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Weltweite Ansteckung: berechtigte Sorge oder grundlose Panik? | Internationale Finanzpolitik | bpb.de

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Weltweite Ansteckung: berechtigte Sorge oder grundlose Panik?

Makram El-Shagi

/ 14 Minuten zu lesen

Nach der Asienkrise 1997 griff der IWF ein, um die Krisenausbreitung auf die Weltwirtschaft zu verhindern. Im vorliegenden Beitrag wird gezeigt, dass die bekannten Mechanismen die befürchtete Ansteckung der Industriestaaten nicht bewirken können.

Einleitung

In den 1990er Jahren wurde die Welt von zwei großen regionalen Krisen in Südostasien und Lateinamerika erschüttert. Die Aufmerksamkeit, die diesen gewidmet wurde, ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass zunächst oft behauptet wurde, diesen Krisen lägen keine fundamentalen Ursachen zugrunde. Für verschiedene Länder konnten diese Ursachen im Nachhinein aufgedeckt werden und wurden vereinzelt auch schon vor Krisenausbruch von Ökonomen angeprangert. Was die beiden genannten Krisen aber von jenen in Entwicklungsländern unterscheidet, war ihre schnelle und weitreichende regionale Ausbreitung - also die "Ansteckung" zunächst nicht direkt betroffener Länder. Die Asienkrise, die im Juli 1997 in Thailand begann, griff schnell auf andere asiatische Länder über. Auch die Finanzkrise in Lateinamerika 1998 wird oft als Folge der Asienkrise betrachtet.



Dies führt zu der Frage, inwiefern die internationalen Finanzmärkte in ihrer Gesamtheit und damit auch die Weltwirtschaft als Ganzes durch Ansteckungseffekte gefährdet sind. So war das ausgeprägte Interesse der westlichen Welt an der Asienkrise nicht nur durch die Sorge um das Wohlergehen der Betroffenen begründet. Das Eingreifen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Stabilisierung der angeschlagenen Volkswirtschaften war keine reine Freundlichkeit, sondern die Institution kam -so glaubte man - ihrer Aufgabe nach, eine weltweite Ansteckung, also eine neue Weltwirtschaftskrise zu verhindern. Diese Position wurde nicht nur von der Presse vertreten, sondern auch vom IWF selbst stark propagiert.

Auch heute sind mögliche Ansteckungseffekte wieder ein Thema. Durch das Platzen der Blase auf dem amerikanischen Immobilienmarkt sind Banken und Fonds weltweit in die Bredouille geraten, so dass Zentralbanken stützend eingreifen mussten.

Im vorliegenden Beitrag werden zunächst die in der Literatur vorwiegend diskutierten Transmissionsmechanismen kurz dargestellt. Anschließend wird gezeigt, dass diese Mechanismen kaum das Potential haben, um eine weltweite Übertragung von Krisen zu ermöglichen, die von Emerging Economies ausgehen. Vielmehr sind Krisen problemimmanent begrenzt. Darauf folgend werden die Unterschiede zur Weltwirtschaftskrise von 1929 verdeutlicht, um klar zu stellen, inwiefern die Bedingungen, die damals die weltweit verheerende Wirkung hatten, heute kaum mehr in dieser Form vorliegen. So soll gezeigt werden, dass selbst eine Ansteckung, die von den USA ausgeht, heute in einer solchen Ausprägung kaum zu erwarten ist.

Ansteckungsmechanismen bei Finanzmarktkrisen

Die Verluste im Zuge einer Krise erfordern in vielen Fällen die schnelle Beschaffung von Liquidität für die Betroffenen. Um diese Mittel zu beschaffen und so heimische Probleme zu dämpfen, werden auch Forderungen, die eine solide Rendite versprechen, eingelöst. Obwohl dieser Übertragungsmechanismus auch im Fall der Asienkrise diskutiert wurde, spielt er in seltenen Fällen zwischen Emerging Economies eine Rolle. Nur sehr kleine, ökonomisch schwache Länder sind von einzelnen anderen armen Ländern derart abhängig.

Nur sehr große, industrialisierte Volkswirtschaften sind so wichtig für einzelne ihrer Anlageländer, dass eine Krisenübertragung durch die Repatriierung von Kapital erfolgen kann. Gerade während der Weltwirtschaftskrise, als mit den USA die bedeutendste Gläubigernation der Welt einen Einbruch erlitten hatte, waren die Folgen für viele andere Länder, die auf Kredite der USA angewiesen waren, verheerend.

In wenigen Fällen nach der Weltwirtschaftskrise 1929 hat die Repatriierung von Kapital zur Bekämpfung von Krisen in den Ursprungsländern eine relevante Rolle für die Krisenausbreitung gespielt. Eher haben Anleger aus dritten Ländern, die unter den Verlusten im Ursprungsland der Krise zu leiden hatten oder die Probleme in diesem Land beobachtet haben, Kapital nicht nur aus dem eigentlichen Krisenland, sondern auch aus anderen Märkten abgezogen. Gerade vermeintlich ähnliche Länder sind von solchen Kapitalbewegungen betroffen, selbst wenn hier zunächst keine Defizite offensichtlich sind.

Informationsdefizite, die außerhalb der etablierten Industrienationen enorm sind, tragen erheblich zu diesem Verhalten bei. Mangels Alternativen werden aus dem Verhalten Anderer und der Entwicklung in vergleichbaren Volkswirtschaften extrapoliert. Durch das Fehlen tatsächlicher Information wird daher der Kapitalabzug aus einer Krisenökonomie als Indiz für vergleichbare Probleme in ähnlichen Volkswirtschaften betrachtet, in denen entsprechende Kapitalabzüge erfolgen. Dabei sind die Kriterien der vermeintlichen Ähnlichkeit teilweise so weit gefasst, dass nicht nur Länder mit vergleichbaren Fundamentaldaten, sondern auch geographisch naheliegende Länder betroffen sind. Im Extremfall endet diese Art der "Informationsgewinnung" in panikartigen Reaktionen, die ganze Regionen bedrohen können.

Die Achillesferse der Finanzmärkte stellt der Bankenmarkt dar. Auch wenn eine Volkswirtschaft als Ganze sich nur geringfügig in einer Krisenregion engagiert hat, können einzelne Banken, die sich auf stark betroffene Sektoren oder Regionen konzentriert haben, in eine Schieflage geraten. Selbst wenn ein panikartiger Ansturm auf eine Bank durch staatliche Garantien für Anleger heute meist vermieden werden kann, kann der Bankrott einzelner Banken durch die Kreditbeziehungen der Banken untereinander den Finanzmarkt einer Volkswirtschaft bedrohen. Gerade kurzfristig sind Banken hochgradig untereinander verschuldet, um ihren Liquiditätsbedarf zu decken. Die generelle Fragilität der Banken, die mit ihrer Funktion der Fristentransformation einhergeht, bedingt, dass der Bankrott mehrerer Banken auch andere, vorher noch solvente Banken, mitreißen kann.

Dass einzelne Banken existenzgefährdende Anlagestrategien betreiben, dürfte in Ländern mit funktionierender Bankenaufsicht die Ausnahme sein. Gerade in Südostasien war die Bankenaufsicht vor der Krise aber stark defizitär. Die unzureichende Risikoabsicherung der Banken in Kombination mit den Verbindungen der Banken untereinander hat hier während der Krise zu großen Umbrüchen auf dem Bankenmarkt geführt und die Krise angeheizt.

Grenzen der Ansteckung durch Emerging Economies

Ein zentraler Punkt wird häufig nicht hinreichend berücksichtigt, wenn das Übergreifen von Finanzmarktkrisen in Entwicklungsländern auf Industriestaaten diskutiert wird. Die Gelder, die aus Krisenregionen abgezogen worden sind, wurden dem globalen Kapitalmarkt als Ganzes nicht entzogen. Vielmehr fand eine Umschichtung der Investitionen aus den von Krisen betroffenen Emerging Economies in die Industrieländer statt. Und neu anzulegendes Kapital floss weniger in risikoreiche Investitionen in solchen Ländern, sondern wurde - verhältnismäßig sicher - in Industriestaaten investiert.

Keiner der oben zusammengefassten Ansteckungsmechanismen, könnte ferner das Übergreifen einer Finanzmarktkrise auf die etablierten Industriestaaten begründen.

Der Abzug von Kapital, das von Krisen betroffene Emerging Economies in Industrienationen angelegt haben, ist für letztere kaum bedrohlich. Sicherlich existieren zwischen Industrienationen und Emerging Economies Kreditbeziehungen in beide Richtungen, so dass auch Industriestaaten Schulden gegenüber ärmeren Ländern haben. Aber selbst wenn diese im Falle einer Krise auf den Kapitalabzug mit dem Rückzug der von ihnen gegebenen Kredite an Industrieländer reagieren sollten, kann dies per Saldo nicht zu einem Nettokapitalabzug aus den Industrieländern führen, da die betreffenden Länder Nettoschuldner sind. Die Situation dieser Staaten ist fragil, weil sie zuvor von hohen Nettokapitalimporten profitiert haben, so dass das Kapital, das sie repatriieren könnten, den potentiellen Abflüssen kaum entsprechen kann. Letztlich funktioniert diese Art der Krisenübertragung nur dann, wenn die Krise von einem Gläubigerland ausgeht und nicht von den tatsächlich krisengefährdeten Schuldnerstaaten.

Auch die zwischen ärmeren Volkswirtschaften entscheidende Übertragung durch Signal-Extraktion greift zwischen Emerging Economies und etablierten Industriestaaten nicht. Informationsasymmetrien treten bei den großen Industrieländern nicht in der Form auf, wie sie in Emerging Economies zu beobachten sind. Signal-Extraktion auf der Grundlage der Entwicklung anderer Märkte ist daher kaum notwendig. Auch die strukturelle Ähnlichkeit, die zur Neubewertung vergleichbarer Länder führt, sobald eine erste Krise aufgetreten ist, liegt nicht vor.

Ansteckung über diesen Mechanismus würde hier bedeuten, dass bei einer Kapitalmarktkrise nun ähnliche Probleme für Kapitalmärkte im Allgemeinen unterstellt werden. In der Realität ist dies kaum vorstellbar, da ein Verhalten, das auf der Unterstellung gleichartiger Probleme auf allen Kapitalmärkten beruht, für institutionelle Investoren, über die der weitaus größte Teil der Auslandsanlagen abgewickelt wird, undenkbar ist. Ein Rückzug aus dem Kapitalmarkt als Ganzem ist für sie faktisch unmöglich. Ein Fonds, der nicht investiert, würde seine Existenzberechtigung in Frage stellen. Es kommt allenfalls zu kurzfristigen nervösen Reaktionen. Privatanleger wiederum, bei denen die Gefahr einer generellen Scheu vor dem Kapitalmarkt aufgrund erlebter Schwierigkeiten eher besteht, sind bezüglich der Auslandsinvestitionen eines Landes nahezu vernachlässigbar.

Da eine einzelne Investition im Rahmen der Portfolios großer Finanzintermediäre im Regelfall kaum bedeutend ist, sind gelegentliche Fehlinvestitionen dieser für den Privatanleger nur wenig spürbar. Eine Panikreaktion, die ihn zur Hortung veranlassen würde, womit auch den weniger panikanfälligen professionellen Anlegern das Kapital entzogen würde, kann daher nur schwer ausgelöst werden. So hat sich auch im Rahmen der Asienkrise gezeigt, dass das Kapital dem Kapitalmarkt nicht entzogen, sondern von Entwicklungsländern in Industriestaaten umgeschichtet wurde. Ein Blick auf die Aktienmärkte der großen Industrienationen kurz nach Ausbruch der Asienkrise lässt deutlich die Wirkung des zufließenden Kapitals erkennen. Die Entwicklung in den USA, Deutschland und Großbritannien ist ähnlich. Der Aktienmarkt reagiert auf die Krise zunächst unentschlossen, hin und hergerissen zwischen dem generellen Misstrauen zwischen Kapitalmärkten und der Umschichtung: weg aus Krisenländern. Ab Oktober 1997 überwiegt klar der Effekt der Umschichtung. Bis Juli 1998, als in allen hier betrachteten Industrienationen der Trend kippte, steigen die Kurse um zwischen 15 und 60 Prozent. Für den kurzen Zeitraum war dies ein enormer Zuwachs.

Ein Problem dürfte sich allenfalls dann ergeben, wenn einzelne Finanzintermedäre unzureichend gegen Risiken abgesichert sind. Ein gewisser Teil der Anlagen, die Investoren aus Industrieländern in Krisenländern investiert haben, ist ebenso wie ein Teil der vergebenen Kredite mit Sicherheit abzuschreiben. Auch die häufige Praxis der Kreditvergabe in US-Dollar, die zumindest das direkte Wechselkursrisiko bei den Kreditnehmern belässt, kann dies nicht völlig verhindern. Einige Unternehmen werden ihre Schulden aufgrund eines Bankrotts nicht oder nur teilweise zurückzahlen. Wenn solche Kredite im Portfolio einer Bank zu großes Gewicht haben, ist eine Bankeninsolvenz mit ihren negativen Folgewirkungen über den Interbankenmarkt vorstellbar. Allerdings dürfte in den etablierten Industriestaaten, die durchgehend über ein ausgefeiltes System der Bankenregulierung verfügen, kaum ein Entwicklungsland eine derartige Bedeutung für das Portfolio einer oder mehrerer Banken haben. Auch während der Asienkrise, die sich innerhalb Asiens u.a. auch über das Bankensystem ausgebreitet hat, waren die Konsequenzen für amerikanische und europäische Banken dementsprechend begrenzt.

Was an Übertragung verbleibt, ist abgesehen von geringfügigen Vermögenseffekten durch faule Kredite also im wesentlichen die übliche Konjunkturtransmission. Aber es scheint kaum denkbar, dass diese Effekte ausreichen, um eine ernsthafte Krisenübertragung zu ermöglichen. Selbst die Konjunkturtransmission, die von den USA - der mit Abstand größten Volkswirtschaft der Welt - ausgeht, ist in den meisten Ländern nur deutlich abgeschwächt spürbar. In ihrer Gesamtheit ist die Bedeutung der Schwellen- und Entwicklungsländer als Nachfrager auf den Gütermärkten der Industrieländer so gering, dass bestenfalls leichte Konjunktureintrübungen zu erwarten sein dürften. Auch indirekte Effekte über die Konkurrenz auf bestimmten Exportmärkten sind gering. Selbst die weitgehend industrialisierten Emerging Economies haben für die Exportprodukte der Industrienationen keinen Marktanteil, der Konsequenzen hätte, die über vereinzelte Sektoren hinausgehen. Entgegen der Position, die der IWF vertreten hat, ist eine weltweite Ansteckung also - zumindest wenn die Kriseihren Anfang in Entwicklungsländern, Schwellenländern und Emerging Market Economies hat - kaum denkbar.

Industriestaaten als Ausgangspunkt einer globalen Finanzkrise?

Angesichts der Weltwirtschaftskrise von 1929, in der sich von den USA aus eine Krise weltweit ausgebreitet hat, muss diskutiert werden, inwiefern die oben angeführte Argumentation sich auch auf Krisen anwenden lässt, die in den etablierten Industrienationen ihren Anfang nehmen. Dies gilt insbesondere, da die jüngste Krise des amerikanischen Immobiliensektors einige deutsche Banken überraschend schwer getroffen hat.

Entscheidend für die bisherige Argumentation ist, dass die originären Krisenländer auf den internationalen Kreditmärkten primär nicht als Gläubiger auftreten, sondern als Schuldner. Wenn Kapital im Rahmen einer Krise eher umgeschichtet als dem Kapitalmarkt entzogen wird, kann dies nur zu einer globalen Krise führen, wenn Geld dorthin fließt, wo bereits problematische Entwicklungen aufgetreten sind, ohne diese Entwicklungen stoppen zu können. Das kann passieren, wenn ein Gläubigerland zu den ersten betroffenen Ländern gehört und in Folge der Krise Auslandsforderungen zur Stabilisierung der heimischen Wirtschaft repatriiert.

Genau dies dürfte der zentrale Unterschied zwischen den Krisen der 1990er Jahre und der Weltwirtschaftskrise sein. Als die US-Märkte 1929 zusammenbrachen, war das Ausstrahlen der Krise grundlegend anders als in allen regionalen Krisen, die in den 1990er Jahren aufgetreten sind. Während Ansteckung in den 1990er Jahren primär darin bestand, dass die Kreditgeber der Krisenländer ihre Kredite auch aus anderen Ländern der betroffenen Region abgezogen haben, um sie anderen Finanzmärkten zuzuführen, haben in den 1930er Jahren die USA Gelder abgezogen, um heimische Probleme zu lösen. Dies konnte die USA nicht stabilisieren, hat aber die anderen großen Volkswirtschaften in die Krise verwickelt. Eine solche Entwicklung ist heute fast ausgeschlossen. Kaum ein einzelnes Land hat für die heutige Weltwirtschaft genug Bedeutung, um eine weltweite Finanzmarktkrise auszulösen. Selbst wenn nur das Größenkriterium betrachtet wird, wären die USA und die Europäische Union, die jeweils ca. ein Viertel der weltweiten Produktion herstellen, die einzig denkbare Keimzelle einer weltweiten Krise.

Die USA allerdings sind heute - anders als bei Ausbruch der Weltwirtschaftskrise - nicht Nettogläubiger, sondern Nettoschuldner. Sie haben jedoch aufgrund ihrer einzigartigen Vernetzung mit der übrigen Weltwirtschaft und ihrer herausragenden Bedeutung als Bruttogläubiger eine Ausnahmestellung inne. So sind die Auslandsinvestitionen von Anlegern aus den USA durchaus erheblich. Dabei treten die USA gegenüber zahlreichen Emerging Economies mehr als Gläubiger denn als Schuldner auf.

Folgendes Ansteckungsszenario wäre daher hypothetisch denkbar. Die USA erleiden durch heimische Ursachen eine Krise. Die Probleme führen zur Repatriierung von Kapital aus den Schuldnernationen der USA, die ihrerseits nicht mit Abzug von Kapital aus den USA reagieren können. Der Kapitalabzug aus den US-Schuldnernationen verleitet andere Nationen, die diesen Kapitalabzug auf Probleme in den Schuldnernationen zurückführen, im Sinn einer Signal-Extraktion ebenfalls zu einem Kapitalabzug aus diesen Nationen. Ein solches Szenario ist allerdings in der heutigen Welt unwahrscheinlich.

Ein Abzug von US-Kapital aus den Schuldnernationen der USA würde von den Gläubigernationen der USA nicht verstärkt, sondern eher kompensiert. Die Informationslage bezüglich der USA ist hervorragend. Informationsdefizite sind aber der wesentliche Grund für Signal-Extraktion. Es sind die falsch extrahierten Informationen, die Ansteckungseffekten primär zugrunde liegen. Angesichts der Informationslage bezüglich der USA wäre diese Problematik hier nicht gegeben. Der Kapitalabzug der USA im oben geschilderten Szenario ist durch US-Probleme begründet. Und eine Fehleinschätzung der Lage ist aufgrund der verfügbaren Informationen unwahrscheinlich. D. h., es kann kaum davon ausgegangen werden, dass der Kapitalabzug der USA als Folge von Problemen in den Schuldnernationen gesehen wird.

Plausibel wäre dann, wenn überhaupt, ein Abzug von Kapital aus den USA, um dieses vor den Konsequenzen der US-Krise zu schützen. Die Schuldner der USA dürften von diesen Portfoliorestrukturierungen der Gläubiger der USA eher profitieren. Denn bei Kapitalabzug aus den USA bieten sich eben jene Nationen als Investitionsort an, die durch den Kapitalabzug der USA vorher belastet wurden. Gegen weiteren Kapitalabzug aus den betreffenden Ländern und für einen Kapitalzufluß spricht, dass der erfolgte Verkauf von Assets ohne fundamentale Gründe im Rahmen des Kapitalabzugs durch die USA dazu führt, dass die Assets unter Wert gehandelt werden, und somit für andere Anleger durch überdurchschnittlich hohe Renditen interessant werden. Selbst die USA sind also durch ihre Rolle als Schuldner, in ihrem Potential als Krisenauslöser stark eingeschränkt.

Bedrohliche Konsequenzen einer Finanzmarktkrise aus den USA ergeben sich allerdings, da denkbar ist, dass einzelne Finanzintermediäre in anderen Industriestaaten sich in ihren Anlagen so stark auf die USA konzentrieren, dass eine US-Krise für sie existenzbedrohend sein kann. So hat die Immobilienkrise in den USA auch in Deutschland einige Banken, insbesondere die Industriebank IKB und die Sächsische Landesbank, stark in Mitleidenschaft gezogen. Auffällig ist dabei, dass hier kaum rein private Banken, sondern öffentliche Banken oder Privatbanken mit öffentlichen Großaktionären betroffen sind. Die mangelnde Risikoabsicherung scheint also kein generelles Kapitalmarktproblem zu sein, sondern ist ein Ausdruck der staatlichen Absicherung.

Bedrohlicher als die Bankenprobleme an sich war die Beunruhigung anderer Banken, die aufgrund der offenbarten Mängel ihre wechselseitigen kurzfristigen Kredite stark reduziert haben. Ein Liquiditätsmangel kann allerdings durch die Zentralbank über die Bereitstellung kurzfristiger Liquidität für die Banken ausgeglichen werden. Eine tatsächliche Krisenübertragung fand daher nur sehr begrenzt statt, so dass schon kurz nach der beginnenden Krise in den USA in der Presse teilweise von der "angeblichen Bankenkrise in Deutschland" gesprochen wurde.

Auch der zunächst stark reagierende Aktienmarkt stabilisierte sich nach wenigen Tagen. Angesichts der außergewöhnlichen Entwicklung der Vormonate, die ohnehin für Nervosität an den Aktienmärkten gesorgt hat, wäre es verfehlt, hier von Ansteckung zu sprechen.

Die eventuelle Gefahr einer weltweiten Krise, die durch die USA ausgelöst wird, erwächst nicht aus finanzieller Ansteckung, sondern aus der Tatsache, dass die USA allein groß genug sind, dass im Falle eines ernsthaften Zusammenbruchs reale Spillover-Effekte weltweit deutlich spürbar sein dürften. Allerdings hat der Einbruch der New Economy gezeigt, dass die USA mittlerweile eine ökonomische Reife erreicht haben, die es erlaubt, Finanzmarktschwierigkeiten ohne nachhaltige Schwächung zu überstehen.

Politische Implikationen

Die politischen Implikationen der hier dargelegten Argumente sind weitreichend. Die Bedeutung des IWF wird auf eine Entwicklungs- bzw. Wirtschaftshilfeorganisation im Sinne der Weltbank reduziert. Die systemische Krise in ihrem ursprünglichen Sinn, nämlich einer die globalen Finanzmärkte bedrohenden Krise, ist eine faktisch nicht existente Bedrohung. Angesichts der immer wieder kritisierten destabilisierenden Effekte, die der IWF allein durch das erzeugte Moral-Hazard-Verhalten hervorruft, stellt sich die Frage nach der Rolle des IWF unter den heute herrschenden Rahmenbedingungen. Statt Kredite zur vermeintlichen Verhinderung ohnehin nicht auftretender Ansteckungseffekte zu vergeben, sollte der IWF seine Arbeit stärker auf die Schaffung der Voraussetungen für eine funktionierende Wettbewerbsordnung und insbesondere auf die notwendige institutionelle Entwicklung in Ländern der Dritten Welt bzw. Emerging Economies ausrichten. Wie bedeutsam funktionierende Finanzmarktinstitutionen sind, hat sich gerade bei der jüngsten Krise des amerikanischen Immobilienmarktes gezeigt, wo es den Zentralbanken der anderen Industrienationen weitgehend gelungen ist, Spillover-Effekte zu begrenzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Detlef Radtke, Die zentralen Aufgaben des IWF - Leitlinien für ein Reformprogramm, in: DIE Analysen und Stellungnahmen, (2000) 5, S. 1 - 4.

  2. Vgl. IMF (Hrsg.), IMF Survey, 26 (1997) 18, 20 und 22 sowie 27 (1998) 7; IMF (Hrsg.), World Economic Outlook, Washington, D. C. 1997.

  3. Vgl. Karlhans Sauernheimer, Zur Theorie der internationalen Konjunkturtransmission: Standardansätze und neuere Entwicklungen, in: Makram El-Shagi/Gerhard Rübel (Hrsg.), Beiträge zur internationalen Arbeitsteilung, Wiesbaden 2005; Reuven Glick/Andrew K. Rose, Contagion and Trade: Why are Currency Crises Regional?, in NBER Working Paper, (1998) 6806.

  4. Eines der wenigen Beispiele ist die Ansteckung Uruguays während der Lateinamerikakrise durch die Rückforderungen argentinischer Kredite. Vgl. zu diesem Beispiel Nicolas Schlotthauer, Emerging Markets-Assets in unsicheren (Finanzmarkt-)Zeiten: Flächenbrand oder Anlagechancen?, in: Konjunktur-Zinsen-Währungen, (2002) 4, S. 2 - 8.

  5. Vgl. Matt Pritsker, The Channels for Financial Contagion, 2000, mimeo.

  6. Konsequenzen für fremde Märkte entstehen allerdings nicht nur durch Signal-Exktraktion, sondern auch durch Portfolioanpassungen, die aufgrund der Risikoverwirklichung in einzelnen Ländern notwendig werden.

  7. Vgl. Franklin Allen/Douglas Gale, Financial Contagion, in: Journal of Political Economy, 108 (2001) 1, S. 1 - 33.

  8. Vgl. Ricardo J. Caballero/Arvind Krishnamurthy, Bubbles and Capital Flow Volatility: Causes and Risk Management, in: Journal of Monetary Economics, 53 (2006) 1, S. 35 - 53.

  9. Die Tabelle zeigt am Beispiel der 10 größten DAX30-Unternehmen wie unbedeutend außereuropäische Privatinvestoren sind. Diese Aufstellung entspricht nicht exakt dem Anteil an Auslandsinvestitionen, der in Privathand liegt, lässt aber erahnen, wie unbedeutend dieser Sektor ist.

  10. Relevante wirtschaftliche Folgen haben die Vermögensänderungen nur, wenn die Verluste, was unwahrscheinlich ist, vom Anleger als permanent erachtet werden.

  11. Diese Formulierung findet sich z.B. in einer Mitteilung der Nachrichtenagentur Associated Press vom 22. 8. 2007. Hervorhebung durch den Autor.

  12. Vgl. Michael P. Dooley/Sujata Verma, Rescue Packages and Output Losses following, NBER Working Paper, (2001) 8315; Axel Dreher, Does the IMF cause Moral Hazard? A critical review of the evidence, 2004, mimeo.; Axel Dreher/Roland Vaubel, Do IMF and IBRD cause moral hazard and political business cycles? Evidence from panel data, in: Open Economies Review, 15 (2004) 1, S. 5 - 22; Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg.), Jahresgutachten 2000/2001 - Chancen auf einen höheren Wachstumspfad, Stuttgart 2000.

Dr. rer. pol., geb. 1979; Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für VWL, insbes. Internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Mannheim
Internet: Externer Link: www.vwl.uni-mannheim.de/