Einleitung
Am 1. Mai 2003 landete der damalige US-amerikanische Präsident George W. Bush auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln und erklärte den Irak-Krieg offiziell für beendet. Die "major combat operations", die Hauptkampfhandlungen, seien eingestellt. Zur Unterstreichung seiner Siegesbotschaft wehte über dem Schiffsdeck ein riesiges Transparent mit der inzwischen zum geflügelten Wort gewordenen Aufschrift "Mission Accomplished".
Ist also ein Journalist, der heute aus Bagdad berichtet, immer noch ein Kriegsreporter? Oder war er das nur vom 20. März bis zum 1. Mai 2003, in der so genannten heißen Phase des Krieges, als die Panzer auf Bagdad vorrückten und die irakische Armee sich noch nicht ergeben hatte? Und wenn er kein Kriegsreporter (mehr) ist, wann und nach welchen Kriterien erfolgte der Wechsel vom Kriegs- zum Krisenreporter, und was bedeutet das für den Alltag des Reporters? Die US-amerikanischen Medien stellen sich diese Frage nicht; völlig selbstverständlich wird nach wie vor vom "Iraq war" geschrieben und gesprochen - das allerdings immer seltener.
Auf den Titelseiten der Zeitungen finden sich immer weniger Geschichten über das Geschehen in Bagdad oder einer der 18 irakischen Provinzen. In den USA machten Berichte aus dem Irak in den ersten zehn Wochen des Jahres 2007 noch 23 Prozent der Nachrichtenzeit ("newshole") im Fernsehen insgesamt aus. Im gleichen Zeitraum 2008 waren es nur noch drei Prozent. In den großen Kabelnetzwerken fiel der Irak-Anteil an den Nachrichten von 24 auf 1 Prozent.
Die Frage, wieviel Journalisten aus dem Irak berichten, wirft eine zweite auf: Worüber können sie überhaupt berichten, und um welchen Preis? Vom hohen Todeszoll war bereits die Rede. Die Berichterstattung aus dem Irak kostet die Medien aber auch in finanzieller Hinsicht ein Vermögen. Die schwierige Sicherheitslage hat die Kosten eines Korrespondenten vor Ort in unerschwingliche Höhen getrieben. Keine der deutschen Zeitungen oder Magazine, nicht einmal die öffentlich-rechtlichen Sender haben noch dauerhaft Reporter im Land. Wer kann schon wie die New York Times für ein Büro in Bagdad mehr als drei Millionen US-Dollar im Jahr zahlen - das Personal noch nicht einmal miteingerechnet?
Die Arbeitsbedingungen von Journalisten im Irak haben sich seit März 2003 immer wieder stark verändert. Die Berichterstattung zwischen März 2003 und Herbst 2009 und die sie bestimmenden Rahmenfaktoren lassen sich in fünf Phasen unterteilen. Die erste Phase war die des "heißen Krieges": Das Regime Saddam Husseins war noch an der Macht, und Journalisten im Irak, inländische wie ausländische, unterstanden staatlicher Zensur und strikter Kontrolle durch das Informationsministerium.
Journalismus war im Irak auch vor dem Krieg ein heikles Handwerk. Unter Saddam Hussein arbeitete die Mehrheit der Journalisten für die Regierung, oder, in kleiner Zahl, heimlich und unter Lebensgefahr für die streng verfolgte, illegale Opposition. Aus Zeitung, Radio und Fernsehen sprach zum Volk allein die Stimme des Staates. Entsprechend konnten die irakischen Journalisten in der ersten Kriegsphase überwiegend offizielle Verlautbarungen verkünden, selbst wenn diese so offenkundig absurd waren wie die von Mohammed al-Sahhaf, dem letzten Informationsminister unter Saddam Hussein. Noch als die ersten US-amerikanischen Panzer durch Bagdad rollten und die Bilder flüchtender Elite-Soldaten live um die Welt gingen, beharrte Sahhaf: "Ich garantiere Ihnen dreifach: Es gibt keine amerikanischen Soldaten in Bagdad."
Die ausländischen Journalisten in dieser ersten Phase der Irak-Berichterstattung wiederum lassen sich in drei Gruppen unterteilen: Es gab erstens die entweder schon seit längerem im Irak stationierten (vor allem arabischen) oder zum Kriegsbeginn eingereisten Korrespondenten in Bagdad. Dazu gehörten insbesondere Vertreter der internationalen Satellitensender und öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Für die ARD harrte zum Beispiel Christoph Maria Fröhder in Bagdad aus. Fröhder hatte bereits während des 2. Golfkriegs 1991 aus Bagdad berichtet. Bei seiner Arbeit dort, so Fröhder, habe er sich immer um größtmögliche Distanz zum Militär bemüht. Schließlich wolle er "die Leute über so einen Konflikt informieren und nicht als Sprachrohr der Militärs auftreten".
Wer zu Saddams Zeiten als Ausländer aus Bagdad berichtete, hatte stets einen "Minder" an seiner Seite, einen vom Informationsministerium abgestellten Aufpasser, der darauf achtete, dass die Journalisten auch alles Gesehene, Gehörte, Erlebte, richtig verstanden - und nichts sahen, hörten oder erlebten, was der staatlich verordneten Linie widersprach. Die Bewegungsfreiheit der ausländischen Korrespondenten war dadurch stark eingeschränkt. Ein umfassendes Bild konnten die von Bagdad aus operierenden Journalisten so nicht zeichnen. Denn was im Norden und Süden des Landes geschah, war von der Hauptstadt aus nicht auszumachen; oft waren schon entlegenere Stadtviertel für die Journalisten nicht erreichbar. Zu einer wichtigen Quelle für Informationen über das Alltagsleben der Iraker wurden die zahlreichen Blogs im Internet. Gegenüber den ausländischen Journalisten hatten die Blogger, die oft über ihre Familie berichteten und darüber, wie sie und ihre Freunde den Krieg erlebten, den Vorteil unmittelbarer Nähe. Allerdings kam immer wieder der Verdacht auf, hinter dem einen oder anderen Blog stecke in Wahrheit kein Iraker, sondern amerikanische PR-Experten.
Die zweite Gruppe der Irak-Berichterstatter stellten die in den Anrainerstaaten (Jordanien, Syrien, Iran, Türkei) auf eine Einreisegelegenheit wartenden Journalisten, von denen sich kurz vor oder zu Kriegsbeginn einige auf eigene Faust ins Land durchschlugen.
Anders als die Journalisten in Bagdad und die noch zu erwähnende dritte Gruppe der bei der Armee eingebetteten Reporter, die quasi live Kampfhandlungen übertrugen oder kommentierten, konzentrierten sich die auf eigene Faust durch das Land reisenden Kollegen mehr auf Hintergrundberichte und Reportagen. So urteilte Ebbing über seine Arbeit aus dem Krieg: "Ich produziere keine News."
Die dritte, wohl am kontroversesten diskutierte Gruppe der Irak-Berichterstatter während der heißen Phase des Krieges waren die "eingebetteten" Journalisten, die mit Einheiten der US-amerikanischen und britischen Armee von Kuwait aus in den Irak einmarschierten. Das Konzept des "Embedded Journalism" war in dieser Form vom amerikanischen Verteidigungsministerium erstmals angeboten worden. Entstanden ist die Idee aus Diskussionen zwischen Chefredakteuren und dem Pentagon darüber, wie man Journalisten die Berichterstattung über den Krieg bei möglichst geringem Risiko ermöglichen könne. Wer sich vorab schriftlich verpflichtete, sich an bestimmte Beschränkungen zu halten, durfte ausgewählte Militäreinheiten beim Einmarsch in den Irak begleiten; ein Angebot, von dem in der ersten Kriegsphase rund 500 Medienvertreter
Die Frage "zu nah dran" wurde quer durch alle Medien äußerst kontrovers diskutiert. Die Süddeutsche Zeitung etwa merkte kritisch an: "Militär und Medien liegen in einem Bett, und das Bett ist das Schlachtfeld oder ist ein Panzer. [...] Von dort kommen die Aufnahmen von der Jagd durch die Wüste, die Bilder, die die Welt bewegen. Diesem Sog kann sich kaum einer entziehen - die Zuschauer nicht und auch nicht die Journalisten."
Das Konzept, inzwischen geradezu selbstverständlich geworden für die Berichterstattung aus Kriegsregionen mit westlicher Truppenbeteiligung,
Gefährlich war die Arbeit während der heißen Phase des Krieges für Journalisten aller drei Gruppen - wobei das Klischee vom Kriegsreporter, der durch eine Panzerfaust an der Front stirbt, nur bedingt die Wirklichkeit beschreibt. Fälle wie der tragische Tod des Focus-Reporters Christian Liebig, der im April 2003 durch eine irakische Rakete starb, die im Camp der US-Militäreinheit einschlug, bei der er embedded war, blieben die Ausnahme.
Insgesamt haben die Medien in dieser ersten Phase des Irakkrieges in einem bislang nicht gekannten Ausmaß berichtet, mit einem enormen Aufwand an menschlichen und finanziellen Ressourcen. Dadurch entstand einerseits der Eindruck einer allumfassenden Berichterstattung, oft in Echtzeit. Andererseits konnte jeder der vielen hundert Journalisten nur ein kleines Mosaikstück des ganzen Krieges zeigen. In den Worten von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: "What we are seeing is not the war in Iraq; what we're seeing are slices of the war in Iraq."
Nach dem heißen Krieg kam das große Chaos, aber auch die Hoffnung. Mit den Saddam-Statuen fiel auch die eiserne Hand des Zensors; der Staatsapparat implodierte von einem Tag auf den anderen, ein großes Vakuum entstand. Der Welt blieben vor allem die Bilder der Heerscharen von Plünderern in Erinnerung, die durch die Straßen, Paläste und Ministerien marodierten und alles mitnahmen, was sie tragen konnten. Für die Medien wurde das Frühjahr 2003 zum Gründungsfrühling. In den sechseinhalb Kriegsjahren dürfte dies für Journalisten, in- wie ausländische, das beste Zeitfenster gewesen sein. Nach Jahrzehnten der Zensur und Unterdrückung durften irakische Journalisten zum ersten Mal schreiben, was sie wollten. Plötzlich war alles erlaubt, zumindest für eine kurze Zeit: Satellitenschüsseln, Internet, private Zeitungen. Irak, so lange isoliert, fand wieder Anschluss an die Welt.
Ende Mai löste die neu eingesetzte US-amerikanische Coalition Provisional Authority (CPA) das Informationsministerium per Verwaltungsorder auf; 6000 Angestellte wurden quasi über Nacht nach Hause geschickt. Binnen weniger Wochen entstanden neue Zeitungen, schreiend bunte Boulevardzeitungen, kleine ambitionierte Wochenblätter, englischsprachige Bulletins - es war die Zeit der Experimente. Natürlich mussten die Journalisten viel improvisieren. Journalisten, die Erfahrung mit einer freien Presse hatten, waren rar. Eine Lücke, die auf Medienentwicklung spezialisierte Nichtregierungsorganisationen erkannten. Das britische Institute for War and Peace Reporting (IWPR) etwa bildete in Bagdad und später im Nordirak eine neue Generation junger irakischer Journalisten aus, die in den Folgejahren, als Irak für ausländische Journalisten zunehmend unzugänglich wurde, eine zentrale Rolle in der Berichterstattung über den Krieg übernahmen.
Doch zunächst brach auch für die ausländischen Journalisten im Irak eine neue Zeit an. Ohne "Minder" konnten sie sich erstmals frei im Land bewegen, konnten sich Schicksale erzählen lassen. Der Fokus der Berichte verlagerte sich von den militärischen Aspekten der ersten Kriegswochen zu den Menschen und jenen Geschichten, die drei Jahrzehnte lang nicht erzählt werden konnten.
Doch spätestens mit dem Anschlag auf das Hauptquartier der Vereinten Nationen in Bagdad am 19. August 2003, bei dem unter anderem der UN-Sondergesandte Sergio Vieira de Mello starb, war klar: Dieser Krieg ist noch lange nicht vorüber. Schon bald verging kaum eine Woche, in der nicht irgendwo eine Autobombe explodierte oder sich ein Selbstmordattentäter sprengte. Betonmauern und Straßensperren verwandelten Bagdad schrittweise in ein festungsähnliches Labyrinth.
Mit der Sicherheitslage veränderte sich die Arbeit der Reporter erneut. Statt über den neuen Alltag der Iraker schrieben sie nun über einen Krieg, der mit anderen Waffen geführt wurde. Und bei dem sich nicht klar erkennen ließ, wer eigentlich der Feind war. Sicherheit wurde zur alles dominierenden Frage bei der täglichen Arbeit. Dann begannen die Entführungen. Anfangs wirkten sie wie Einzelfälle, doch schon bald kristallisierte sich ein Muster heraus: Al-Qaida und mit ihnen kooperierende Splittergruppen konnten ausländische Geiseln benutzen, um politischen Druck (zum Beispiel auf jene Nationen, die Truppen im Irak hatten) auszuüben und Aufmerksamkeit in den Medien zu erregen. Irakische Geiseln wurden vor allem entführt, um Geld zu erpressen. Zeitweise befanden sich bis zu 40 Ausländer in der Hand von Kidnappern, darunter auch mehrere Journalisten.
Die Bewegungsfreiheit war extrem eingeschränkt, jeder Recherche gingen aufwändige Sicherheitsvorkehrungen voraus. Viele Ausländer verließen das Land, große Zeitungen und Fernsehsender bauten ihre Büros zu Festungen aus oder zogen in die Green Zone, jenes Hochsicherheitsviertel im Zentrum Bagdads, in dem die amerikanische Zivilverwaltung saß. Ein immer größerer Teil der Recherchearbeit ging nun auf Iraker über, auf so genannte "Fixer" oder "Stringer", die für eine Redaktion gezielt Informationen sammelten, Kontakte herstellten, Interviews anbahnten und zunehmend auch selbst führten.
Auch griffen ausländische Reporter wieder verstärkt auf das Embedding zurück, das die Koalitionsstreitkräfte nach wie vor anboten. Mit dem Militär konnten sich ausländische Journalisten (wieder) am ehesten im Land bewegen - was die Perspektive der Berichte erneut veränderte. Der Alltag der Iraker geriet in den Hintergrund, der Schwerpunkt lag wieder auf militärischen und sicherheitspolitischen Aspekten. Ein zentrales Thema seit Frühjahr 2004 war der Kampf gegen al-Qaeda im Irak.
Der nächste Einschnitt kam am 22. Februar 2006, als Unbekannte die Goldene Moschee in Samarra, ein wichtiges schiitisches Heiligtum, angriffen und teilweise zerstörten. Nach dem heißen Krieg, der kurzen Phase der Hoffnung, der Rückkehr zum Krieg mit anderen Mittel, trat der Irakkrieg in seine nächste, bislang tödlichste Phase: die der ethnischen Gewalt. In den Tagen nach dem Anschlag starben mehr als 100 Iraker bei Ausschreitungen zwischen Sunniten und Schiiten, und das gegenseitige Töten setzte sich in den folgenden Monaten fort.
Auch für Journalisten, vor allem die irakischen, begann mit Samarra ein neuer Zeitabschnitt. Im August 2006 hatte die Zahl der im Irak getöteten Journalisten laut Reporter ohne Grenzen bereits 100 erreicht, davon waren die Mehrzahl Iraker. Immer offener wurden sie bedroht, per SMS, Anruf oder mit einem Zettel am Gartentor. "Hör auf zu schreiben, oder Du wirst geköpft!" war die unmissverständliche Botschaft an einen jungen schiitischen Reporter in Hawija, einer sunnitischen Extremistenhochburg im Norden Iraks. Nach wiederholten Drohungen floh er schließlich in den Süden des Landes.
Und wer traute sich noch, Alltagsgeschichten aus dem Irak zu schreiben, bei rund 4000 gewaltsamen Toden, die es Ende 2006, Anfang 2007 jeden Monat gab?
Die extrem schwierige Sicherheitslage führte auch bei den ausländischen Journalisten dazu, dass immer weniger über den Alltag der Iraker und immer mehr über Sicherheit, Militär und den Kampf gegen den Terror berichtet wurde. Eine Umfrage des "Projects for Excellence of Journalism" unter amerikanischen Journalisten im Irak ergab, dass die Mehrzahl die Berichterstattung über den militärischen Teil des Irak-Krieges für umfassend und ausreichend hält, aber große Defizite beim Thema "Alltagsleben der Iraker" sieht.
Die fünfte und bislang letzte Phase der Irakberichterstattung wurde eingeläutet durch den "Surge", wie das Pentagon seine Konteroffensive im Irak ab Februar 2007 nannte, mit der das Land und vor allem Bagdad wieder unter Kontrolle gebracht werden sollte. 30 000 zusätzliche Soldaten wurden ins Land geschickt, außerdem wurden in den sunnitischen Vierteln Bürgerwehren eingerichtet, die dem Militär und der Polizei dabei helfen sollten, al-Qaeda und ihre Verbündeten aus den Städten zu vertreiben.
Ab Frühjahr 2008 zeichnete sich eine erste Besserung der Sicherheitslage ab, die Zahl der Anschläge ging zurück. Für Journalisten ist das Land nach wie vor eines der gefährlichsten der Welt, doch immer häufiger sind auch außerhalb der Hochsicherheitszonen wieder ausländische Journalisten anzutreffen. Bagdad ist nicht mehr nur eine verbotene Stadt. Von einem normalen Arbeitsalltag für Journalisten aber kann bis heute, mehr als sechseinhalb Jahre nach dem offiziellen Kriegsende, nicht die Rede sein. Wer aus dem Irak berichtet, muss dies weiterhin unter den Bedingungen von Krieg und Krise tun.