Einleitung
Einmal hat eine Freundin ihn verlassen. Zum Abschied sagte sie: "Starke Männer halten so etwas schon aus, ohne Tränen." Cornelius Butt-Jacobi hat ihr geantwortet: "Weißt Du nicht, dass auch starke Männer heulen, wenn sie unglücklich sind?" Ein 53-Jähriger, zwei gescheiterte Ehen, drei Söhne. Der Älteste wirft ihm vor, Politik sei ihm immer wichtiger gewesen als die Familie, der Jüngste lebt lieber bei seiner Mutter als beim Vater. Cornelius Butt-Jacobi muss oft unglücklich gewesen sein. Wir wissen nicht, wie oft er geheult hat. Wir ahnen, dass er ein starker Mann ist. Die FDP weiß es. Er wurde zum Generalsekretär gewählt. Bis zum März bleibt er noch Senator für Jugend und Familie in Berlin, seiner Geburtsstadt. Dann geht der ehemalige Journalist nach Bonn. Seine Wohnung in Berlin wird er behalten. Hier findet er leicht Zugang zu Menschen. Frauen? "Auch als alleinstehender Politiker bin ich nicht jenseits von Gut und Böse." Seine Weisheit: "Augen auf und durch."
Wer kann sich vorstellen, einen so formulierten Artikel über einen Mann, der ein politisches Amt antritt, zu finden? Vermutlich niemand. Es kann sich also nur um eine Politikerin handeln, die hier durch ein männliches Auge porträtiert wird. Der Artikel ist überdies vor 20 Jahren gedruckt worden
Immerhin gibt es in Deutschland bereits in der zweiten Legislaturperiode eine Bundeskanzlerin. Angela Merkel ist seit 2005 die mächtigste Frau im Land. Doch noch immer ist diese Tatsache außergewöhnlich, um nicht zu sagen spektakulär, denn das Bild, das Medien von Politikerinnen zeichnen, ist für ihre politischen Karrieren oft nicht hilfreich, manchmal sogar eher hinderlich. Es ist nach wie vor geprägt von konventionellen Geschlechterklischees und traditionellen Rollenzuschreibungen. Die mediale Inszenierung von Politikerinnen dreht sich stets um die Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit bzw. um Bilder, die jeweils historisch und kulturell gemacht werden und somit Normen setzen, wenn auch heute pluralisierter als früher.
Doch fangen wir ein wenig grundsätzlicher an: Bilder in unseren Köpfen sind nicht einfach da. Sie werden in einer Art Wettbewerb der "professionellen Beeinflusser" geschaffen. Das, was wir glauben sollen, und die Art, wie wir etwas sehen und interpretieren, ist vielfach fremdbestimmt. Um die Oberhoheit über politische Orientierungen und letztlich über Wahlentscheidungen wird in einer pluralistischen Demokratie hart gekämpft - mit fairen und weniger fairen Mitteln. Medien spielen dabei die zentrale Rolle. Die Beschäftigung mit der Darstellung von Politikerinnen in den Medien fußt daher auf der Annahme, dass es in der Macht der Medien liegt, gesellschaftliche Realität nicht nur abzubilden und zu interpretieren, sondern darüber hinaus auch Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit zu konstruieren - abhängig von der politischen Grundausrichtung des jeweiligen Mediums und seiner Nutzerinnen und Nutzer.
Diese Konstruktionen bedienen sich traditioneller Wissens- und Wertbestände über hierarchische Geschlechterbeziehungen. Medien knüpfen an Gewohnheiten an und schaffen neue. Ihre Macht wird umso bedeutungsvoller, je einflussreicher die Inszenierung von Politik für deren Legitimation wird - besonders in Wahlkämpfen. Diese werden zunehmend dominiert von Wählerbefragungen, Sonntagserhebungen, Fernsehduellen und Polittalkshows, die vorher und nachher journalistisch breit kommentiert werden. Durch den Wandel der Präsentationsformen von Politik - vor allem durch die Privatisierung des Fernsehens und Ausbreitung des Internets sowie den Kampf um Marktanteile - wurde die Konzentration auf einzelne Personen gefördert. "Der" Spitzenkandidat als Kunstfigur entstand. Er oder sie steht stets für ein ganzes Parteiprogramm oder gar für die gesamte Partei. Diese Personalisierung von Politik und die Popularisierung von Wahlkämpfen fordern von politisch Tätigen neue Fähigkeiten zur medialen Selbstinszenierung. Die Spitzenperson muss Selbstoptimierung und Selbstdarstellung virtuos beherrschen - Fähigkeiten, die nach verbreiteter Auffassung eher Männern zugeschrieben werden.
Was ist einer Frau, die eine politische Karriere anstrebt, "erlaubt"? Wie sahen symbolische Grenzen und konkrete Grenzüberschreitungen in den 1950er und 1960er Jahren aus, als Politik für manche noch als "schmutziges" oder "männliches Geschäft" galt? Auch die jeweiligen Parteimilieus müssen berücksichtigt werden. Denn es gibt parteispezifische Spielräume der Selbstinszenierung, die den Akteurinnen - besonders in Wahlkampfzeiten - zugestanden werden. In Bezug auf das Verhältnis von Weiblichkeit und Männlichkeit gelten für Frauen und Männer verschiedene ungeschriebene Regeln und spezielle Codes.
Meine These lautet: Die in der Medien- und Wahlkampflogik zentrale Strategie der Personalisierung und Banalisierung basiert durchgängig auf quasi-natürlichen Geschlechter-Stereotypen.
Besonders in der Berichterstattung über Angela Merkel seit 2001 zeigen sich Irritationen und Ambivalenzen, die um das Phänomen "Macht" kreisen. Vor 2005 äußert sich die strukturelle Unfähigkeit der Presse, mit Frauen in politischen Führungspositionen umzugehen, in Form von Spott und Häme. Man könnte heute von einer "temporären Zähmung der Medien" durch Frauen mit Macht sprechen. Allerdings wird an vielen Berichten auch deutlich: Nur wenn Politikerinnen ihre Weiblichkeit abgesprochen wird, scheint ihre Macht der Presse erträglich zu sein. Daher möchte ich vorwegnehmen: Es nützt Politikerinnen nichts, wenn sie versuchen, Weiblichkeit bzw. ihr Frau-Sein in der Politik nicht zu thematisieren. Der Versuch, diese Themen von sich zu weisen, wird scheitern. Politikerinnen sollten mit Geschlechterstereotypen bewusst umgehen und sie punktuell strategisch einsetzen, sonst verschenken sie wichtige Potenziale. In der Konfrontation bzw. Provokation mit dem "Alleinstellungsmerkmal Frau" liegen auch Chancen.
Berichterstattung in der Nachkriegszeit
In den 1950er und 1960er Jahren werden Politikerinnen in der Presse überwiegend verschwiegen. Diese Nichtbeachtung ist umso verblüffender, als dass es auch damals schon zahlreiche prominente Politikerinnen auf höchster Ebene gibt.
Das Gebot, die dominante Männerkultur in Regierung und Parlament nicht durch ein zu auffälliges Frau-Sein oder durch sichtbare, attraktive Weiblichkeit zu verunsichern (eine frühe Ausnahme ist Annemarie Renger) gilt seinerzeit nicht etwa als anachronistisch, sondern wird von Politikerinnen selbst als sinnvoll angesehen ("Ich habe mich nie als Frauenrechtlerin geriert, da hätte ich gar nichts erreicht. Nur Spott oder Widerstand"
Medien erwarten in dieser Zeit wie selbstverständlich, dass Politikerinnen feminin auftreten, gut aussehen und chic angezogen sind, dabei aber angenehm sanft im Hintergrund bleiben und hart arbeiten, wie folgende Zitate unterstreichen: "Blond, überraschend klein, zierlich und sehr lebhaft, das ist der erste Eindruck, den man von Frau Dr. Diemer-Nicolaus (...) der neuen Abgeordneten der FDP im Bundestag, gewinnt."
1970er Jahre
Bis weit in die 1970er Jahre hinein spiegelt sich die geringe weibliche Präsenz im konventionellen politischen Bereich in einer noch viel geringeren medialen Repräsentanz wider.
Im "Jahr der Frau" 1975 wird über einzelne Politikerinnen als "fleißige Ausnahmefrauen", "kühle Powerfrauen" oder gar "Apparate-Frauen ohne Gefühl"
1980er Jahre
In den 1980er Jahren rückt das traditionelle Bild von der "guten Mutter" in der Politik immer weiter in den Hintergrund. Eine jüngere, besser ausgebildete und selbstbewußtere Frauengeneration betritt die politische Bühne.
Mitte der 1980er Jahre taucht Rita Süssmuth als "Komet über Kohls neuer Frauenwelt"
Doch auch im Jahrzehnt der Quotenbeschlüsse und neuen Gesichter überwiegen herkömmliche Zuschreibungen. Verblichene Passepartouts werden zwar ausgewechselt, aber alte Klischees über die Untauglichkeit von Frauen für das Politische bleiben als Hintergrundfolie bestehen. Komplexe Sachfragen werden oft vereinfacht und besonders im Zusammenhang mit Politikerinnen der Grünen, die als "Quotenfrauen" belächelt oder abqualifiziert werden, sekundär behandelt. Dem weiblichen Geschlecht haftet in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer ein quasi von Natur aus gegebenes Defizit an, was die "Emma" 1985 kritisch aufgreift: "Sie muss sich anstrengen und fleißig sein - oder durch Quoten in Ämter kommen -, denn: Sie kann es nicht! Und wenn sie es kann, dann ist sie eine Ausnahme oder wird als karrieregeil stilisiert. Als eine bekannte CDU-Politikerin 1985 Familienministerin unter Helmut Kohl werden möchte, wird sie von der Union nahe stehenden Zeitungen als Horror-Emanze abgestempelt. Sie wolle wohl selbst Ministerin werden, vermutete die Kölnische Rundschau und sprach damit den furchtbarsten Verdacht aus, den man in einer Männergesellschaft gegen eine Frau hegen kann: Ehrgeiz in eigener Sache."
1990er Jahre bis heute
Je zahlreicher Politikerinnen im Laufe 1990er Jahre in die Parlamente einziehen
Politikerinnen, die keine frauenpolitischen Forderungen erheben, werden durchweg positiver dargestellt als bekennende Feministinnen. Dieses gilt auch für die linksliberale Presse und betrifft auch CDU-Abgeordnete: "Für die Presse war ich das rote Tuch. Und in meiner Partei kann man sich mit keiner Politik so unbeliebt machen wie mit Frauenpolitik."
Die 1990er Jahre sind die "Gründerzeit" der Frauenministerien und Gleichstellungsstellen in Bund, Ländern und Kommunen. Politikerinnen kommen in Ämter, in denen sie die Rolle "der Ersten" bzw. der Pionierin spielen.
"Phänomen Merkel"
Erst mit der Kanzlerkandidatur einer Frau wird die hegemoniale Männlichkeit der Politik in einem bisher unbekannten Ausmaß öffentlich thematisiert. Anhand von "Kohls Mädchen aus dem Osten" kann man einen allmählichen aber doch grundsätzlichen Wandel in der Presseberichterstattung, vor allem in der Zeit zwischen 2001 und 2005, nachvollziehen. Die Gründe dieses Wandels sind vielschichtig. Sie hängen unter anderem mit vier Faktoren zusammen: Erstens ist die Zeitspanne offenbar groß genug gewesen, so dass sich Medien und Öffentlichkeit an Angela Merkels Machtanspruch gewöhnen konnten. Zweitens haben die innerparteilichen Krisen in der CDU eine Rolle gespielt, auch im Hinblick auf unverbrauchte Kandidaten für die Nachfolge Kohls. Drittens ist Merkel selbst ein Faktor: ihre uneitle Selbstpräsentation und ihr kluges Fädenziehen hinter den Kulissen, ihr unaufdringlicher, gleichwohl zäher Machtwille und ihre Fähigkeit, geduldig abzuwarten und bei passender Gelegenheit zuzugreifen. Schließlich ist auch das Phänomen Macht ein wichtiges Moment dieser Entwicklung gewesen.
Denn hinter dem Wandel von einer überwiegend spöttischen, herablassenden, besserwisserischen und oft auch hämischen Berichterstattung - zum Beispiel über Merkels Kleidung, Frisur, Mundwinkel oder ihre (wirtschafts)politische Kompetenz und der ständigen Frage: "Kann sie das?" - zu einer sachlicheren Tonart und mitunter sogar Bewunderung, könnte man den Respekt der Medien vor der Macht vermuten. Noch im Januar 2002 fordert "Die Zeit" Angela Merkel unverblümt auf, die Kanzlerkandidatur an Edmund Stoiber abzugeben. Sie zeige "Ehrgeiz, Machtbewusstsein, Realitätsferne und keinerlei ökonomische Kompetenz".
Das bislang vorherrschende Stereotyp von Politikerinnen als Ausnahmefrauen ist ebenfalls aufgeweicht. Sie werden langsam - vor allem sobald sie in Führungspositionen aufgestiegen sind - als Mitspielerinnen im Spiel um Dominanz und Einfluss ernst genommen.
Fazit
Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts findet sich in der Presse eine unterproportionale, verkürzende oder verfälschende Berichterstattung über Politikerinnen. So ignoriert die Presse sie in der Nachkriegszeit noch überwiegend oder stilisiert sie als "gute Mütter". Auch in den 1970er Jahren werden sie marginalisiert, trivialisiert oder als Ausnahmefrauen charakterisiert. Erst in den 1980er Jahren werden sie verstärkt zur Kenntnis genommen und in politischer Verantwortung zunächst symbolisch akzeptiert. Ab der Jahrtausendwende schließlich werden sie sachlicher und differenzierter dargestellt und - sobald sie Machtpositionen inne haben - auch geschont, oft sogar hofiert. Dieses gilt insbesondere für die Kanzlerin, die bereits nach kurzer Amtszeit auch in Deutschland anerkennend und sachlich porträtiert wird.
Dennoch stellt die Presse auch heute noch Politikerinnen nicht ohne Bezug auf Rollenstereotype dar. Es gibt neben einer quantitativen Unausgewogenheit vor allem qualitative Besonderheiten, wie eine geschlechtsbezogene Sicht auf weibliche Politiker und andere Zuschreibungen und Erwartungen an sie. Gleichwohl wurde eine Versachlichung festgestellt im Sinne einer weniger auf traditionelle Rollenzuschreibungen zentrierten und stärker an der Praxis des politischen Entscheidungsprozesses orientierten Berichterstattung. Es gibt eine größere Varianz bei Themen, Problemerörterungen und Personen. Bemerkenswert ist auch, dass sich seit etwa 15 Jahren Journalistinnen und Journalisten zunehmend differenziert und kritisch mit der eigenen Zunft auseinandersetzen und sich mit klischeehaften und stereotypen Darstellungen von Politikerinnen nicht zufriedengeben.
Interessanterweise ist die beschriebene Versachlichung in der Presse just in dem Moment zu konstatieren, in dem die Bedeutung von seriösen (gedruckten) Tages- und Wochenzeitungen für die politische Informationsvermittlung abzunehmen scheint. Die Auflagenverluste der Qualitätspresse sind nicht nur in Deutschland eklatant. Ferner sind es vor allem junge Leserinnen und Leser, die von konventionellen und zugleich anspruchsvollen (Print)Medien nicht mehr erreicht werden. Umfragen zufolge nutzt nur noch etwa jeder dritte Jugendliche regelmäßig eine konventionelle Tageszeitung, um sich zu informieren. Privatfernsehen und Internet haben Printmedien insbesondere bei jungen Menschen verdrängt. Deshalb lautet meine pessimistische Prognose: In dem Maße, in dem die trivialisierte Mediennutzung steigt, könnten traditionelle Rollenzuschreibungen und Vorurteile gegenüber Politikerinnen möglicherweise wieder an Bedeutung gewinnen. Eine solche Retraditionalisierung von Geschlechterarrangements in der Presse könnte einer Abwertung von Frauen in der Politik eventuell den Weg bahnen.