Einleitung
Seit den Selbstmordanschlägen vom 11.September 2001 und den nachfolgenden Kriegen gegen Afghanistan und den Irak unter Führung der USA ist ein Strukturwandel in der Krisenkommunikation der global vernetzten Medien erkennbar. Vor allem imSatellitenrundfunk treten in den arabischen Märkten neben westlichen Marktführern wie die BBC und CNN lokale Wettbewerber, insbesondere Al-Jazeera, Al-Arabiya und Abu Dhabi TV auf. Seit der Irak-Invasion 2003 gelten die drei arabischen Satellitensender bei vielen westlichen Nachrichtenmedien als glaubwürdige externe Quellen. Dies zeigt sich am Umfang, in dem sie zitiert und ihr Bildmaterial verwendet werden, sowie anhand bestehender Kooperationsvereinbarungen mit westlichen Sendern. Diese Entwicklungen lassen darauf schließen, dass das globale Monopol der US- und europäischen Sender in der Berichterstattung über Konflikte im Nahen und Mittleren Osten aufgebrochen wird. Ein solcher Wandel kann erhebliche Auswirkungen auf die Öffentlichkeit in Fragen der internationalen Beziehungen haben.
Viele Beobachter haben versucht, Veränderungen in der globalen Nachrichtenfernsehlandschaft im Hinblick auf die Entstehung einer transnationalen bzw. transkulturellen Öffentlichkeit zu konzeptionalisieren.
"Medienglokalisierung" und Öffentlichkeitskonzept
Nachrichtenfernsehsender, die weltweit sowohl in der westlichen als auch in der arabischen Welt agieren, versuchen jenseits der Grenzen ihrer eigenen Kultur- und Sprachgebiete neue Märkte und Zielgruppen zu erschließen. Dazu benutzen sie eine Strategie der "Glokalisierung": Um ihre dominante Marktstellung zu wahren, verbreiten sie Inhalte in anderen Sprachen als der ihres Heimatstandorts. Die BBC, CNN und Al-Jazeera verfolgen diese Strategie. So unterhält die BBC seit 1999 eine arabischsprachige Website, die 2003 neu gestaltet wurde. CNN folgte diesem Beispiel 2002. Al-Jazeera stellte zusätzlich zur bestehenden arabischen Website des Senders 2003 englische Seiten ins Netz. Der Sender machte allen voran seine Absicht deutlich, CNN und anderen Anstalten unmittelbar Konkurrenz zu machen, indem er 2006 einen englischsprachigen Satelliten-Nachrichtenfernsehsender - Al Jazeera English - startete. Im Jahr 2005 beschloss die BBC, einen arabischsprachigen Satelliten-Nachrichtenfernsehkanal ins Leben zu rufen. Dabei handelte es sich nicht um den ersten Vorstoß der BBC in den arabischsprachigen Nachrichtenfernsehmarkt. Bereits von 1994 bis 1996 hatte die britische Rundfunkanstalt einen arabischsprachigen Nachrichtenfernsehkanal produziert, der von der saudi-arabischen Mawarid Group finanziert wurde. Nach Unstimmigkeiten zwischen dem britischen Sender und dem arabischen Geldgeber hinsichtlich der redaktionellen Freiheit wurde der alte Sender BBC Arabic TV eingestellt. Verschiedenen Medienkritikern zufolge besteht die Gefahr, dass der neue arabischsprachige Fernsehsender der BBC als Kopie von Al-Hurra, dem vom US-Außenministerium finanzierten arabischsprachigen Satelliten-Nachrichtenfernsehkanal betrachtet wird.
Daneben begann die Deutsche Welle (DW) 2002 ihre Fernsehprogramme mit arabischen Untertiteln zu versehen. Seit 2005 wird auf Arabisch gesendet. Gleichzeitig war Arabisch eine von sechs Pilotsprachen, in denen die Webseiten der DW ab Beginn 2005 gestaltet wurden. Zu erwähnen ist weiterhin, dass der französische Satelliten-Nachrichtenfernsehsender France24 seit 2007 auch auf Arabisch sendet. Russia Today (RTTV) lancierte ebenfalls 2007 einen arabischsprachigen Satelliten-Nachrichtenfernsehsender, Rusiya al-Yaum. Die Zuschauerperzeption und Bekanntheit der meisten dieser arabischsprachigen TV-Programme, vor allem europäischer Auslandsfernsehsender, ist unter jungen arabischen Akademikern und Multiplikatoren jedoch (noch) als äußerst gering einzustufen.
Medienprojekte wie die obigen gehen davon aus, dass ein bestimmtes Maß an transnationaler bzw. transkultureller Öffentlichkeit möglich ist. Allerdings werfen Versuche, den Begriff der Öffentlichkeit kulturübergreifend anzuwenden, Fragen auf.
Eine weitere Schwierigkeit, die der kulturübergreifenden Verwendung des Terminus innewohnt, ergibt sich aus der Rezeptionsgeschichte von Habermas' Werk im deutschen und außerdeutschen Kontext. In den ersten Jahren nach ihrer Veröffentlichung wurde die Originalschrift nur unter deutschsprachigen Philosophie- sowie Geistes- und Sozialwissenschaftlern ausführlich diskutiert - jedoch ohne nennenswertes internationales Feedback. In jüngster Zeit sind derartige Diskussionen in diesen Disziplinen fast gänzlich abgeebbt. Nach der Übersetzung ins Englische erlebte der so genannte Habermasian Approach (Habermas'sche Ansatz) allerdings in internationalen Wissenschaftskreisen eine Renaissance, die bis heute fortdauert. Im Ergebnis "hat die Rezeption längst ein Eigenleben begonnen".
Krisenkommunikation und interkulturelle Störfälle
Die bereits skizzierten, zum Teil direkten kreuzkontextuellen Transfers, Anwendungen und Adaptionen des (eher westlich-demokratischen) Öffentlichkeitskonzepts stellen eine theoretische Matrix dar, die an den sozialen Realitäten westlichen und arabischen Satellitenrundfunks überprüft werden muss. Trotz aller Tendenzen in Richtung "Glokalisierung" oder/und Globalisierung bleibt die Nachrichtengeographie des Satellitenrundfunks entscheidend in der Krisenkommunikation. Daher ist es aufschlussreich, die politisch-kulturellen Fundamente unterschiedlicher Konfliktperspektiven und ihres Einflusses auf die Nachrichtenselektion und -präsentation zu untersuchen.
In diesem Zusammenhang stellt der damalige Chefredakteur der libanesischen Tageszeitung "The Daily Star", Rami Khoury, die Hypothese auf: "Die elektronischen Massenmedien sind der einzige Sektor, in dem ein Kräftegleichgewicht zwischen USA und arabischer Welt besteht."
Um eine von Medien aus fremdkulturellen und -sprachlichen Systemen und Kontexten verbreitete Information zu senden und zu empfangen, zu erklären und zu verstehen, bedarf es der genauen Kenntnis dieser Systeme und Kontexte. Nach frühen anthropologischen Erkenntnissen über interkulturelle Kommunikation unterscheiden sich Kulturen weltweit in der Regel durch ihre Kommunikationssysteme.
Mohammed el-Nawawy und Adel Iskandar haben darauf hingewiesen, dass Nachrichtenwerte und Selektionskriterien von "Kontextobjektivität" geprägt sind.
Das Aufeinandertreffen verschiedener Standpunkte oder Kontextobjektivitäten von Vertretern verschiedener Medien- oder Journalismuskulturen kann interkulturelle Störfälle verursachen. Ein Beispiel dafür war Anfang 2006 der Streit um die Entscheidung einiger europäischer Medien, trotz der in den Medien arabischer Länder artikulierten heftigen Empörung die z. T. beleidigenden Mohammed-Karikaturen abzudrucken, die zunächst von der dänischen Tageszeitung "Jyllands-Posten" veröffentlicht worden waren. Während viele europäische Medien sich der Verurteilung vermeintlicher theokratischer Zensur anschlossen, benutzten die meisten arabischen Nachrichtensprecher in Bezug auf die Kontroverse Formulierungen wie al-nabi al-karim ("der verehrte Prophet").
Verständnisschwierigkeiten ergeben sich auch aus der Verwendung nicht exakter Übersetzungsäquivalente. So haben zahlreiche arabische Medien in der Vergangenheit für palästinensische Selbstmordattentäter in Israel dasselbe Wort wie für die Opfer gewaltsamer Konflikte benutzt, das vom Verb "bezeugen" abgeleitet ist, aber auch "hingeschieden" bedeutet. Allerdings wird es oft auch mit "Märtyrer" übersetzt - ein Terminus, der im Westen häufig als Parteinahme für die Sache der Palästinenser verstanden wird. Ebenso übernehmen westliche Nachrichtensender vom Militär geprägte Euphemismen, wenn es um den arabisch-israelischen Konflikt geht. So sprechen sie von den Einsätzen der israelischen Armee gegen vermeintliche palästinensische Attentäter als "gezielte Tötungen", statt diese korrekter als "Morde" zu bezeichnen. Diese Beispiele verdeutlichen, dass interkulturelle Störfälle aus internationalen kulturellen und politischen Machtverhältnissen und ihren Folgen für die Kommunikation resultieren.
Öffentliche Diplomatie und Mediendiplomatie
Arabische und westliche Satelliten-Nachrichtenfernsehsender halten sich oft gegenseitig vor, sich von ihren jeweiligen Regierungen bei der Programmgestaltung instrumentalisieren und manipulieren zu lassen. Sowohl demokratische als auch nichtdemokratische Systeme sind weltweit in der Lage, Desinformation zu produzieren und zu verbreiten. Politisch motivierte Kommunikation zielt auf die Steuerung von Informationen, Nachrichten oder Sichtweisen. Strategien politisch motivierter Kommunikation werden durch das Konzept der politischen Diplomatie beschrieben, die seit ihrer Einführung in den USA Mitte der 1960er Jahre mehrere Washingtoner Regierungen eingesetzt haben, um zu unterstreichen, was nach ihrem Dafürhalten die vermeintliche Überlegenheit des westlichen Kapitalismus über den östlichen Kommunismus ausmachte.
Nach den Anschlägen vom 11. September wurde das Konzept der öffentlichen Diplomatie reformiert. Verfügbare Mittel wurden aufgestockt, neue Institutionen gegründet und besser ausgebildetes Fachpersonal eingestellt. Der 2002 von der US-Regierung vorgelegten nationalen Sicherheitsstrategie zufolge galt öffentliche Diplomatie als Massenkommunikationswaffe gegen den internationalen Terrorismus, die auf einen Antiamerikanismus abzielte, der in der arabischen Welt weit verbreitet sei. Auf der Grundlage ihrer Annahmen, es herrsche ein Mangel an präzisen und ausgewogenen Informationen über die USA und ihre Werte der Freiheit und Demokratie, haben politische Institutionen in Washington ungeheure Summen in die in ihren Augen nötige "Eroberung der Herzen und Köpfe der Menschen in der arabischen und muslimischen Welt" investiert. Ein entscheidendes Medium war dabei der internationale Satellitenrundfunk.
Zwischen 2002 und 2004 gründete das Broadcasting Board of Governors (BBG) der USA drei auf arabische und muslimische Zielgruppen ausgerichtete spezielle Medien. So wurde 2002 eine vormalige Abteilung von Voice of America (VOA) ausgegliedert, um Radio Sawa aufzubauen, das auf Arabischsprechende unter 30 Jahren zielt und eine Mischung aus englischsprachiger und arabischer Popmusik sowie Nachrichten im westlichen Format sendet. Das BBG verwendete die Formel der Pop-Propaganda im selben Jahr erneut und rief Radio Farda ins Leben, um junge Hörer in der persischsprachigen Welt zu erreichen. Im Jahr 2004 hob das BBG mit vom Kongress genehmigten Mitteln einen Satelliten-Fernsehsender namens Al-Hurra aus der Taufe, der hauptsächlich Nachrichten, jedoch auch Diskussionssendungen und Unterhaltung bietet. Präsident George W. Bush forderte, Al-Hurra solle als Gegengewicht zu Al-Jazeera dienen.
Insbesondere in Zeiten akuter Krisen sind arabische und westliche Satelliten-Nachrichtenfernsehsender bereit, ihre Programme für staatliche PR zu öffnen, die sie offenbar als valide journalistische Quelle betrachten. Mohammed el-Nawawy und Leo A. Gher empfehlen hochrangigen Politikern, solche Möglichkeiten der öffentlichen Diplomatie zu nutzen, um in Fernsehprogrammen der anderen Konfliktpartei aufzutreten, und bezeichnen diese Kommunikationsstrategie als "Mediendiplomatie".
Dieses Phänomen wird durch beiderseitige Verständnisschwierigkeiten von Begriffen wie "öffentlich" und "öffentliche Meinung" verstärkt. Im Rahmen der Diskussion interkultureller Missverständnisse bei der Übersetzung solcher Wörter oder Wendungen argumentiert Mohamed Zayani, dass selbst das Wort "Zensur" im Arabischen andere Konnotationen hat als in westlichen Sprachen, da in der arabischen Gesellschaft "Zensur aus einem Gefühl entspringt, (...) Informationen seien gefährlich und müssten überwacht und kontrolliert werden".
Fazit und Ausblick
Anhand der in diesem Beitrag dargelegten redaktionellen und journalistischen Praktiken stellt sich grundsätzlich die Frage, ob Habermas' Öffentlichkeitsbegriff und der damit einhergehende, für alle offene, dialogische, kritisch-rationale Diskurs auf die Krisenkommunikation, einschließlich in die und aus der arabischen Welt, anwendbar ist. El-Nawawy und Gher vertreten die Auffassung, dass eine solche Übertragbarkeit gegeben sei.
Abschließend lässt sich feststellen, dass Heterogenität bislang offensichtlich das wichtigste Merkmal der globalen Medienlandschaft und damit auch der pan-arabischen Medien ist. Zayani sieht eine Verbindung zwischen Heterogenität und Transparenz und verweist auf die Notwendigkeit, ein "Transparenzmodell" für die Arbeitsweise arabischer Medien zu finden.