Einleitung
Warum soll Deutschland sich für Afrika interessieren?" Diese Frage stellte "Der Tagesspiegel" vor einiger Zeit jeweils einem Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien. Nahezu alle Befragten verwiesen da- rauf, dass die vielfältigen Probleme Afrikas auf Europa zurückwirkten und dass die Bundesrepublik dezidierte Interessen südlich der Sahara habe. "Wir bemühen uns, Staaten durch Unterstützungen zu stabilisieren, weil wir ein Interesse daran haben, dass die Menschen in ihren Ländern eine eigenverantwortliche Lebensperspektive haben. Ansonsten wird die Migration nach Europa explosionsartig fortschreiten", meinte etwa Hartwig Fischer (CDU/CSU), Vorsitzender der Parlamentariergruppe West- und Zentralafrika. "Afrikanische Staaten könnten wichtige Wirtschaftspartner sein", ergänzte Werner Hoyer, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag. "Besonders im Hinblick auf Rohstoffreserven wäre Deutschland gut beraten, Afrika als Wirtschaftspartner ernst zu nehmen - bevor es zum Ausverkauf an China, die USA und andere kommt."
Ein wenig andere Akzente setzte, das überrascht nicht, Thilo Hoppe von den Grünen, Vorsitzender des Entwicklungsausschusses des Bundestages: "Natürlich ist Deutschland daran interessiert, möglichst günstig an Rohstoffe aus Afrika zu kommen, und gewisse Unternehmen erhoffen sich einen leichteren Zugang zu den Wachstumsmärkten Afrikas. Es gibt aber auch bei uns Regierungsvertreter und viele NGOs, die fest davon überzeugt sind, dass es auch im Eigeninteresse Deutschlands liegt, die afrikanischen Staaten darin zu unterstützen, die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen und einen Beitrag dazu zu leisten, die Erderwärmung zu begrenzen." Sehr allgemein blieb die Sozialdemokratin Herta Däubler-Gmelin, Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte: "Europa und Deutschland brauchen einen Nachbarn Afrika, der seine Probleme löst und als Partner zur Verfügung steht." Monika Knoche, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, ging gar nicht auf die Frage ein, sondern übte sich in Imperialismuskritik: "Deutschland (...) ist als europäischer Player im Verbund der ehemaligen Kolonialmächte zu identifizieren. Seine Afrikapolitik ist nicht bestimmt durch die Situation vor Ort, sondern zielt in erster Linie darauf, die internationalen Einflusssphären der EU auszubauen - in Konkurrenz zu den USA und zu China."
Afrikabild zwischen Bedrohung, Ressource und Partner
Die zitierten Äußerungen benennen einige Gründe für das in jüngerer Zeit gewachsene Interesse der deutschen Politik an Afrika.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich die lange Geschichte der Afrikabilder vor Augen zu führen. Denn diese Bilder repräsentierten das Interesse Europas an Afrika und prägten es zugleich. Dabei ergibt sich für die vergangenen vier Jahrhunderte folgende Sequenz:
Dieser Weg erwies sich bekanntlich als Sackgasse, was seit den späten 1970er Jahren in den Medien und Teilen der Sozialwissenschaften zunehmend dazu führte, Afrika als "verlorenen Kontinent" gleichsam wegzuschreiben, ihn als marginal für die Zukunft der Menschheit anzusehen, unfähig, sich vernünftig selbst zu regieren und zu wirtschaften, von Interesse bestenfalls noch für humanitäre Organisationen. Gleichzeitig wird Afrika von den Industrienationen verstärkt als Bedrohung angesehen, weil seine Bewohner, so die medial geschürten Ängste, an die Pforten des reichen Westens klopften, gar die Inseln des Wohlstands zu überschwemmen drohten. Soll Europa, soll der Westen Afrika weiter unterstützen? Und wenn ja, wie? Diese Frage entzündet sich mit wachsender Vehemenz an der Frage der Entwicklungshilfe oder, wie es heute politisch korrekt heißt, an der Entwicklungszusammenarbeit.
Wozu Entwicklungszusammenarbeit?
"Die Entwicklungszusammenarbeit", schreiben die Historiker Daniel Speich und Hubertus Büschel, "ist mit ihren Visionen und Utopien, ihren Institutionen, Diskursen und Praktiken längst ein Teil der Geschichte und ein Gegenstand der Geschichtsschreibung geworden. Auch ist die Entwicklungszusammenarbeit nicht als Praxis verschwunden, obwohl man seit den 1980er Jahren häufig ihr baldiges Ende prophezeit hat. (...) Vielmehr lässt sich fast überall auf der Welt ihre Vergangenheit erkennen, wodurch sich ihre Gegenwart verfestigt - ob nun durch Institutionen, Redeweisen, Praktiken oder Entwicklungshilferuinen. Entwicklungszusammenarbeit ist längst ein entscheidendes Element in der sozioökonomischen Realität fast aller Empfängerländer von Hilfe geworden, während die Mittelbeschaffungsstrategien der Hilfsagenturen das öffentliche Bild der Dritten Welt innerhalb der Gebergesellschaften stark beeinflussen."
Zu dieser Gruppe gehört etwa der nordamerikanische Ökonom Jeffrey Sachs.
Die bisherigen Weisheiten der Weltbank und anderer Organisationen, welche pauschal Privatisierungen und funktionierende Märkte als Allheilmittel für wirtschaftliche Prosperität priesen, hält Sachs daher für überholt. Er hat ein neu klingendes Patentmittel parat. Es lautet "klinische Ökonomie". "Die Herausforderung, politische Empfehlungen für eine Wirtschaft auszusprechen, zumal wenn sie arm und instabil ist, hat viel mit klinischer Medizin gemeinsam", argumentiert Sachs und erteilt fünf "Grundlektionen in effektiver wirtschaftswissenschaftlicher Praxis". Erstens seien Wirtschaften wie Ökonomien komplizierte Systeme. Wirtschaftswissenschaftler müssten daher zweitens ebenso wie Ärzte die Kunst der Differentialdiagnose lernen und nicht auf Standardratschläge zurückgreifen - wie der Internationale Währungsfonds, der unabhängig von der Spezifizität eines Landes immer anordne, den Handel zu liberalisieren und die Staatsquote zurückzufahren. Drittens müsse das Umfeld des jeweiligen Falles einbezogen werden: "Es reicht nicht, den Ghanaern aufzutragen, ihre Wirtschaft in Ordnung zu bringen, wenn Ghana auf den internationalen Märkten auf Handelsschranken stößt, die den Absatz seiner Güter und Dienstleistungen auf dem Weltmarkt blockieren." Viertens mahnt Sachs die Überwachung und Evaluierung entwicklungspolitischer Maßnahmen an. Schließlich kritisiert er das mangelnde Verantwortungsgefühl der meisten Entwicklungsökonomen, die sich mit oberflächlichen Ansätzen begnügten und in der Regel nicht bereit seien, sich in die Geschichte, Ethnographie, Politik und Wirtschaft eines Landes einzuarbeiten.
In das gleiche Horn stößt Bob Geldof, "Frontman" der medial sehr präsenten Gruppe von Musikern und anderen Künstlern, die Afrika retten wollen. Er wehrt sich vehement gegen die Kritik, Entwicklungshilfe fördere lediglich Korruption. "Es gibt doch eindeutige Belege für das Gegenteil. 2002 hatten gerade einmal 50 000 Menschen in Afrika Zugang zu Aids-Medikamenten - heute sind es drei Millionen. Drei Millionen! Und 34 Millionen Kinder haben dank Entwicklungshilfe und der Arbeit afrikanischer Regierungen Zugang zu Schulbildung bekommen. (...) Wir müssen endlich verstehen, dass wir die Wirtschaft in Afrika aufbauen müssen, dann kann der Kontinent auch zum Wiedererstarken der Weltwirtschaft beitragen."
Geldof etwa argumentiert pauschal, dass Entwicklungshilfe langfristig in Afrika jene sozialen Standards schaffen könne, die eine Migration von Afrika nach Europa verhindern. An solche Konsequenzen der Hilfe glauben viele Kritiker nicht. Im Gegenteil: "Nicht fehlende Mittel oder kolonialistische Spätfolgen", so der pensionierte Diplomat Volker Seitz, "hemmen den Fortschritt, sondern mangelnder politischer Wille der Regierungen, mangelndes Verpflichtungsbewusstsein und mangelnde Leistungsbereitschaft, ungenügende Konzepte, eine träge und unzuverlässige Verwaltung und das für die res publica, die Gemeinschaft unerlässliche Zusammengehörigkeitsgefühl aller Bürger, das in vielen afrikanischen Staaten nach wie vor fehlt."
Ganz simpel also: Die Afrikaner müssen sich mental ändern und überdies auf den freien Markt vertrauen. Allerdings ist Shikwatis Plädoyer für einen radikalen freien Weltmarkt historisch nicht besonders überzeugend. Denn die heutigen Industriestaaten haben sich keineswegs unter derartigen Bedingungen entwickelt; ihre Unternehmen waren in entscheidenden Phasen durch Zollschranken geschützt. Und keines der sogenannten Entwicklungsländer, die in den vergangenen 30 Jahren Anschluss an die Industrieländer erlangt haben, ist den von Shikwati gepriesenen radikalen Weg gegangen. Es ist wie so oft: Einfache Rezepte klingen auf den ersten Weg plausibel, bleiben aber den Beweis ihrer Tauglichkeit schuldig. Ein Blick in die Geschichte vermag hingegen zu zeigen, "dass Entwicklungsprozesse generell unter gesellschaftlich und politisch äußerst unterschiedlichen Bedingungen zustande kamen."
Hat der Westen eine historische Verantwortung für Afrika?
Es steht außer Zweifel, dass Kritik am Entwicklungshilfesystem grundsätzlich notwendig und berechtigt ist.
Weder das eine noch das andere Argument helfen weiter. Nur weil sich einige afrikanische Regierende dreist als Opfer von Kolonialismus und Rassismus stilisieren, um von ihren Fehlleistungen abzulenken, sollte nicht vergessen werden, dass die Haltung Europas gegenüber Afrika seit der Zeit des Sklavenhandels, ja zum Teil bis heute von Rassismus und Paternalismus geprägt ist. Diese Einsicht muss nicht davon abhalten, Fehlentwicklungen in Afrika zu benennen, sollte aber vor Besserwisserei und Arroganz schützen.
Europa und Afrika sind seit Jahrhunderten eng, oft in sehr hierarchischer Weise miteinander verbunden. Deshalb sollte es Ziel sein, gemeinsam mit afrikanischen Kolleginnen und Kollegen nach Erklärungen für die gegenwärtige Situation südlich der Sahara zu suchen. Afrika braucht kein auf Mitleid basierendes Interesse, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung. Und die kann nicht darin bestehen, einfache Lösungen zu präsentieren, mögen diese nun "mehr Geld" oder "gar kein Geld" lauten.