Einleitung
Im Spätsommer des Jahres 1870 kampierte eine Gruppe abenteuerlustiger Naturforscher am Zufluss des Firehole und Gibbon River in den Madison River im heutigen US-Bundesstaat Wyoming. Tief berührt von den erhabenen Naturlandschaften der Umgebung - den Geysiren, spektakulären Wasserfällen und tief eingeschnittenen Canyons - versammelten sich die Teilnehmer der Washburn-Doane-Expedition um ein Lagerfeuer. Schließlich entsprang der Gedanke, dass die Naturwunder der Gegend, die von der indigenen Bevölkerung abgesehen noch kaum ein Mensch erblickt hatte, dauerhaft der Menschheit erhalten bleiben sollten. Die Mitglieder der Expedition führten ihre Idee in hohe politische Kreise der Hauptstadt Washington ein, und am 1. März 1872 beschloss der amerikanische Kongress die Gründung des Yellowstone Nationalparks, des ersten Nationalparks der Welt. In einer Zeit, die von der raschen Erschließung der natürlichen Ressourcen des amerikanischen Westens geprägt war, wurde eine Landschaft nur aufgrund ihrer Schönheit für die gesamte Menschheit unter Schutz gestellt. Damit wurde der Madison River zur Geburtsstätte des Nationalparkgedankens, der im Volksmund als die "beste Idee, die Amerika jemals hatte" bezeichnet wird.
Historiker haben diese vermeintliche Sternstunde längst als Mythos entlarvt.
Von Nordamerika ausgehend, hat sich der Schutzgebietsgedanke in alle Welt ausgebreitet. Dennoch ist die Idee, Gebiete dem Schutz der Natur zu widmen, kein rein westliches Konzept. Vielmehr haben die Menschen in fast allen Gegenden der Welt seit Urzeiten bestimmte Naturräume von der Nutzung ausgenommen, ob aus religiösen Gründen (so z.B. die "heiligen Haine" Westafrikas) oder zur Erhaltung bestimmter Ressourcen oder Arten (z.B. die Wald-, Elephanten-, Fisch- und Wildtier-Reservate des altindischen Maurya-Reichs im 2. und 3. Jahrhundert vor Christus).
Ein wesentliches, wenn nicht das bedeutendste Motiv für die Ausweisung von Schutzgebieten ist das Bestreben, den anhaltenden weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Eine groß angelegte Bilanzierung des Zustands der globalen Ökosysteme - das durch die Vereinten Nationen in Auftrag gegebene Millenium Ecosystem Assessment - kam zu dem Schluss, dass menschliche Einflüsse in den vergangenen 50 Jahren die Vielfalt der Arten und Lebensräume so stark geschädigt haben wie niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit.
Schutzgebiete zum Erhalt der Biodiversität
Der Begriff "Schutzgebiet" ist weit gefasst und umfasst gleichermaßen Totalreservate, in denen sämtliche Nutzungen untersagt sind, und Flächen, die der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen dienen sollen. Die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) definiert Schutzgebiete als "ein Areal von Land und/oder Meer, das vor allem dem Schutz und Erhalt der biologischen Diversität gewidmet ist, sowie natürlicher und damit verbundener kultureller Ressourcen, und das durch rechtlicheoder andere wirksame Maßnahmen gemanagt wird".
Die IUCN gliedert die weltweiten Schutzgebiete in sechs Kategorien, die sich in ihren Schutzzielen unterscheiden (vgl. Tabelle 1 der PDF-Version). Ob der strenge Schutzansatz der Gebiete der Kategorien I-IV oder der schonende Nutzungen tolerierende Ansatz der Schutzgebietskategorien V und VI effizienter zum Erhalt der Artenvielfalt beiträgt, wird vielfach diskutiert. Streng geschützte Gebiete erlauben eine stärkere Fokussierung auf die unmittelbaren Naturschutzziele. Der Vorteil der Kategorie V- und VI-Gebiete ist aber, dass in ihnen eine schonende Nutzung der natürlichen Ressourcen zugelassen und deren Schutz besser mit den Interessen der lokalen Bevölkerung zu vereinbaren ist. In diesen Gebieten sind Ziele des Schutzes von Elementen der Naturlandschaften und der Kulturlandschaften zu vereinen. Die IUCN-Kategorien bilden einen Gradienten, dessen eines Ende maximale Schutzeffizienz und dessen anderes Ende eine optimale Unterstützung durch die Bevölkerung darstellt.
Die Repräsentation der Großlebensräume der Erde, der terrestrischen Biome, in Schutzgebieten variiert sehr stark (vgl. Tabelle 2 der PDF-Version). Das Ziel, zehn Prozent der Flächen unter Schutz zu stellen, wird bislang erst in neun der 14 Biome erreicht. In den Schutzgebieten besonders stark unterrepräsentiert sind die Weltmeere. 4 116 Meeresschutzgebiete decken mit 1,6 Millionen Quadratkilometer weniger als 0,5 Prozent der Meeresoberfläche ab. Das bekannteste Meeresschutzgebiet dürfte das Great Barrier-Riff an der Nordostküste Australiens sein. Am geringsten repräsentiert sind die für ihren Reichtum an Korallenriffen, Seegräsern und Mangrovenwäldern bekannten Küsten des Indischen Ozeans.
Die größte Zahl an Schutzgebieten findet sich derzeit in Europa (46 000 Schutzgebiete), im nördlichen Eurasien (18 000) sowie in Nordamerika (13 000). Die größten Schutzgebietsflächen liegen mit 1,96 Millionen Quadratkilometer in Südamerika, gefolgt vom nördlichen Eurasien (1,82 Millionen Quadratkilometer) und Ostasien (1,76 Millionen Quadratkilometer).
Zwei unter besonderer internationaler Anerkennung stehende Schutzgebietsformen sind die UNESCO-Welterbestätten und Biosphärenreservate.
Planung von Schutzgebieten
Unter den heutigen Schutzgebieten sind die wenigsten durch strategische Naturschutzplanung auf nationaler oder gar internationaler Ebene entstanden. Oft führten bestimmte politische Umstände zu ihrer Ausweisung (so z.B. im Fall der ostdeutschen Großschutzgebiete, die 1990 in der letzten Sitzung des DDR-Ministerrats unter vorläufigen Schutz gestellt wurden), oder es wurden besonders schöne oder markante Landschaften unter Schutz gestellt. Vielfach begründete man die Einrichtung von Reservaten auch mit dem Schutz besonders charismatischer Tierarten, etwa der bekannten "big five" (Löwe, Afrikanischer Elefant, Leopard, Breitmaulnashorn, Afrikanischer Büffel) im südlichen Afrika. Angesichts begrenzter Flächen und finanzieller Ressourcen ergibt sich jedoch die Notwendigkeit nach einer möglichst effizienten Auswahl und Gestaltung von Schutzgebieten. So wird mit dem Konzept der "biodiversity hotspots" versucht, Naturschutzmaßnahmen auf diejenigen Gegenden zu fokussieren, in denen eine möglichst große Artenzahl zu möglichst geringen Kosten erhalten werden kann. In einer wegweisenden Studie wurden 25 Brennpunkte identifiziert, die insgesamt nur 1,4 Prozent der globalen Landoberfläche einnehmen, auf denen sich jedoch u.a. 44 Prozent aller Pflanzen- und 35 Prozent aller Wirbeltierarten konzentrieren.
Die Konzentration aller Schutzbemühungen auf die Tropen vernachlässigt aber andere Lebensräume, die zwar artenärmer sind, jedoch ebenfalls bedeutende Ökosystemleistungen bereitstellen und möglicherweise bessere sozioökonomische oder politische Rahmenbedingungen für ihren Schutz aufweisen.
Die 238 erfassten Ökoregionen sollen alle natürlichen Lebensräume repräsentieren, durch eine ausreichende Größe ökologische und evolutionäre Prozesse erhalten, langfristig überlebensfähige Tier- und Pflanzenpopulationen beherbergen und auch großflächige und langfristige Störungen und Umweltveränderungen abpuffern können. Mittlerweile existieren komplexe mathematische Modelle, die auf der Basis einer Vielzahl von biologischen, aber auch sozioökonomischen Parametern Kosten und Nutzen konkreter Schutzbemühungen gegenüberstellen und so aufzeigen, wo, wann und auf welche Weise Investitionen in Schutzgebiete den effizientesten Beitrag zum Erhalt der Biodiversität leisten können.
Konflikte und Chancen
Die bemerkenswerte Anzahl und Fläche der weltweiten Schutzgebiete verschleiern, dass deren tatsächliche Beiträge zum Naturschutz oft wesentlich bescheidener sind, wenn die Gebiete nicht effektiv betrieben und Schutzvorschriften in der Praxis nicht durchgesetzt werden. Aus Sicht der Naturschutzbiologie ist die Ursache der meisten Probleme von Schutzgebieten deren zu geringe Größe. Dies liegt daran, dass die Resilienz, d.h. die Belastbarkeit von Ökosystemen, ganz wesentlich vom Vorkommen von Prädatoren an der Spitze der Nahrungspyramiden (etwa großen Greifvögeln oder Raubtieren) abhängt. Diese haben in der Regel sehr große territoriale Ansprüche - ein Jaguar benötigt z.B. ein Revier von rund 2 500 Hektar. Um die Anzahl von Individuen zu bestimmen, die zur langfristigen Erhaltung einer Population erforderlich sind, wurde das Konzept der "kleinsten überlebensfähigen Population" entwickelt. Als Faustzahl werden für Prädatoren häufig 300 fortpflanzungsfähige weibliche Individuen genannt. Ein Schutzgebiet, das eine stabile Jaguarpopulation erhalten soll, muss demzufolge mindestens 750 000 Hektar Land umfassen.
Die Probleme liegen aber nicht nur in der fehlenden Größe von Schutzgebieten, sondern auch im Management der Reservate selbst. Insbesondere in den Tropen gelten viele Schutzgebiete als so genannte "paper parks", also als Reservate, die mehr oder weniger nur auf dem Papier existieren. So war 1998 bei 47 von 87 staatlichen Schutzgebieten Brasiliens auf die rechtliche Verankerung keine praktische Umsetzung gefolgt. Weitere 32 Gebiete waren allenfalls minimal implementiert, und nur sieben Schutzgebiete wiesen tatsächlich geklärte Eigentumsverhältnisse, eine Abgrenzung im Gelände, Managementpläne, funktionierende Gebietsüberwachung, ein angemessenes Budget, Personalstellen und Ausstattung sowie eine entsprechende Infrastruktur auf.
Folge dieser so genannten "bushmeat crisis" sind von großen Säugetieren, Reptilien und Vögeln entleerte Wälder.
Eine für die Schutzgebiete positive Entwicklung ist, dass die von ihnen erbrachten Ökosystemleistungen zunehmend von der Gesellschaft wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Diese Leistungen können z.B. in der Speicherung von CO2; in Böden und Vegetation, der Verringerung von Bodenerosion, im Hochwasserschutz oder in der Grundwasserneubildung bestehen. Vereinzelt gelingt es auch, diese Umweltleistungen durch neuartige Zahlungsmechanismen in Wert zu setzen. Ein Beispiel hierfür ist das mexikanische Biosphärenreservat Sierra Gorda. Landeigentümer, die auf Waldrodung und Weidewirtschaft verzichten, erhalten jährliche Zahlungen, da die Bewahrung der ursprünglichen Wälder unmittelbar der Trinkwasserversorgung zugute kommt.
Ein weiterer Trend ist, den privaten Sektor in die Bemühungen zum Aufbau von Schutzgebieten einzubeziehen. Insbesondere im südlichen Afrika und in Lateinamerika werden zahlreiche Schutzgebiete in privater Regie betrieben.
Eine weitere Entwicklung im Schutzgebietsmanagement ist eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit. So bildet etwa der deutsche Nationalpark Unteres Odertal eine gemeinsame Einheit mit dem polnischen Landschaftsschutzpark Unteres Odertal, und der Nationalpark Bayerischer Wald grenzt an den tschechischen Nationalpark Sumava. Zunehmend wird eine solche Kooperation in Form von "grenzüberschreitenden Schutzgebieten" formalisiert. Diese ermöglichen Naturschutz, nachhaltige Nutzung und internationale Zusammenarbeit gleichermaßen und können in bestimmten Regionen auch zur Friedenserhaltung und -sicherung beitragen. Auch können sie die effektive Größe von Schutzgebieten erhöhen und die durch Grenzziehungen unterbrochene Durchgängigkeit der Migrationsrouten von Wildtieren wieder herstellen. Eine Studie zählte im Jahr 1997 382 grenzüberschreitende Schutzgebiete mit einer Fläche von 1 127 934 Quadratkilometer und 98 beteiligten Ländern.
Aufbau von Schutzgebietsnetzen
Da zahlreiche Schutzgebiete nicht die Größe aufweisen, die zum langfristigen Überleben aller beherbergten Tier- und Pflanzenpopulationen erforderlich ist, gibt es Bestrebungen, die Gebiete zu Systemen oder Netzwerken zusammenzuführen. Als weltweit vorbildlich gilt dabei das Schutzgebietssystem Costa Ricas, in dem auf mittlerweile über 25 Prozent der Landesfläche 160 großflächige Schutzgebiete eingerichtet wurden. Bei der Planung des Systems aus streng geschützten Gebieten und Gebieten mit schonender Nutzung wurde neben der Repräsentativität aller Lebensräume des Landes besonders auf die Vernetzung der Schutzgebiete geachtet.
Mit der Unterzeichnung der UN-Biodiversitätskonvention haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, die bestehenden Schutzgebiete zu einem weltweiten Netzwerk weiterzuentwickeln. Ein solches System umfasst Kernzonen bestimmter Habitattypen, Pufferzonen sowie durchlässige Korridore und Trittsteine, die den Austausch von Tier- und Pflanzenpopulationen erlauben. Nach Artikel 8 der Konvention soll dieses weltumspannende Netzwerk gemeinsam mit anderen Maßnahmen Ökosysteme, natürliche Lebensräume, überlebensfähige Populationen und auch domestizierte bzw. kultivierte Arten an ihren Ursprungsorten erhalten.
Ausblick
Die Gründung von weltweit über 100 000 Schutzgebieten hat sich als einer der bedeutendsten und wirksamsten Beiträge der Weltgemeinschaft zum Naturschutz erwiesen. Traditionell dienten Schutzgebiete der Erhaltung landschaftlicher Schönheiten und als Rückzugsräume für bestimmte Wildtierarten. Häufig wurden sie zentral von Regierungen geplant und betrieben und gegen den Willen der örtlichen Bevölkerung durchgesetzt. Sie entstanden dadurch, dass vorherige Nutzungen unterbunden wurden, und stellten oftmals isolierte Inseln in einer degradierten Umwelt dar. Heute steht die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt im Mittelpunkt von Schutzgebieten. Darüber hinaus hat sich ihr Aufgabenfeld um weitergehende ökonomische, soziale und ökologische Ziele verbreitert. Moderne Schutzgebiete werden gemeinsam mit nichtstaatlichen Partnern oder sogar ausschließlich durch diese betrieben und sind Teil eines nationalen und internationalen Netzwerks, das auf der Landschaftsebene durch Korridore und Trittsteinbiotope miteinander verbunden ist. Ergänzt werden die Schutzgebiete durch eine Strategie des Naturschutzes außerhalb von Schutzgebieten.
Allerdings stehen die Schutzgebiete heute vor diversen Herausforderungen: Sie erleben Management-Probleme, Unterfinanzierung und Konflikte mit der örtlichen Bevölkerung und anderen Interessengruppen. Unter besonders schweren Druck geraten Schutzgebiete perspektivisch durch die zunehmende Beanspruchung der natürlichen Ressourcen, durch die Zerstörung von Habitaten und durch Klimaveränderungen von regional sehr unterschiedlichem Ausmaß. Insofern erfahren sie gleichzeitig eine steigende Wertschätzung, aber auch Gefährdung. Um diese Herausforderung zu bestehen, formuliert die Weltschutzgebietskommission der IUCN die folgenden strategischen Ziele zur Weiterentwicklung der Schutzgebiete:
Entwicklung eines globalen Schutzgebietsnetzes, das die Spannbreite an Schutztypen nutzt und bestehende Lücken in der Schutzgebietsausweisung, insbesondere diejenigen in Meeresgebieten, schließt; Förderung ökologischer Netzwerke und des Ökosystemansatzes.
Verstärkter Einbezug von Stakeholdern, verbesserte Governance der Schutzgebiete, Verbesserung der Partizipation indigener Völker und örtlicher Gemeinschaften und deren Teilhabe am Nutzen von Schutzgebieten; Nutzung eines breiteren Spektrums der materiellen und immateriellen Güter und Leistungen von Schutzgebieten.
Verbesserung des Schutzgebietsmanagements, Integration von wissenschaftlicher Expertise und traditionellem ökologischem Wissen in Management-Entscheidungen, Einführung effizienter Instrumente und Mechanismen zu Monitoring und Evaluation von Schutzgebieten, Definition und Überwachung von Schutzgebietsstandards, Förderung von Umwelterziehung und Sicherung einer nachhaltigen Finanzierung.