Einleitung
Der Wohlfahrtsstaatsdiskurs ist seit Jahrzehnten auch ein Krisendiskurs, der vor allem um Finanzierungsprobleme kreist: Der Sozialstaat sei die Ursache für Defizite der öffentlichen Haushalte, so lautet häufig die Gleichung, da es zu einer Ausweitung sowohl des Leistungsumfangs wie der Leistungstiefe gekommen sei; der Wohlfahrtsstaat sei zu generös, da er Leistungen ohne Gegenleistungen vergäbe und den Bürgerinnen und Bürgern dadurch Eigenverantwortung nähme, lautet ein anderes, sich daraus ableitendes Argument.
Sozialstaatliche Leistungen - so die Sozialstaatskritik - seien vielfach ineffizient und kontraproduktiv und müssten deshalb auf der Basis wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse korrigiert werden. Ziel der Kritik ist nicht zuletzt das in den Nachkriegsjahrzehnten entstandene Sozialmodell, in dem Sozialleistungen (bestehend aus Transferzahlungen und sozialen Dienstleistungen) für breite Bevölkerungsschichten zu einem festen Bestandteil staatlichen Handelns geworden und seither im Erwartungshorizont der Bürger fest verankert sind. Mit dem Ende der 1970er Jahre beginnt die Geschichte des permanenten Sozialstaatsabbaus (vor allem durch Kürzung von Transferleistungen), und trotzdem hält sich bis heute das Urteil vom ausufernden Wohlfahrtsstaat; die Debatte über das adäquate Sozialmodell für unsere Wirtschaftsordnung ist in vollem Gange. Wir wollen prüfen, welchen Einfluss der Sozialstaat auf die Krise der öffentlichen Kassen hat und ob die oft aufgemachte Gleichung ohne weiteres aufgeht.
Der "expansive" Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit
Die quantitative wie qualitative Expansion des Wohlfahrtsstaates wurde durch den Wirtschaftsaufschwung in den Nachkriegsjahren begünstigt. Bis Mitte der 1970er Jahre gab es in Europa jährliche Wachstumsraten von durchschnittlich 5-6 Prozent und eine Verdreifachung der Produktivität, des Konsums wie des Einkommens. Die europäische Arbeitslosenrate lag im Durchschnitt bei 1,5 Prozent. Aufgrund günstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen entwickelte sich ein staatlich organisierter Wohlfahrtskapitalismus, in dem Staat, Unternehmen und Gewerkschaften eng kooperierten. Alle Regierungen (auch konservative) implementierten in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik (oft entgegen ihren wirtschaftsliberalen Leitbildern) Instrumente der Globalsteuerung (etwa mittelfristige Finanzplanung, gesamtwirtschaftliche Nachfragesteuerung, zentralbankliche Geldwertsteuerung, Konzertierte Aktion, Koordinierung der öffentlichen Ausgaben). Globalsteuerung ist dem Anspruch nach eine Mischung aus Konjunktur-, Wachstums- und Strukturpolitik, eine gesamtwirtschaftliche Prozesssteuerung mit marktkonformen Mitteln, allerdings durch diesen Anspruch auch etwas utopisch anmutend.
Die Wohlfahrtsstaaten der Nachkriegsjahrzehnte waren durch hohes Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung sowie einen expandierenden öffentlichen Sektor gekennzeichnet. Finanziert wurde diese Expansion über steigende Steuereinnahmen. Wirtschaft, Gewerkschaften wie auch die staatlichen Akteure waren Ende der 1960er Jahre noch davon überzeugt (auch im Vertrauen auf die Kraft der makroökonomischen Steuerungsinstrumente), dass diese Entwicklung weiterginge, obwohl erste Wachstumsschwächen sich schon abzeichneten und die Sozialausgaben gestiegen waren (einige der wohlfahrtsstaatlich fortgeschrittensten Länder in Europa wandten Ende der 1960er Jahre mehr als 60 Prozent ihres Staatshaushalts für Sozialleistungen auf, und im öffentlichen Dienst wuchs die Anzahl der Beschäftigten
Diese Entwicklung wurde aber noch nicht als beunruhigend wahrgenommen. Noch hielt der Traum "immerwährender Prosperität" an. Bestärkt wurde die expansive wohlfahrtsstaatliche Politik durch optimistische Wirtschaftsprognosen. Die Vereinten Nationen waren noch am Vorabend der ersten Ölkrise der Meinung, dass es keinen Anlass gäbe, am Wirtschaftswachstum zu zweifeln. Die OECD ging in den frühen 1970er Jahren noch davon aus, dass das Wirtschaftwachstum in den nächsten Jahren noch "um über 5Prozent pro Jahr" steigen würde.
Angebotspolitik und Schlanker Staat
Das Ende des global gesteuerten Wohlfahrtsstaates wurde mit der Ölkrise der frühen 1970er Jahre eingeleitet. Beschleunigt wurde dieser Transformationsprozess durch den Zusammenbruch des internationalen Währungssystems: Die US-Regierung kündigte 1971 ihrer Goldeinlösegarantie nach dem Bretton-Woods-System, weil sie angesichts des großen Außenhandelsdefizits und der Kosten des Vietnam-Krieges international nicht mehr zahlungsfähig war und kontinuierlich ihre Geldmenge erhöhte. Das führte weltweit zum Zusammenbruch der Geldwertstabilität und zur Erhöhung der Inflation, so dass es keinen Spielraum für antizyklische (keynesianische) Interventionspolitik gab, als der Erdölmarkt zusammenbrach und die Rezession sich ausbreitete.
Die Wachstumseinbrüche waren (rückblickend betrachtet) Vorboten eines grundlegenden Wandels der politischen und ökonomischen Organisation der Weltwirtschaft. Den Zusammenbruch des Britischen Empire kurz zuvor musste man schon als Zeichen dafür werten, dass die politischen Grundlagen der Weltwirtschaft vor einer grundlegenden Neuordnung standen. Die nationalen Volkswirtschaften sind seitdem stärker als zuvor in einen größer werdenden Weltmarkt integriert, der Wettbewerb zwischen den einzelnen Staaten und ihren Volkswirtschaften hat zugenommen und einer Wachstumsphilosophie zum Durchbruch verholfen, die Wachstum auch um den Preis von weniger Arbeit anstrebt ("jobless growth"). Massenarbeitslosigkeit und soziale Verwerfungen waren und sind die Folge.
In der Wirtschafts- und Finanzpolitik haben seit Mitte der 1970er Jahre neoliberale Konzepte zur Wiederbelebung der Wirtschaft wie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Konjunktur,
Betrachten wir kurz einige Indikatoren, anhand derer sich die Auswirkungen der Angebotspolitik in der Bundesrepublik bewerten lassen: Die Staatsquote erreichte 1980 mit 47,9 Prozent einen damaligen Höchststand und wurde bis 1990 auf 43, 8 Prozent abgesenkt. Die Sozial(leistungs)quote kletterte von 1960 bis 1980 von 21,1 Prozent auf 30,6 Prozent und ereichte 1990 wieder einen Wert von 27,6 Prozent.
Daraus kann man folgern, dass die Angebotspolitik ihr Ziel der Haushaltskonsolidierung durch den Abbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen erreicht hat. Durch Wirtschaftswachstum Arbeit zu schaffen - das große Versprechen -, ist allerdings nicht erreicht worden, denn die Angebotspolitik der 1970er und 1980er Jahre hat überall in Europa zu Prekarisierungs- und Exklusionsprozessen
Der Sachverständigenrat hielt in den 1990er Jahre die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik - trotz hoher Arbeitslosigkeit, Kaufkraftrückgang weiter Bevölkerungskreise, wachsenden Armuts- und Exklusionsrisiken, dem Ausbleiben von betrieblichen Investitionen, Arbeitsplatzverlagerung in Niedriglohnländer - immer noch für den richtigen Weg. Ausbleibende Erfolge wurden in einer nicht konsequent genug durchgeführten Angebotspolitik gesehen, in einer fehlerhaften Praxis, oder auch im mangelnden Optimismus der Verbraucher, die zu viel sparten und damit keinen Beitrag zur Inlandsnachfrage leisteten und verhinderten, dass die Arbeitsplätze, auf die sie angewiesen sind, entstünden.
Das alte Sozialmodell der Nachkriegsjahrzehnte ist zu Beginn der 1990er Jahre nicht nur brüchig, sondern schon Geschichte, da sich das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft gewandelt hat und in allen Sozialbereichen der Rotstift regiert. Die Gesellschaft der Bundesrepublik befand sich (noch vor der Wiedervereinigung) auf dem Wege, sich zu einer gespaltenen Gesellschaft zu entwickeln. Diese Entwicklung war zu diesem Zeitpunkt schon in anderen europäischen Ländern deutlicher beobachtbar (etwa in Großbritannien). Die Bundesrepublik der Ära Helmut Kohl, in der sich die Angebotspolitik in kleinen Schritten durchsetzte, konnte sich noch der "Sozialstaatsillusion" hingeben, dem analytischen Blick zeigten sich aber schon deutlich die gesellschaftlichen Auflösungs- und Spaltungstendenzen.
Aktivierender und investiver Sozialstaat
Der Diskurs über die Zukunft des Sozialstaats und seine Funktion in einer globalen Wirtschaft, nahm in den 1990er Jahren eine neue Wendung, als die Sozialdemokratie in Europa angesichts der Auswirkungen der Angebotspolitik die Frage wiederentdeckte, wie sich angesichts einer durch den Staat (scheinbar) nicht mehr regulierbaren Wirtschaft das Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach sozialer Sicherheit (re)organisieren lässt. Seit Mitte der 1990er Jahre lassen sich in allen Ländern Entwicklungen beobachten, welche die "Modernisierung" des Wohlfahrtsstaates durch Umbau der Sicherungs- und Hilfssysteme zum Ziel haben. Das sozialdemokratische Modernisierungsprojekt, der so genannte "dritte Weg" (Anthony Giddens), stellt die Angebotspolitik nicht in Frage, setzt sie vielmehr fort (durch Deregulierung und weitere Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse), da sich der Staat nun als Wettbewerbstaat definiert, gleichzeitig aber den Wohlfahrtsstaat durch Abbau und Umbau seiner Leistungstiefe und seines Leistungsumfangs erhalten will. Diese Strategie wird seit einiger Zeit auch von der EU propagiert und als Flexicurity-Ansatz diskutiert.
Für die Bundesrepublik lassen sich die Konturen des neuen Leitbilds für den Umbau des Wohlfahrtsstaates zum "Wettbewerbsstaat" wie folgt umschrieben: Die Wettbewerbsphilosophie der Angebotspolitik wird über die Wirtschaft hinaus auch auf andere gesellschaftliche Bereiche ausgedehnt (z.B. die Öffentliche Verwaltung, das Bildungssystem wie den Gesundheits- und Sozialsektor), um deren Effizienz zu steigern und um in nichtökonomischen Bereichen ökonomisches Denken zu verwurzeln.
Der Um- und Rückbau des Sozialstaats findet dabei unter der Losung statt, dass in Zeiten der Globalisierung der Sozialstaat auch weiterhin zur Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts gebraucht werde; aus Wettbewerbsgründen mit anderen Wirtschaftsstandorten Leistungstiefe und Finanzierung aber neu organisiert werden müssten. Durch angebotsorientierte Politik soll die Wirtschaft für den globalisierten Wettbewerb gestärkt werden; durch präventive Sozial-, Familien- und Bildungspolitik sollen die Bürger befähigt werden, (wieder) aktiv am Marktgeschehen teilzunehmen bzw. so qualifiziert werden, dass ihre individuelle Beschäftigungs- und Wettbewerbsfähigkeit gesteigert wird. Sozialleistungen werden zu Investitionen in die Menschen, die bei Arbeitslosen primär den "re-entry" in den Arbeitsmarkt fördern (und weniger den Konsum) und Familien dabei unterstützen, eine qualifizierte, die Kompetenzen ihrer Kinder fördernde Ausbildung zu organisieren. Durch Aktivierungsstrategien sollen diejenigen, die nicht am Wirtschaftsleben teilnehmen, wieder dem Arbeitsmarkt zugeführt werden; Zielgruppen der Aktivierungspolitik sind vor allem Arbeitslose und Sozialhilfebezieher.
Die Sozialpolitik des Fordern und Fördern, wie sie die Agenda 2010 der rot-grünen Koalition formulierte, beinhaltet die Neubetonung und Ausweitung der Eigenverantwortung und Selbstaktivierung, was notfalls auch mit Zwang durchgesetzt wird. Die Politik des Fordern und Fördern impliziert ein neues Sozialmodell, das seine Wurzeln in den USA hat und über die Politik der Blair-Regierung den Weg nach Kontinentaleuropa fand. Diese neue Politik stellt einen Paradigmenwechsel in der Sozialhilfe und anderen staatlichen Sozialleistungsbereichen dar, denn der neue Wohlfahrtsstaat betrachtet seine Sozialleistungen als Bestandteil einer "welfare-to work"-Politik, deren vorrangiges Ziel es ist, Hilfeempfänger in Beschäftigung zu vermitteln.
Dieser Paradigmenwechsel wird auch als: Workfare statt Welfare beschrieben.
Diese neue Workfare-Politik hat mittlerweile in die Sozialgesetzgebung Eingang gefunden und für die mit der Umsetzung dieser Gesetze beauftragen sozialen Dienstleistungsberufe zu Veränderungen ihrer professionellen Handlungslogik beigetragen.
Der aktivierende Umgang mit dem Sozialstaatsklientel ist sozialtechnologisch ausgerichtet und wird durch Instrumente wie Profiling, Screening, Potentialanalyse, Assessment, Eingliederungsvereinbarungen, Case-Management u. ä. gesteuert. Steuerungsinstrumente und die Datenerhebung entscheiden letztlich darüber, in welche Fallkategorie Antragsteller einsortiert und mit welchen Aktivierungsmaßnahmen die zum Fall gewordene Person konfrontiert oder aus dem Leistungsbezug ausgesteuert wird. Angesichts eines strukturell bedingten Unterangebots an Arbeitsplätzen im ersten Arbeitsmarkt, ist Aktivierungspolitik vielfach nur Exklusionsmanagement für die "Überflüssigen" (Robert Castel). Der Zwangscharakter von Maßnahmen wird durch den Managementjargon und die Kundenmetapher übertüncht, was aber nicht darüber hinweg täuschen kann, dass die scheinbar kontraktuelle Interaktion zwischen Sozialleistungsträgern und Sozialstaatsklienten asymmetrisch ist, also nicht auf gleicher Augenhöhe erfolgt.
Bei einem Vergleich der Grundstruktur der Workfare-Politik in der Bundesrepublik mit der in andern europäischen Ländern stellt sich heraus, dass das Fordern deutlich stärker ausgeprägt ist als das Fördern.
In Deutschland ist der Arbeitsmarkt mittlerweile zwar äußerst flexibel und auch von den Arbeitssuchenden werden zunehmend flexible Anpassungsstrategien erwartet (unbegrenzte Mobilität, schnelle Anpassungsbereitschaft, ständige Verfügbarkeit u.ä), die Versicherungssysteme sind dagegen noch wenig auf die steigende atypischen Beschäftigungsverhältnisse (wie Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, befristete Beschäftigung, Leiharbeit, abhängige Selbständigkeit, Soloselbständigkeit, Tele-Heimarbeit u. ä.) eingestellt. Mittlerweile ist ein Drittel aller Beschäftigten schon atypisch beschäftigt.
Betrachtet man die Entwicklung der Staatsquote, dann liegt Deutschland mit gegenwärtig 45,4 Prozent (2006) unter dem EU-Durchschnitt (Euro-Zone 47,3 Prozent) und damit nur knapp vor dem wirtschaftliberalen Großbritannien (44,1 Prozent). Die Sozialquote hat sich zwar (bedingt durch die deutsche Vereinigung) von 1990 bis 2006 von 28 Prozent auf 31 Prozent erhöht,
Fazit
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse wurden durch die Angebotspolitik der 1980er Jahre geschaffen und werden durch die jüngere Aktivierungspolitik (Workfare-Politik benötigt einen aufnahmefähigen Niedriglohnsektor) weiter befördert. Die Spaltung der Gesellschaft in Insider und Outsider (so der EU-Jargon) ist dadurch weiter fortgeschritten: Im Jahr 2007 bezogen ca. 1,3 Millionen Personen zusätzlich zu ihren Einkommen (zum großen Teile auch aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung) Leistungen aus der Grundsicherung (SGB II);
Die Flexicurity-Strategie der EU ist wenig überzeugend, da die weiterhin betriebene Angebotspolitik diese Spaltung immer wieder reproduziert und die Klasse der working poor sich dadurch verfestigt. Das Entstehen von Prekarität wird offenbar in Kauf genommen. Aber vor allem glaubt man, diese Entwicklung durch Aktivierungsstrategien sozial-technologisch beherrschen zu können: Outsider sollen durch Maßnahmen des Exklusionsmanagements kontrolliert und begrenzt mit Arbeitsgelegenheiten versorgt werden; die Schaffung von einkommensstabilen Beschäftigungsverhältnissen ist dabei zweitrangig. Durch die aktivierende Fürsorge- und Arbeitsmarktpolitik bekommt die Gesellschaft zunehmend autoritative Züge und manche sprechen sogar von der Wiederkehr des Leviathan, eines autoritären Staates, im 21. Jahrhundert.
Spricht man über die Krise der öffentlichen Kassen allein im Zusammenhang mit Sozialleistungen, dann werden dadurch simplifizierende Zusammenhänge konstruiert. Der Sozialstaat war in den zurück liegenden Jahrzehnten eine permanente Baustelle und hat sich durch Leistungskürzungen wie Erhöhung des Finanzierungsanteils privater Haushalte an den Sozialleistungen stark zurück entwickelt. Die weiterhin bestehende Krise der öffentlichen Kassen ist Folge der durch den Sozialstaatsabbau verursachten Prekarisierungs- und Exklusionstendenzen. Mit der seit den 1970er Jahren betriebenen Angebotspolitik, die ihren Schwerpunkt auf die Förderung von Unternehmen verlegt hat, gehen soziale Folgeprobleme (Arbeitslosigkeit, atypische Beschäftigung, Armut, Exklusion) einher, da sich ihre Versprechungen (Beschäftigungszuwachs) nicht eingestellt haben.
Die Höhe der Staatsquote nur mit Verweis auf die Sozialleistungen, den überbordenden Wohlfahrtsstaat und das Anspruchsdenken der Bürgerinnen und Bürger zu kritisieren, greift zu kurz. Die Wirtschaftspolitik selbst führt zu sozialen Verwerfungen, und diese wiederum zu wachsenden Staatsausgaben. Diese entstehen aber nicht nur, weil die Armutsentwicklung eine soziale Umverteilungspolitik (die auch ordnungspolitische Funktion hat) zur Folge hat (hier wurde gestrichen und konsolidiert), sondern auch weil sich die öffentlichen Ausgaben zur Überwachung und Kontrolle vermeintlich gefährlicher Gruppen in der Gesellschaft erhöhen. Durch die Wirtschaftsentwicklung und die Wirtschaftspolitik wurde der vormals Gefährdete zum Gefährlichen und so zum Objekt von Überwachung erklärt. Das wiederum begünstigt das Entstehen einer Präventionspolitik, die nicht nur Lebensbereiche, sondern zunehmend auch Lebensstile zum Risiko erklärt und mittels ausgedehnter Informations-, Monitoring- und Überwachungssysteme kontrolliert.
Die von Ökonomen vertretene These, eine hohe Staatsquote sei vor allem Folge der Sozialleistungen, stellt nur die halbe Wahrheit dar. Die Staatsquote ist nicht nur abhängig von Sozialtransfers und der "Kostenkrankheit" (William J. Baumol) sozialer Dienstleistungen. Öffentliche Dienstleistungen jeglicher Art wirken sich auf die Staatsausgaben aus, und diese sind insbesondere im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (beispielsweise für Polizei, Rechtspflege, Strafvollzug) stark gestiegen.