Eine Krise rückt die Regierungen ins Zentrum des politischen Geschehens – diese unterstellte Gesetzmäßigkeit ist in der Zeit der Corona-Pandemie von jedem Beobachter und jeder Beobachterin mindestens einmal vermerkt worden. Da ist oft von der "Stunde der Exekutive" oder der "Zeit der Exekutive" die Rede gewesen. Wenn man von einem Nullsummenspiel politischer Entscheidungsmacht ausgeht, bedeutet die Krisendominanz der Exekutive, dass es auch mindestens einen Verlierer geben muss, der in einem solchen Zeitraum entsprechend weniger Einfluss und Gestaltungspotenzial hat als sonst. In erster Linie sind es – so die gängige Einschätzung – die Legislativen, die Parlamente, die unter dem krisenbedingten Machtzuwachs der Regierungen leiden. Gleichwohl gehört es zum Gesamtbild, dass auch die dritte, rechtsprechende Gewalt – die Judikative – in Krisensituationen an Macht verlieren kann. Und tatsächlich zeigt die Corona-Zeit, wie Gerichte über eine längere Strecke hinweg zum einen nur bedingt arbeitsfähig und zum anderen tendenziell zurückhaltend waren, was ihre Einsprüche gegen die drastischen Regierungsmaßnahmen anging.
Wenn die Parlamente in Zeiten der Pandemie in ihrer Bedeutung gefährdet werden, dann hat dies eine besondere Note. Denn der Parlamentarismus litt einigen Diagnosen zufolge bereits vor der Covid-19-Krise an "Vorerkrankungen". Die These von einer Schwächung der Parlamente, einer Entparlamentarisierung, ist deutlich älter als die aktuelle Pandemie.
Darüber hinaus gibt es schon seit Jahrzehnten Entparlamentarisierungsdiskurse, festgemacht am Informationsungleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative. Generell drehen sich diese Debatten darum, dass sich die "Auftragnehmer", die Regierungen, gegenüber ihren "Auftraggebern", den Parlamenten, zunehmend verselbstständigt hätten – nicht zuletzt aufgrund eines Informationsvorsprungs seitens der Regierungen, durch den Parlamente strukturell ins Hintertreffen gerieten. Darüber hinaus ist kritisiert worden, dass Regierungen zunehmend über Verordnungen Recht setzen würden.
Ende der 1990er Jahre kulminierten diese Entparlamentarisierungsdiskurse in der Wissenschaft, aber auch in der politischen Öffentlichkeit im Begriff des "post-parlamentarischen Zeitalters"
Zur Krisenfestigkeit von Parlamenten
Tatsächlich spricht zunächst einiges dafür, dass Regierungen üblicherweise zu den Krisengewinnern und Parlamente zu den Verlierern zählen. Eine Krise, gekennzeichnet durch ihr spontanes Auftreten, ihre Vehemenz und Dynamik, erfordert zügiges Handeln und schnelle Entscheidungen. Für eine unmittelbare Krisenreaktion erscheinen parlamentarische Verfahren auf den ersten Blick zu behäbig. Parlamente benötigen, so die Wahrnehmung, für ihre Willensbildung und Beschlussfassung Zeit – mehr Zeit, als in einer akuten Bedrohungslage gegeben ist. Denn zum parlamentarischen Entscheidungsverfahren gehören üblicherweise auch Phasen der intensiven Beratung, Verhandlung und Diskussion – vor allem im Plenum und in den Fachausschüssen. Gerade ihre deliberative Qualität vor, aber auch hinter verschlossenen Türen kennzeichnet Parlamente und grenzt sie von der Arbeitsweise der Regierungen ab.
Zudem ist in parlamentarischen Verfahren typischerweise eine große Zahl an Akteuren einzubinden: Wenngleich die parlamentarische Praxis – beispielsweise des Bundestages – auch oligarchische Strukturen etabliert hat (zum Beispiel die Privilegierung bestimmter Funktionsträger wie Fraktionsvorsitzende oder Mitglieder im Ältestenrat und Präsidium), bleibt letzten Endes jede und jeder Abgeordnete gleichermaßen wichtig und darf nicht ausgeschlossen werden. Im Falle des Bundestages handelt es sich um mehrere hundert Personen. Damit die Abgeordneten beschließen können, müssen sie einberufen werden; üblicherweise reisen sie hierfür aus den Wahlkreisen an, die über das gesamte Bundesgebiet verteilt sind.
Demgegenüber wirken Regierungen deutlich agiler – zumindest, wenn man die Regierungsspitze in den Blick nimmt – und das schon aufgrund ihrer geringeren Personenzahl sowie ihrer stärker hierarchischen Strukturen. In kleineren Kreisen lassen sich Entscheidungen schneller treffen, beispielsweise in Absprache zwischen Regierungschefs und einzelnen Ressortverantwortlichen. In den Ministerien sind überdies "Krisenstabsszenarien" üblich. Die Routinen sehen Verfahren vor, die zwar nach geregelten Abläufen vonstattengehen, aber auch Zügigkeit erlauben. Zum Beispiel spricht die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien ausdrücklich die Behandlung von "besonders dringlichen Sachen" an.
In Sachen "Exekutivvorteil" in einer Krise liegt die Analogie zum Verteidigungsfall auf der Hand. Auch in der Situation eines militärischen Angriffs auf das Bundesgebiet wäre eine schnelle Reaktion erforderlich. Nicht zufällig gehört der Bereich der militärischen Sicherheitspolitik deswegen zum traditionellen Vorrecht der Exekutive, wenngleich Parlamente nicht unbeteiligt sind.
Gleichwohl, dies zeigen insbesondere die Vorkehrungen für den Verteidigungsfall in Deutschland, haben Parlamente Mechanismen entwickelt, um in einem Ausnahmezustand, wenn die Lage ein Zusammentreten des Bundestages nicht erlaubt, handlungs- und entscheidungsfähig zu bleiben. So sieht das Grundgesetz für den Fall des militärischen Angriffs auf das Bundesgebiet die Einberufung des Gemeinsamen Ausschusses vor, falls der Bundestag nicht zusammentreten kann. Jener besteht aus 48 Mitgliedern (zwei Drittel Bundestagsabgeordnete und ein Drittel Mitglieder des Bundesrates), wobei die Zusammensetzung die Stärkeverhältnisse der Fraktionen berücksichtigt und über die Bundesratsmitglieder alle 16 Länder vertreten sind. Gemäß der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses haben die Mitglieder eine Präsenzpflicht und müssen jederzeit für den Bundestagspräsidenten erreichbar sein.
Aber auch im täglichen Geschäft erlaubt das Parlamentsrecht die Beschleunigung von Verfahren unter bestimmten Bedingungen. Bei Eilbedürftigkeit können Phasen des Beratungsprozesses faktisch übersprungen werden. Das Parlament ist Herr seiner Geschäftsordnung und kann diese gegebenenfalls außer Kraft setzen.
Über die reglementierten Verfahren hinaus können Parlamente auf informelle Einflussmöglichkeiten und Kommunikationskanäle zurückgreifen. Denn ein großer Teil parlamentarischer Arbeit läuft in der engen – und mitunter jenseits der ausdrücklich geregelten Prozeduren stattfindenden – Zusammenarbeit insbesondere von Regierung und Regierungsmehrheit ab.
Insofern sind Krisen für Parlamente zwar substanzielle Herausforderungen und potenziell mit dem Verlust von Teilen ihrer Funktionstüchtigkeit verbunden. Hier ist jedoch ein differenzierter Blick erforderlich, denn bestimmte parlamentarische Grundfunktionen können auch in Krisenzeiten weiterhin gewährleistet werden. Zudem können Parlamente – vielleicht nochmals besonders in Ausnahmezeiten – auf informelle Ressourcen zurückgreifen, die einen Einflussverlust teilweise kompensieren könnten. Gleichwohl bleibt eine Krise ein Stresstest für die parlamentarische Demokratie. Dabei ist jede Krise anders: Ein Verteidigungsfall unterscheidet sich von einer Naturkatastrophe, eine Pandemie von einem Terroranschlag. Die spezifischen Krisenmerkmale haben Auswirkungen auf die Art und Weise, wie das Parlament herausgefordert wird – und ob und wie es auf die Krise reagieren kann.
Entscheidungsmacht der Exekutive
Wie hat sich der Parlamentarismus in der Covid-19-Krise bewährt? Hierüber ein endgültiges Urteil zu fällen, ist sicher noch zu früh. Dennoch zeichnen sich erste Befunde und Lehren ab. Zunächst zu den Entscheidungsprozessen am Anfang der Krise, also in der "Stunde der Exekutive": Als Grundlage für die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie kam ein Gesetz ins Spiel, das 2001 in Kraft getreten war und seitdem nicht viel Aufmerksamkeit erhalten hatte: das Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Tatsächlich gibt dieses Gesetz der Bundesregierung umfassende Möglichkeiten an die Hand, im Falle einer Pandemie Verordnungen zu erlassen; relevant ist dabei insbesondere der Paragraf 28, der eventuelle drastische Maßnahmen aufführt. Das IfSG weist den "zuständigen Behörden" das Recht und die Kompetenz zu, tätig zu werden. Der Vollzug des Bundesgesetzes obliegt den Ländern und hier explizit den Landesregierungen, die gemäß Paragraf 54 durch Rechtsverordnungen bestimmen, welche ihrer Behörden zuständig sind.
Frühzeitig in der Krise wurde die Verordnungsermächtigung des IfSG reformiert: In der Novellierung Ende März 2020 wurde in Paragraf 5 festgelegt, dass der Deutsche Bundestag das Recht habe, "eine epidemische Lage von nationaler Tragweite" festzustellen. Gleichermaßen habe er das Recht, diese Lage aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr gegeben seien.
Die Krisenreaktion beschränkte sich freilich nicht allein auf die epidemiologischen Maßnahmen wie die Einschränkung von Kontakten, welche mit massiven Grundrechtseingriffen verbunden waren. Ein weiteres Maßnahmenpaket betraf die Frage, wie die Folgen der Krise zu bewältigen sind. Bei der Verabschiedung der großen Hilfspakete zur Stabilisierung der Wirtschaft, aber auch bei der Anpassung des Kurzarbeitergeldes, war das Parlament regulär eingebunden – betrafen einige dieser Entscheidungen doch mit dem Budgetrecht eine Kernkompetenz des Parlaments. Gleichwohl fanden die Verhandlungen bereits unter veränderten Rahmenbedingungen parlamentarischer Arbeit und unter einem Zeitdruck statt, der eine eingehende Beratung unmöglich machte: Das montags vom Kabinett beschlossene Hilfspaket wurde bis zum folgenden Freitag durch das parlamentarische Verfahren plus Abstimmung im Bundesrat gebracht. Üblicherweise nimmt ein solcher Prozess mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate in Anspruch.
Parlament auf Abstand
Mit Blick auf die Krisenreaktion lässt sich zunächst festhalten: Grundlegende, "wesentliche" Entscheidungen wurden von den Parlamenten (mit-)getroffen. Von einer generellen Umgehung parlamentarischer Körperschaften kann keine Rede sein. Dennoch haben Parlamente, ihre Rolle und mit ihnen bestimmte Prinzipien parlamentarischer Demokratie unter der Krise gelitten. Die pandemische Situation hat insbesondere die Krisenanfälligkeit regulärer parlamentarischer Alltagsarbeit vor Augen geführt. Das, was parlamentarische Arbeit in weiten Bereichen ausmacht, war nicht mehr ohne Weiteres möglich. Parlamente haben sich in einigen ihrer zentralen Arbeitsweisen als verletzlich erwiesen.
Insbesondere die Idee des diskutierenden und abwägenden Parlaments, also die Kommunikations- und Forumsfunktion, hat zu Beginn der Pandemie deutlich gelitten – ebenso die öffentliche Kontrollfunktion.
Der Bundestag hat jedoch auf die Schwierigkeit, aus Gründen des Infektionsschutzes nicht alle Abgeordneten in einem Raum versammeln zu können, unmittelbar reagiert – durch eine Änderung der Geschäftsordnung zur "besonderen Anwendung (…) aufgrund der allgemeinen Beeinträchtigung durch Covid-19". So wurde am 25. März ein neuer Paragraf 126a eingefügt.
Darüber hinaus wurde die Möglichkeit der regulären Teilnahme an den Beratungen der Ausschüsse über elektronische Kommunikationsmittel eingeräumt, sodass rein virtuelle Ausschusssitzungen möglich wurden. Für Abstimmungen und Beschlussfassungen durften ebenso elektronische Kommunikationsmittel genutzt werden. Schließlich wurde für öffentliche Ausschussberatungen und öffentliche Anhörungssitzungen eingeführt, "dass der Öffentlichkeit Zugang ausschließlich durch elektronische Übermittlungswege gewährt" werden kann. Tatsächlich ist von diesen neuen Möglichkeiten rege Gebrauch gemacht worden. Ausschusssitzungen, aber auch Fraktionssitzungen, fanden komplett oder teilweise virtuell statt.
Zudem wurden die Regelungen zur politischen Immunität der Abgeordneten angepasst: "Der Deutsche Bundestag genehmigt die Anordnungen von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz gegen Mitglieder des Bundestages."
Lösungsansätze: Notparlament und digitaler Parlamentarismus
Jenseits der vorgenommenen Änderungen des Parlamentsrechts lagen noch weiterreichende Vorschläge auf dem Tisch, die letztlich aber nicht realisiert wurden. Eine Diskussion, die während der Krise – gerade mit Blick auf die Unmöglichkeit eines geregelten parlamentarischen Betriebs – angestoßen worden ist, betrifft die Frage eines Notparlaments oder Notfallausschusses für den Deutschen Bundestag. Die Idee, für solche Krisenzeiten ein Rumpfparlament einzurichten, hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eingebracht.
Sein Vorschlag setzte daran an, dass zwar für den Verteidigungsfall mit dem Gemeinsamen Ausschuss ein parlamentarisches Ersatzgremium vorgesehen sei, aber eben nicht für die spezifische Situation einer Pandemie. Deswegen solle im Grundgesetz die Möglichkeit geschaffen werden, für solche Fälle ein Notparlament einrichten zu können, das aus einer reduzierten Anzahl von Abgeordneten bestehen und anstelle der Vollversammlung Entscheidungen treffen kann. Der Vorschlag sah vor, neben und analog zum Artikel 53a des Grundgesetzes (Gemeinsamer Ausschuss) einen neuen Artikel 53b zu setzen. Diese Initiative stieß im Parlament jedoch auf Widerstand – auch mit dem Argument, dass eine Änderung des Grundgesetzes in Krisenzeiten unpassend wäre.
Ein zweiter Vorschlag, der im Rahmen der Corona-Krise zur Debatte kam, betraf die Idee, Bundestagsdebatten komplett online abzuhalten – analog zu den Regelungen, die auf der Ebene der Ausschüsse gefunden worden sind. Tatsächlich ist die Digitalisierung von Plenarsitzungen von anderen Parlamenten praktiziert worden, allen voran vom britischen Unterhaus. Dieses hatte sich im Laufe der Corona-Krise virtuell getroffen, bevor es dann in einen hybriden Modus überging, der auch remote participation gestattet.
Für den Deutschen Bundestag und die Landesparlamente ist ein solches Szenario ebenfalls diskutiert worden – auch in langfristiger Perspektive. Seitens der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages wurde dabei eine Änderung des Grundgesetzes ins Spiel gebracht: die Ergänzung von Artikel 39 Absatz 3 GG, in welchem der Schluss und der Wiederbeginn von Bundestagssitzungen geregelt sind.
Parlamentarismus im Krisenverlauf
Die Parlamente haben versucht, auf die Herausforderungen der Krise zu reagieren. Dennoch hat die Pandemie die parlamentarische Arbeit und die parlamentarischen Aufgaben beeinträchtigt. Allerdings gilt dies nicht gleichermaßen für alle Parlamentsakteure und nicht gleichermaßen für alle Parlamentsfunktionen. Die "Stunde der Exekutive" ist vor allem keine "Stunde der Opposition": Sie ist keine Zeit der parlamentarischen Kontrolle und der kritischen Diskussion – beispielsweise was Maßnahmen der Bundesregierung angeht. Nicht nur, dass die Parlamente selbst hierzu nur bedingt in der Lage und vorbereitet waren; es fehlte zudem der gesellschaftliche Resonanzboden, der insbesondere für die Ausübung der parlamentarischen Kontrolle essenziell ist. Diese Lage bedingte und spiegelte zugleich die hohen Zustimmungswerte in der Bevölkerung für die Regierung und deren Maßnahmen. In der vorläufigen Hochphase der Krise im Mai/Juni 2020 stieg das Vertrauen in das verantwortliche Exekutivpersonal in ungekannte Höhen.
Im weiteren Krisenverlauf wurde diese Situation durchaus erkannt, problematisiert und angegangen. Insbesondere in der Phase des Zurückfahrens der mitunter drastischen Maßnahmen legten sowohl Medien als auch Gerichte und parlamentarische Akteure ihre Zurückhaltung ab – flankiert durch eine insgesamt kritischer werdende Öffentlichkeit. So waren im Verlauf der Pandemie immer lauter werdende Forderungen nach einer "Stunde des Parlaments" oder auch ausdrücklich einer "Stunde der Opposition" zu vernehmen.
Parlamentarische Kontrolle – vor allem seitens der Oppositionsfraktionen – wird zunehmend einen kritischen Ex-post-Blick auf das Regierungshandeln werfen. Dabei wird insbesondere die Frage, ob und inwiefern die Maßnahmen effektiv, angemessen und "alternativlos" waren, zu einem zentralen Thema parlamentarischer Auseinandersetzung. Dann rücken auch die unterschiedlichen Strategien der Krisenbewältigung bei den Regierungen in den Blickpunkt. Denn von der Stunde der "einen" Exekutive zu sprechen, wäre ohnehin zu kurz gegriffen. Vielmehr waren über den bundesdeutschen Föderalismus Regierungen auf Bundesebene und in den 16 Ländern involviert, die sich nicht immer einig waren. Auch unter den Exekutiven gab es Gewinner und Verlierer. Die Krise ist somit auch ein Stresstest für den deutschen Föderalismus.
Aus der Not eine Tugend machen
Welche Lehren können aus der Corona-Pandemie gezogen werden? Zunächst hat die Pandemie die Verletzlichkeit des Parlamentarismus in solchen Krisen, aber auch darüber hinaus in den Blickpunkt gerückt. Die "Stunde der Exekutiven" ging Hand in Hand mit einer – zumindest temporären und partiellen – Schwächung der Parlamente. Nun wird zu prüfen sein, ob die vorliegenden und in der Krise veränderten rechtlichen Grundlagen tatsächlich bei zukünftigen Krisen eine hinreichende Berücksichtigung des Parlaments gewährleisten oder ob die Tendenzen einer "Exekutivierung" der deutschen Politik abermals gestärkt worden sind.
So sind beispielsweise deutliche Zweifel an den rechtlichen Bestimmungen rund um den Infektionsschutz angebracht – insbesondere, weil sie nur durch ein einfaches Gesetz geregelt sind. Darüber hinaus wären für Krisensituationen Verfahren hilfreich, wie sie aus dem militärischen Parlamentsbeteiligungsbereich bekannt sind, etwa eine zwingende Ex-post-Billigung von Maßnahmen durch das Parlament, oder rigide Befristungen von Regelungen.
Das Spezifische zu Beginn der pandemischen Krise war – neben der Notwendigkeit, rasch auf die eskalierende Situation zu reagieren – die Unmöglichkeit geregelter parlamentarischer Arbeit. So lassen sich die Diskussionen rund um ein Notparlament für solche Situationen verstehen – aber auch die Frage nach einer Digitalisierung des parlamentarischen Betriebs, zumindest als Back-up. Der Digitalisierungsschub, den die Pandemie in vielen Bereichen mit sich gebracht hat, ist auch am Parlament nicht spurlos vorbeigegangen. Es scheint ein guter Zeitpunkt zu sein, hier die Möglichkeiten zu prüfen, von anderen Fällen zu lernen und insbesondere technische Optionen in den Blick zu nehmen, die neben der Zuverlässigkeit und Stabilität der Kommunikationstechnik auch die Frage des Schutzes vor digitalen Angriffen berücksichtigen. Die Verlagerung von operativer Kommunikation in den digitalen Raum, etwa in Form von Ausschusssitzungen oder digitalen Bürgersprechstunden, kann und sollte ausgebaut werden – auf dem Weg zu einem zumindest teilweise "virtuellen Parlament".
So kann die Covid-19-Krise nicht nur eine "Stunde der Exekutiven" sein, sondern zugleich zur Lehrstunde für die Parlamente werden. Eine Auseinandersetzung mit der Rolle der Parlamente in der Pandemie leistet einen wichtigen Beitrag, um die parlamentarische Demokratie krisenfester zu machen. Denn weitere Ausnahmesituationen werden kommen.