angreifen wollen. Insbesondere junge Männer widersetzen sich den Firmen und der nigerianischen Armee, die nicht nur die Umwelt, sondern auch die Aussicht auf zukünftige Arbeit und Entwicklung zerstört haben. Die entsprechend hohe Arbeitslosigkeit, Zorn und Verbitterung haben dazu geführt, dass Einheimische im ganzen Nigerdelta gegen die multinationalen Ölkonzerne und die Landesregierung rebellieren und viele sich Piratenbanden wie der MEND angeschlossen haben. Im Vergleich mit den Piraten am Horn von Afrika sind die nigerianischen Piraten für ihre deutlich aggressivere Vorgehensweise berüchtigt. Opportunistischen bewaffneten Banden gelingt es auf diese Weise, finanziellen Gewinn aus diesem System zu schlagen.

Ein weiteres großes Problem ist der leichte Zugang zu Waffen: Schätzungen gehen davon aus, dass in Nigeria zwischen einer und drei Millionen Schusswaffen im Umlauf sind - eine ernste Bedrohung für die Sicherheit der Menschen. Die nigerianischen und die somalischen Piraten verwenden die gleichen Waffen. Neben den Importen von deutschen G3-Schnellfeuergewehren aus deutscher, türkischer und möglicherweise iranischer Produktion sind auch nigerianische G3-Nachbauten und AK-Sturmgewehre weithin erhältlich. Als Quelle dienen häufig auch Waffenlager des Militärs, zu denen sich die Einheimischen mit Leichtigkeit Zugang verschaffen können. Andere Waffen kommen aus dem benachbarten Ausland - entweder aus "Lager-Lecks" oder unerlaubten Abzweigungen während des legalen Handels. Zusätzlich beziehen die Piraten Waffen durch die Einnahmen aus Entführungen von Ölarbeitern und aus dem Verkauf von Öl. In einer Initiative zur Reduzierung der in Umlauf befindlichen Waffen hat die Regierung all jenen finanzielle Anreize versprochen, die bereit sind, ihre Waffen abzugeben. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dieser Schritt Piraten dazu bewegen kann, ihre Waffen an eine "ölfreundliche" Regierung zu übergeben, welche die Bedürfnisse der Bevölkerung des Nigerdeltas offensichtlich ignoriert. Vielmehr ist anzunehmen, dass mit wachsender Unzufriedenheit im Nigerdelta der Waffenbedarf militanter Gruppen weiter steigen wird.

Ähnlichkeiten, Unterschiede, Lösungen und Zukunftsaussichten

Wie wir knapp dargestellt haben, ist Piraterie sowohl in Somalia als auch in Nigeria ein Problem. Das Fehlen einer wirksamen Führung behindert die Gesundung beider Staaten. Keines der Länder vermag es, sein Hoheitsgebiet zu kontrollieren und für die eigene Bevölkerung zu sorgen. Der Mangel an Polizeiarbeit in Somalia und Korruption innerhalb der Regierung sowie schlecht geführte bewaffnete Antworten im Nigerdelta haben dazu geführt, dass die Piraten nicht gestoppt werden konnten. Fehlende regionale Entwicklung bedeutet, dass Rekruten jederzeit für die Piraterie zu haben sind. Der Verlust der Lebensgrundlagen - ob durch Umweltverschmutzung oder Überfischung - schafft sowohl in Somalia als auch in Nigeria die besonderen Umstände, unter denen Piraterie gedeihen kann.

Die Arbeitslosigkeit macht jegliche Aussicht der Bürgerinnen und Bürger - ob jung oder alt - auf eine sichere Zukunft für sich selbst und ihre Familien zunichte. Es ist nicht überraschend, dass sich viele verzweifelte Menschen in der Hoffnung auf einen Ausweg der Piraterie zuwenden. An beiden Küsten des afrikanischen Kontinents sind es vor allem junge Menschen, die sich aktiv an der Piraterie beteiligen. Ohne Ausbildung und Vorbilder haben sie kaum eine andere Wahl, als dem Ruf der Piraterie zu folgen. Die gewaltsamen Konflikte werden geschürt von den Waffen und der Munition, die über die Grenzen nach Somalia und Nigeria eingeführt werden. Sie liefern den Piraten die notwendigen Werkzeuge für ihre Unternehmungen.

Es gibt jedoch Unterschiede zwischen somalischer und nigerianischer Piraterie. Ein Ziel somalischer Piraten besteht in der Geiselnahme von Seeleuten zur Lösegelderpressung. Es widerspräche dem Zweck ihrer Jagd auf reiche Schiffe, wenn sie ihren Geiseln etwas antun würden. In Nigeria dagegen spielt neben dem Ziel, Geld von den Ölfirmen zu erpressen, auch Wut eine Rolle, und die nigerianischen Piraten sind für ihre Gewalttätigkeit und Aggressivität bekannt. Dies ist möglicherweise auch auf unterschiedliche kulturelle Hintergründe zurückzuführen: Die Zahlung von Blutgeld (dia) bietet in der somalischen Tradition eine gewisse Kontrolle über die Bereitschaft von Somalis, ihre Geiseln zu töten. Das gilt jedoch nicht für nigerianische Piraten.

In Somalia gehören Piraten für gewöhnlich hoch entwickelten und gut durchdachten Syndikaten an, die imstande sind, Piraterie an Land und vor der Küste zu betreiben. In Nigeria scheinen die Piratengruppen nicht so gut organisiert zu sein wie ihre "Kollegen" in Somalia. Obgleich nigerianische Gruppen Kontakte zu kriminellen Netzwerken im Ausland benötigen, um "gebunkertes" Öl zu verkaufen, scheinen sie nicht über das hochentwickelte Informationssystem zu verfügen, das die Somalis einsetzen.

Einen letzten Unterschied bildet der politische und wirtschaftliche Hintergrund. Die Nahrungsunsicherheit ist in Somalia noch bedrohlicher als in Nigeria, weil nicht nur der Fischbestand durch ausländische Schiffe vernichtet wird, sondern auch die Rohstoffe an Land, die für die Zukunftsfähigkeit des somalischen Volkes unerlässlich sind, von Kriegsherren, religiösen Bewegungen und ausländischen Truppen umkämpft sind. Im Gegensatz dazu ist in Nigeria vor allem die ungenügende Staatsführung das Problem. Vereinfacht ausgedrückt: Die Somalis leiden unter Ressourcenknappheit, was viele zur Piraterie treibt, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Im Nigerdelta dagegen leidet die Bevölkerung unter dem bekannten "Ressourcenfluch": der unkontrollierten Ausbeutung eines Hauptrohstoffs, in diesem Fall Öl.

Empfehlungen

Sowohl in Somalia als auch in Nigeria haben kommerzielle Unternehmen aus entwickelten Ländern den Verlust der Lebensgrundlagen verursacht. Sie haben ausgenutzt, dass Gesetze, welche die regionalen Lebensgrundlagen und das Überleben eigentlich hätten sichern sollen, nur auf niedrigem Standard oder gar nicht vorhanden waren. Es ist daher nicht nur der Schutz der internationalen Schifffahrt notwendig. Zusätzlich sollte sich die internationale Gemeinschaft verstärkt darum bemühen, Strategien zu entwickeln, um die unzureichend geschützten Hoheitsgewässer vor ausländischen Schiffen zu schützen, die wilden Fischfang oder illegale Verklappung betreiben. Auf lange Sicht würde der Schutz der Fischbestände den Zulauf zu maritimer Piraterie verringern.

Es ist dabei unbedingt erforderlich, die Effektivität und die Fähigkeit der Regierungen zu steigern. Es liegt nicht nur im Interesse der Bewohner Somalias und Nigerias, dass diese Länder Regierungen haben, die Rechtsstaatlichkeit durchsetzen und für ihre Bürgerinnen und Bürger sorgen, sondern auch im Interesse der internationalen Gemeinschaft. Die Übergangsregierung Somalias ist unfähig, weite Teile des Landes zu regieren, doch gibt es Anzeichen dafür, dass die Regionalregierungen von Puntland und Somaliland, woher viele Piraten kommen, erste Zeichen effektiver regionaler Regierungsarbeit zeigen. Dies sollte anerkannt und gefördert werden, so dass die Regionalregierungen für die Bereitstellung öffentlicher Dienste, die Durchsetzung von Gesetzen und eine Küstenwache zur Überwachung der somalischen Hoheitsgewässer sorgen können. In Nigeria ist die Staatsführung, trotz einer im Vergleich zu Somalia relativ starken Regierung, ein Trümmerhaufen. Die Ölfirmen sollten in Zusammenarbeit mit ihren eigenen Regierungen staatliche Aufsicht durch die nigerianische Regierung anstreben und sogar verlangen, um sicherzustellen, dass Lizenzzahlungen auch das Nigerdelta erreichen.

Kurz gesagt: Wenn die internationale Gemeinschaft Mittel und wohlüberlegte Strategien zur Staatenbildung, zur Entwicklung sowie zum Schutz der Hoheitsgewässer und der Umwelt bereitstellen würde, würden die Fälle von Piraterie im Laufe der Zeit wahrscheinlich abnehmen. Die anhaltende Vernachlässigung durch die internationale Gemeinschaft - ob durch die Regierungen entwickelter Länder oder durch die Ölfirmen - könnte Piraterie mit Leichtigkeit in Terrorismus verwandeln. Es gibt Hinweise darauf, dass Piraten in der Straße von Malakka bei Überfällen auch ohne Provokationen zunehmend feindselig und aggressiv agieren. Mit der Zeit könnte Piraterie auch in Somalia zu Terror führen. Die Piraten erkennen immer mehr, dass nicht nur Schiffe verwundbare Ziele darstellen, sondern auch internationale Häfen in Reichweite liegen. In Nigeria wandeln Piraten bereits auf einem schmalen Grat zwischen gewinnorientierter Piraterie und Terrorismus. Die Situation könnte deutlich ernster werden, wenn die multinationalen Ölkonzerne und die Regierungen die Konflikte im Nigerdelta und in Somalia weiter als belanglos abtun.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Übersetzung aus dem Englischen: Jaiken Struck, South Petherton, England/UK.

    Siehe dazu die Homepage der "Combined Task Force 151": www.navy.mil/local/CTF-151 (15. 5. 2009).

  2. Vgl. Afyare Abdi Elmi/Abdullahi Barise, The Somali Conflict: Root causes, obstacles, and peace-building strategies, in: African Security Review, 15 (2006) 1, S. 32 - 54.

  3. Vgl. Roger Middleton, Piracy in Somalia. Threatening global trade, feeding local wars, Briefing Paper, October 2008, in: www.chathamhouse.org.uk (13. 5. 2009).

  4. Vgl. Perils of the sea, in: The Economist vom 18. 4. 2009.

  5. Vgl. Andrian Kreye, Korsarenträume, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. 5. 2009.

  6. Vgl. A. A. Elmi/A. Barise (Anm. 2).

  7. Vgl. Giles Tremlett, This is London - the capital of Somali pirates' secret intelligence operation, 11. 5. 2009, in: www.guardian.co.uk (11. 5. 2009).

  8. Vgl. Evangelischer Entwicklungsdienst, Info Konflikte und Friedensarbeit, 39 (Mai 2009), S. 3.

  9. Vgl. Marc Engelhardt, Die Schatulle der Piraten, 22. 4. 2009 in: www.taz.de (15. 5. 2009).

  10. Vgl. Jeffrey Gettleman, For Somali Pirates, Worst Enemy May Be on Shore, 8. 5. 2009, in: www.nytimes.com (11. 5. 2009).

  11. Vgl. NATO Chief Says Africa Must Fight Pirates, 21. 11. 2008 in: www.newera.com.na (2. 4. 2009).

  12. Vgl. International Crisis Group, Nigeria: Ogoni Land after Shell, Africa Briefing, 54 (September 2008).

  13. Vgl. Samuel C. Ugoh, Oil Politics and the Crisis of Development in the Niger Delta, in: Journal of Sustainable Development in Africa, 10 (2008) 2, S. 91 - 115.

  14. Vgl. Ed Kashi/Michael Watts, Curse of the Black Gold: 50 Years of Oil in the Niger Delta, Brooklyn, NY 2008.

  15. Vgl. Mathew Skinner, Delta Force - Nigerian militant group's aims remained blurred, in: Jane's Intelligence Review, 21 (2009), S. 20 - 23.

  16. Vgl. International Crisis Group, Nigeria: Ending Unrest in the Niger Delta, Africa Report, 135 (December 2007).

  17. Vgl. Lydia Polgreen, Oil Field Operation Suspended After Attack by Nigerian Rebels, 20. 6. 2008, in: www.nytimes.com (20. 5. 2009).

  18. Vgl. Charles W. Corey, Africa: America Builds New African Partnerships to Tackle Piracy, 23. 2. 2009, in: www.allafrica.com (17. 5. 2009).

  19. Ein leitender Ingenieur eines großen Ölkonzerns hingegen beharrt auf der Feststellung, dass die Praktiken der Ölkonzerne mit westlichen Standards übereinstimmen. So Richard Heinrich Ross (von Januar 2001 bis Juli 2002 in leitender Funktion in Warri/Nigeria) im Telefoninterview mit dem Autor am 26. 4. 2009.

  20. Vgl. Jennifer M. Hazen/Jonas Horner, Small Arms, Violence, and Insecurity in Nigeria: The Niger Delta in Perspective, Geneva 2007.

  21. Persönliche Auskunft der nigerianischen Polizei an den Autor, 2007.

  22. Vgl. Nigeria oil fuels Delta conflict, 25. 1. 2006, in: http://news.bbc.co.uk (15. 5. 2009).

  23. Vgl. Nigeria Launches Disarmament Program, 23. 5. 2004, in: www.voanews.com (20. 5. 2009).

  24. Vgl. John S. Burnett, Dangerous Waters: Modern Piracy and Terror on the High Seas, New York 2002.

B. A., geb. 1984; Gastwissenschaftler am Internationalen Konversionszentrum Bonn, Bonn International Center for Conversion (BICC), An der Elisabethkirche 25, 53113 Bonn.
E-Mail: E-Mail Link: ceska@bicc.de

Ph. D., geb. 1950; Projektleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am BICC (s. o.).
E-Mail: E-Mail Link: ashkenazi@bicc.de