Frauen in Parteien und Parlamenten
Innerparteiliche Hürden und Ansätze für Gleichstellungspolitik
Benjamin Höhne
/ 18 Minuten zu lesen
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An einem Freitagabend im Februar 2017 hatten die CDU-Kreisverbände Vechta und Cloppenburg zur Mitgliederversammlung eingeladen. Im Minutentakt hielten die Busse vor der Basketballhalle des SC Rasta Vechta. An den 40 Akkreditierungsstationen konnte es den 1.837 stimmberechtigten Unionsmitgliedern nicht schnell genug vorangehen. Schließlich bestanden kaum Zweifel, dass auf eine geglückte innerparteiliche Wahl die Direktwahl in den Bundestag folgen würde. Der Wahlkreis 32 im Oldenburger Münsterland ist mit seinem hohen Katholikenanteil und seiner ländlichen Prägung seit 1949 die bundesweite Hochburg der CDU.
Bemerkenswert ist aber nicht nur die inklusive innerparteiliche Demokratie (normalerweise finden in mitgliederstarken Verbänden eher exklusive Delegiertenversammlungen statt), sondern auch das Ergebnis: Es war ein Novum, dass dort eine Frau als CDU-Direktkandidatin in den Wahlkampf ziehen sollte. Leicht gemacht hatte man es Silvia Breher nicht. Noch während ihrer Bewerbungsrede, in der sie unter anderem über Frauen in der Politik sprach und sich selbst als Vertreterin ihres Geschlechts empfahl, aber auch traditionelle Rollenvorstellungen über Familie erkennen ließ, war in einigen Männergruppen leises Gelächter zu vernehmen. Im ersten Wahlgang trat sie gegen drei männliche Mitbewerber an. Erst in der Stichwahl setzte sie sich durch.
Anders als dieses Ereignis nahelegen könnte, hat sich die Präsenz von Frauen im Deutschen Bundestag mit der Wahl im Herbst 2017 nicht erhöht, sondern ist mit 30,9 Prozent sogar wieder unter das geringe Niveau von einem Drittel gefallen. Nicht zuletzt deshalb ist der Ruf nach einem legislativen Eingriff über Paritätsgesetze lauter geworden. Erste Bundesländer haben sie bereits verabschiedet oder diskutieren darüber. Doch es bestehen rechtliche und sachliche Zweifel. Ob sie im Einklang mit Verfassungsnormen und einfachgesetzlichen Vorschriften stehen, wird derzeit höchstrichterlich geprüft. In Brandenburg soll im Oktober 2020 ein Urteil des Landesverfassungsgerichts verkündet werden. In Thüringen wurde das Paritätsgesetz bereits gekippt. Diese Entscheidung soll jedoch vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. Politikwissenschaftlich interessiert, inwiefern derartige Gesetze tatsächlich den Kern des Problems treffen oder nur seine Symptome behandeln. Wenn sie, wie beim Brandenburger Parité-Gesetz, lediglich Vorgaben für die Listen, nicht aber für die Wahlkreise vorschreiben, können sie über Symbolpolitik hinaus wenig bewirken. Denn dann entzieht sich mit den Wahlkreisnominierungen ein Rekrutierungsbereich der gesetzlichen Regelung, bei dem Frauen ohnehin schlechtere Durchsetzungschancen haben als auf der Liste.
Im Folgenden werde ich die innerparteilichen Herausforderungen für die größere Präsenz von Frauen im Bundestag herausarbeiten und darauf aufbauend Lösungsansätze skizzieren. Damit soll die Debatte, bei der zwei Defizite auszumachen sind, informierter geführt werden können. Erstens spielt es in der öffentlichen Auseinandersetzung kaum eine Rolle, welche Strukturen innerhalb der Parteien zur Unterrepräsentation von Frauen in den Parlamenten beitragen und wie es um das innerparteiliche Problembewusstsein bestellt ist, um dem parlamentarischen Gender Gap entgegenzuwirken. Zweitens lässt sich für die Wissenschaft zwar kein fehlendes Interesse an der Parteipraxis konstatieren, dafür mangelt es aber an empirisch abgesicherten Erkenntnissen über die Geschlechterdimension des karriereorientierten parteipolitischen Engagements. Dadurch bleibt häufig schleierhaft, welche Maßnahmen der Gleichstellungspolitik in den Parteien mit welchem Erfolg getroffen beziehungsweise (absichtlich oder unabsichtlich) unterlaufen werden.
Im Vergleich dazu ist die Forschungssituation zur Geschlechtergerechtigkeit in den gegenwärtigen Demokratien im Allgemeinen zufriedenstellender. Mit Blick auf Parlamente fokussiert sich die Forschung weitgehend auf die nationale Ebene, wenngleich in jüngerer Vergangenheit auch subnationale Vertretungen mehr Beachtung finden. Dabei steht oft die Suche nach einer Geschlechterkomponente parlamentarischer Verfahren und Outputs im Vordergrund. Bei den Parteien liegt ein Fokus auf deren Spitzen, für die zum Beispiel untersucht wird, ob Frauen einen anderen Führungsstil pflegen oder sie in Krisenzeiten eine bessere Chance haben, in jene vorzudringen. In der umfangreichen Literatur zum Wahlverhalten wird dem Geschlecht traditionell Erklärungskraft beigemessen. Schließlich gewinnt die stärker von Gerechtigkeitsmotiven angetriebene Intersektionalitätsforschung an Bedeutung, längst nicht nur beim Thema Kandidatenaufstellung, das ein Scharnier zwischen Parlament, Parteien und Wahlen bildet.
Mitgliedschaft, Partizipation und Aufstieg
Die parlamentarische Unterrepräsentation von Frauen beginnt bereits bei der Parteimitgliedschaft: Obgleich das Problem seit Jahren bekannt ist, liegt der weibliche Mitgliederanteil bei allen der im Bundestag vertretenen Parteien unter 50 Prozent. Am geringsten ist er mit 17,8 Prozent in der AfD, am höchsten mit 41 Prozent bei den Grünen (Abbildung). Die Mitgliederentwicklung wies 2019 indes überwiegend in Richtung eines sich verkleinernden Gender Gaps: Besonders deutlich trat dies in der CSU zutage, die insgesamt einen Frauenanteil von nur 21,3 Prozent hat, unter den Neumitgliedern jedoch von 31,6 Prozent. Nur FDP und Linke stagnierten im vergangenen Jahr, mussten damit aber immerhin keinen weiteren Rückgang wie in den Jahren zuvor hinnehmen. Grund für Optimismus besteht für beide dennoch nicht, denn der Anteil der Frauen unter ihren Neumitgliedern lag 2019 noch niedriger als im ohnehin schon geringen Gesamtdurchschnitt. Soll sich ihre Geschlechterlücke nicht erst in Jahrzehnten schließen oder gar noch weiter ausdehnen, müssten die Parteien also schon bei den Beitrittsanreizen insbesondere für Frauen massiv gegensteuern.
Haben Frauen in einer Partei erstmal Fuß gefasst, fallen die Unterschiede in ihrem Partizipationsverhalten zu dem von Männern kaum ins Gewicht. Dies zeigen Daten zum Frauenanteil auf Nominierungsveranstaltungen sowie zum Zeitaufkommen für innerparteiliches Engagement, die wir im Rahmen des Forschungsprojektes "BuKa2017" des Instituts für Parlamentarismusforschung zur Kandidatenaufstellung für die Bundestagswahl erhoben haben. Dennoch kann bei den Bedingungen des Parteiengagements, die immer wieder dafür kritisiert werden, vor allem Frauen abzuschrecken, keine Entwarnung gegeben werden. So dürften sich zum Beispiel lange Parteisitzungen zu Tageszeiten, die in vielen Familien gemeinsame Kernzeiten sind, eher abträglich darauf auswirken, dass aus einem Beitrittsimpuls eine auf Dauer angelegte Mitwirkung wird, da Frauen trotz sich verändernder Rollenbilder bekanntlich noch immer den Großteil der familiären Care-Arbeit leisten. Die Dominanz älterer Männer sowie die häufige Befassung der Parteien mit sich selbst sind weitere Faktoren, die negativ ins Gewicht fallen.
Beim Umfang des aufstiegsbezogenen, vertikalen Gender Gaps zwischen Mitgliedern und Abgeordneten zeigt sich anhand der Frauenanteile, dass Grüne, Linke und Sozialdemokraten, auf geringerem Niveau auch Freidemokraten, über die gegebene Ausgangsbedingung ihrer Mitgliederbasis hinauswachsen: Das heißt, der Frauenanteil unter den Bundestagsabgeordneten ist höher als in der Partei insgesamt. Bei Christdemokraten, Christsozialen und Rechtspopulisten verhält es sich hingegen genau umgekehrt (Abbildung und Tabelle 1). Folglich sind Aussagen wie die, dass das soziostrukturelle "Repräsentationsgefälle (…) mit dem innerparteilichen Aufstieg und der Übernahme öffentlicher politischer Ämter" zunehme, so allgemein formuliert nicht aufrechtzuerhalten.
Das Interesse, der Unterrepräsentation von Frauen entgegenzuwirken – etwa durch Quotenregelungen für Landeslisten –, ist in den meisten Parteien vorhanden: Die Studie "BuKa2017" förderte mit nur einer Ausnahme in allen Bundestagsparteien teils überwältigende Mehrheiten zutage, denen der "Ausgleich zwischen den Geschlechtern" auf der Landesliste "sehr wichtig" oder "wichtig" ist. Umgekehrt fielen die Anteile derjenigen, denen dieser Ausgleich "weniger wichtig" oder "gar nicht wichtig" ist, besonders bei den Grünen mit 12,8 oder der Linken mit 17,1 Prozent kaum ins Gewicht. Ihr Anteil lag bei der CSU mit 44,1 oder der FDP mit 43,2 Prozent zwar deutlich darüber, war aber immer noch niedriger als das jeweilige Unterstützungsniveau. Allein bei der AfD wurde ein Geschlechterausgleich mehrheitlich nicht unterstützt (von mehr als zwei Drittel der Befragten). Ebenso zeigte sich parteiübergreifend, dass Frauen im Allgemeinen aufgeschlossener für Ausgleichsmaßnahmen sind als Männer.
Frauenquoten und Nominierungspraxis
Innerparteiliche Frauenquoten sind ein wirkungsvolles Instrument zur Schließung des parlamentarischen Gender Gaps. Qua satzungsrechtlicher Stellung wirken sie Rekrutierungspraktiken entgegen, die traditionell das Vorankommen von Männern begünstigen. So übererfüllen Grüne mit einem Frauenanteil von 58,2 und Linke mit 53,6 Prozent in ihren Bundestagsfraktionen die eigenen Paritätsvorgaben (Tabelle 1). Auch die SPD erreicht mit 41,8 Prozent einen etwas höheren Wert als es ihre Satzung mit 40 Prozent vorschreibt. Die anteilig wenigsten weiblichen Bundestagsabgeordneten finden sich bei der AfD mit 11,7, gefolgt von der CSU mit 17,4 Prozent. Beide Parteien wie auch die FDP, die auf 23,8 Prozent kommt, haben keine Frauen- beziehungsweise Geschlechterquote verabschiedet.
Bei der CDU ist (noch) das sogenannte Frauenquorum in Kraft, das die Besetzung von Wahllisten zu einem Drittel mit Frauen vorsieht, aber unter bestimmten Bedingungen Regelverstöße toleriert. Mit einem Frauenanteil im Bundestag von nur 20,5 Prozent wird die selbstgesetzte Vorgabe klar verfehlt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass diese – genauso wie jene der anderen Parteien – ausschließlich für die Zusammensetzung der Landeslisten gilt. Für die Nominierungen im Wahlkreis, wo nur eine oder einer "die Wahl vor der Wahl" gewinnen kann, ist sie höchstens indirekt von Belang. Tatsächlich sind die 299 Ein-Personen-Wahlkreise eine Domäne der männlichen Abgeordneten; 2017 gingen nur 64 Direktmandate an eine Frau (Tabelle 1).Selbst den Grünen und der Linkspartei gelang es nicht, in der Hälfte der Wahlkreise eine Kandidatin aufzustellen. Dies fiel für beide Parteien bisher kaum negativ ins Gewicht, da sie bisher nur sehr wenige Direktmandate gewonnen haben. In Zukunft würden jedoch die Grünen bei anhaltendem Aufwärtstrend angehalten sein, insbesondere in urbanen Gebieten gegenzusteuern.
Anders als in den Wahlkreisen kann auf den Listen nach unterschiedlichen Repräsentations- und Proporzkriterien austariert werden – längst nicht nur nach Geschlecht. An vorderer Stelle steht dabei in allen Parteien die regionale Verteilung der (potenziellen) Mandate. Auch aus diesem Grund ist die Nominierung im Wahlkreis zumeist Voraussetzung für einen vorderen Listenplatz. So waren bei CDU und Grünen alle Listenabgeordneten zugleich auch in einem Wahlkreis nominiert worden. Bei den anderen Parteien – bis auf die CSU, deren Mannschaft sich ausschließlich aus Wahlkreisabgeordneten zusammensetzt – lag ihr Anteil zwischen 81,3 und 98,9 Prozent (Tabelle 2).
Welche Plätze auf den Listenaufstellungsversammlungen von welchen Wahlkreiskandidatinnen beansprucht werden können, wird in den Vorentscheidungsarenen des Rekrutierungsprozesses verhandelt – also in kleineren, häufig informellen Zirkeln einflussreicher Parteivorstände. Dabei befinden zumeist Männer über Männer, wovon allein schon aufgrund der schiefen Geschlechterverteilung in der Mitgliedschaft, unter den Parteiaktiven und Abgeordneten auszugehen ist. Die Geschlechterfrage ist dabei jedoch nur eines von vielen Kriterien, die es abzuwägen gilt. Zu den Präsenzansprüchen mitgliederstarker vertikaler Untergliederungen, also Bezirke, Unterbezirke beziehungsweise Kreisverbände, gesellen sich die von horizontalen Gruppierungen, worunter Strömungen, Flügel oder "Arbeitsgemeinschaften" (SPD) beziehungsweise "Vereinigungen" (CDU) wie Jugend-, Frauen-, Senioren- und weitere Unterorganisationen zu verstehen sind.
Parteipolitisches Kapital
Obwohl die eingangs erwähnte CDU-Abgeordnete Silvia Breher in ihrer Bewerbungsrede auf der Nominierungsveranstaltung auch die Geschlechterkarte zog, wurde sie in erster Linie nicht aufgestellt, weil sie eine Frau ist, sondern wegen ihrer politischen Erfahrungen. Vor ihrer Wahl in den Bundestag war sie Geschäftsführerin des Kreislandvolkverbandes Vechta, einer lokalen Vertretung von Landwirten, womit Vernetzung und öffentliche Sichtbarkeit im Wahlkreis einhergegangen sein dürften. Ihrer Homepage ist zudem zu entnehmen, dass sich ihre Mitarbeit in der CDU nicht auf die kommunale Ebene beschränkt hatte, sondern sie auch in einem Landesfachausschuss und einer Bundeskommission engagiert war.
Mit anderen Worten: Breher verfügte über ausreichend nominierungsrelevantes parteipolitisches Kapital, das üblicherweise in einem autodidaktischen Lern- und Sozialisationsprozess über langfristiges, zeitintensives Engagement in einer Partei herausgebildet wird. Als Beziehungsressource fußt es auf Ortsgebundenheit. Durch die Übernahme von lokalen Vorstandsposten wird ein wichtiger Entwicklungsschritt markiert; dasselbe gilt für kommunale Mandate. Diese parteipolitische Kapitalbildung hat den Effekt, Angehörige sozialer Gruppen zu bevorteilen, die viel persönliche Zeit für innerparteiliches Engagement und Aufstieg aufbringen können. Diese Bedingungen führen dazu, dass unter den Abgeordneten bestimmte Berufe, etwa solche mit geringem Mobilitätserfordernis, überproportional stark vertreten sind, während sie diejenigen, die sich vor allem um die Familienarbeit kümmern – vor allem also Frauen –, hemmen.
In der Studie "BuKa2017" wurden auch diejenigen Parteimitglieder befragt, die auf einer Aufstellungsversammlung für eine Nominierung angetreten waren. Unterteilt man diese in Nominierte, die ihre Chance auf den Gewinn eines Bundestagsmandats als "eher groß" einschätzten und solche, die ihre Chancen als "eher klein" beurteilten, zeigen sich bei fast allen Rekrutierungsindikatoren – also ehrenamtliches Engagement für die Partei, Mitgliedsjahre, bisherige Kandidaturen und anderes mehr – höhere Ausprägungen für die aussichtsreichen Kandidatinnen und Kandidaten (Tabelle 3). Dieser Befund war erwartbar. Überraschend ist hingegen ein geschlechtsspezifisches Muster, das durch Markierung der jeweils höchsten und zweithöchsten Ausprägung pro Indikator hervortritt: Demnach liegt bei den aussichtsreich nominierten Frauen häufig ein größeres Ausmaß an politischen Erfahrungen und parteipolitischem Engagement vor als bei ihren männlichen Pendants.
Folglich gelten für Frauen auf dem Weg in den Bundestag nicht geringere Anforderungen, sondern tendenziell größere als für Männer. Diese Schlussfolgerung deckt sich mit Forschung aus den USA, in der gezeigt wurde, dass Frauen oft die höher qualifizierten Abgeordneten sind. In der hiesigen, mitunter eher emotional als sachlich geführten Debatte über die vermeintlich fehlende Qualifikation der "Quotenfrau" könnte dies ein gewichtiges Argument für die Quote sein. Zum einen kann sie die Selbstselektion von Frauen verbessern, sodass auch bei deren Wahrnehmung gleicher Qualifikationsniveaus in einer Wettbewerbssituation keine Ausweichbewegung zugunsten von Männern erfolgt. Zum anderen reduziert sie Diskriminierung für Frauen durch Schaffung eines separaten Wettbewerbsraums, in dem idealerweise die besten Frauen untereinander um die Nominierung konkurrieren. So könnte am Ende sogar das Qualifikationsniveau unter den männlichen Abgeordneten angehoben werden, da sich deren Konkurrenz untereinander auf eine reduzierte Anzahl an freien Plätzen konzentrieren müsste.
Die Quote kann auch ein wirksames Instrument sein, um die Männerdominanz im Bundestag infolge der Re-Nominierungspraxis von wiederantrittswilligen Abgeordneten zu durchbrechen. Wie eingespielt diese in allen Parteien ist, zeigt sich daran, dass sie breite innerparteiliche Akzeptanz findet und Herausforderer von Abgeordneten eine Ausnahme sind. Dies ist bei der Bildung der Landeslisten kaum anders als bei der Aufstellung in den Wahlkreisen. So war zum Beispiel Silvia Breher unter den ersten 30 Plätzen der niedersächsischen Unionsliste (die in einem nach außen abgeschlossenen kleinen Kreis aus delegierten Parteifunktionären verabschiedet wurde) nur eine von drei Personen, die über kein Bundestagsmandat verfügte. Entscheidend für ihre Wahlkreisnominierung war der Rückzug des bisherigen Mandatsinhabers.
Doch selbst wenn ein Abgeordneter ausscheidet, bedeutet dies noch längst nicht, dass eine Frau dieselbe Chance wie ein Mann haben muss, die Kandidaturnachfolge anzutreten. Darauf deutet die Zusammensetzung der Gruppe der Bundestagsneulinge hin: Mit einem Frauenanteil von 26,6 Prozent wird der ohnehin schon niedrige Wert unter allen Abgeordneten sogar noch unterschritten (Tabelle 4). Zurückzuführen ist dies schlichtweg darauf, dass zu wenige Frauen in den Wahlkreisen aufgestellt werden. Schließlich kann sich der Regionalproporz auch positiv auf deren parlamentarische Präsenz auswirken, wird ihm doch bei einer Kollision von Selektionsregeln, etwa mit der Re-Nominierung von Abgeordneten, üblicherweise Vorrang eingeräumt. Breher nahm Platz 25 der niedersächsischen Liste ein, was bedeutete, dass ihr aufgrund ihrer regionalen Zugehörigkeit (und als Direktkandidatin) der Vortritt vor sieben dem Bundestag bereits angehörenden Parteifreunden eingeräumt wurde. Auf den ersten 30 Listenplätzen wurden ausnahmslos die Direktkandidatinnen und Direktkandidaten aus den 30 niedersächsischen Wahlkreisen nominiert.
Fehlende Geschlechtergerechtigkeit gilt als eine der größten Herausforderungen für die gegenwärtigen Demokratien. Wie gezeigt wurde, ist die männerdominierte Mitgliederstruktur der Parteien einer der wichtigsten Gründe für die Unterpräsenz von Frauen im Bundestag. Während bei der Partizipation in den Parteien geschlechterspezifische Unterschiede in den Hintergrund treten, spielen beim Aufstieg in den Bundestag bestimmte Rahmenbedingungen eine Rolle, die Frauen entweder fördern (insbesondere Quoten) oder aber mehr noch hemmen. Bei den Kandidatenaufstellungen bilden vor allem der regionale Listenproporz in Verbindung mit dem Männerüberhang in den Ein-Personen-Wahlkreisen, das Erfordernis von nominierungsrelevantem parteipolitischem Kapital und die regelmäßige Wiederaufstellung von Abgeordneten robuste Hürden für ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis im Bundestag.
Angesichts dieser Befunde liegt der Schluss nahe, dass nicht inkonsequente Paritätsgesetze – die nur für Listen, nicht aber für Wahlkreise Vorgaben machen –, sondern passgenaue parteiorganisatorische und wahlrechtliche Maßnahmen sowie eine öffentliche Debatte helfen könnten, die genannten Hürden zu überwinden. Paritätsgesetze greifen hart von außen in die Organisation der Parteien ein, ohne zur unmittelbaren Lösung der soziodemografischen und institutionellen Gegebenheiten in den Parteien beizutragen. Wenn aber nach wie vor gilt, dass es eine Kernaufgabe der Parteien ist, unterschiedliche gesellschaftliche Sichtweisen und Präferenzen in den staatlichen Entscheidungsprozess einzubringen, sollten sie grundsätzlich weiterhin selbst darüber befinden können, mit welchen Teams sie bei einer Wahl antreten und nach welchen Kriterien sowie unter welchen Konfigurationen innerparteilicher Demokratie sie diese auswählen. Somit wäre eine entscheidende Frage, inwieweit die gestiegenen Repräsentationsansprüche von Frauen, die selbstverständlich auch von Männern geteilt werden, und die Funktion politischer Parteien als zentrale politische Lern- und Sozialisationsinstanzen, die es aufrechtzuerhalten gilt, kohärent in Einklang zueinander gebracht werden können.
Um für Neumitglieder attraktiver zu werden, sollte Parteiarbeit grundlegend modernisiert werden – längst nicht nur mit Blick auf die Geschlechterfrage. Hierfür braucht es Mut an der Spitze für eine Reformagenda, vor allem aber Durchsetzungswillen und Kreativität der Verantwortlichen an der Basis. Eine Reform müsste deshalb unten ansetzen, also beim Parteibeitritt und den Partizipationsangeboten für die Mitglieder. Hierbei ist nicht nur die Vielfalt der Gesellschaft insgesamt zu berücksichtigen, sondern auch die der Frauen. Denn Frauen sind in den Parteien zwar eine Minderheit, aber gewiss keine homogene Gruppe.
Zugleich wäre das Wahlrecht zu reformieren, um den Anteil von Frauen insbesondere unter den Wahlkreisabgeordneten zu erhöhen. Anknüpfend an die Debatte zur Verkleinerung des Bundestages böten etwa paritätische Zwei- oder Mehrmandatswahlkreise eine Chance zur Problembearbeitung: So könnte vorgeschrieben werden, dass aus jedem Wahlkreis jeweils eine Frau und ein Mann in den Bundestag entsandt werden. Zudem könnte bei der Verhältniswahl über die Zweitstimme die Persönlichkeitskomponente gestärkt werden, indem nicht wie bisher die gesamte Liste, sondern bestimmte Personen unabhängig von ihrer Position darauf gewählt werden können. Somit bliebe die Rekrutierungsfunktion der Parteien grundsätzlich in deren Hand, jedoch würde die wahlberechtigte Bevölkerung eine umfangreichere personelle Auswahlmöglichkeit erhalten. Damit hätten die Wählerinnen und Wähler tatsächlich die Letztverantwortung für das zahlenmäßige Verhältnis der Geschlechter im Bundestag.
Keine Institution genießt per se Bestandsschutz für tradierte Routinen. Veränderungen können den Parteien abverlangt werden. Bewegen sie sich trotz des anhaltenden Mitgliederschwundes nicht oder zu wenig, dann laufen sie Gefahr, dass ihnen neue intermediäre Konkurrenten wie "Bewegungsparteien" den Rang ablaufen. Das heißt bei den Kandidatenaufstellungen jedoch nicht zwangsläufig, sich von bewährten Selektionsprinzipien zu verabschieden. Ganz im Gegenteil: Maßstäbe, die sich die Parteien mit gutem Grund selbst auferlegt haben, müssen unter dem Vorzeichen einer auf Parität abzielenden Gleichstellungspolitik überhaupt nicht an Geltung verlieren. Schließlich weisen Frauen genauso wie Männer (weitere) rekrutierungsrelevante Merkmale auf, zum Beispiel die Zugehörigkeit zu einer Region oder zu einem Parteiflügel, oder sie bringen sogar noch mehr rekrutierungsrelevantes Kapital mit als Männer.
Ein öffentlicher Diskurs darüber, welche Selektionsmaßstäbe dies in den Parteien sind und zukünftig sein sollten, und wie sich diese auf die Beteiligung und Repräsentation von Frauen auswirken, ist überfällig. Als Organisationen, die den Anspruch haben, gesellschaftlich verankert zu sein, sollten Parteien bei der Herausbildung des Personalangebots für Wahlen nicht auf sich allein gestellt bleiben. Wäre es deshalb nicht einen Versuch wert, die Bevölkerung bei der Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten einzubinden? Und könnten so nicht auch alternative innerparteiliche Wege der Herausbildung von politischem Kapital bisher unterrepräsentierter Gruppen gestärkt werden? Derzeit werden vor allem diejenigen belohnt, die sich am besten in die innerparteilichen Machtstrukturen vor Ort einfügen. Welche Anziehungskraft sie bei Wahlen entfalten, kann völlig unerheblich sein. Soll sich dies ändern, ist eine moderate Öffnung der Parteien unumgänglich. Als föderal aufgebaute Organisationen bieten sie dafür nahezu ideale Experimentierräume.
Ich danke Christine Bratu, Ieva Motuzaite und Marco Radojevic für wertvolle Hinweise.
ist promovierter Politikwissenschaftler und stellvertretender Leiter des in Berlin ansässigen Instituts für Parlamentarismusforschung (IParl) der Stiftung Wissenschaft und Demokratie. E-Mail Link: hoehne@iparl.de
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