Eigentumsentzug gegen den Willen der bisherigen Eigentümer ist historisch so verbreitet wie rechtlich nicht einfach zu fassen. Denn sowohl der Eigentumsbegriff wie die mit ihm verbundenen Rechtsinstitute änderten sich im Laufe der Geschichte wesentlich. Zwar war im hier bereits eindeutigen römischen Recht der Eigentumsentzug vorgesehen, jedoch gingen diese Vorstellungen mit dem Römischen Reich unter. In den meisten europäischen Territorien fehlte danach ein vergleichbar klarer Eigentumsbegriff, der sich erst nach und nach mit der Rezeption des römischen Rechts und einer sich ausdifferenzierenden Wirtschaft erneut durchsetzte, bevor er in den großen Gesetzgebungsakten vor allem des 19. Jahrhunderts präzise gefasst wurde. Seither gibt es eine rechtlich klare Vorstellung von persönlichem Eigentum und entsprechend von Eigentumsentzug, der damit definiert und zugleich rechtlich explizit geregelt wurde.
Eigentum und Eigentumsfeindschaft
Enteignungen unterschieden (und unterscheiden) sich von Diebstahl und Raub nicht im sachlichen Gehalt der Eigentumsentziehung, sondern in Begründung und Verfahren. In Letzteren spielen in der Regel Obrigkeiten beziehungsweise staatliche Stellen eine wesentliche Rolle: Sie nehmen Enteignungen nicht willkürlich, sondern auf der Basis rechtlich fixierter Entscheidungen vor, die in aller Regel mit dem Gemeinwohltopos arbeiten und dabei eine ältere Rechtssprache, nämlich die der Unterscheidung zwischen Eigen- und Gemeinnutz, aufgreifen. Diese findet sich zumindest andeutungsweise noch in den Artikeln 14 und 15 des Grundgesetzes, die das Eigentum prinzipiell garantieren, seine Verwendung aber an das Gemeinwohl koppeln und gegebenenfalls eine Eigentumsentziehung gegen Entschädigung vorsehen.
Da "Gemeinwohl" indes keine feststehende Referenz ist, sondern ihrerseits ein Moment wechselnder politischer Semantik enthält, bedürfen Enteignungsentscheidungen expliziter rechtlicher Grundlagen (Gesetze oder Verordnungen auf Gesetzesbasis) und müssen einer Überprüfung durch die Rechtsprechung standhalten. Diese Bindung der Eigentumsentziehung an rechtsstaatliche Vorgaben geht auf das späte 18., vor allem aber auf das 19. Jahrhundert zurück und war eine Folge der Eigentumsgarantie der sich durchsetzenden bürgerlichen Rechtsverhältnisse, in denen das persönliche Eigentum ja gerade garantiert worden war (etwa gegen Fürstenwillkür). Enteignungen sind daher im strikten rechtlichen Sinne Folge und Ergebnis von Rechtsordnungen, in denen das Eigentum garantiert ist.
In einem modernen Sinne machten wohl schwedische Verordnungen zur Eigentumsentziehung im 18. Jahrhundert den Anfang, denen nach und nach alle größeren europäischen Staaten folgten. In Preußen wurden Fragen der Enteignung bereits im Allgemeinen Landrecht der 1790er Jahre geregelt, Baden und Bayern folgten Mitte der 1830er Jahre. Seither gibt es in allen modernen, bürgerlich-rechtlich verfassten Staaten Regelungen über den Eigentumsentzug aus übergeordneten Gründen, historisch zumeist aus den Zwängen des (flächenintensiven) Ausbaus der öffentlichen Infrastruktur, die etwa im Kanal-, Eisenbahn- oder Autobahnbau mit den vorhandenen Eigentumsverhältnissen an relevanten Flächen in Konflikt geraten konnten und gerieten, aber auch aus Gründen fiskalischer Art oder zur Sicherung von Versorgungssicherheit, was etwa bei der Verstaatlichung von Eisenbahnen oder der Übernahme von Versorgungsbetrieben unter kommunale Kontrolle eine große Rolle spielte. Diese Form der Eigentumsentziehung war und ist im Einzelfall immer wieder von zum Teil langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen begleitet, die, sollte allein die Länge der Verfahren den Erfolg der Infrastrukturmaßnahmen gefährden, auch immer wieder zu gesetzgeberischen Eingriffen führte, um Enteignungsverfahren zu beschleunigen. Am Grundsatz der Enteignung gegen angemessene Entschädigung wurde deshalb aber nicht gerüttelt; problematisch ist die Frage erst geworden, seit das Kriterium des "Gemeinwohls" selbst in performative Turbulenzen geraten ist, etwa im Konflikt zwischen Verkehrsverbesserung und Umweltschutz. In diesem Bereich hat sich die rechtliche Eigentumsgarantie und die Vorschrift über die Rechtsförmigkeit von Eigentumsentziehungen mittlerweile als wirksames, auch vielgenutztes politisches Instrument herausgestellt, das die Problematik der Enteignung wie im Brennglas zu verdeutlichen mag.
Derartige Eingriffe in die vorfindlichen Eigentumsstrukturen sind indes historisch eher von geringer Bedeutung, auch wenn es im Einzelnen immer wieder zu heftigen Konflikten etwa bei der Ausweisung von Militärübungsplätzen oder der Erweiterung von Bergbaubetrieben (Tagebaue) gekommen ist. Denn diese Eingriffe zielten in der Regel nicht auf eine Korrektur der Eigentumsordnung, die sie im Gegensatz vielmehr gerade dadurch unbedingt bestätigten, dass sie sie im begründeten Einzelfall außer Kraft setzten. Historisch von sehr viel größerer Bedeutung ist die mit gesellschaftsreformerischen Motiven und Intentionen betriebene Bekämpfung der (in der Regel historisch gewachsenen) Eigentumsordnung, da sie entweder nicht den allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen zu entsprechen oder die private Eigentumsnutzung in ihrem Ergebnis zu inakzeptablen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen und entsprechenden sozialen Ergebnissen zu führen scheint. Insbesondere Eigentumsungleichheit, aber auch Eigentum an sich, gerieten so in den Fokus politischen Handelns, das letztlich aus Gründen der Herstellung akzeptabler sozialer Verhältnisse Eingriffe in die gegebene Eigentumsordnung, vulgo die (unter Umständen entschädigungslose) Enteignung der Eigentümer aus übergeordneten Gründen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Effizienz propagiert.
Eine derart begründete Eigentumsfeindschaft ist in der europäischen Geschichte übrigens keineswegs die Ausnahme oder ein Randphänomen gewesen. Die im 19. Jahrhundert immer stärker in den Fokus rückende sozialistische Ablehnung des Privateigentums war daher weder neu noch voraussetzungslos. Auch wenn in den Debatten um Pierre Joseph Proudhon oder Karl Marx deren semantische Fassung variierte, war die Ablehnung des Privateigentums fundamental; ihre Zukunftsentwürfe kreisten durchweg um Utopien der Eigentumslosigkeit zumindest an den Produktionsmitteln, von der man sich eine Pazifizierung gesellschaftlicher Konflikte ebenso versprach wie ein Reich des Wohlstands, ja des Überflusses.
Entsprechend begründete Eingriffe in die jeweils historisch gewachsenen Eigentumsordnungen und -strukturen sind ebenfalls seit vorgeschichtlicher Zeit belegt. Die in der jüdischen oder griechischen Tradition verzeichneten regelmäßigen Schuldenerlasse und die Aufhebung von Schuldknechtschaftsverhältnissen waren Gläubigerenteignungen aus übergeordneten Gründen vermeintlicher sozialer Gerechtigkeit und politisch-sozialer Stabilisierung. Die juristisch nicht immer ganz eindeutige, faktisch aber offenkundige Ungleichverteilung des Bodens, des Hauptproduktionsmittels der vorindustriellen Zeit, wurde freilich erst im Zuge der weitgehenden Allodifizierung des ländlichen Eigentums, also dessen Überführung von lehnsrechtlich gebundenen Nutzungs- und Verfügungsweisen in unbeschränktes persönliches Eigentum,
Enteignungen im 20. Jahrhundert
Enteignungen fanden vor allem in und im Gefolge der beiden Weltkriege, punktuell auch in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus sowie später im Rahmen der sukzessiven Auflösung der kolonialen Strukturen statt. In beiden Kriegen kam es zu umfangreichen Beschlagnahmungen und später Enteignungen des deutschen Auslandsvermögens, auch wenn die Frage, ob einzelne Eigentümer kollektiv für das Handeln der Staaten, denen sie angehören, rechtlich haftbar sind, völlig unklar ist.
Kennzeichnend für alle Eingriffe, die im Kontext von Kriegshandlungen, diktatorischen Maßnahmen, der Auflösung kolonialer Strukturen oder der Eindämmung konkreter Krisenphänomene erfolgten, war, dass mit ihnen keine grundsätzliche Änderung der ökonomischen Verhältnisse beabsichtigt war; der Eigentümer wechselte, nicht aber die Art und Weise der Eigentumsnutzung. Dies war völlig anders im Rahmen der sozialistischen Transformationen, die Europa und Asien im 20. Jahrhundert in zwei Wellen erfassten und bis zum Ende der 1980er Jahre einen Teil der Weltwirtschaft prägten. Auch diese Transformationen waren eminent politische, ja gewalttätige Ereignisse, denn unter demokratischen Verhältnissen haben zumindest bisher massive Korrekturen der Eigentumsordnung keine Mehrheiten gefunden. Die Verstaatlichungen etwa der Schwerindustrie oder von Teilen der Automobilindustrie in Großbritannien und Frankreich nach dem Krieg blieben überdies kriegsfolgenbedingtes Stückwerk und wurden nach und nach wieder aufgegeben.
In historischer Perspektive waren weitgehende Eingriffe in die Eigentumsstruktur bisher nur unter Ausnahmebedingungen politisch durchsetzbar; sie beruhten im Erfolgsfall auf diktatorischen Regierungspraktiken, die nur im Anschluss an schwere Krisen oder Katastrophen überhaupt möglich wurden. Ihre Begründung fanden die Enteignungen beziehungsweise die Enteignungsversuche in einer überaus brisanten Verbindung aus älteren eigentumskritischen Semantiken, die durch die sozialen Verhältnisse während des Krieges zugleich bestätigt und radikalisiert wurden,
Diese Argumentation vereinigte ganz unterschiedliche kapitalismuskritische Lager; sie war keineswegs auf die verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung beschränkt, sondern fand auch in Walther Rathenau oder Wichard von Moellendorf, die für eine moderne Gemeinwirtschaft plädierten, Fürsprecher – wie überhaupt die kapitalistische Tradition in der Weimarer Republik weder auf der linken noch auf der rechten Seite des politischen Spektrums viele Freunde hatte.
In Russland war es nach der Revolution zu umfassenden Enteignungen zunächst der landbesitzenden Gruppen, später der gesamten "Bourgeoisie" gekommen, mit freilich zunächst katastrophalen Folgen für die Versorgung mit Gütern und Lebensmitteln.
Da die Sowjetunion den Krieg als Sieger beendet und große Teile des östlichen Mitteleuropas besetzt hatte, war nun auch die Möglichkeit gegeben, ihr Gesellschaftsmodell zu exportieren, was mit großer Konsequenz auch realisiert wurde. In allen späteren realsozialistischen Staaten gab es umfangreiche Bodenreformen, zugleich wurden die Schlüsselindustrien unter sowjetische Kontrolle gebracht, verstaatlicht und in ein neues Planwirtschaftssystems integriert. Die Enteignungswellen der Nachkriegszeit wurden je nach den regionalen Bedingungen bis in die 1970er Jahre fortgesetzt.
In der DDR folgten dem Großgrundbesitz, der Großindustrie und den Banken in den 1950er Jahren die bäuerliche Landwirtschaft, das mittlere Gewerbe, aber auch Dienstleistungsunternehmen und Gaststättenbetriebe und Wohneigentum. An die Stelle der Koordination wirtschaftlichen Handelns über dezentrale private Entscheidungen und preisbildende Märkte trat ein umfassendes Planungssystem mit einem entsprechenden distributiven Unterbau, über den die entsprechenden Güter und Dienstleistungen zugeteilt wurden.
Wirtschaftliche und soziale Folgen
Die Folgen der Enteignung und der planwirtschaftlichen Reorganisation schienen ihren Verfechtern anfänglich sogar Recht zu geben, denn die Versorgung der Bevölkerung funktionierte in der SBZ in den ersten Jahren nach dem Ende des Krieges vergleichsweise gut.
Die Bilanz von gut 70 beziehungsweise 40 Jahren eigentumsloser Ökonomie war in umfassender Hinsicht verheerend. Der noch 1990 vorherrschende Glaube, aus der Substanz der DDR-Wirtschaft ließe sich ihre Reorganisation mühelos finanzieren, musste nach und nach aufgegeben werden; die Realität war ernüchternd. Statt großer Erträge wurde der Privatisierungsprozess in der ehemaligen DDR zu einem milliardenschweren Subventionsgeschäft. Die sich anschließenden Transformationsprozesse, die in einer mehr oder weniger überstürzten Wiedereinführung von Privateigentumsstrukturen und marktwirtschaftlichen Verhältnissen bestanden, zeigten zum Teil katastrophale Ergebnisse, da sich der eingetretene Zustand nicht mehr positiv korrigieren, sondern nur noch "abwickeln" ließ.
Die eigentliche Erfolgsgeschichte spielte sich dabei freilich nicht in den vermeintlich neoliberalen Transformationen in Europa ab, sondern wurde von der chinesischen Wirtschaft geschrieben, die seit dem Ende der 1970er Jahre eine langsame, dafür aber umso gründlichere Umstellung auf privateigentumsgestützte kapitalistische Strukturen überaus erfolgreich absolvierte. "Neoliberal", wie es das verbreitete Etikett ist, war in China wenig, zumal bis heute der Staatseinfluss in wichtigen Sektoren und Unternehmen groß ist und auch die Öffnung der chinesischen Wirtschaft zum internationalen Kapitalmarkt keineswegs vollständig vollzogen ist. Gleichwohl oder gerade deshalb sind die ökonomischen Erfolge der chinesischen Transformation in jeder Hinsicht eindrucksvoll. Das chinesische Beispiel zeigt schlagend, dass die Vorstellung, mit der Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln verschwinde die soziale Ungleichheit oder falle auf unbedeutende Ausmaße zurück, bestenfalls eine Schimäre war, deren einziger Ausdruck in der vergleichsweise egalitären Armut bestand, die den Alltag aller sozialistischen Gesellschaften bestimmte.
Gesellschaftliche Krisen und die Wiederkehr der Eigentumsfeindschaft
Parallel zum Verfall der Planwirtschaften ging in den westlich-kapitalistischen Staaten die Attraktivität derartiger Modelle zurück, ja geriet der Staat überhaupt in den Verdacht, eher Ursache der sich seit den 1970er Jahren häufenden wirtschaftlichen Probleme zu sein als die Kraft, die diese Probleme beseitigen könnte. Der Grund hierfür war nicht primär ideologischer Art, etwa dass, wie es der Soziologe Wolfgang Streeck unterstellt, das "Kapital" den sozialpartnerschaftlichen Konsens der Nachkriegszeit aufgekündigt habe und nicht mehr bereit gewesen sei, dessen Finanzierung mitzutragen und dessen Institutionen zu stützen.
Die als Antwort hierauf vor allem von der britischen Regierung Margaret Thatchers vorangetriebene "neoliberale" Rosskur traf folgerichtig auch weniger die noch einigermaßen wettbewerbsfähige westdeutsche Ökonomie, sondern wurde für Großbritannien und unter Ronald Reagan für die USA typisch. Vor allem im Vereinigten Königreich wurden die Privatisierung und Deregulierung von traditionell dem Staat gehörenden beziehungsweise durch ihn gesteuerten Sektoren wie dem Bergbau und der Energiewirtschaft gegen große Widerstände durchgesetzt.
Doch auch hierbei blieben die im strengen Sinne ideologischen Debatten, die die Privatisierung begleiteten, von eher begrenzter Bedeutung. Ausschlaggebend war vielmehr, was vor mehr als 100 Jahren das Ausgreifen des Staates und die Enteignung der Privaten etwa im Bereich der Verkehrsinfrastruktur bedingt hatte, insbesondere die Frage des wirtschaftlichen Nutzens staatlicher Unternehmen. Da aus dem einstmals großen ökonomischen Nutzen etwa von Bahn und Post mittlerweile schwere Subventionslast geworden war, die der Staat nicht länger tragen wollte, zumal er die notwendige Modernisierung etwa der Bahn oder der Post nicht leisten konnte oder wollte, war das Ende der Kollektivwirtschaft pragmatisch geboten, auch wenn es zeitweilig zu übertriebenen Hoffnungen in die Reibungslosigkeit der Funktionsweise von Märkten nicht wenig beitrug.
Erst das Zerplatzen dieser neoliberalen Utopie in der Finanzkrise kehrte die Situation um. Analog zur Staatskritik der 1980er und 1990er Jahre machte sich nun eine Kritik der Märkte bemerkbar, die deshalb zunehmend an Momentum gewann, weil sie nicht auf die Regulierung der Finanzmärkte beschränkt blieb, sondern Marktlösungen generell im Kontext des Klimawandels und einer vermeintlich wachsenden sozialen Ungleichheit unter Verdacht stellte. Schien in den 1970er Jahren das staatliche Engagement an seine Grenzen zu stoßen, so haben derzeit wiederum Stimmen Rückenwind, die im Kern des Versagens der Märkte privateigentumsgetriebene Profitgier vermuten. Mittlerweile sind auch Enteignungslösungen zumindest wieder diskussionsfähig geworden. Bei allem Korrekturbedarf von Marktlösungen lehrt die Geschichte freilich, dass deren Ersetzung durch staatliches oder Verwaltungshandeln nicht notwendig zielführend ist, Enteignung also zum Problem wird, wenn sie als Mittel der Gesellschaftsreform genutzt werden soll.