Einleitung
Kulturelle Faktoren und Ideologien prägen die Risikowahrnehmung.
In feierlichen Ansprachen wird häufig die "Transatlantische Wertegemeinschaft" bemüht: Nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes gebe es zwar mehr unterschiedliche Interessen, doch könne man sich auf "gemeinsame Werte" berufen, die das Fundament der Verständigung bilden. Der folgende Beitrag dagegen soll exemplarisch verdeutlichen, dass Werte nicht der Kitt transatlantischen Zusammenhalts sind. Vielmehr sind (religiöse) Werteunterschiede die Ursache divergierender Interessens-Wahrnehmungen dies- und jenseits des Atlantiks und für Meinungsunterschiede, insbesondere bei der Terrorismusbekämpfung und der Konfliktlösung im Nahen und Mittleren Osten.
Die Natur terroristischer Bedrohung
Die Bush-Administration hat - unter anderem auch mit Waffengewalt - bislang vergeblich versucht, die "Herzen und Köpfe" (hearts and minds) in der muslimischen Welt zurückzugewinnen, um dem vermeintlich religiös motivierten Terrorismus ein Ende zu bereiten. Doch die Erklärung der Terrorismusursachen mit religiösen Faktoren beruht nicht auf Tatsachen, sie entbehrt jeder empirischen Grundlage. So hinterfragte sechs Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die renommierte Gallup-Organisation einige Grundannahmen, auf denen die amerikanische Anti-Terror-Politik basiert.
Auch die gängige Annahme, dass Muslime "Modernität" und "westliche Werte" ablehnen, erwies sich in der Umfrage als falsch. Im Gegenteil: Die Bürger von Saudi-Arabien bis Marokko, von Indonesien bis Pakistan bewundern westliche Technologie und demokratische Werte wie Pressefreiheit und verantwortliche Regierungsführung. Politisch Radikalisierte sprechen sich sogar noch deutlicher für diese Werte aus als die moderate Mehrheit in diesen Ländern. Die Umfrageanalysen widerlegen somit geistige Grundannahmen, die auf dem so genannten "US-Marktplatz der Ideen" verbreitet und politischen Entscheidungsträgern als Bedrohungsanalysen zugrunde gelegt werden.
Neben der direkten Beeinflussung von politischen Entscheidungsträgern versuchen die Experten amerikanischer Think-Tanks auch über ihre veröffentlichten Meinungen und Expertisen zu wirken, um das geistige Klima ihrer Gesellschaft zu prägen. Indem sie im Zusammenspiel mit den Medien die Agenda bestimmen, Bedrohungen thematisieren und nicht selten auch das "Wesen" dieser Bedrohungen postulieren, gewinnen sie Einfluss auf die Wahrnehmungen und die Weltbilder der Bevölkerung und Regierenden.
Im Zuge der allgemeinen Verunsicherung nach den Anschlägen des 11. September 2001 erhielt das Orientierungswissen von "Experten" umso mehr Deutungskraft. Laut Winand Gellner führt vor allem die Suche nach Möglichkeiten, die tatsächlichen oder eingebildeten Gefahren zu verringern, zu hoher Glaubwürdigkeit und Abhängigkeit von Expertenurteilen und scheinbar verlässlichen Antworten, "die sich je nach Präsentation der Daten oder normativen Vorannahmen der Experten unterscheiden und die ihrerseits wiederum die Einstellungen zu den wahrgenommenen Risiken und Gefahren beeinflussen."
Zwei konkurrierende Interpretationsmuster
In den USA konkurrieren ein kontextualistisches und ein essentialistisches Interpretationsmuster um die Diskurshoheit: Aus kontextualistischer Perspektive wird der weit verbreitete Antiamerikanismus und tiefe Hass in Teilen der muslimischen Welt als Reaktion auf spezifische außenpolitische Entscheidungen und Handlungen der USA interpretiert. Selbst Francis Fukuyama, der bis zu seiner Distanzierung
Im Gegensatz zu den Kontextualisten sehen die Essentialisten eine totalitäre Bedrohung existentieller Natur, die es mit allen Mitteln auszurotten gelte. Im Februar 2004 erläuterte zum Beispiel der neokonservative Kolumnist Charles Krauthammer die Wahrhaftigkeit seiner Anfang der 1990er Jahre aufgestellten These:
Die Christliche Rechte - Teil außenpolitischer Machtstrukturen
Das politische Erstarken konservativer evangelikaler und fundamentalistisch-religiöser Bewegungen seit Beginn der 1980er Jahre ist eine der bedeutsamsten kulturellen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten und bildet die Grundlage für neuartige (außen-) politische Machtstrukturen. Dabei spielt die so genannte Christliche Rechte eine zentrale Rolle als Wählerpotential und Wahlkampfhilfe der Republikaner im Kongress und als Basis der Bush-Administration im Weißen Haus.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 benötigte Oberbefehlshaber George W. Bush keine große Überzeugungskraft, um den Kongress, die amerikanische Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft von der Notwendigkeit des Waffengangs in Afghanistan zu überzeugen. Im Vorfeld des Präventivkrieges gegen den Irak war die Lage jedoch grundlegend anders: Präventives Handeln ist weitaus schwieriger zu legitimieren als die Reaktion auf einen erfolgten oder unmittelbar bevorstehenden Angriff. Die Gefahr, die von Massenvernichtungswaffen in den Händen des irakischen Tyrannenregimes oder von Terroristen ausgeht, sowie die Gewissheit, als auserwähltes Land das Richtige zu tun und die Vorhersehung Gottes zu vollstrecken, waren die zwei zentralen Gründe, die Bush öffentlichkeitswirksam bemühte, um Krieg zu führen.
Bushs Legitimation des Irakkrieges
Im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung hierzulande und der Meinung der großen Mehrheit der Demokraten in den USA ist für Präsident Bush und seine Parteigänger der Waffengang im Irak nur eine weitere Schlacht im langwierigen "Globalen Krieg gegen den Terrorismus" (Global War on Terror, GWOT). Dennoch blieben vor der Intervention Zweifel, ob Amerika dem Kurs seines Obersten Befehlshabers geschlossen folgen würde.
Mitte Februar 2003 befürworteten 59 Prozent der Bevölkerung den Krieg, darunter 70 Prozent derjenigen, die sich als "Mitglieder der religiösen Rechten" identifizierten. Neben der parteipolitischen Unterstützung spielten also auch religiöse Motive eine Rolle: 62 Prozent der Amerikaner, denen Religion "sehr wichtig" ist, unterstützten den Krieg, und 49 Prozent derjenigen, denen Religion "nicht sehr wichtig" ist.
Mit seiner wegweisenden Rede zur Lage der Nation wollte der Oberste Befehlshaber seine Anhänger auf den Waffengang vorbereiten. Seine Wortwahl hat viele europäische Beobachter irritiert, vielen seiner Landsleute gab sie dagegen Zuversicht. George W. Bush ist nicht der erste Präsident, der religiöse Rhetorik bemüht, um seine Politik zu legitimieren und Unterstützung zu mobilisieren. Gerade in Krisenzeiten - Amerika sieht sich seit dem 11. September 2001 im Krieg - fand das Bemühen um eine religiöse Sinngebung immer wieder Eingang in "historische" Reden amerikanischer Präsidenten.
Kampf der Kulturen?
Präsident Bush evozierte mit rhetorischen Mitteln jenen Teufel, den der neokonservative Vordenker Samuel Huntington bereits nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes mit kräftigen Pinselstrichen an die Wand gemalt hatte: "Der Kampf der Kulturen wird die Weltpolitik dominieren. Zivilisatorische Grenzlinien werden die Gefechtslinien der Zukunft sein."
Die Gefahr, dass es so kommen könnte, ist nicht von der Hand zu weisen. Wahrnehmungen der Wirklichkeit haben reale Auswirkungen, ganz egal, wie richtig oder falsch sie sind. "Westliche" Beobachter, welche die terroristische Bedrohung fälschlicherweise als "total" oder "totalitär" begreifen, könnten dazu beitragen, dass ihre Perzeption wirksam und damit Wirklichkeit wird. Der "Westen" sollte ein derartiges Freund-Feind-Schema vermeiden, weil es terroristischen Gruppen hilft, Identität und Zusammengehörigkeit zu etablieren - elementare ideelle Ressourcen, die nicht minder wichtig sind als materielle. Nach Einschätzung von Sicherheitsexperten hat der Irakkrieg den Prozess beschleunigt, im Laufe dessen sich Al Qaida von einer Organisation zu einer Ideologie entwickelt. Eine Ideologie ist umso identitätsstiftender, je besser sie sich auf ein klar umrissenes Feindbild beziehen kann. In diesem Sinne bildet auch das von christlich Rechten und Neokonservativen in der amerikanischen Debatte in Stellung gebrachte Konzept der "jüdisch-christlichen Schicksalsgemeinschaft" eine ideale Projektionsfläche, die es Fanatikern um Al Qaida erleichtert, logistischen und personellen Nachschub für ihren Glaubenskrieg zu gewinnen.
Die "jüdisch-christliche Schicksalsgemeinschaft" und der Nahostkonflikt
Bushs Kriegsrhetorik ist aber auch identitätsstiftend im Innern und rückt das "von Gott beinahe auserwählte" (almost chosen) Amerika (so schon Abraham Lincoln) in die unmittelbare Nähe des auserwählten Volkes Israel. Wenn Präsident Bush mit "moralischer Klarheit" gegen Terroristen vorgeht, sehen ihn seine politischen Verbündeten auch fest an der Seite Israels - ein Kernanliegen der christlich Rechten wie der "Israel-Lobby". Vor der Zäsur "9/11" wurde allzu deutliche Parteinahme für Israel vielerorts, selbst im eigenen Lager, kritisch kommentiert und zwischen dem nationalen Interesse Amerikas und jenem Israels differenziert. Nach den traumatischen Anschlägen vom 11. September 2001 betonen mehr Amerikaner die "jüdisch-christliche Schicksalsgemeinschaft" und suchen gemeinsam Sicherheit im Kampf gegen den Terrorismus:
Besonders für evangelikale Christen ist das Wohlergehen Israels eine Frage der nationalen Sicherheit Amerikas: "Amerika wird keine freie Nation bleiben, wenn wir Israels Freiheit nicht verteidigen."
Bei ihrem Einsatz für die nationale Sicherheit der USA und Israels können neokonservative Strategen wie Abrams nicht nur mit der finanziellen und logistischen Hilfe des American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) und anderen Pro-Israel-Interessengruppen rechnen, sondern sich auch auf die finanzielle und organisatorische Basisarbeit der Christlichen Rechten in der Legislative und auf der Graswurzelebene stützen. Neokonservative waren ursprünglich nur ein elitäres Netzwerk von überwiegend jüdischen, aber auch einigen katholischen Experten und Publizisten in Think-Tanks und ihnen nahestehenden Zeitschriften. Neokonservative Vordenker, die früher nicht selten als "Häuptlinge ohne Indianer" geschmäht wurden,
Im politischen System der "checks and balances", der konkurrierenden, sich gegenseitig kontrollierenden politischen Gewalten, bleibt dies nicht ohne Auswirkungen auf die politische Machtbalance zwischen Kongress und Exekutive. Das politische Interesse christlich Rechter am Heiligen Land bedeutet, dass "die Pro-Israel-Lobby in den letzten zehn Jahren deutlich stärker geworden ist".
Fazit und Ausblick: Ein Teufelskreis?
Präsident Bush wird die Geister, die er rief, nicht mehr los: Christlich Rechte, die zentral für den Machterhalt der Republikaner im Weißen Haus und mitentscheidend bei den Kongresswahlen geworden sind, engagieren sich zusehends außenpolitisch und beziehen dabei Stellung für ein militärisch übermächtiges Amerika und den uneingeschränkten Schutz Israels. Der Teufelskreis ist vorgezeichnet: "Sollte Bush seinen gegenwärtigen Kurs im Nahen und Mittleren Osten (auch im Sinne konservativer Evangelikaler) fortfahren - zum Beispiel mit einem präventiven Militärschlag gegen Iran, oder die Israelis dazu ermuntern - würde er die Region weiter entzünden und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der islamistische Terrorismus auf Westeuropa und die Vereinigten Staaten zurückschlägt. Bush und die Republikaner könnten dann wiederum argumentieren, dass angesichts der Ausbreitung des Terrorismus ihr Machterhalt umso notweniger ist"
Präsident Bush hatte zuletzt im Oktober 2007 davor gewarnt, dass ein atomar bewaffneter Iran einen "Dritten Weltkrieg" auslösen könnte.
Themen nationaler Sicherheit im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus spielen für die Republikaner in der Tat eine zentrale Rolle, weil sie die Kohäsion einer heterogenen Wählerschaft fördern und die Grundlage dauerhafter republikanischer Mehrheiten bilden können. Für die Strategen, die eine umfassende republikanische Wählerkoalition zustande bringen wollen, war und bleibt es eine besondere Herausforderung, die Christliche Rechte zu integrieren, ohne dabei andere Wähler zu verlieren. Doch die religiös-moralische Zweckehe christlich Rechter mit den Republikanern polarisiert die USA im Innern und führt zu Divergenzen in den transatlantischen Beziehungen: bei grundsätzlichen Abwägungen zwischen dem Einsatz militärischer Gewalt und jenem diplomatischer Mittel, aber auch bei konkreten Politikvorstellungen zur Regelung von Konflikten, vor allem im Mittleren und Nahen Osten.