Einleitung
In einer seiner unzähligen Satiren macht sich der aus Ungarn stammende israelische Humorist Ephraim Kishon über die Beziehung zwischen Juden in der Bundesrepublik und dem Staat Israel lustig. Obgleich Kishon es vermeidet, den Schauplatz zu benennen, entgeht dem aufmerksamen Leser nicht, dass seine Erzählung in einer jüdischen Gemeinde Westdeutschlands in der Zeit nach dem Sechstagekrieg (1967) spielt. Vor diesem Hintergrund wird die exemplarische Figur des Herrn Holzer eingeführt, ein Mitglied der Gemeinde, der als Gastgeber eines israelischen Autors in Erscheinung tritt. Herr Holzer ist mit dieser Aufgabe eindeutig überfordert, so dass ihm keine Zeit für diplomatische Feinheiten bleibt, die von der wichtigsten Botschaft, die er seinem Gast vermitteln möchte, ablenken würden - nämlich, dass Juden in Westdeutschland emotional, finanziell und auch sonst Israel verbunden bleiben. Er redet pausenlos auf seinen zweifellos ebenso überforderten Besucher ein: "Wir haben gehört, daß Sie ein Schriftsteller aus Israel sind, seien Sie willkommen, haben Sie schon zu Abend gegessen, ich kenne ein griechisches Restaurant, ich habe ein Kleidergeschäft, ich kam nach dem Krieg aus Polen hierher, der Spediteur Michael Holzer in Haifa ist mein Schwager, ich war schon dreizehnmal in Israel, wunderbar, räumen Sie nicht den Golan, alle Antisemiten sollen sich aufhängen, wir spenden jedes Jahr, diesen Blumenstrauß schickt unser Rabbiner."
Diese Zeilen charakterisieren die Gefühle westdeutscher Juden gegenüber Israel in den ersten Jahrzehnten nach dem Holocaust. Sie enthüllen sowohl das schlechte Gewissen, das viele Juden in der Bundesrepublik quälte, als auch die Mittel, mit der viele dieser Juden ihre Schuldgefühle abzuschwächen suchten. Sicherlich lag die Bindung an Israel zu einem erheblichen Teil in anderen Faktoren wie religiösen Traditionen, dem Siegeszug des Zionismus in der Nachkriegszeit und persönlichen Verbindungen begründet. Dennoch waren die überall vorhandenen Schuldgefühle gegenüber Israel stark genug, die Art der Beziehung westdeutscher Juden zum israelischen Staat zu beeinflussen. Um welche Empfindungen handelt es sich?
Auch eine Frage der Schuld
Schuldgefühle (oder ein schlechtes Gewissen) bedürfen keines unmittelbaren Publikums, um zu entstehen oder zu schwären. Sie sind nicht abhängig davon, dass man gesehen, entdeckt oder mitten in einer fragwürdigen Situation ertappt worden ist. Sie können daher in einer von anderen menschlichen Wesen freien Umgebung existieren, und sie können von einem Ort an einen anderen transportiert werden. Jemand, der sich schuldig fühlt, glaubt, etwas Falsches getan zu haben. Jemand, der sich für etwas schämt, glaubt nicht nur, etwas Falsches getan zu haben; er oder sie ist sogar überzeugt, ein schlechter Mensch zu sein. Während Scham die ganze Person betrifft, bezieht sich Schuld auf das Handeln eines Einzelnen.
Dass sie nach dem Holocaust noch in Deutschland lebten, betrachteten viele Juden selbst als inakzeptables Verhalten. Sie brauchten niemanden, der sie an diese "Tatsache" erinnert hätte, so sehr hatten sie diese weltweit unter Juden verbreitete Sichtweise verinnerlicht. Dementsprechend bedurfte ihr "Vergehen" keines unmittelbaren, zensierenden Publikums, das ihr Verhalten als illegitim ausgelegt hätte. Trotzdem erkannten die meisten Juden in Westdeutschland, dass ihr "Fehler" korrigiert wäre, wenn sie sich entschlössen, das Land endgültig zu verlassen. Wäre eine Wiedergutmachung durch Auswanderung erst erreicht, würden auch die Schuldgefühle verschwinden.
Obwohl sich die meisten Juden in der Bundesrepublik bewusst waren, dass ihre Entscheidung, zu bleiben, zumindest fragwürdig war, wurden sie dennoch wiederholt an ihren "Affront" erinnert. Hannah Arendts Bemerkung gegenüber Gertrud Jaspers, der jüdischen Ehefrau des berühmten Heidelberger Philosophen, war ein vergleichsweise harmloses Beispiel für diese Haltung, aber die Zielrichtung war unmissverständlich: "Wie man es aber aushält, dort als Jude zu leben in einer Umwelt, die über unser' Problem, und das sind ja heute unsere Toten, nicht einmal zu sprechen geruht, weiß ich auch nicht."
Jüdische Schuldgefühle in Deutschland - anfangs verursacht durch die ganz persönliche Entscheidung, zu bleiben - wurden durch die vielen Mahnungen, das "gottverdammte" Land zu verlassen, verstärkt. Juden, die es vorerst ablehnten, Deutschland zu verlassen, versuchten durch eine nahezu bedingungslose Identifizierung mit Israel den von ihnen verursachten "Schaden" auszugleichen. Mit anderen Worten: Sie verpflichteten sich, Schadensersatz zu leisten - nicht, indem sie ihren "unreinen" Wohnort verließen, sondern vielmehr, indem sie sich finanziell und ideologisch einem Land verpflichteten, das zur "jüdischen Heimat" geworden war. In einigen Extremfällen, etwa während des Sechstagekriegs und danach, gingen jüdische Funktionäre sogar so weit, andere Juden wegen angeblich mangelnder Loyalität dem jüdischen Staat gegenüber anzuprangern. Diese Offiziellen versuchten, eine Schamgemeinschaft zu erschaffen, wo vorher eine Schuldgemeinschaft bestanden hatte. Falls sie damit erfolgreich waren - was schwer festzustellen ist -, so waren sie es nur für kurze Zeit. Bald darauf begann eine jüngere Generation westdeutscher Juden, die in ihren Augen übermäßige Fixierung auf Israel in Frage zu stellen, wodurch ein Prozess ausgelöst wurde, der in einer kritischeren Haltung in den 1980er Jahren seinen Höhepunkt finden sollte.
Israel als Heimat, Juden als Vermittler
In der Nachkriegszeit wurde Palästina/Israel zur tatsächlichen oder ideologischen Heimat für viele Tausend Juden aus dem kriegsgeplagten Europa. Mit der Unabhängigkeit des Staates Israel im Mai 1948 mussten sich die meisten Juden in Deutschland mit immer größerer Dringlichkeit fragen, welche Gründe es noch gab, das offenbar Unvermeidliche hinauszuschieben: die Emigration ins Heilige Land. Einige Juden argumentierten, ihr gesundheitlicher Zustand ließe ein solch anstrengendes Unterfangen nicht zu. Andere waren schlicht zu alt, einen Neuanfang an einem fernen und weitgehend unwirtlichen Ort zu wagen. Wieder andere hatten den Holocaust aufgrund ihrer nichtjüdischen Ehepartner überlebt oder verliebten sich nach dem Krieg in nichtjüdische Deutsche. So unterschiedlich die Motive, die sie zur Verteidigung ihrer Entscheidung anführen konnten, auch waren: Die meisten Juden einte die Überzeugung, dass Deutschland weder eine emotionale Heimat noch ein Gefühl der Sicherheit bieten könne - jedenfalls nicht in naher Zukunft. Es lag nahe, Israel als primäre Identitätsquelle, oder, wie es Dan Diner formuliert, als "Identitätsersatz" zu betrachten.
Wie überzeugt die Juden in Westdeutschland diese Sichtweise auch vertraten, sie konnten kaum Mitgefühl von ihren Glaubensbrüdern anderswo erwarten. Insbesondere nach 1948 deuteten viele Israelis an, dass Juden, die im "Land der Mörder" geblieben waren, dies aus zweifelhaften Gründen getan hätten. Der israelische Konsul in München beispielsweise war überzeugt davon, dass jene Juden "ein von einer idealistischen Haltung weit entferntes Element" seien. In einem Schreiben an das israelische Außenministerium mutmaßte Eliahu Livneh im November 1949, dass jüdische Interessen in Deutschland sich auf "Geld und Profit" richteten und dass die "einzige Grundlage" der Existenz von Juden im Land "Kaltschnäuzigkeit und Kontoguthaben" seien.
Der Präsident der Jewish Agency in München brachte im August 1950 ähnliche Überlegungen vor. An Livneh gerichtet fasste er seine Gefühle folgendermaßen zusammen: "Der Verfall, der sich bei den Juden Deutschlands, vor allem unter den Geschäftsleuten, breitgemacht hat, macht es notwendig, eine Trennung zwischen der zionistischen Bewegung und ihren Institutionen einerseits und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland andererseits durchzuführen, da wir uns außerstande sehen, das Fortbestehen eines ehrbaren jüdischen Lebens in Deutschland zu sichern."
Angesichts dieses Ressentiments konnten zahlreiche Juden nicht einfach darauf beharren, dass Israel ihre wahre Heimat sei - sie mussten es beweisen. In unzähligen Sendschreiben, Bekanntmachungen und Vorträgen führten jüdische Vertreter die Bedeutung Israels für die Juden in Deutschland aus. Um nur ein Beispiel zu nennen: Karl Marx, Gründer und von 1946 bis 1966 Herausgeber der "Allgemeinen Wochenzeitung der Juden", war daran interessiert, dass er und andere als unerschütterliche Anhänger der zionistischen Sache anerkannt wurden. In einer seiner vielen Darstellungen des Sachverhalts schrieb Marx im Oktober 1951, dass die Juden in Deutschland sich dem "israelischen Volk und der israelischen Regierung" tief verbunden fühlten und als "national gesinnte" Juden und Teil des "nationalen Judentums" wahrgenommen werden wollten.
Ungeachtet dieser Beteuerungen blieben Zehntausende Juden in Deutschland - eine Tatsache, die nicht recht mit dem zionistischen Verständnis von Heimat in Einklang zu bringen war. Folglich sahen sich die Juden in Deutschland gezwungen, über bloße Loyalitätsbekundungen hinauszugehen; wollten sie in Israel und der jüdischen Welt akzeptiert werden, mussten sie ihre Unterstützung auf greifbarere Weise zeigen. Ein Weg, sowohl die eigenen Schuldgefühle zu lindern als auch die schärfsten Kritiker im Ausland zu beschwichtigen, war die Behauptung, Juden würden in der Bundesrepublik als Vermittler zwischen Deutschen und Israelis gebraucht. Diese Vorstellung war zwar eine sehr idealistische und theoretische Annäherung an das Problem, aber sie klang überzeugend genug in den Ohren jener, die sie in den ersten Jahrzehnten nach dem Holocaust aufgebracht hatten.
Marx gehörte zu den lautstärksten Verfechtern dieser Haltung. Im Oktober 1951 vertrat er die Ansicht, die Juden in Deutschland sollten eine Rolle als Vorposten oder "Mittler (...) zwischen den Deutschen (...) und den Juden in aller Welt, vor allem aber in Israel"
Karl Marx besaß nicht nur die bedeutendste jüdische Zeitung im Lande, er leitete außerdem die Zionistische Organisation in Deutschland (ZOD). Auch in dieser Eigenschaft war Marx fest davon überzeugt, dass die westdeutschen Juden in der jüdischen Welt als gleichberechtigt, nicht als ausgestoßen behandelt werden sollten. Im Jahr 1957 sandte er ein streitbares Schreiben an Organisationen und Einrichtungen jüdischer Gemeinden in der Bundesrepublik, in dem er erklärte, "die gesamte jüdische Gemeinschaft in Deutschland" habe "mit nur wenigen Ausnahmen" ihre Loyalität gegenüber Israel demonstriert und sei weiterhin bereit, "für Israel alles zu tun".
Diese Anstrengungen verfingen jedoch in internationalen zionistischen Kreisen nicht. Die Zionistische Weltorganisation (WZO) hatte den Antrag der ZOD auf Mitgliedschaft abgelehnt und damit signalisiert, dass der deutsche Zionismus nicht ernst genommen wurde. Nach unzähligen aussichtslosen Loyalitätsbekenntnissen erklärte Marx, fortan sämtliche Veröffentlichungen zionistischer Organisationen in der "Allgemeinen Wochenzeitung" ablehnen zu müssen, darunter auch Anzeigen und Gesuche vom Keren Kayemeth L'Israel (Israelischer Nationalfonds/Jewish National Fund), vom Keren Hayessod (Israelischer Gründungsfonds bzw. Vereinigte Israel Aktion/United Israel Appeal) und vom Youth Aliyah.
Es mag sich hier um voreilige Reaktionen auf die israelische Gleichgültigkeit und Feindseligkeit gehandelt haben, doch machen sie deutlich, wie vielen Schwierigkeiten sich selbst lautstarke Befürworter des westdeutschen Zionismus durch die Zurückweisungen ausgesetzt sahen - umso mehr, wenn diese Brüskierungen mit den außerordentlichen Bemühungen seitens der westdeutschen Juden um die Unterstützung des Staates Israel zusammenfielen. Dieser eher unangenehmen Erfahrungen hätte es gar nicht bedurft, um Marx und andere für weitere pro-israelische Aktivitäten zu gewinnen, diesmal auf finanzieller Seite. Auch die jüdische Gemeinschaft in Westdeutschland erntete die Früchte des "Wirtschaftswunders" und betrachtete es als Selbstverständlichkeit, einige der Gewinne an seine weniger begünstigten Glaubensbrüder im Heiligen Land weiterzureichen. Gleichwohl könnte man mutmaßen, dass die finanzielle Hilfeleistung vieler Juden in den 1960er und 1970er Jahren auch das Bedürfnis nach Beruhigung der Gewissensbisse und Schuldgefühle reflektierte, die fortwährend durch Vorwürfe aus Israel und von anderer Stelle her gespeist wurden.
Gefolgschaftsrituale
Auf die verbesserte wirtschaftliche Lage der jüdischen Gemeinden Westdeutschlands in den 1960er Jahren folgte mit großer Selbstverständlichkeit die finanzielle Unterstützung Israels. Selbst ohne äußeren Druck halfen westdeutsche Juden dem jungen Staat, nicht zuletzt deshalb, weil Israel zu diesem Zeitpunkt unter schweren ökonomischen Problemen litt: Zum ersten Mal seit 1948 überstieg die Zahl der israelischen Emigranten die der jüdischen Einwanderer. In dieser Lage fühlten sich Juden in aller Welt verpflichtet, Israel Hilfe zu leisten.
Zur selben Zeit verließen sich zionistische Organisationen nicht länger auf das Wohlwollen potentieller Spender. Statt dessen wiesen sie Spendensammler an, Gelder von Gemeinden und einzelnen Gemeindemitgliedern einzutreiben. Diese Agenten waren nicht im Geringsten abgeneigt, die bei den Kampagnen gesammelten Gesamtbeträge zu vergleichen, diejenigen zu loben, die mehr als die "Pflichtsumme" gespendet hatten und jene, deren Beiträge hinter den Erwartungen zurückblieben, anzuprangern.
Der Zentralrat erstellte Ranglisten, um nachzuweisen, wie viele seiner Mitglieder zur zionistischen Sache beigetragen hatten. Im August 1967, etwa zwei Monate nach dem Sechstagekrieg, unterrichtete Generalsekretär Hendrik van Dam seinen damaligen Assistenten Werner Nachmann davon, dass die westdeutschen Juden die Liste in Bezug auf die Gesamtspendensumme pro Gemeindemitglied anführten. Seinen Berechnungen (die kaum überprüfbar sind) zufolge trugen die Juden in der Bundesrepublik pro Kopf 250 US-Dollar bei, in den Vereinigten Staaten im Vergleich dazu nur 30 US-Dollar. Van Dam versäumte es nicht, hinzuzufügen, dass die britischen Juden trotz des "großen englischen Reichtums" die US-Zahlen nur annähernd erreichten.
Mit derartigen Ranglisten sollte stets gezeigt werden, dass bestimmte Ansprüche erfüllt worden sind. In diesem Fall handelte es sich bei den Adressaten nicht nur um die jüdische Öffentlichkeit im Ausland oder zionistische Repräsentanten in Berlin, München oder Frankfurt; der Adressat war auch das eigene Gewissen. Tatsächlich reichte dies einigen Gemeindevertretern nicht: Um ihre Schuldgefühle zu beruhigen, waren sie bereit, diejenigen Gemeindemitglieder einzuschüchtern und sogar zu brandmarken, deren Verhalten den Ruf der westdeutschen jüdischen Gemeinschaft und folglich den seiner Eliten zu gefährden schien.
Dieser Druck wurde auf zwei Arten ausgeübt. In der ersten Phase appellierten die Funktionäre und zionistischen Aktivisten entweder an das "jüdische Gewissen", oder aber sie konzentrierten sich auf einzelne Gemeindemitglieder, die sie ermahnten, ihren Beitrag für die Sache zu leisten - und das bedeutete meist, eine in den Augen der Spendensammler angemessene Summe beizusteuern. Diese Versuche waren in der Regel auf allgemeine Appelle oder Einzelgespräche beschränkt, sodass der Prozess der Spendenwerbung und -zusage anonym blieb. Die zweite Phase folgte der ersten immer dann, wenn Gemeindemitglieder sich dem Druck nicht beugen wollten. In solchen Fällen informierten die Offiziellen die jüdische Öffentlichkeit über das inakzeptable Verhalten und riefen die anderen Gemeindemitglieder auf, den/die Zuwiderhandelnden zu ächten.
In Dortmund bat das Organisationskomitee der Aktion "Hilfe für Israel" alle Gemeindemitglieder, sich zu fragen, ob sie sich durch Spendenversprechen an der Aktion beteiligt hätten, und falls ja, ob ihre Spende in Anbetracht der Notlage des israelischen Volkes sowie der eigenen finanziellen Möglichkeiten tatsächlich angemessen sei. Da das Komitee weder in der Lage war, die "wirklichen Möglichkeiten eines jeden Einzelnen" einzuschätzen, noch willens, Sanktionen zu ergreifen, falls "auch dieser letzte Appell unerhört verhallen" sollte, wurde der Vorschlag gemacht, dass alle Mitglieder sich auf gewissenhafte Weise selbst mit der Frage auseinandersetzen sollten.
In einem Brief an Gemeindemitglieder, deren finanzielle Entscheidung angeblich zu wünschen übrig gelassen hatte - jedenfalls in den Augen der zionistischen Aktivisten -, können wir einen ähnlichen Ansatz erkennen, nämlich individuelle Einschüchterungen anstelle von kollektiven Verurteilungen. Henry O. vom Keren Hayessod schrieb: "Sie haben seinerzeit eine Spende von 2.500,- DM [der Betrag ist variabel, A.K.] geleistet, die in keiner Weise Ihren wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht und weit unter dem liegt, was Personen gezahlt haben, die in weit schlechteren Verhältnissen leben. Der Betrag von 2.500,- DM wird als absolut ungenügend und unangemessen vom Präsidium betrachtet. Deshalb bin ich beauftragt, Ihnen gemäß Anlage den Betrag zurück zu überweisen."
Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichten, gingen Gemeindeoffizielle dazu über, den "Missetätern" Daumenschrauben anzulegen, in der Hoffnung, dass mit Schamgefühlen mehr zu erreichen sei als mit Schuldgefühlen. Am 19. Juni 1967 verlangte der Solidaritätsfonds für Israel in einer Erklärung, dass es Repräsentanten jüdischer Gemeinden und Institutionen in Westdeutschland, deren Engagement unzureichend gewesen war, verboten werden sollte, "ein Ehrenamt innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu bekleiden".
Die kollektiven Schuldzuweisungen erreichten ihren Höhepunkt im Frühjahr und Herbst des Jahres 1969, als die jüdischen Gemeinden in München und Frankfurt in Absprache mit dem Keren Hayessod die folgende Resolution verabschiedeten: "Alle Solidaritätsfondszahler sollen 1. keiner gesellschaftlichen Einladung derjenigen Personen Folge leisten, die sich nicht an der Solidaritätsaktion 1968 beteiligt haben und somit das jüdische Volk und den Staat Israel in schwerer Stunde im Stich gelassen haben, 2. keine Einladungen an sie ergehen lassen, 3. keinerlei Einladungen annehmen, zu denen diese Personen geladen sind. 4. Dieser Beschluß soll sich auch auf Festlichkeiten (...), die in Israel und im Ausland stattfinden, erstrecken."
Wandel und neue Orientierungen
Selbst wenn jüdische Schuldgefühle bezüglich Israel bis heute fortbestehen, brachte die Entwicklung seit den 1970er Jahren eine differenziertere Einstellung mit sich. Zum einen hatte die Studentenbewegung junge Juden wie Micha Brumlik und Dan Diner veranlasst, den sakrosankten Status Israels im westdeutschen jüdischen Leben kritisch zu sehen. Sie bedienten sich nicht nur linksgerichteter, antiimperialistischer Rhetorik, sondern sie begannen auch, ihre eigene jüdische Sozialisation in der Bundesrepublik in Frage zu stellen. Indem sie eine universalistische Ideologie mit einer spezifischen Kritik an Gemeindeinstitutionen verbanden, fingen sie an, Grundsätze des zionistischen Unterfangens zu überdenken.
Zum anderen wurden Gemeindevertreter gezwungen, einzugestehen, dass das unaufhörliche Gerede über "ungepackte Koffer" nicht länger auf das westdeutsche jüdische Leben zutraf. Vielmehr hatte diese Art der Diskussion von vornherein ein gedeihliches Gemeinschaftsleben behindert, indem sich die Debatte um den vorübergehenden Charakter jüdischen Daseins in der Bundesrepublik gedreht und dabei das Hauptaugenmerk auf den unmittelbar bevorstehenden Exodus nach Israel gerichtet hatte. Wenn auch nicht in gleichem Maße, versuchten sowohl junge Rebellen wie auch alte Funktionäre das Gleichgewicht wiederherzustellen, indem sie auf eine stärkere Betonung religiöser und kultureller Erziehung drängten, damit sich die jüdische Gemeinschaft nicht in Folge von Gleichgültigkeit, Mischehen und Auswanderung auflöse.
Dieser Kurswechsel brachte kein Ende der Schuldgefühle mit sich - schließlich gehört die deutsche jüdische Gemeinschaft bis heute weltweit zu den überzeugtesten Unterstützern Israels. Er bedeutete jedoch, dass Figuren wie Herr Holzer, dem wir in Ephraim Kishons Kurzgeschichte begegneten, langsam aber sicher verschwanden.
Übersetzung aus dem Englischen: Jaiken Struck und Kate Vanovitch, South Petherton, England/UK.