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Zum gesellschaftlichen Umgang mit der Corona-Pandemie | Corona-Krise | bpb.de

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Zum gesellschaftlichen Umgang mit der Corona-Pandemie Ergebnisse der Mannheimer Corona-Studie

Annelies G. Blom

/ 15 Minuten zu lesen

Als Ende Februar 2020 deutlich wurde, dass die Corona-Pandemie auch Deutschland nicht verschonen würde, überschlugen sich alsbald die Ereignisse. Während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am 12. Februar noch geäußert hatte, es sei "noch nicht absehbar, ob sich aus einer regional begrenzten Epidemie in China eine weltweite Pandemie entwickelt oder nicht", wurde am 28. Februar ein gemeinsamer Krisenstab des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und Bundesinnenministeriums (BMI) eingesetzt, der sich ab dem 3. März zweimal pro Woche traf. Ab dem 16. März wurden von der Bundesregierung und den Regierungschefinnen und -chefs der Bundesländer gemeinsam sukzessive weitreichende Entscheidungen getroffen, die tief in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger eingriffen und weiterhin eingreifen. Großveranstaltungen wurden verboten, öffentliche Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten geschlossen, Auflagen für beziehungsweise Schließungen von Bars, Restaurants, Geschäften, Sportstätten sowie anderen Betrieben angeordnet und sogar die Grenzen zu den Nachbarländern innerhalb der EU geschlossen. Deutschland befand sich im Ausnahmezustand.

Das galt auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Entscheidungsträgerinnen und -träger in Wirtschaft und Politik benötigten dringend wissenschaftliche Erkenntnisse – und zwar nicht nach jahrelanger, sorgfältiger Forschung und Diskussion, sondern unmittelbar. Dies betraf primär die Virologie und Epidemiologie, deren Erkenntnisse die medizinische Bekämpfung des Virus voranbringen und die Verbreitung des Sars-CoV–2-Erregers eindämmen sollten. Aber auch die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften standen schlagartig im Zentrum der Aufmerksamkeit. Welche Konsequenzen würden die getroffenen Maßnahmen kurz- und langfristig für die Menschen und das Zusammenleben in Deutschland haben?

Belastbare Erkenntnisse in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beruhen oft auf statistischen Auswertungen amtlicher oder wissenschaftlicher Datenerhebungen, deren Verfahren in der Regel nicht für einen kurzfristigen Einsatz genutzt werden können. In der amtlichen Statistik hapert es dabei an der Geschwindigkeit der Meldeverfahren, während wissenschaftliche Datenerhebungen oft auf Umfragen der allgemeinen Bevölkerung beruhen, die über einen mehrmonatigen Zeitraum mittels persönlich-mündlicher Interviews in Haushalten vor Ort geführt werden. Darüber hinaus hat der finanzielle Druck in der Datenindustrie in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer Zweiteilung in der Umfragelandschaft geführt: Schnelle Datenerhebungen basieren heute meist auf nicht-zufälligen Stichproben aus höchst selektiven, kommerziellen Pools von Online-Befragten, die die Bevölkerung nicht akkurat abbilden, während Datenerhebungen, die Rückschlüsse auf die Allgemeinheit erlauben, meist längere Erhebungszeiträume veranschlagen. Neben zeitnahen und akkuraten Daten waren außerdem Vergleichswerte zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ausgangslage vor der Corona-Krise notwendig: Nur so lässt sich feststellen, was die Ausnahme und was die Regel ist. Zudem wurden regelmäßige, beizeiten gar tägliche Updates der Lage benötigt, um beispielsweise die Auswirkungen und die gesellschaftliche Akzeptanz eingeführter Maßnahmen genau verfolgen zu können.

In dieser Situation entschied sich am 15. März ein Team an der Universität Mannheim, eine tägliche Datenerhebung zur Frage, wie die Corona-Krise das Leben der Menschen in Deutschland beeinflusste, ins Leben zu rufen. Die Erkenntnisse dieser Mannheimer Corona-Studie (MCS) wurden prominent medial aufgegriffen und unter anderem im Krisenstab des BMG und des BMI sowie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) genutzt.

Übersicht zur Methodik

Die Grundlage der MCS bildet das German Internet Panel (GIP), eine langjährige, online durchgeführte wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Befragung, die auf einer Zufallsstichprobe der allgemeinen Erwachsenenbevölkerung in Deutschland basiert. Für die MCS wurde die Stichprobe des GIP in sieben zufällige Substichproben unterteilt, die jeweils einem spezifischen Wochentag zugeordnet wurden.

An jedem Wochentag erhielt eine dieser Substichproben per E-Mail eine Einladung zur Tagesstudie. Die angeschriebenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten dann 48 Stunden Zeit, sich zu beteiligen. Nach einer Woche wurde dies mit denselben Personen wiederholt. Jede Woche wurden so etwa 3600 Personen befragt. Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer waren 18 bis 83 Jahre alt. Die Studieninhalte der MCS deckten zentrale Fragestellungen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Gesellschaft sowie Gesundheit und Gesundheitsverhalten ab. Die erhobenen Daten wurden in einem mehrstufigen Verfahren detailliert gewichtet. Diese Methodik erlaubte der MCS, auf den Tag genau gesellschaftliche Entwicklungen in Deutschland auszuwerten und zu beobachten. Um die interessierte Öffentlichkeit sowie Entscheidungsträgerinnen und -träger zeitnah über die sich verändernden Gegebenheiten zu informieren, erstellte das Team der MCS jeden Werktag einen Tagesbericht mit einer Fortschreibung der Auswertungen, der online frei zur Verfügung gestellt wurde.

Im Folgenden werden zentrale Ergebnisse der Studie zu den gesellschaftlichen Entwicklungen während der frühen Phase der Corona-Krise in Deutschland erläutert. Die Erkenntnisse über Häufigkeit persönlicher Treffen, Akzeptanz verschiedener Corona-Maßnahmen und Abwägung des wirtschaftlichen Schadens gegen den gesellschaftlichen Nutzen implementierter Maßnahmen reichen von Mitte März 2020 bis in die Wochen der Lockerungen und das Abflauen der Pandemie in Deutschland Anfang Juli. Die entsprechenden Daten wurden vom 20. März bis zum 10. Juli, also über 16 Wochen hinweg, in unveränderter Weise bei denselben Personen erhoben, sodass sie individuelle Verhaltens- und Einstellungsänderungen widerspiegeln.

Häufigkeit persönlicher Treffen

Noch vor der Einführung von verbindlichen Vorschriften wurde die Bevölkerung von Politikerinnen und Politikern gebeten, persönliche Kontakte möglichst einzustellen, um die Verbreitung des Virus weitestgehend einzudämmen. In unterschiedlicher Geschwindigkeit wurden in den Bundesländern daraufhin Maßnahmen wie die Schließung von sozialen Begegnungsstätten und das Verbot von Zusammenkünften mit verschiedenen Teilnehmerzahlen implementiert.

Zur Messung der Häufigkeit persönlicher Treffen griff die MCS auf Fragen zur Ermittlung von Sozialkontakten zurück, die in vielen Studien in der Vergangenheit bereits genutzt wurden und somit auch längerfristigere Vergleiche erlauben. In der ersten Teilnahmewoche bekamen alle Befragten zwei Fragen gestellt, "Wie oft haben Sie sich in der Woche vom 2. bis 8. März, also in der Woche, bevor die ersten Corona-Maßnahmen in Kraft traten, mit Freunden, Verwandten oder privat mit Arbeitskollegen getroffen?"; "Und wie oft haben Sie sich in den vergangenen 7 Tagen mit Freunden, Verwandten oder privat mit Arbeitskollegen getroffen?" Ab der zweiten Befragungswoche wurde ausschließlich die letzte Frage gestellt.

Abbildung 1: Häufigkeit von Treffen mit Freunden, Verwandten oder privat mit Arbeitskolleginnen und -kollegen in den sieben Tagen vor dem Befragungstag (© bpb)

Auf diese Weise lässt sich die Entwicklung der persönlichen Kontakte im Vergleich zu der Situation kurz vor dem großflächigen Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland und den damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen nachvollziehen: Vor der Pandemie trafen sich innerhalb einer Woche 15 Prozent der Bevölkerung gar nicht, 31 Prozent einmal, 42 Prozent mehrmals und 12 Prozent täglich mit Freunden, Verwandten oder privat mit Arbeitskolleginnen und -kollegen. Der Höhepunkt der sozialen Einschränkung wurde in der Woche vom 27. März bis zum 2. April erreicht (Abbildung 1). Ab Ostern nahmen die persönlichen Sozialkontakte wieder sukzessive zu, bis sie Ende Mai wieder in etwa das Vor-Corona-Niveau erreichten und dann konstant blieben.

Die Menschen in Deutschland haben also stark reagiert – zunächst freiwillig auf die empfohlenen und dann auch gezwungenermaßen auf die verordneten Einschränkungen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Diskussionen zu den Lockerungen der Maßnahmen, die Osterzeit und dann auch tatsächliche Lockerungen Stück für Stück auf das Verhalten der Menschen ausgewirkt haben. Im Juli 2020 kehrte man, mit entsprechenden Abstandsregeln und der Maskenpflicht, bei der Häufigkeit persönlicher Treffen wieder zu einer Normalsituation zurück, wie man sie aus Zeiten vor der Corona-Pandemie kannte.

In einem MCS-Schwerpunktbericht zum Thema "Social Distancing" werden die Zusammenhänge der sozialen Einschränkungen genauer beleuchtet. Dabei stellen die Autorinnen und Autoren fest, dass über 70 Prozent der Bevölkerung die Häufigkeit ihrer privaten Begegnungen zwischenzeitlich reduziert haben. Die Einschränkungen wurden von allen betrachteten Bevölkerungsgruppen mitgetragen. Insbesondere aber reduzierten Personen, die sich stark vom Virus bedroht fühlen, und Menschen, die in Bayern leben, ihre privaten Begegnungen. Personen, die alleine in einem Haushalt wohnen, hatten im gesamten Zeitraum mehr Sozialkontakte zu Menschen außerhalb ihres Haushalts als diejenigen, die mit anderen zusammenleben.

Akzeptanz verschiedener Corona-Maßnahmen

Im Rahmen der MCS wurde auch die gesellschaftliche Akzeptanz verschiedener Maßnahmen, die bereits zum Anfang der Corona-Krise weltweit als Möglichkeit zur Eindämmung der Pandemie zur Diskussion standen, untersucht. Es wurde also sowohl die Zustimmung zu Maßnahmen erfragt, die noch nicht, nicht mehr oder nie in Deutschland implementiert wurden, als auch zu denen, die weiterhin voll oder teilweise in Kraft waren.

Die Akzeptanz verschiedener Maßnahmen, etwa die Schließung öffentlicher Einrichtung und Landesgrenzen, wurde mit der Frage erhoben, "welche der folgenden Maßnahmen" die Befragten "in der heutigen Situation für angemessen" hielten. Mehrfachnennungen waren möglich, und die Befragten konnten außerdem angeben, wenn sie "keine dieser Maßnahmen in der heutigen Situation für angemessen" hielten.

Abbildung 2: Zustimmung zu diskutierten oder in Deutschland umgesetzten Corona-Maßnahmen (© bpb)

Zu Beginn der Corona-Krise fanden die Maßnahmen zur Schließung von Universitäten, Schulen und Kindergärten, zur Schließung der Landesgrenzen und zum Verbot von Veranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern überwältigende Unterstützung von über 90 Prozent (Abbildung 2). Danach brach die Akzeptanz der Schließung von Universitäten, Schulen und Kindergärten am schnellsten ein. Zum Ende der Osterferien Mitte April 2020 und den damit einhergehenden, teilweise heftigen Diskussionen in Politik und Medien, schwand die Zustimmung zu diesen Maßnahmen. Dieser Trend hielt auch über den gesamten Mai weiter an und stabilisierte sich ab Anfang Juni bei einer Zustimmungsrate von weniger als 25 Prozent. Auch die Akzeptanz der Grenzschließungen nahm im Zeitverlauf ab, brach aber erst Anfang Mai deutlich ein und stabilisierte sich ab Anfang Juni bei einer Zustimmungsrate von knapp über 25 Prozent. Der Verlauf der eingeschätzten Angemessenheit eines Verbots von Veranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeichnet da ein ganz anderes Bild. Zu keinem Zeitpunkt war ein klarer Einbruch der Zustimmung zu verzeichnen, auch Anfang Juli befürworteten noch rund drei Viertel der Menschen in Deutschland diese Maßnahme.

Die weiteren erfragten Maßnahmen, etwa eine allgemeine Ausgangssperre, die Einstellung des Nah- und Fernverkehrs oder die Ortung der Mobiltelefone infizierter Personen ohne Zustimmung der Beteiligten, wurden in Deutschland in dieser Form nie eingeführt. Sie fanden auch bereits zu Beginn der MCS deutlich weniger Zustimmung. Von diesen Maßnahmen fand Ende März die allgemeine Ausgangssperre, wie sie beispielsweise in verschiedenen Regionen Italiens und Spaniens verordnet wurde, den größten Anklang. Rund die Hälfte der Bevölkerung hielt diese Maßnahme in der damaligen Situation für angemessen. Diese Zustimmung nahm allerdings bis Mitte Mai schnell und stetig ab. Die Einstellung des Nah- und Fernverkehrs wurde Ende März immerhin von gut einem Viertel der Bevölkerung befürwortet, doch auch die Angemessenheit einer solchen Maßnahme wurde zunehmend skeptisch betrachtet, bis sie Mitte Mai ebenfalls keinerlei Unterstützung mehr bekam. Interessant ist der Verlauf für die Ortung von Mobiltelefonen. Diese Maßnahme wurde in manchen asiatischen Ländern sehr effektiv zur Eindämmung der Pandemie eingesetzt und fand im liberaleren Deutschland trotz Datenschutzbedenken Ende März immerhin die Zustimmung von 30 Prozent der Erwachsenenbevölkerung. Interessant ist dabei, dass sich die Akzeptanz kaum veränderte und Anfang Juli weiterhin von fast einem Viertel der Menschen befürwortet wurde, Mobiltelefone auch ohne Zustimmung der Beteiligten zur Nachverfolgung der Infektionsketten zu orten.

Das Bild der Akzeptanz verschiedener Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Deutschland ist also bunt gemischt. Im Allgemeinen wurden Maßnahmen Ende März und zum Höhepunkt der Infektionszahlen noch für deutlich angemessener gehalten als Anfang Juli, also zu einer Zeit sehr niedriger Verbreitung des neuartigen Corona-Virus. Allerdings ist auch zu sehen, dass die verschiedenen Maßnahmen zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten an Zustimmung verloren. Ohne einen definitiven kausalen Zusammenhang feststellen zu wollen, lässt die Betrachtung der politischen Diskussionen zur Zeit der Zustimmungseinbrüche vermuten, dass diese politischen Debatten nicht ganz unabhängig vom Meinungsbild gesehen werden können. Tiefergehende Analysen werden hierzu in den nächsten Monaten und Jahren gewiss weitere Erkenntnisse bringen.

Abwägung des wirtschaftlichen Schadens und gesellschaftlichen Nutzens

Die Maßnahmen, die getroffen wurden, um die Corona-Pandemie einzudämmen, greifen tief in die deutsche Wirtschaft ein. Mit zunehmender Dauer der Pandemie drängt sich daher die Frage auf, wie lange die wirtschaftlichen Konsequenzen hinnehmbar sind, um das Virus zu bekämpfen. Dabei wird in den Medien bislang insbesondere die Meinung aus Politik und Wirtschaft wiedergegeben. Die einen warnen vor den möglichen Schäden der Maßnahmen und fordern Lockerungen, die anderen stellen die negativen Konsequenzen einer ungebremsten Ausbreitung des Virus für die Gesundheit der Gesellschaft in den Vordergrund. Mit der MCS lässt sich dieses Bild der Diskussion erweitern und herausfinden, wie die (allgemeine) Bevölkerung in Deutschland die Frage beantworten, ob der "wirtschaftliche Schaden, den die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie anrichten, größer als ihr Nutzen für die Gesellschaft" sei oder umgekehrt.

Während zu Anfang der umfassenden Maßnahmen Ende März beziehungsweise Anfang April lediglich 28 Prozent der Bevölkerung den wirtschaftlichen Schaden höher einschätzten als deren gesellschaftlichen Nutzen, stieg dieser Wert über die nächsten Wochen beständig, bis er Anfang Juni die 50-Prozent-Marke erreichte und seitdem dort in etwa verweilt. Interessant bei dieser Entwicklung ist vor allem, dass sie sich wohl nicht an der Schwere der Maßnahmen und deren tatsächlichen Eingriffen in die Wirtschaft orientiert: In den ersten vier Wochen der MCS waren die angeordneten Maßnahmen wohl am strengsten. Viele Betriebe, Geschäfte und Einrichtungen mussten entsprechend der Corona-Verordnungen im Lockdown die Türen schließen. Folglich war in diesem Zeitraum auch der Schaden für die Wirtschaft am größten. Allerdings waren zu dieser Zeit auch die Infektionszahlen hoch, ebenso wie die damit einhergehenden Sorgen und Ängste in der Bevölkerung. Womöglich schätzte die Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt daher auch den gesellschaftlichen Nutzen der Maßnahmen als sehr hoch ein, weshalb dieser dann im Durchschnitt den wirtschaftlichen Schaden klar in den Schatten stellte. Mit Abnahme der Infektionszahlen nahmen in den darauffolgenden Wochen dann auch die Sorgen und Ängste der Menschen ab. Relativ zum gesellschaftlichen Nutzen gewann in diesen Wochen dann der wirtschaftliche Schaden wieder an Bedeutung.

Weitere Erkenntnisse

Neben dem Einfluss und der gesellschaftlichen Akzeptanz der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wurden im Rahmen der MCS auch weitere Aspekte des Umfangs mit der Pandemie analysiert. In einem Schwerpunktberichte der Studie wird beispielsweise aufgezeigt, wie die Bevölkerung die erweiterten Sonderbefugnisse der Bundesregierung zur Bekämpfung der Pandemie wahrnahm: Als sich die Corona-Krise Ende März zuspitzte, befürwortete eine Mehrheit der Menschen die Machtverschiebung zugunsten der Bundesregierung. Nachdem sich aber Bund und Länder am 22. März auf ein gemeinsames Vorgehen einigten und auch Bundestag und Bundesrat im Schnellverfahren entscheidende Gesetzespakete bewilligten, nahm diese Unterstützung der Sonderbefugnisse in der Bevölkerung Schritt für Schritt ab. Interessanterweise hing die Zustimmung zu erweiterten Exekutivrechten dabei nicht damit zusammen, wie zufrieden oder unzufrieden die Menschen jeweils mit der amtierenden Bundesregierung bereits vor der Pandemie waren. Stattdessen waren Menschen, die Pandemie als eine schwerwiegende Bedrohung für sich selbst wahrnahmen, eher bereit, der Bundesregierung weitreichende Befugnisse einzuräumen.

Zudem wird die Entwicklung sozialer Ungleichheiten während der Corona-Krise in Deutschland untersucht. Mit Blick auf Geschlechterunterschiede unter Erwerbstätigen kommen die Autorinnen und Autoren dabei zu dem Schluss, dass vor der Pandemie mehr Männer (23 Prozent) als Frauen (16 Prozent) ab und an im Homeoffice arbeiteten und sich von den nicht im Homeoffice Arbeitenden mehr Frauen (39 Prozent) als Männer (31 Prozent) wünschten, auch von zu Hause arbeiten zu dürfen. Während des Corona-Lockdowns verringerten sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede deutlich auf nur noch 3 Prozentpunkte. Daher lässt sich vermuten, dass die Geschlechterdifferenz in diesem Punkt, bei entsprechendem Willen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, in Teilen überwunden werden konnte. Darüber hinaus weist die Studie die Auswirkungen von Bildungsunterschieden für die Erwerbstätigkeit während der ersten Welle der Corona-Pandemie nach: Je niedriger der Bildungsabschluss, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine Person in Kurzarbeit geschickt, mit oder ohne Lohn freigestellt oder seit der Corona-Krise arbeitslos wurde. Der Verlust der Arbeit war dabei für jemanden mit niedrigem oder mittlerem Bildungsabschluss doppelt so wahrscheinlich wie für Menschen mit höherem Bildungsabschluss. Des Weiteren können Vollzeiterwerbstätige mit höherem Bildungsabschluss viermal so häufig im Homeoffice arbeiten als Vollzeiterwerbstätige mit niedrigem Bildungsabschluss.

Ausblick

In diesem Beitrag wurden drei zentrale Fragestellungen im Rahmen der eingeführten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus untersucht. Die Analysen legen dar, dass die Bevölkerung im Großen und Ganzen die implementierten Maßnahmen als sinnvoll einschätzte. Verhaltensweisen wurden schnell und drastisch angepasst, wie beispielsweise die Entwicklung der persönlichen Kontakte im Zeitverlauf zeigt. Als sich die Lage jedoch entschärfte, wurden Maßnahmen zunehmend kritisch beäugt, ihr relativer Schaden für die Wirtschaft als höher eingestuft und die Möglichkeit, wieder mehr Sozialkontakte aufzunehmen, zügig aufgegriffen.

Interessant ist in diesem Kontext auch die Rolle der Streitgespräche in der Politik. Diese sind für eine Demokratie unverzichtbar. Allerdings zeigen die Ergebnisse zur rückläufigen Akzeptanz der Maßnahmen auch, dass, gerade in der hektischen Zeit zu Beginn der Corona-Krise, Zerstrittenheit zu zusätzlicher Unsicherheit in der Bevölkerung ob der auferlegten Einschränkungen führen konnte, was wiederum eine Ursache für die schwindende Unterstützung für einzelne Maßnahmen wie beispielsweise die anhaltenden Schulschließungen nach Ostern sein könnte.

So vielfältig die Ergebnisse zu den gesellschaftlichen Implikationen der Corona-Krise auch waren, und so zentral diese auch für Entscheidungsträgerinnen und -träger in der Politik und Wirtschaft sein können, für die an der MCS beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beginnt mit Ende der ersten Phase der Studie erst die wirkliche Forschungsarbeit. In den kommenden Monaten werden Ergebnisse in Bezug zu zeitlichen und räumlichen Daten zum Infektionsgeschehen gestellt, die Veränderung der Gesellschaft vor, während und nach der ersten Phase der Corona-Pandemie untersucht sowie Kausalzusammenhänge erforscht.

ist Professorin für "Politikwissenschaft, Data Science" an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim und leitet am Sonderforschungsbereich 884 "Politische Ökonomie von Reformen" das German Internet Panel und die Mannheimer Corona-Studie. E-Mail Link: blom@uni-mannheim.de