Einleitung
Iran gilt bei den Diskussionen um Frauenrechte im Islam als das Musterland einer islamischen Rechtsordnung, in der Frauendiskriminierung Programm ist. Nicht Wenige assoziieren mit Iran unwillkürlich und als Erstes Bilder von Frauen im schwarzen Ganzkörperumhang (Tschador). Doch Frauenrechte in Iran nur darauf zu reduzieren, wird der Komplexität des Themas nicht gerecht. Einerseits wird so die Bandbreite der Diskriminierungen von Frauen ausgeblendet, andererseits werden Frauen, die als unmündige Kopftuchträgerinnen betrachtet werden, zugleich auf einen Opferstatus reduziert.
Eine auf die Kopftuchpflicht fokussierte Sichtweise blendet zudem die seit Jahren stattfindende Entwicklung aus, welche die gesellschaftliche Realität immer mehr von der Verfassung und Verfassungswirklichkeit entfernt hat. Sichtbarer Ausdruck der inneriranischen Debatten sind die Proteste anlässlich der Präsidentschaftswahlen im Sommer 2009, als die Welt Zeuge wurde, wie die iranischen Männer und Frauen um Bürgerrechte und Demokratie rangen. Vor diesem Hintergrund ist in diesem Beitrag eine Darstellung des Ist-Zustandes unter Berücksichtigung der inneriranischen Debatten intendiert. Die starren Normen werden den zeitgenössischen zwölferschiitischen Denkern gegenüber gestellt, um so nach immanenten Reformmöglichkeiten zu fragen.
Stellung in der Verfassung: Präambel
In dem barocken Konglomerat der Präambel zur iranischen Verfassung wird Frauen ein Abschnitt gewidmet, dessen Vorgaben für die Stellung der Frau in der Verfassung richtungsweisend sind, auch wenn der Präambel keine Bindungswirkung zukommt.
Artikel 3, Ziffer 9 und 14
Der Staat verpflichtet sich in Art. 3 der Verfassung, alles dafür zu tun, um die darin definierten weitreichenden Ziele zu erreichen. In Bezug auf Frauen sind Ziff. 9 und Ziff. 14 dieser Norm relevant.
Versteht man die Gleichheit vor dem Gesetz als nicht notwendig identisch mit der Gleichheit von Mann und Frau, wovon in der iranischen Verfassung auszugehen ist, so muss konstatiert werden, dass Art. 3 Ziff. 14 die Basis für die Existenz diskriminierender Normen in der gesamten Rechtsordnung darstellt. Da keine Gleichheit von Mann und Frau in den einfachgesetzlichen Normen (Zivil- und Strafrecht) existiert, kann das Postulat des Art. 3 Ziff. 14 nur dahingehend verstanden werden, dass Frauen und Männer in der Geltendmachung ihrer Rechte gleich sind, aber eben nicht im tatsächlichen Gehalt der Normen. Der Blick in die einfachgesetzlichen Normen zeigt, dass grundlegende verfassungsrechtliche Garantien in Bezug auf die Frauen mittelbar umgangen werden können oder aber einer orthodoxen Auslegung unterliegen. Dies gewinnt vor dem Hintergrund der in Ziff. 14 verankerten "Judikativen Gerechtigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz" an Bedeutung. Denn die Judikative kann nur insoweit um die Herstellung der Gerechtigkeit bemüht sein, wie diese Männern und Frauen von Gesetzes wegen zuteil wird.
Bedenkt man die zahlreichen Ungleichheiten in sämtlichen Normen des Zivil- und Strafrechts, so ist die Gleichheit von Mann und Frau zwar als Verfassungsauftrag (Art. 3 Ziff. 14) explizit verankert, aber zugleich unter den Vorbehalt der "islamisch-adäquaten Gleichwertigkeit" der Rechte gestellt, die zudem unterschiedlich ausgelegt werden. Wird dabei einer traditionellen Lesart gefolgt, so wird durch die Verfassung den benachteiligenden Rechtsvorschriften Geltung verschafft.
Artikel 21
Die besondere staatliche Fürsorge für (vor allem sozial schwache) Frauen nimmt eine wichtige Stellung in der Verfassung ein. So ist Art. 21 als "Exklusiv-Grundrecht" allein den Frauen gewidmet.
Art. 21 Abs. 5, der eine Privilegierung "würdiger Mütter" zum Gegenstand hat, stellt eine Diskriminierung des überwiegenden Teils der Frauen dar. Denn demzufolge wird die Vormundschaft des Kindes, die grundsätzlich beim Kindsvater bzw. seinen Ahnen liegt, nur ausnahmsweise jenen Müttern übertragen, die sich als würdig im Sinne des Islam erwiesen haben (etwa Kriegswitwen); und auch nur dann, wenn keine männlichen Vormundpersonen mehr existieren.
Festzuhalten ist: Art. 21 weckt auf den ersten Blick mehr Hoffnungen, als durch ihn realisiert werden (könnten). Das "Exklusiv-Grundrecht" gewährleistet Frauenrechte nur im Rahmen des tradierten Verfassungsbildes, welches auf die Rolle als Mutter und Ehefrau aufbaut. Der Artikel ist kein Garant für gleiche Rechte von Mann und Frau und liefert somit wenig Input für Frauenrechte im Sinne moderner Menschenrechte.
Stellung in den einfachgesetzlichen Normen
Der Ausgangspunkt für die Gesetzgebung ist das Prinzip der "Gleichwertigkeit", wonach Frauen und Männern nicht gleiche, sondern adäquate Rechte zugesichert werden. Ausgewählte Bereiche sollen den Charakter und die Inhalte der Normen näher vorstellen.
Ehe
Nach dem klassischen Verständnis des islamischen Rechts wird die Ehe als ein Tauschvertrag mit festen Bedingungen und einheitlicher Rechtswirksamkeit definiert.
Die Ehe einer iranischen muslimischen Frau mit einem Nichtmuslim ist nicht gestattet. Der umgekehrte Fall ist dagegen zulässig, sofern die Gattin einer monotheistischen Religion angehört. Die Familienführung obliegt dem Ehemann,
Von diesem "Führungsrecht" des Mannes sind Normen abgeleitet, wonach die Frau zum Verlassen des Hauses sowie bei einer Auslandsreise seine Erlaubnis benötigt. Die Ehe selbst ist von dem Gedanken der Komplementarität der Rechte geprägt. Diese beinhaltet zum einen die Unterhaltspflicht des Mannes, und zwar unabhängig von Vermögen oder Berufstätigkeit der Frau, zum anderen ihre allseitige sexuelle Verfügbarkeit. So hat die Frau Anspruch auf eine angemessene Unterhaltszahlung durch den Ehemann und dieser das Recht, jederzeit Beischlaf von seiner Ehefrau zu fordern, es sei denn, es liegen Hinderungsgründe (Menstruation) vor. Die Gleichheit der Geschlechter wird also in der Gewährleistung der als absolut definierten und sich ergänzenden Rechte garantiert. Angesichts der Anforderungen des modernen Lebens und insbesondere vor dem Hintergrund des steigenden Bildungsgrads der iranischen Frauen wird jedoch über die bestehenden Normen intensiv debattiert.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die zivilrechtlichen Normen ein System der Familie festschreiben, das zwar nach traditioneller Sicht kohärent sein mag. Dieses Normgefüge begründet jedoch zahlreiche Diskriminierungen, etwa wenn die Frau einer nichttraditionellen Lebensweise folgen möchte. Dann kommt das religiöse Familiensystem ins Wanken.
Eigentum- und Erbrecht
Nach iranischem Recht gibt es kein gemeinsames Eigentum der Eheleute. So bestimmt § 1118 IZGB kurz und bündig, dass "die Frau über ihr Vermögen frei verfügen kann". Dieses Recht bleibt insbesondere vom "Führungsrecht" des Mannes unberührt. Die zugesicherte finanzielle Unabhängigkeit steht jedoch im eklatanten Widerspruch zur Unmündigkeit der Frau, die in zahlreichen Gesetzen zum Ausdruck kommt. Anders formuliert: Mit der finanziellen Unabhängigkeit der Frau könnte für Gleichberechtigung argumentiert werden.
Das iranische Erbrecht unterscheidet zwischen der Position als Tochter und als Ehefrau. Der Nachlass der Eltern wird wie folgt geteilt: Sind mehrere Erben desselben Geschlechtes vorhanden, so wird der Nachlass zu gleichen Teilen unter ihnen aufgeteilt.
In einer kinderlosen Ehe kommt im Falle des Todes des Ehegatten seiner Frau ein Viertel des Vermögens zu, während der Ehemann im umgekehrten Fall die Hälfte des Vermögens erhält.
Dem Erb- und Familienrecht liegen tradierte Vorstellungen zugrunde, die evaluiert werden müssen, da der Trend, zumindest in den urbanen Zentren, zu einer partnerschaftlichen Geschlechterbeziehung geht.
Scheidung
Im IZGB sind drei Möglichkeiten für eine Scheidung vorgesehen: Auf Antrag des Ehemannes (Grundsatz), aufgrund eines gerichtlichen Antrages durch die Ehefrau (Ausnahmetatbestand) sowie einvernehmlich. Während das Gericht bei der Scheidung im Grundfall keine materiellen Prüfungen vornimmt und sich das Verfahren auf die Abwicklung der finanziellen Aspekte beschränkt, wird dem Scheidungsbegehren der Frauen nur dann stattgegeben, wenn die Hindernisse für die Fortführung der Ehe gerichtlich überprüft wurden. Dem Antrag auf Scheidung durch die Frau kann ausnahmensweise stattgegeben werden, wenn eine der in § 1119ff. IZGB genannten Voraussetzungen vorliegen, welche in ehevertraglichen Vereinbarungen festzulegen sind. Zu diesen Tatbeständen, die das Scheidungsrecht der Frau auslösen, gehören etwa eine Zweitfrau, anhaltend missbräuchliches Verhalten (darunter werden massive Beleidigungen und Züchtigung der Frau verstanden) sowie die Abwesenheit des Mannes. Das Scheidungsbegehren durch die Frau ist weiterhin im Falle der Weigerung des Unterhaltes durch den Mann (§ 1129) und bei einer unzumutbaren Härte (§ 1130) zulässig, wobei die Beweislast bei der Frau liegt. Die Scheidung zu erreichen wird Frauen noch dadurch erschwert, dass sie in der Regel mit streng traditionsorientierten Richtern konfrontiert sind.
Kopftuchpflicht
Das Kopftuch ist das bekannteste Symbol der Islamischen Republik Iran. Iranische Frauenrechtlerinnen betrachten dieses jedoch differenzierter, als es auf den ersten Blick möglich erscheint. In den Anfangsjahren der Islamischen Republik hatten viele Frauen das Kopftuch als Zeichen der Freiheit und Befreiung vom Schah-Regime freiwillig getragen, bis das Kopftuchgebot trotz aller Beteuerungen Ajatollah Chomeinis gesetzlich doch in Kraft trat. Iranische Frauenrechtlerinnen konstatieren dennoch, dass das staatlich geforderte Kopftuch eine Partizipation im öffentlichen Raum erleichtert habe. So hätten religiöse Familienoberhäupter ihren Töchtern ein Hochschulstudium erlaubt, da die Sittlichkeit quasi staatlich gewährleistet war. Fakt ist, dass 63 Prozent der Studierenden an iranischen Hochschulen Frauen sind, weshalb jüngst eine Männerquote eingeführt wurde. Gleichwohl spricht sich heute selbst das religiöse Lager überwiegend gegen einen Kopftuchzwang für Frauen aus.
Während also außerhalb Irans das fragwürdige Gebot als Zeichen der Unterdrückung und Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der Frau mit modernen menschenrechtlichen Argumenten angegriffen wird, berufen sich iranische Frauenrechtlerinnen mit teilweise starken religiösen Verwurzelungen auf das islamische Recht. Und sogar auch Teile der Geistlichkeit lehnen jeglichen Glaubenszwang unter Berufung auf den Koran (Sure 2:256) als unvereinbar mit dem Islam ab. Denn die Suren, aus denen eine Schleierpflicht abgeleitet wird, legen nur fest, dass Frauen ihr Haupthaar durch eine (jedoch nicht näher definierte) Kopfbedeckung vor den Blicken der Männer zu schützen haben.
Inneriranische Debatten und Frauenrechte
Die Kritik der "religiösen Aufklärer" wird in Iran seit gut zwei Jahrzehnten geäußert. Sie basiert auf religiösen Argumenten und fordert letztlich die Akzeptanz der globalen Menschenrechte, sogar auch entgegen offenkundiger Vorgaben und Inhalte des islamischen Rechts. Zahlreiche religiöse Denker argumentieren im Hinblick auf die Notwendigkeit zur Anpassung islamischer Rechte an die Herausforderungen von Zeit und Raum mit der Dynamik der Scharia. Das Bemühen der Denker
"Religiöse Aufklärer"
Besonders hervorzuheben ist der hermeneutische Ansatz von Mohammad Modschtahed Schabestari.
Spannend für die Frauenfrage ist weiterhin Mohsen Kadivar, der sich im Kreis der Diskursakteure als einziger explizit und ausführlich mit Frauenrechten im Islam befasst und dafür die Menschenrechte als Maßstab heranzieht. Im Zentrum seiner Betrachtungen steht die Frage, ob das islamische Recht, genauer gesagt, ob die traditionelle Lesart des Islam mit der Demokratie und den Menschenrechten vereinbar ist. Die Historisierung des islamischen Rechts ist nach Kadivar der Schlüssel zu Demokratie, Menschen- und Frauenrechten.
Frauen im Diskurs
Zwar können die Frauen - wie einst im früheren Europa - keine eigene Theorienschöpfung vorweisen. Mit zunehmender Bildung haben sich Frauen aber intensiv der Aufgabe gestellt, die im inneriranischen Diskurs gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Neuinterpretation religiöser Normen in zivilgesellschaftlichen Foren, insbesondere in Frauenzeitschriften, zu rezipieren.
Fazit und Ausblick
Im Kontext der Frauenfrage sind zwei Aspekte zu beachten. Erstens geht die Instrumentalisierung der religiösen Identifikation vermehrt zulasten der Frauen. Zweitens erschöpft sich die Identität der Iraner nicht nur in der religiösen Ausprägung. Die Entwicklung der Frauenrechte hängt signifikant mit dem Ausjustieren der Identitätsfrage zwischen islamischer Religion und persischer Kultur zusammen. Insgesamt zeichnen sich in Iran im Hinblick auf die Perspektiven der geschlechterpolitischen Dynamik widersprüchliche und sozial unterschiedliche akzentuierte Tendenzen ab. Will man diese verstehen, so ist eine Auseinandersetzung mit Aspekten aus der Innenperspektive des Landes unumgänglich, wozu die Religion, aber auch die persische Kultur gehört.
Die Entscheidung über das Projekt "islamischer Staat" bzw. die künftige Staatsbildung in Iran ist längst nicht gefallen. Doch kann konstatiert werden, dass ein zeitgemäßes Verständnis des Islam in islamisch geprägten Staaten gleichsam als Junktim zwischen Tradition und Moderne fungieren könnte. Gelingt dies nicht und die Religion wird staatlich instrumentalisiert, können Frauenrechte weiterhin mit religiösen oder tribalen Begründungen vorenthalten werden. Nichtsdestotrotz hat die iranische Geschichte gezeigt, dass sich die rechtliche Stellung der Frau gewandelt hat - dies wird sich fortsetzen.