Einleitung
Von Robert Putnam stammt die pointierte These, dass "Good government (...) a by-product of singing groups and soccer clubs" sei.
Es sind Sozialisationsgewinne dieser Art, die bereits Alexis de Tocqueville dazu veranlassten, freiwillige Vereinigungen "Schulen der Demokratie" zu nennen.
In der öffentlichen Debatte ist unumstritten, dass ein Blick auf Bildung, der sich nur auf die klassischen Institutionen der Schule, der Ausbildung und Hochschule richtet, zu kurz greift. Es geht auch um die Chancen des Kompetenzgewinns, die außerhalb des formalen Bildungssystems im freiwilligen Engagement liegen.
Generell geht es also um die Frage nach gesellschaftlichen Ansprüchen und den angemessenen Erwartungen, die in die verschiedenen Bildungsorte gesetzt werden dürfen. Es ist zu prüfen, inwieweit die Annahme berechtigt ist, dass es in nicht-formalen außerschulischen Lern- und Aktivitätskontexten besondere Formen und Chancen sozialer und politischer Partizipation gibt, die ein demokratisches Miteinander und aktive Teilhabe an demokratischen Prozessen ermöglichen und das Demokratielernen fördern. Oder ist doch die formale Bildung, wie dies auch in anderen politischen Zusammenhängen zu beobachten ist, maßgeblich? Damit würde das formale Bildungssystem zu der Größe, die über die Entwicklung demokratischer Fähigkeiten und Tugenden bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen entscheidet.
Wie können demokratisches, staatsbürgerschaftliches Bewusstsein und die diesem unterliegenden Orientierungen konzeptualisiert und empirisch erfasst werden? Dies soll im Folgenden zunächst theoretisch in den Blick genommen und dann empirisch analysiert werden.
Demokratische Tugenden
Erstens. Als Ausgangspunkt wird das politikwissenschaftliche Konzept der politischen Kultur gewählt. Vereinfacht formuliert, ist damit die Gesamtheit von Einstellungen zum politischen System und seinen Teilen sowie zur Rolle des aktiven Bürgers in diesem System gemeint.
Für das Folgende sollen die zentralen Werte der Demokratie und die damit verbundenen Freiheitsrechte im Mittelpunkt der Analyse stehen. Eine quantitativ relevante Ablehnung auf dieser Werteebene kann als problematisch für die demokratische Verfasstheit der Gesellschaft angesehen werden. Daher sind für die Ausbildung und Festigung eines demokratischen Bewusstseins die Beeinflussung jener Faktoren von hoher Bedeutung, die ein solches Bewusstsein unterstützen können. Dies kann etwa durch gesellschaftliche, institutionelle oder informelle politische Bildung geschehen.
Zweitens. Der erweiterte Blickwinkel der politischen Kulturforschung stammt aus dem Kontext der Forschung zum Sozialen Kapital. Er geht über die Betrachtung von Wertorientierungen bezogen auf die Demokratie als Herrschaftsordnung hinaus, indem er Werte einbezieht, die sich auf das Verhältnis der Bürger untereinander richtet. Hierbei stehen vor allem Werte im Zentrum, die mit der Akzeptanz der Normen der Reziprozität und des mitmenschlichen Vertrauens einhergehen. Von solchen Werten wie auch den damit zusammenhängenden freiwilligen Bindungen in Netzwerken und Assoziationen, so die These, wird gleichfalls die Qualität von Demokratie beeinflusst.
Drittens. Ein weiterer hier zur Debatte stehender Aspekt ist die kognitive Seite des Verständnisses politischer Vorgänge. Politische Kompetenz als subjektive Überzeugung, politische Tatbestände verstehen und aufgrund eigener Fähigkeiten politisch Einfluss nehmen zu können, gilt als Element im Verhältnis des Bürgers zur Politik, das in Demokratien besonders zählt.
Bildung und Partizipation
Die Grundfrage dieses Beitrags lautet: Wie ist das Verhältnis von Bildung und Aktivitäten in Vereinen und in weiter gefassten sozialen Netzwerken zu demokratischen staatsbürgerlichen Orientierungen? Für die empirischen Analysen wird Bildung durch den jeweils höchsten allgemein bildenden Schulabschluss, d. h. Hauptschule, Mittlere Reife oder Abitur, vertreten. Aktivität in Vereinen, entsprechend der These von Vereinen als "Schulen der Demokratie", wird erweitert durch Aktivitäten in Gruppierungen, die zwar organisiert sind, nicht aber die Strukturen von Vereinen oder Verbänden vorweisen. Historisch sind diese aus Gruppierungen der Neuen Sozialen Bewegungen hervorgegangen. Ergänzend sollen soziale Netzwerke in Peer-Gruppen berücksichtigt werden, die neben ihrer in erster Linie sozialen Integrationsperspektive auch politische Ansätze enthalten und damit zur Ausbildung oder Erweiterung demokratischer Orientierungen beitragen können.
Über diese im Vordergrund stehenden Merkmale hinaus werden noch weitere einbezogen, die als wichtig für die Erklärung politischer Orientierungen gelten. Dies sind generelle Einschätzungen der gesellschaftlichen Lebenslage der Individuen, Zufriedenheiten mit Aspekten der eigenen Lebenssituation, generelle Wertorientierungen und Einschätzungen der gesellschaftlichen Verortung sowie die Beurteilung der eigenen Zukunftsaussichten.
Solche Orientierungen sind weniger in Bildungsinstitutionen beeinflussbar, werden jedoch die Bewertung politischer Gegenstände im Kontext der politischen Kultur, insbesondere auf den Ebenen der Institutionen und Entscheidungsträger, mitbestimmen. Insofern ist es durchaus von Interesse, ob sie auch auf den allgemeineren Ebenen, welche die drei beschriebenen Aspekte repräsentieren, von Relevanz sind.
Empirische Befunde
Aus Tabelle 1 (siehe PDF-Version) ergibt sich eine starke Zustimmung zu den grundlegenden Werten der Demokratie von Seiten der bundesrepublikanischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Als wichtiger Einflussfaktor erweist sich das Bildungsniveau, gemessen, wie erwähnt, am jeweils höchsten allgemein bildenden Schulabschluss der Befragten. Es bewirkt einen starken Effekt bei der Idee der Demokratie wie der politischen Kompetenz; etwas geringer ist der Effekt beim sozialen Vertrauen. Das Bildungsniveau ist generell, wie sich immer wieder zeigt, ausschlaggebend für Unterschiede in den politischen Einstellungen.
Aus Tabelle 2 (siehe PDF-Version) wird ersichtlich, dass demgegenüber die zentrale These von den Vereinen als "Schulen der Demokratie" nur eine schwache Bestätigung erfährt. Zwar findet man in allen drei Aspekten demokratisch-staatsbürgerschaftlicher Orientierungen eine stärkere Ausprägung bei Personen, die in Vereinen aktiv sind, doch sind die Effekte deutlich geringer, als man bei einer starken Unterstützung der These hätte erwarten können.
In einem weiteren Schritt sollen die ökonomischen wie die gesellschaftlichen Bewertungen der Lebenslage betrachtet werden (vgl. Tabelle 3 in der PDF-Version). Diese gelten generell als wichtige Einflussgrößen für politische Einstellungen, jedoch eher für solche, die sich entsprechend dem oben skizzierten Modell der politischen Kultur auf die Ebenen beziehen, denen leistungs- und politikprozessbezogene Objekte zugeordnet sind.
Es zeigen sich deutliche Effekte bei allen drei Aspekten grundlegender demokratischer Orientierungen. Unzufriedenheit mit Aspekten der Lebenslage, und zwar sowohl in ökonomischer Hinsicht wie auch hinsichtlich der sozialen Sicherheit und der Einschätzung, politisch Einfluss nehmen zu können, geht mit geringerer Unterstützung der Idee der Demokratie einher, ebenso wie mit geringerem sozialen Vertrauen, auch liegt bei den Unzufriedenen eine geringere politische Kompetenz vor.
Soziale Verunsicherung, als Indikator für die Einschätzung der eigenen Situation als gefährdet im Hinblick auf Zukunftschancen, führt bei allen drei Aspekten zu starken Differenzierungen. Dabei sind eher wechselseitige Beziehungen zu vermuten, insbesondere bei politischer Kompetenz: So mag soziale Verunsicherung zu geringeren politisch orientierten Bemühungen führen, wie aber auch umgekehrt geringe politische Kompetenz zusammen mit gesellschaftlich geringerer Positionierung zu einer stärkeren sozialen Verunsicherung führen kann. Die Wahrnehmung, im Vergleich zu anderen sozial ungerecht positioniert zu sein, hat dagegen relativ wenig Einfluss, mit deutlicher Ausnahme allerdings beim sozialen Vertrauen.
Zusammenhänge zwischen der Wohnregion der Befragten (West- bzw. Ostdeutschland) und dem Geschlecht mit demokratischen Orientierungen werden aus Tabelle 4 (siehe PDF-Version) ersichtlich. Bei der Idee der Demokratie, in geringerem Maße auch beim sozialen Vertrauen finden sich nach wie vor historisch bedingte West-Ost-Unterschiede, einen Geschlechtereffekt hingegen nur bei der politischen Kompetenz, wie er im Übrigen auch bei den Ergebnissen zum politischen Interesse anzutreffen ist.
Bewertung und Ausblick
Welche Schlussfolgerungen kann man ziehen? Es bestätigt sich, dass Bildung nicht nur für das gesellschaftliche und berufliche Fortkommen sowie für zukunftsorientierte persönliche Strategien von Bedeutung ist, sondern auch für die Ausbildung und Stärkung demokratischer Tugenden. Hingegen konnte nur partiell und wenig eindrucksvoll die verbreitete These von den Vereinen als "Schule der Demokratie" für Jugendliche und junge Erwachsene belegt werden. Vereine und Verbände sind eher als Übungsfeld für demokratisches Handeln anzusehen. Wichtig sind jedoch, in unterschiedlicher Weise für die drei betrachteten Aspekte demokratisch-staatsbürgerlicher Orientierungen, politisch orientierte oder zumindest politisch mitgetragene Netze. Eine Unterstützung durch politische Bildungsanstrengungen in dieser Hinsicht muss dem spezifischen, politisch ausgerichteten Engagement von Jugendlichen Rechnung tragen, welches weniger bzw. nicht nur kontinuierlich institutionell gebunden ist, sondern sich auch in freieren Formen und anlassbezogen Ausdruck verschafft.
Die Relevanz einer Stärkung demokratischer Werte hat kürzlich John Keane betont.
Was folgt in politisch-praktischer Hinsicht? Zumindest auf zwei Ebenen lassen sich für eine Politik der Demokratiestärkung und ihrer Weiterentwicklung Konsequenzen angeben. Zum einen würde eine breite kognitive Mobilisierung im Bildungssystem den Bildungsfaktor, dessen Einfluss auf das Verhältnis Jugendlicher und junger Erwachsener zu Demokratie und Politik auch hier wieder deutlich wurde, in einer politisch wünschenswerten Weise verstärken. Dies dürfte allerdings nicht nur heißen, "demokratisches Grundwissen" durch mehr und eventuell auch anderen Sozialkundeunterricht zu verbreitern. Vielmehr müsste es vor allem darum gehen, bereits in der Schule demokratische Praxis durch erweiterte Partizipationsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler stärker zu etablieren.
Wichtig erscheint darüber hinaus, zivilgesellschaftliche Netzwerke als Gelegenheitsstrukturen legitimen bürgerschaftlichen Engagements oder auch Protests zuzulassen und positiv zu begreifen, nicht aber sie im Vergleich zu Jugendorganisationen, -vereinen, -verbänden oder Parteien als geringer zu bewerten. In der jüngeren Geschichte waren es ja gerade solche Netzwerke und Initiativen wie die Bürgerrechtsbewegung, die Anti-Atomkraftbewegung, die neue Frauenbewegung oder auch die Umweltbewegung, die enorme Veränderungen in der Gesellschaft angestoßen haben, die aber, wie Keane betont