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Globalisierungskrise: Geburt einer neuen Weltwirtschaftsordnung? | Krisenjahr 2009 | bpb.de

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Globalisierungskrise: Geburt einer neuen Weltwirtschaftsordnung?

Margit Bussmann

/ 13 Minuten zu lesen

Die Finanz- und Wirtschaftskrise wirft die Frage nach einer Veränderung der Weltwirtschaftsordnung auf. Das internationale Wirtschaftssystem wird seit geraumer Zeit multilateral verwaltet.

Einleitung

Das Krisenjahr 2008/09 brachte das internationale Finanz- und Wirtschaftssystem an den Rand des Kollapses. Was als Finanzkrise begann, ging schnell in eine schwerwiegende Wirtschafts- und Globalisierungskrise über, mit tiefen Einschnitten in der Produktion und einem gravierenden Rückgang an internationalem Handel und an ausländischen Investitionen. Zusätzlich drohte die Gefahr, dass Regierungen bei der Gestaltung der Konjunkturmaßnahmen protektionistische Schritte ergreifen könnten.



Mit der Diskussion um die Ursachen der Finanzkrise geht auch eine Debatte um deren Folgen einher, vor allem auch um die Frage, wie die Weltwirtschaftsordnung umstrukturiert werden müsste, damit eine Wiederholung der Krise vermieden werden kann. Die Intensität, mit der die Diskussion geführt wird, und der viel beschworene Vergleich mit der Weltwirtschaftskrise 1929 lassen den Eindruck entstehen, dass es sich bei der aktuellen Krise um ein "once-in-a-lifetime" Ereignis handelt und einschneidende Veränderungen und eine neue Weltordnung unmittelbar bevorstehen. Über die künftige Organisation der Wirtschaftsbeziehungen können wir nur spekulieren. Wichtig ist ein Blick in die Vergangenheit, und zwar über den historischen Vergleich mit der Krise 1929 hinaus. Nach einer Beschäftigung mit den Erkenntnissen aus vergangenen Wirtschaftskrisen wird dieser Beitrag die Entwicklung der Weltwirtschaftsordnung nachzeichnen, mit besonderem Augenmerk auf die Rolle einer wirtschaftlichen Führungsmacht und die Einbindung von Entwicklungsländern in diese Ordnung.

Finanzkrisen in historischer Perspektive

Finanzkrisen sind langwierig und keineswegs selten. Bisher beschränken sich Vergleiche zumeist auf das Szenario von 1929, aber es gab vorher und nachher viele Finanz- und Bankenkrisen, deren systematische Auswertung interessante Einblicke geben kann. In einer Reihe von historischen Analysen von Finanzkrisen über acht Jahrhunderte zeigten Carmen M. Reinhart und Kenneth Rogoff, dass die aktuelle Krise in den USA nicht einzigartig ist, sondern viele Charakteristiken mit früheren Krisen teilt. Besonders betroffen sind Schwellenländer, die sich im Übergang von Entwicklungs- zu Industriestaaten befinden. Aber auch die westlichen Industrieländer waren früher in Zahlungsverzug bei der Begleichung von Auslandsschulden. Zahlungsverzüge treten meist in regionalen und internationalen Clustern auf, z.B. in den 1820er Jahren in Lateinamerika. Zwar unterscheidet sich die aktuelle Krise von anderen insofern, als sie bei der stärksten Wirtschaftsmacht ausbrach, aber auch schon früher führten Krisen in Finanzzentren zu globalen Finanzkrisen, wie etwa der Crash an der Wall Street 1929, aber auch die Zusammenbrüche an den Aktienmärkten in Deutschland und Österreich im Jahre 1873 belegen.

Es lassen sich zudem Muster bei den Auswirkungen von Finanzkrisen erkennen. Dabei konzentrierten sich Reinhart und Rogoff in ihrer Analyse auf die Folgezeit von 18 Bankenkrisen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit besonderem Augenmerk auf systemische Krisen. In bisherigen Krisen sanken die realen Preise für Wohnimmobilien um durchschnittlich 35 Prozent über einen Zeitraum von sechs Jahren, die Aktienkurse um durchschnittlich 55 Prozent mit einem andauernden Abschwung von dreieinhalb Jahren. Die Zeiten nach den Bankenkrisen waren gekennzeichnet von tiefen Einschnitten in der Produktion und der Beschäftigungslage. Die Produktion fiel um durchschnittlich neun Prozent, jedoch dauerte die Wirtschaftsflaute nur zwei Jahre. Die Einschnitte auf dem Arbeitsmarkt waren mit durchschnittlich vier Jahren bedeutend länger; die Arbeitslosenquote stieg um sieben Prozent. Außerdem explodierte nach den meisten Bankkrisen die Staatsverschuldung, und zwar durchschnittlich um 86 Prozent, wobei die Hauptursache für die steigende Staatsverschuldung in den geringeren Steuereinnahmen und der antizyklischen Fiskalpolitik zu suchen ist.

Rolle einer dominanten Wirtschaftsmacht

In der globalen Wirtschaft ist der Umgang mit Finanz- und Wirtschaftskrisen nicht durch nationale Lösungen zu bewältigen, sondern muss durch internationale Zusammenarbeit geschehen. Diese Kooperation kann durch internationale Organisationen und Regime unterstützt werden. Verschiedene Theoretiker räumen internationalen Institutionen nur dann eine Überlebenschance und ausreichenden Einfluss ein, wenn sie durch einen dominanten Staat bzw. eine Hegemonialmacht gestützt werden. Gemäß der hegemonialen Stabilitätstheorie sorgt die Führungsmacht im internationalen System für Frieden und stellt andere öffentliche Güter bereit, etwa eine stabile Währung und eine liberale Handelsordnung. Dabei ist zentral, dass der Hegemon seine bevorzugte Weltordnung den anderen Staaten nicht aufdrängt, sondern dass alle davon profitieren, er also kein erzwingender, sondern ein wohlwollender Hegemon ist. Er trägt die Kosten des internationalen Systems sogar überproportional, denn andere Staaten ziehen einen relativ größeren Nutzen. Soweit die Theorie.

Sowohl die Führungsmacht USA als auch ihr Vorgänger Großbritannien vertraten eine liberale Werte- und Normenordnung und befürworteten folglich auch eine liberale Weltwirtschaftsordnung. Die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg bereitwillig die Rolle des dominanten Weltstaates übernommen und auf eine internationale Währungsordnung und ein liberales Handelsregime hingewirkt. Als Führungsmacht wurden sie von Europa und Japan akzeptiert. Die USA verfügten lange Zeit über eine starke Wirtschaft, und der US-Dollar wurde zur Leitwährung. Diese von den USA favorisierte Wirtschaftsordnung wurde zuerst unilateral verwaltet; doch schon bald zeichnete sich ab, dass die USA das Management des internationalen Wirtschaftssystems nicht alleine schultern konnten. Keine andere Wirtschaftsmacht war gewillt, die Führungsrolle zu übernehmen; folglich wurde das System multilateral verwaltet, wenn auch mit einem besonders starken Einfluss der USA. Die multilaterale Verwaltung der Wirtschaftsordnung weitete sich immer stärker aus. Vor allem die Organisation des Handelsregimes, aber auch der internationalen Finanzordnung wurde von mehreren Staaten getragen.

Internationale Währungs- und Finanzordnung

Eine Lehre aus der Weltwirtschaftskrise 1929 lag in der Erkenntnis, dass ein internationales Wirtschaftssystem etabliert werden müsse, das einen erneuten wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch abwenden kann. Ein hohes Niveau an wirtschaftlicher Interdependenz und Freihandel sollte wirtschaftlichen Nationalismus verhindern helfen. Zur Unterstützung einer freien Handelsordnung wurde auf der Konferenz in Bretton Woods in New Hampshire im Juli 1944 eine internationale Währungsordnung geschaffen. Die damals stärkste Wirtschaftsmacht, die USA, hatte sich bereit erklärt, für die Stabilität der Wechselkurse zu sorgen, indem sie sich verpflichtete, Dollar in Gold umzutauschen. Die USA fungierten quasi als Zentralbank der Welt und verwalteten das System zunächst unilateral. Damit das System funktionierte, ermutigten die USA den Abfluss von Dollar und brachten so Liquidität in die internationale Wirtschaft. Im Laufe der Zeit wurden im Ausland mehr Dollar gehalten, als die USA an Goldreserven innehatten. Die schwindende amerikanische Wirtschaftsstärke, aber auch die Kosten des Vietnamkriegs trugen dazu bei, dass die USA ein Zahlungsbilanzdefizit in Kauf nehmen mussten. Als das Defizit außer Kontrolle geriet, waren die USA nicht länger bereit, das Weltwährungssystem unilateral zu verwalten. So kündigte schließlich US-Präsident Richard Nixon 1971 die Garantie, Dollars in Gold zu tauschen, auf, so dass "Bretton Woods" 1973 beendet wurde. Die Währungskurse wurden freigegeben.

Die Weltfinanzordnung nach Ende des Bretton-Woods-Systems verschob sich von unilateralem zu multilateralem Management. Das multilaterale Management zeigte sich vor allem in einem Verhandlungs- und Diskussionsforum, dem seit 1975 jährlich stattfindenden Gipfeltreffen der sieben führenden Industriemächte, der G-7, seit 1998 nach dem Beitritt Russlands der G-8. Ursprünglich geplant, um über Finanz- und Währungspolitik zu beraten, weiteten sich die angesprochenen Themenbereiche über die Wirtschaftspolitik hinaus aus. In den 1990er Jahren wurden in diesem Forum die wichtigsten finanz- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen getroffen. Ein zentraler Kritikpunkt an der G-8 war der Ausschluss anderer Wirtschaftsmächte, vor allem der aufstrebenden Schwellenländer. Da die Ausgrenzung von Staaten wie China und Indien von Diskussionen zu Themen der globalen Wirtschaft nicht länger haltbar war, wurden zum Treffen der G-8 im Jahr 2007 in Heiligendamm fünf Schwellenländer hinzugebeten. Hier zeigt sich beispielhaft die Entwicklung zu einem sich ausdehnenden Multilateralismus.

G-20 und IWF

Mit der aktuellen Finanzkrise erhielt ein weiteres informelles Forum besondere Bedeutung: die bereits 1999 ins Leben gerufene G-20, die Gruppe der Finanzminister und Zentralbankpräsidenten der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Diese Gruppe hat sich als zentraler Kreis herausgebildet, um die Probleme und Lösungen der aktuellen Wirtschaftskrise zu diskutieren. Die G-20 soll die G-8 ersetzen. Diese Entwicklung kann als weiteres Zeichen gewertet werden, dass Schwellenländern in Fragen der globalen Finanz- und Wirtschaftsordnung mehr Mitsprache eingeräumt wird. Das koordinierte Vorgehen der in dieser Gruppe vertretenen Staaten konnte die Weltwirtschaft in der jüngsten Krise letztlich vor dem Zusammenbruch bewahren.

Auf dem Gipfel der G-20 in Pittsburgh im September 2009 wurden weitere Vereinbarungen zu Auswegen aus der Krise und für die Zeit danach getroffen. Das zur G-20 gehörende Financial Stability Board übernimmt nun die Führung in der Koordinierung und Überwachung der Finanzregulierung und Bankenaufsicht. Wie sich dieses Forum, insbesondere die Entscheidungsfindung angesichts der Größe und Heterogenität, entwickeln wird, muss abgewartet werden und wird von Beobachtern nicht ohne Skepsis gesehen. Trotzdem spielen die USA erkennbar weiterhin eine führende Rolle. Besondere Aufmerksamkeit am Rande der G-20 Treffen galt der G-2, dem bilateralen Austausch zwischen den USA und China. In den Abschlussvereinbarungen des Gipfels von Pittsburgh wurde ein klares Bekenntnis zum Internationalen Währungsfonds (IWF) und zur Doha-Runde geäußert, was von Kontinuität (trotz Reformvorhaben) in den internationalen Finanzbeziehungen zeugt.

Der IWF ist die zentrale internationale Institution, die Staaten bei Finanzkrisen hilft. Zusammen mit der Weltbank in den Bretton-Woods-Vereinbarungen gegründet, sollte der IWF primär die Aufgabe der Überwachung der Wechselkurse der Industrienationen übernehmen. Nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems hat sich das Aufgabengebiet des IWF verändert. Der IWF wurde weniger wichtig bei der Verwaltung von Wechselkursen; er hat vielmehr große Bedeutung bei Kreditvergaben und bei der Verwaltung von Schuldenkrisen in Entwicklungs- und Schwellenländer erlangt. Zwar waren der IWF und die Weltbank mit Blick auf den Wiederaufbau Europas gegründet worden, doch wurden schon sehr früh Gelder an Entwicklungsländer vergeben. Bereits in Bretton Woods wurde der IWF mit einem Fonds ausgestattet, aus dem Kredite an Mitgliedstaaten vergeben werden können, sollten sich diese in Zahlungsschwierigkeiten befinden.

Die Inanspruchnahme eines IWF-Kredits ist an Strukturanpassungsprogramme und Konditionalität geknüpft. Mitgliedstaaten haben Anspruch auf Kredite in einer gewissen Höhe, abhängig von der dem Land zugewiesenen Quote. Über 25 Prozent seiner Quote kann ein Staat frei verfügen; Kredite, die darüber hinausgehen, sind an Konditionen geknüpft. Damit will der IWF sicherstellen, dass Kredite zur Beseitigung wirtschaftlicher Schwierigkeiten eingesetzt werden, damit die Grundlagen für Wachstum und langfristige wirtschaftliche Bedingungen geschaffen werden. Ziel der Konditionalität ist es, die Stellung des Marktes zu erhöhen, aber auch die Effizienz des öffentlichen Sektors und insgesamt zusätzliche interne Ressourcen zu mobilisieren. Die Kreditvergabe wurde schon früh an Bedingungen (Kürzung der Staatsausgaben, Erhöhung der Steuern, Verringerung der Geldmenge) geknüpft; diese wurden im Laufe der Zeit zahlreicher. Besonders im Zuge der Schuldenkrise in Lateinamerika in den frühen 1980er Jahren wurden die Konditionen spezifischer und gaben tiefgreifendere Politikempfehlungen, ließen also insgesamt weniger innenpolitische Spielräume.

Der IWF und das Konzept der Konditionalität sind seit langem scharfer Kritik ausgesetzt, besonders im Hinblick auf Politikmaßnahmen, die auf eine geringere Rolle der nationalen Regierungen zugunsten von Marktkräften abzielen. Zudem gibt es erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der IWF-Programme. Zwar scheinen die Programme und Kredite gut geeignet, um Probleme in der Zahlungsbilanz anzugehen, aber die Erreichung anderer ökonomischer Ziele ist fraglich. Die Programme des IWF scheinen die wirtschaftliche Entwicklung nicht voran zu bringen, sondern schaden wirtschaftlichem Wachstum sogar: Staaten, die unter einem IWF-Abkommen wirtschaften, haben niedrigeres Wirtschaftswachstum als andere. Auch sendet ein solches Abkommen keine Signale der Stabilität an ausländische Investoren. Andere Studien weisen auf eine Verschärfung in der Einkommensungleichheit innerhalb der Empfängerländer hin.

Doch nicht nur die Politikempfehlungen des IWF sind zu überdenken, auch die Abstimmungsstruktur ist reformbedürftig. Entwicklungsländer stellen zwar die überwiegende Anzahl der Mitglieder, ihr Einfluss ist aber durch die im IWF vorherrschende Abstimmungsregelung beschränkt. Die den Staaten zugewiesenen Quoten bestimmen nicht nur die Höhe des Kreditrahmens, sondern auch ihren Stimmenanteil. Die Zusammensetzung des Verwaltungsrates etwa belegt, dass der IWF nach wie vor von europäischen Staaten dominiert ist und andere Regionen unterrepräsentiert sind. Vor allem die Gruppe der Kreditnehmer ist stark unterrepräsentiert. Die Anzahl der Mitgliedstaaten stieg kontinuierlich an und liegt heute, nachdem auch die früheren kommunistischen Staaten beigetreten sind, bei 186. Mit der steigenden Mitgliederzahl verringerte sich der Einfluss der einzelnen Staaten - auch derjenige der USA und anderer Industriestaaten.

Der Vorwurf, dass der IWF nur eine Marionette amerikanischer Interessen sei, ist nur bedingt aufrechtzuerhalten. Die USA kontrollieren 16,77 Prozent der Stimmen, sind also weit von einer Mehrheit entfernt. Doch besitzen sie faktisch ein Vetorecht, denn wichtige Entscheidungen müssen beim IWF mit einer Mehrheit von 85 Prozent getroffen werden. Dadurch üben die USA beträchtlichen Einfluss aus. Mehrere Beispiele könnten genannt werden, die den Verdacht nahelegen, dass Kredite des IWF im Hinblick auf außenpolitische Ziele der USA bewilligt wurden (etwa eine neue Vereinbarung des IWF mit Pakistan im Jahr 2001). Empirische Studien fanden Hinweise dafür, dass neben wirtschaftlichen Erwägungen eine Nähe zu den USA durchaus hilfreich sein kann bei der Entscheidung, welche Staaten überhaupt einen IWF-Kredit bekommen. So können ein an den USA orientiertes Abstimmungsverhalten zu wichtigen Punkten in den UN-Vollversammlungen, US-Entwicklungshilfezahlungen, aber auch ein Militärbündnis mit den USA eine Rolle bei der Bewilligung und Ausgestaltung von IWF-Krediten spielen.

Obwohl der IWF in den vergangenen Jahren heftiger Kritik ausgesetzt war, wird seine Rolle als finanzpolitische Feuerwehr durchaus geschätzt. In dieser Kapazität rückte der IWF auch in der aktuellen Krise ins Blickfeld und hat sogar wieder Aufschwung erhalten. Erste Staaten, die massive Zahlungsschwierigkeiten erfuhren, beispielsweise Island, haben beim IWF schnelle Hilfe gefunden. Auch in den G-20-Vereinbarungen waren Bekenntnisse zu einer Stärkung, aber auch zur Reform des IWF enthalten. Dem IWF wurden neue Finanzmittel zugesprochen, und es wurde vereinbart, dass 2011 die bisher unterrepräsentierten Staaten mehr Stimmrecht erhalten sollen.

Internationales Welthandelsregime

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden nicht nur die monetären Wirtschaftsbeziehungen neu geordnet, sondern auch eine neue Welthandelsordnung begründet. In der Folge der Weltwirtschaftskrise von 1929 hatte sich Protektionismus ausgebreitet. Die USA machten 1930 den Anfang mit dem Smoot-Hawley Tariff Act, und andere Staaten zogen nach. Diese Zeit war insgesamt geprägt durch eine Beggar-Thy-Neighbor-Politik: In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten wurden protektionistische Maßnahmen ergriffen, etwa Geldabwertungen und Einfuhrbeschränkungen, um auf Kosten der Handelspartner und der globalen Wohlfahrt eine positive Handelsbilanz zu erzielen. Doch die protektionistische Politik verschlimmerte die Lage der Weltwirtschaft.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich daher ein gemeinsames Interesse an einer liberalen Welthandelsordnung. Trotzdem konnten sich die Teilnehmer der Bretton-Woods-Konferenz nicht auf die Gründung einer internationalen Handelsorganisation verständigen. Stattdessen wurde 1947 eine vertragliches Regelwerk, das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) vereinbart. Das GATT wurde 1995 von der World Trade Organisation (WTO) abgelöst. Die Anzahl der Mitglieder in der WTO nahm kontinuierlich zu und liegt heute bei 153 Staaten.

Ähnlich wie bei den internationalen Finanzinstitutionen wurde der Ruf nach einer stärkeren Einbindung der Entwicklungsländer in ein internationales Handelsregime immer lauter. Das GATT hatte lange Zeit, besonders während der frühen Verhandlungsrunden, das Image eines Klubs der Reichen. Viele Entwicklungsländer konzentrierten sich in den 1960er und 1970er Jahren auf eine Strategie der Import-Substitution und koppelten sich vom Weltmarkt ab. Als dieser Weg nicht zu den gewünschten Ergebnissen führte, wandten sich viele Staaten einer exportorientierten Entwicklungsstrategie zu. Damit einher ging der Wunsch nach einer Veränderung der Handelsordnung und nach mehr globaler Integration.

Mit der Zunahme an Mitgliedern und der Komplexität der Handelsbarrieren wurden auch die GATT/WTO-Handelsrunden immer länger. Die ersten Handelsrunden bis zur Kennedy-Runde (1964 - 1967) beschäftigten sich hauptsächlich mit dem Abbau von Zöllen und dauerten nicht länger als ein Jahr. Danach wurde der Fokus auf nichttarifäre Handelshemmnisse gelegt, und somit nahm die Komplexität der Verträge zu. Die letzte Handelsrunde, die Uruguay-Runde, dauerte sieben Jahre, von 1986 bis 1993. Die aktuelle Doha-Runde ist festgefahren, aber es wäre verfrüht, von einem Scheitern zu reden. Ein ungelöster Streitpunkt ist der Zugang der Entwicklungsländer zu den Agrarmärkten der Industriestaaten. Zwar hat jedes Land in der WTO nur eine Stimme, und formal gilt das Konsensprinzip. Trotzdem ist es für viele Entwicklungsländer nicht leicht, sich gleichberechtigt zu beteiligen.

Neue Weltordnung?

Das liberale Weltwirtschaftssystem hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt und sich den jeweils aktuellen Anforderungen angepasst. Ein Blick auf seine bisherige Entwicklung zeigt, dass die USA die Weltwirtschaft schon seit langem nicht mehr unilateral verwalten. Stattdessen lässt sich eine Ausdehnung der multilateralen Zusammenarbeit unter stärkerer Berücksichtigung von Schwellen- und Entwicklungsländern beobachten.

China hat schon lange vor der globalen Finanzkrise 2008/09 eine immer größere Rolle in der Weltwirtschaft gespielt, und diese Tendenz wird sich durch die Wirtschaftskrise und die Schwäche der westlichen Führungsmächte verstärken. China zögert noch, eine globale Führungsrolle zu übernehmen, und die USA sind noch nicht bereit, diese China zu überlassen. Die Weltwirtschaftsordnung wird sich verändern, wenn auch nicht so gravierend, dass wir tatsächlich von einer neuen Weltordnung reden könnten. Was sich indes abzeichnet, ist eine Machtverschiebung von der bisherig stärksten Wirtschaftsmacht und anderen westlichen Industrieländern zu aufstrebenden Schwellenländern, allen voran China und Indien. Das wahrscheinlichste Szenario für die Zukunft wird weiterhin ein multilateral verwaltetes Weltwirtschaftssystem sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Layna Mosley/David Andrew Singer, The Global Financial Crisis: Lessons and Opportunities for International Political Economy, in: International Interactions, 35 (2009).

  2. Vgl. Carmen M. Reinhart/Kenneth Rogoff, This Time Is Different: A Panoramic View of Eight Centuries of Financial Crises. National Bureau of Economic Research (NBER) Working Paper 13882, Cambridge, MA 2008.

  3. Vgl. dies., The Aftermath of Financial Crises, in: American Economic Review, 99 (2009) 2, S. 466 - 472.

  4. Vgl. Robert O. Keohane, The Theory of Hegemonic Stability and Changes in International Economic Regimes, 1967 - 1977, in: Alexander L. George/Ole R. Holsti/Randolph M. Siverson (eds.), Change in the International System, Boulder, CO 1980; Robert Gilpin, War and Change in World Politics, Cambridge, MA 1981.

  5. Vgl. Joan Edelman Spero, The Politics of International Economic Relations, New York 1990.

  6. Vgl. ebd.

  7. Vgl. The G-20 Summit: Regaining the Balance, in: The Economist vom 26.9. 2009; G-20, Leader's Statement: The Pittsburgh Summit September 24 - 25, 2009, online: www.g20.org/Documents/pittsburgh_summit _leaders_ statement_250909.pdf (20.11. 2009).

  8. Vgl. L. Mosley/D. A. Singer (Anm. 1).

  9. Bereits 1954 begann in Peru ein IWF-Programm; vgl. James Raymond Vreeland, The International Monetary Fund. Politics of Conditional Lending (Global Institutions), New York-London 2007.

  10. Entsprechend der wirtschaftlichen Position bekommt ein Staat eine Quote zugewiesen, ausgedrückt in Sonderziehungsrechten. Nach dieser Quote richten sich die Einzahlungsverpflichtungen zum IWF, die Ziehungsrechte (die Höhe, in der ein Kredit in Anspruch genommen werden kann), aber auch das Stimmrecht eines Landes. Die Quoten werden alle fünf Jahre neu evaluiert.

  11. Vgl. J. R. Vreeland (Anm. 9).

  12. Vgl. Nathan M. Jensen, Crisis, Conditions, and Capital: The Effect of IMF Agreements on Foreign Direct Investment Inflows, in: Journal of Conflict Resolution, 48 (2004) 4, S. 194 - 210.

  13. Vgl. J. R. Vreeland (Anm. 9).

  14. Vgl. Joseph E. Stiglitz, Globalization and Its Discontents, London 2002. Seine Kritik bezieht sich auch auf fehlerhafte Designs der IWF-Programme und auf deren Abfolge.

  15. Vgl. Adam Przeworski/James Raymond Vreeland, The Effect of IMF Programs on Economic Growth, in: Journal of Development Economics, (2000), S. 385 - 421.

  16. Vgl. N. M. Jensen (Anm. 12).

  17. Für eine Zusammenfassung der verschiedenen Studien siehe J.R. Vreeland (Anm. 9).

  18. Vgl. ebd. für einen Überblick zu empirischen Studien zu dieser Thematik.

  19. Vgl. Statement des G-20-Gipfels (Anm. 7).

  20. Vgl. J. E. Spero (Anm. 5).

  21. Vgl. ebd.

  22. Vgl. Bernard M. Hoekman/Petros C. Mavroidis, The World Trade Organization: Law, Economics, and Politics (Global Institutions), New York-London 2007.

Dr. phil., geb. 1968; Vertretung des Lehrstuhls für Internationale Politik und Regionalstudien an der Ernst-Moritz-Arndt- Universität Greifswald, Baderstraße 6/7, 17489 Greifswald.
E-Mail: E-Mail Link: margit.bussmann@uni-greifswald.de