Die Debatte um einen Wandel bundesrepublikanischer Gedächtniskultur ist in vollem Gange, und es war der Bundespräsident, der sie mit einem Plädoyer für die Pflege demokratischer Erinnerungsorte ins Rollen brachte. Mehr als ein Jahr vor den Denkmalstürzen von 2020 wunderte sich Frank-Walter Steinmeier in der "Zeit", dass der Bund dem Hamburger Bismarck-Denkmal mehrere Millionen Euro Unterstützung angedeihen lasse, der Frankfurter Paulskirche als historischem Ort des ersten gesamtdeutschen Parlaments hingegen keinen Cent. Dabei könnten, so der Bundespräsident, gerade die Revolution von 1848/49 oder der "Weimarer Aufbruch" von 1918/19 ebenso wie die Jahre 1949 und 1989 Demokratinnen und Demokraten Mut und Ansporn vermitteln. Die Freiheitskämpfe und Errungenschaften, Heldinnen und Helden sowie die zahlreichen kleineren und größeren Orte der Demokratiegeschichte gelte es künftig sehr viel stärker in der offiziellen Gedächtnispolitik zu verankern. Bei aller notwendigen Erinnerung an Diktatur und Verfolgung, Krieg und Vernichtung – auch die Demokratie sei deutsch, und worauf Steinmeier damit letztlich abzielt, ist die Demokratie zum Telos der Nationalgeschichte zu erheben.
Vorstöße wie diese haben insofern ihre Berechtigung, als gerade die deutschen Großstädte tatsächlich nicht zu Leuchttürmen demokratischer Erinnerungslandschaften aufgestiegen sind, obwohl gerade dort deutsche Demokratiegeschichte gemacht wurde. Überhaupt hat sich die liberale Demokratie in Deutschland mit nationaler Symbolpolitik schon immer vergleichsweise zurückgehalten. Anders als es die demokratischen Traditionen des 18. und 19. Jahrhunderts nahelegen, war es in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts nie leicht, Nation und Republik zusammenzudenken. Nationale Symbolik blieb in der Weimarer Republik als Gegensymbolik zur Demokratie vital und abrufbar, häufig verbunden mit starken Emotionen jener, die sich "national" nannten und dabei eben meist keine Demokraten sein wollten. Diese wiederum reklamierten eher ein rationalistisches, nüchternes Politikverständnis für sich, das wenig Platz für Pathos ließ, auch nicht im Namen der Freiheit. Die Weimarer Republik beging zwar am 11. August den Verfassungstag, doch sie produzierte keine schillernde Erinnerungskultur, die die demokratischen Traditionen Deutschlands ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt hätte. Auch für viele Demokraten war die schwarz-rot-goldene Reichsflagge der jungen Republik nicht mehr als ein Stück Stoff, ganz im Gegensatz zur sakralen Qualität, die Schwarz-Weiß-Rot für die Weimarer Rechten behielt.
Nach 1945 änderte sich das nicht. Die junge Bundesrepublik hatte zwar einige Vernunftrepublikanerinnen und -republikaner mehr, aber keine positiv besetzten Erinnerungsorte der Demokratie, galt Weimar doch, und mit ihm Schwarz-Rot-Gold, als Schreckbild einer überforderten und ungeliebten Republik. Prägend wurde für das Bonner Selbstverständnis gerade, sich von der ersten deutschen Demokratie abzugrenzen.
Zur Erörterung einer demokratischen Gedächtnispolitik gehört die Frage, wie diese liberal-demokratisch ausgestaltet werden kann. In letzter Konsequenz bedeutete dies, nicht nur heroische Befreiungs- und Erfolgsgeschichten zu erzählen, sondern das wiederkehrend Problematische und Fragile, ja das Umstrittene an der Demokratie selbst zum Teil der Erinnerung zu machen.
Im Folgenden werde ich diskutieren, welche Herausforderungen sich mit dem Parlament als Erinnerungsort der deutschen Demokratie verbinden. Dazu richtet sich der Blick nicht so sehr auf seine Funktionsweisen und seine Stellung im politischen System,
Parlament und Demokratie – eine notwendige Unterscheidung
Wenn die deutsche Erinnerungskultur bislang kein Hort parlamentarischer Sternstunden ist, liegt das nicht etwa an einem ausgewiesenen deutschen Antiparlamentarismus oder parlamentarischen Funktionsdefiziten. Vielmehr handelt es sich bei Antiparlamentarismus und Parlamentarismuskritik um Phänomene, die so alt sind wie der Parlamentarismus selbst und namentlich in Frankreich mit seiner stolzen republikanischen Tradition tief verwurzelt sind. Allerdings existieren national spezifische Kulturen der Parlamentskritik wie des Parlamentarismus selbst, die hier in ihrer deutschen Spielart zur Sprache kommen.
Die Relevanz des Parlaments für die Demokratiegeschichte ergibt sich aus dem Siegeszug, den das Modell der repräsentativen Demokratie im ausgehenden 18. Jahrhundert antrat, obwohl es sich gegen monarchistische und konservative Kräfte zu behaupten hatte, die Staatsautorität über Volkssouveränität stellten. Doch worin genau besteht sein demokratisches Prinzip? Der Parlamentarismus beruht auf der Idee, dass der Souverän durch ein gewähltes Organ, das einige Hundert Deputierte zählt, vertreten werden könne. Maßgeblich für seine Legitimität wurde die Fiktion der "virtuellen" oder "abstrakten Repräsentation", wonach die Abgeordneten im Parlament für das gesamte Staatsvolk sprechen können, nicht bloß für ihren Wahlkreis oder ihre soziale Klientel. Ihr Mandat ist formal also personell ungebunden, verantwortlich sind sie in der Regel dem Gemeinwohl, der Nation oder lediglich ihrem Gewissen.
Es wäre nun aber historisch verfehlt, den Parlamentarismus für die Demokratie schlechthin zu halten, auch wenn selbst Historikerinnen und Historiker mittlerweile "Demokratie" und "parlamentarische Demokratie" häufig synonym verwenden. Zwar kam keine Demokratietheorie seit der Etablierung des britischen Parlamentarismus im 17. Jahrhundert an einer Positionierung gegenüber dem Prinzip der Repräsentation (anstatt der unmittelbaren Artikulation) des Volkswillens vorbei. Doch aus der Abgrenzung gegen den Parlamentarismus wuchsen alternative Demokratiemodelle, die für Zeitgenossinnen und Zeitgenossen im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder denkbare Optionen waren. Die beiden idealtypischen Alternativen, die seit der Amerikanischen und der Französischen Revolution im Raum standen, waren zum einen die direkte Demokratie, in der sich der Rousseausche Volkswille beständig oder spontan, in jedem Falle unmittelbar artikuliert, ohne durch Repräsentativorgane "verfälscht" und aufgespalten zu werden. Zum anderen ließ sich mit Rekurs auf Napoleon eine plebiszitäre Demokratie entwerfen, die auf eine starke, zentrale Exekutive oder Einheitspartei und auf mehr oder minder regelmäßige Akklamationen des Volkes setzte.
Während plebiszitäre Demokratieansätze vor allem, aber nicht nur auf der politischen Rechten Anhänger fanden, neigte die politische Linke zu radikaldemokratischen Ansätzen. Das bereits von den kleinbürgerlichen Sansculotten während der Französischen Revolution artikulierte Misstrauen gegenüber dem Parlament als Institution der Bourgeoisie wurde von Karl Marx und Friedrich Engels aufgegriffen, blieb aber kein deutsches Spezifikum. Ihre Beobachtungen Frankreichs und Englands um die Mitte des 19. Jahrhunderts führten sie zu dem Schluss, dass der Parlamentarismus lediglich Instrument der Klassenherrschaft sei und proletarische Interessen dort keine Vertretung fänden. Ein ideales Gegenmodell sah Marx in der Räteverfassung der Pariser Kommune von 1871. Auch hier wurde gewählt, allerdings in sehr viel direkterer und spontanerer Weise: Das Volk in den Pariser Bezirken bestimmte Stadträte, die mehrheitlich aus Arbeitern oder Arbeitervertretern bestanden, die in ihrer legislativen wie exekutiven Tätigkeit an die Instruktionen der Wähler gebunden und jederzeit absetzbar waren.
Aussöhnung mit dem repräsentativen Prinzip
Die mit der Kommune verbundene Rätedemokratie mit ihrem Akzent auf subnationale politische Handlungsebenen, aktive Partizipation der Vielen an Legislative wie Exekutive und unmittelbare Feedbackschleifen zwischen Repräsentierenden und Repräsentierten blieb in der politischen Linken und namentlich unter westeuropäischen Kommunisten des 20. Jahrhunderts vital – auch in der deutschen Novemberrevolution. Denn für viele Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Soldaten gab es 1918 gute Gründe, nach über vier Jahren eines zerstörerischen Krieges, dessen Finanzierung der Reichstag auch mit den Stimmen der Sozialdemokratie fortwährend billigte, in den Räten größere – soziale wie politische – Teilhabechancen zu erblicken. In der gespaltenen Arbeiterbewegung war 1918 mit Blick auf das Agieren führender Sozialdemokraten die Rede von der "parlamentarischen Komödie", vom "höfisch gewordenen Regierungssozialismus" und vom "Ausschluß des Volkes" im Parlament.
Das Schreckbild der bolschewikischen Revolution und die Drohung des Bürgerkriegs, aber auch ein unhinterfragter Parlamentarismus veranlassten die führenden Vertreter der Mehrheitssozialdemokratie, die Geschicke der Revolution aus den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte in die Hände der Nationalversammlung zu legen. In der Hoffnung, das Mehrheitsprinzip werde die Revolution zur Vollendung führen, optierten auch weite Teile der von der SPD abgespaltenen USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei) dafür; nur eine kleine Fraktion um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sah im Arbeiterparlament das einzig logische politische Organ einer proletarischen Revolution und im Bürgerkrieg nach bolschewikischem Muster das ultimative Mittel des Klassenkampfs.
Der Parlamentarismus der Sozialdemokratie war Produkt einer über Jahrzehnte gewachsenen Aussöhnung mit dem repräsentativen Prinzip. Bereits im Norddeutschen Bund hatte das allgemeine Wahlrecht seit 1867 eloquenten Arbeiterführern wie August Bebel und Wilhelm Liebknecht erlaubt, das Parlament als Agitationsmittel zu nutzen, obwohl Liebknecht den Reichstag als bloße "Komödie" bezeichnete.
Im Gegensatz zur älteren historischen Forschung, die die schwache Position des Reichstags im konstitutionellen Gefüge des Kaiserreichs unterstrich, wird in neueren Studien unter Berücksichtigung des Öffentlichkeitsaspekts parlamentarischer Arbeit nicht nur die wachsende Bedeutung des Reichstags betont, sondern auch die These eines weithin geteilten Antiparlamentarismus im Kaiserreich widerlegt. Die Entstehung der kommerzialisierten Massenpresse und das dualistische Gepräge der konstitutionellen Monarchie waren wichtige Faktoren der wachsenden Popularität des Reichstags: Da er Gesetzen und Haushalt zustimmen musste, die Regierung ihm jedoch nicht verantwortlich war, konnte er sich mit seinen beiden stärksten Fraktionen, dem Zentrum und der Sozialdemokratie, als Gesetzgeber, aber auch als Regierungsopposition in Szene setzen, was die Massenpresse dankbar aufnahm und verstärkte.
Integration und Delegitimierung
Wie das Beispiel der Sozialdemokratie zeigt, waren Parlamente Inklusionsmaschinerien. So ist es für ihre Geschichte charakteristisch, dass ihre Gegner in aller Regel mit im Hause saßen. Das galt für die Monarchisten in der Frankfurter Nationalversammlung, für die Nationalkonservativen im Kaiserreich und für die DNVP (Deutschnationale Volkspartei), Teile der nationalliberalen DVP (Deutsche Volkspartei) sowie KPD und NSDAP in der Weimarer Republik. Die Parlamentsarbeit verwandelte sie nicht immer in glühende Anhängerinnen und Anhänger des Parlamentarismus, doch sie führte ihre Fundamentalablehnung ad absurdum. Denn wer antiparlamentarisch sprach und parlamentarisch handelte, verfing sich mindestens in einem performativen Widerspruch.
Die ältere Forschung hat den Antiparlamentarismus im Reichstag häufig als Faktor seiner Schwäche und seines Unvermögens zu rationaler Kompromissfindung gedeutet; in Abgrenzung dazu betont die neuere Forschung die Integrations- und Kohäsionskraft parlamentarischer Regeln, Verfahren und Umgangsweisen, denen sich auch antiparlamentarische Kräfte kaum entziehen konnten: Wer die Geschäftsordnung beachtete und die Redezeiten einhielt, wer in Ausschüssen mit Kollegen zusammenarbeitete und sich an Abstimmungen beteiligte, konnte schlecht behaupten, nicht zum Funktionieren des Parlamentarismus beizutragen, und die Öffentlichkeit beobachtete dies aufmerksam.
Als radikaldemokratische Alternative zum Parlamentarismus oder als Aufmarschfeld "des Volkes" gegen das Parlament galt die Straße. Dort sollte nach ursprünglichem Dafürhalten der Sozialisten der eigentliche Kampf des Proletariats stattfinden; und dort sollte in Weimar ein neuer Politikstil Fuß fassen: eine Politik der Tat, der Emotion und des unbedingten Willens, die sich scharf gegen die rationale Rede, die teils langwierige Kompromissfindung und das vermeintliche Taktieren im Parlament abgrenzte.
Die Auseinandersetzung mit dem Weimarer Reichstag ließ klassische Muster der Parlamentskritik aufleben. Besondere Missbilligung erfuhren das Mehrheitsprinzip, die Logik des Kompromisses, die elitäre Abschließung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier nach innen, ihre angebliche Verwicklung in Korruptionsfälle, vor allem aber der übermäßige Einfluss der Parteien und ihrer Funktionäre, was im Vorwurf der Mittelmäßigkeit und Spießbürgerlichkeit des Parlaments mündete und weite Kreise der Weimarer Öffentlichkeit zur Sehnsucht nach einer genialen Führerpersönlichkeit motivierte.
Parlament und Nation – ein schwieriges Verhältnis
Parlamente waren als Institutionen von einer Spannung getragen, die mit der Erweiterung des Wahlrechts immer größer wurde: Sie sollten die unterschiedlichen Interessen, ja zunehmend auch die sozialen Unterschiede innerhalb der Gesellschaft abbilden und zugleich die gemeinsamen Interessen des Staatsvolks vertreten. Als Symbole der Nation konnten nationale Parlamente unter besonderen Erwartungsdruck geraten, wenn die sakralisierte Nation sich durch Einigkeit auszeichnen sollte, nicht durch widerstreitende Positionen, die das Parlament zum Ausdruck brachte.
Zum Problem wurde, dass Parlamente in ihrer Praxis eher die Gespaltenheit der Nation vorführten als deren Einigkeit. Schon 1848/49 war die Ernüchterung groß gewesen, als das Paulskirchenparlament offenkundig werden ließ, dass sich Liberale, Demokraten und Monarchisten in vielen Punkten nicht einigen konnten. Die Nationalversammlungen von 1848/49, ob in Frankfurt oder in den Landtagen, stehen in der deutschen Geschichte vor allem für die Entstehung von Fraktionen. Zeitgleich artikulierten Parlamentarier selbst das Ideal, gerade in außenpolitischen Fragen zur Einigkeit zu finden. Anlässlich der anstehenden Abstimmung über den Vertrag von Malmö, den Waffenstillstand zwischen Preußen und Dänemark im Schleswig-Holsteinischen Krieg, mahnte der linke Abgeordnete Wilhelm Zimmermann 1848: "Meine Herren, wir haben uns oft in diesem Saale von dem Standpunkte der Parteien bekämpft. Wenn es aber einer Sache des Vaterlandes (…) gilt, wenn es sich um eine deutsche Angelegenheit, nicht um eine Partei- und Meinungssache handelt, da muß der Kampf der Parteiungen und auch die Rücksicht darauf aufhören. Lassen Sie uns daher bei der Abstimmung über diese Frage keine Rücksicht auf unsere Parteistellung, sondern einzig Rücksicht auf die Sache nehmen."
Nach der Machtübergabe an Hitler brannte dann der Reichstag – und wurde in ein Einparteienparlament verwandelt, das primär die Regierungserklärungen des "Führers" entgegennahm. Wenn ausgerechnet im "Dritten Reich" die Direktübertragung der (wenigen) Reichstagssitzungen im Radio einsetzte, so diente dies vor allem der Demonstration, dass der Nationalsozialismus "endlich" Einmütigkeit im Reichstag hergestellt hatte.
In Westdeutschland indes musste man lernen, mit dem unumgänglichen Konfliktgeschehen in der parlamentarischen Demokratie umzugehen. Die Resonanz der Presse auf die ersten Bundestagswahlkämpfe verdeutlicht, als wie ehrrührig der Parteienstreit empfunden wurde. Zänkische Parlamentarier schienen das Volk herabzuwürdigen, das sie vertreten wollten, und es war der Rekurs auf die "Würde der Nation", der dieses parlamentskritische Ressentiment – neben vielen anderen altbekannten – auch in der Bundesrepublik hervorbrachte.
Wie sehr der Bundestag unter den Bedingungen der deutschen Teilung, des Kalten Kriegs und der Furcht vor einem dritten Weltkrieg zum Symbol der Nation erhoben wurde, das über wichtige nationale Fragen möglichst nicht streiten sollte, zeigte sich in den wichtigen außenpolitischen Debatten der 1950er Jahre, die die Historikerin Marie-Luise Recker als Höhepunkte der Bonner Parlamentsgeschichte bezeichnet hat. Wenn allerdings die Fraktionsführer und aufstrebende Redetalente der Parteien Anlässe wie die Westverträge, den Wehrbeitrag, den Souveränitätsgewinn oder die deutsch-französische Aussöhnung dazu nutzten, sich hitzige Redeschlachten zu liefern, war das für viele Wählerinnen und Wähler nur schwer zu ertragen, zumal die ungewohnten Fernsehbilder seit 1953 den emotionalen Stress noch erhöhten, indem sie den Bundestagsstreit quasi ins Wohnzimmer brachten. Da zu befürchten stand, dass das Ansehen des Parlaments so noch weiter leiden könnte, entschieden Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier und der Ältestenrat des Bundestags 1957, das Fernsehen gänzlich aus dem Plenarsaal des Bundeshauses zu verbannen.
Erst ab 1966 waren TV-Übertragungen von Arbeitssitzungen wieder zugelassen, und zu jener Zeit zeichnete sich auch langsam ab, dass sich die Westdeutschen an die Konflikthaftigkeit gewöhnten, die die parlamentarische Demokratie mit sich brachte. Es war die paradox anmutende Folge der Außerparlamentarischen Opposition, dass die 1970er Jahre in vielerlei Hinsicht eine Blütezeit der repräsentativen Demokratie markierten. Diese Nähe zwischen Parlament und Wählerinnen und Wählern lebte bezeichnenderweise von der Integration direktdemokratischer Ansätze in die politische Kommunikationsarbeit an der Basis, in den Wahlkreisen, wo dann auch die Polarisierung abgefedert werden konnte, die dieses Jahrzehnt kennzeichnete.
Die Aufwertung des Bundestags spiegelte sich in einer gesteigerten massenmedialen Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit.
Ein Ausnahmeereignis deutscher Parlamentsöffentlichkeit jährte sich dieses Jahr zum 30. Mal: die Live-Übertragungen aller 38 Plenarsitzungen der 10. Volkskammer, des ersten frei gewählten und zugleich letzten Parlaments der DDR. Die Abgeordneten wollten die Ostdeutschen im Fernsehen mit den Regeln des Parlamentarismus vertraut machen, Transparenz demonstrieren und verlässliche Informationen liefern. Die Resonanz war groß, doch die Enttäuschung auch: Die unmittelbare Konfrontation mit ungeübten Parlamentariern, langwierigen Abstimmungen und leeren Stuhlreihen, wie sie in Arbeitsparlamenten unumgänglich sind, war keine gute Werbung für die repräsentative Demokratie.
Schluss
Für die deutsche Demokratiegeschichte folgt aus diesen Beobachtungen, dass sie das Parlament nur als umstrittene, aber durchaus langlebige und lernfähige Institution thematisieren kann. Parlamentarismus als den Telos und den Wert der liberalen Demokratie anzusehen, griffe dabei zu kurz. Zu den Erinnerungsorten der deutschen Demokratiegeschichte gehören auch außerparlamentarische Bewegungen und direktdemokratische Praktiken – der Graswurzelgedanke der Pariser Kommune hat die parlamentarische Demokratie immer wieder ergänzt und ihr neue Impulse gegeben.
An den Parlamentarismus als Errungenschaft zu erinnern, heißt zudem, an die Heterogenität moderner Gesellschaften und die Möglichkeit alternierender Regierungsmehrheiten zu erinnern. Das Mehrheitsprinzip, das die Gegner des Parlamentarismus ablehnten, brachte immer auch Verlierer und Unterlegene hervor, die allerdings nie dauerhaft in der Minderheit bleiben mussten. Es ist diese Offenheit für Pluralität und für politische Farbenwechsel, die es Parlamenten erlaubt, immer wieder auf den dynamischen Wandel moderner Gesellschaften zu reagieren. Darin liegen ihre Stärke und ihre Resilienz, gerade auch in Zeiten der Krise.