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Israels Medien in Zeiten der Not | 60 Jahre Israel | bpb.de

60 Jahre Israel Editorial Ich bin Israeli - Essay Die Zukünfte der israelischen Gesellschaft Asymmetrie, Verwundbarkeit und die Suche nach Sicherheit Sünde und Strafe: Israel und die Siedler Israels Medien in Zeiten der Not Die westdeutschen Juden und der Staat Israel

Israels Medien in Zeiten der Not

David Witzthum

/ 16 Minuten zu lesen

Israels Medien sind an einen Scheideweg gelangt, sowohl, was ihr Verhältnis zum Staat und zur Regierung betrifft, als auch in Bezug auf die eigene Identität.

Einleitung

Als die israelische Regierung einräumte, im Zweiten Libanonkrieg gegen die Hisbollah im Sommer 2006 gescheitert zu sein, mussten der Verteidigungsminister, der Generalstabschef, hohe Generäle und Offiziere zurücktreten. Ein Ermittlungsausschuss kam zu verheerenden Schlussfolgerungen. Ministerpräsident Ehud Olmert versprach, seine Lehren zu ziehen, indes forderte Außenministerin Zipi Livni und die Mehrheit der Kommentatoren in Presse und elektronischen Medien seinen Rücktritt. Hunderttausende, unter ihnen auch Reserveoffiziere, demonstrierten gegen die Regierung. Der Schriftsteller David Grossman, der seinen Sohn in diesem Krieg verloren hatte, bezeichnete Olmerts Führungsstil als "hohl" und weigerte sich, ihm die Hand zu reichen. Die öffentliche Unterstützung für Olmert sank auf weniger als fünf Prozent - ein Negativrekord in der Geschichte des Staates Israel.



Dagegen erlebten Israels Medien während und nach dem Krieg einen Höhepunkt. Sie waren unmittelbar zur Stelle, öffneten ihre Studios und schickten Korrespondenten innerhalb von Minuten nach Ausbruch der Kämpfe an die Nordgrenze. Ihre Sender waren die eigentliche Bühne und brachten im Verlauf des Kriegs kontinuierliche Berichterstattungen von allen Orten. Die Reportagen erwiesen sich als effektiv, glaubwürdig und sachverständig. In der anfänglichen Kampfphase waren sie "patriotisch", sie wurden kritisch, als Zweifel in Bezug auf Israels Fähigkeit aufkamen, die Hisbollah zu schlagen und die Bewohner des Nordens vor den Katjuscha-Raketen zu schützen. Die Medien haben ihre Machtposition in den Jahren der Anschläge gefestigt; die Wurzeln ihres Einflusses gehen bis auf den Anfang des jüdischen Siedlungswerks zurück.

Medien in Israel

Die jüdische, vorstaatliche Medienwelt war schon etwa hundert Jahre vor Gründung des Staates Israel - in Polen, Deutschland, den USA und anderen Ländern wie auch in Palästina (Eretz Israel) - aktiv gewesen, ob auf Hebräisch oder in anderen Sprachen. 60 Jahre nach der Staatsgründung sind Israels Medien an einem Scheideweg angelangt, sowohl, was ihr Verhältnis zum Staat und zur Regierung betrifft, die sich in einer Krise befindet und unpopulär ist, als auch in Bezug auf die eigene Identität in Zeiten des Internets und der Mobiltelefone.

In den israelischen Medien konkurrieren zwei Tendenzen miteinander: zum einen der Anspruch, den Staat zu repräsentieren und ihn gegen private, partikuläre Sektoren, externe Kritik und Anfeindung zu verteidigen. Dieser Anspruch beeinflusst die Berichterstattung und unterscheidet sie von dem Bild, das sich etwa in Europa durch internationale Sender und Auslandskorrespondenten ergibt, die mit einer beispiellosen und rational kaum erklärbaren Intensität aus Israel berichten. Zum anderen hat sich das Schwergewicht der israelischen Medien auf den kommerziellen, zentralisierten und hegemonialen Privatsektor verlagert. Die letzten in öffentlicher Hand verbliebenen Medien - die staatlichen Sendeanstalten, der Armeesender Galei Zahal und die Bildungsprogramme - kämpfen ums Überleben und sind ähnlich wie europäische öffentliche Sendeanstalten gezwungen, sich durch Werbung, Sponsoren und Unterhaltungsinhalte einen kommerziellen Touch zu geben.

Es lassen sich vier Phasen der Entwicklung der israelischen Medienlandschaft unterscheiden. Eine erste Phase, in der die Presse das ideologische, parteipolitische Sprachrohr verschiedener kultureller, ideologischer und sozialer Gruppen im Jeschuw war, dauerte bis in die 1960er Jahre. Vor der Gründung des Staates war die hebräische Presse Teil einer europäischen politischen Kultur. Sie sah in Europa ihren kulturellen, sprachlichen Anker, ja eine Heimat. Die große Katastrophe, die Shoa der europäischen Juden, wurde von der Presse als unfassbarer Verrat angesehen, den die Kulturnation Deutschland an seinen Juden beging. Einige Jahre später schrie die Presse in Israel erneut auf, als Europa die arabischen Länder politisch unterstützte und sich israelfeindlich zeigte.

In einer zweiten Phase entstand ein staatlicher Einheitskurs. Seit der Staatsgründung ließen David Ben-Gurion und seine Leute den Begriff der "Eigenstaatlichkeit" in Israels Ideologie einfließen, um der Aufsplitterung des Landes entgegenzuwirken, bei der Integration der Einwanderungswelle der 1950er Jahre durch Schaffung eines gesellschaftlichen Schmelztiegels zu helfen und eine eigene israelische Kultur zu schaffen. Dabei wurde selbst die Shoah vereinnahmt. Dies betraf insbesondere den Eichmann-Prozess 1962, der vom staatlichen Radio direkt übertragen und zum zentralen Thema im israelischen Mediendiskurs wurde. Das Konzept der "Eigenstaatlichkeit" führte in den 1960er Jahren zur Gründung und Blütezeit der staatlichen Sendeanstalten, des Armeesenders, der Armeepresse und der staatlichen Bildungsprogramme, insbesondere vor dem Hintergrund einer immer stärkeren Abneigung, die junge Israelis, angeführt von Intellektuellen, Schriftstellern und Kulturschaffenden, gegenüber dem parteipolitischen Establishment hegten. Die Generation von Levi Eshkol, Zerach Wahrhaftig und Israel Galili, die als graue Politaktivisten galten, schien mit Blick auf die neuen Helden Mosche Dayan oder Yitzhak Rabin zu verschwinden, welche insbesondere mithilfe von Radio und staatlichem Fernsehen die Szene eroberten. Das Fernsehen setzte dem die Krone auf, als es den Sendebetrieb symbolträchtig mit der Übertragung der Militärparade im Mai 1968 in Jerusalem aufnahm. Die Siegesparade, ein Jahr nach dem Sechstagekrieg, kündete vom Weg, den die neuen staatlichen Medien einschlagen sollten.

Die große Krise nach dem Yom-Kippur-Krieg förderte in einer dritten Phase Risse im staatlichen Einheitsdiskurs zutage. Der Umschwung setzte der Mapai-Regierung ein Ende und führte im Sommer 1977 zum Machtantritt der Rechtsregierung von Menachem Begin. Plötzlich standen andere Themen auf der öffentlichen Agenda. Erstmals zeigten die Medien eine gespaltene Gesellschaft: In der Außen- und Sicherheitspolitik, in den Beziehungen zu den arabischen Staaten und zu den Palästinensern, im ideologischen Kampf um Eretz Israel gingen die Meinungen auseinander. Plötzlich wurden die besetzten Gebiete zu einem Problem, in dessen Mittelpunkt die Siedlungen standen. Die Spannungen zwischen Säkularen und Religiösen, zwischen "Israeli-" und "Judentum" nahmen zu und waren mit Fragen des nationalen Erinnerns in all seinen Komponenten und insbesondere mit dem Thema Shoah und der Einstellung zu Deutschland verknüpft. Die Medien, die mehrheitlich links der neuen Regierung standen, übernahmen das heroisch-jüdische Narrativ von Begin und insbesondere Themen mit Bezug zur Shoah.

In einer vierten Phase begann die israelische Gesellschaft, in ihre ethnischen, kulturellen und religiösen Bestandteile zu zerfallen. Die Gesellschaft spaltete sich in sechs große "Stämme". Israels Araber hoben sich durch ihre Sprache, ihren Glauben (Moslems, Christen und insbesondere Drusen), durch Lebensstil, Tradition, Wohnort, Erziehungswesen und politische Parteien, die "arabisch" geworden waren, deutlich ab. Einen zweiten "Stamm" bildeten die Russen, die ihre Kultur, Sprache, Politik und ihre Medien nach Israel gebracht hatten. Die Ultraorthodoxen zeichneten sich durch Glauben, Sprache, Erziehung, Kleidung, getrennte Wohngegenden und Tradition, durch religiöse Parteien und völlig andere Medien als die der Säkularen aus. Religiöse orientalischer Herkunft - Juden vor allem aus Marokko, Tunesien und dem Irak - bildeten einen vierten "Stamm" und sammelten sich in den 1980er Jahren um Rabbiner Ovadia Josef und die Schas-Partei. Den fünften "Stamm" bildeten die Nationalreligiösen, unter ihnen Siedler, die sich ebenfalls von der säkularen israelischen Kultur abzuheben begannen und eigene Parteien, Erziehungsinstitutionen und Medien entwickelten. Der sechste "Stamm" waren jene, die sich ohne Identitätszusatz oder religiöse Definition einfach "Israelis" nannten. Sie gehörten der säkularen, sozialistischen Linken an, waren Liberale oder traditionelle Rechte, ja selbst Religiöse, Aschkenasi und Sefarden. Die Herrschaft in Israel liegt noch immer beim "Stamm der Israelis", wenngleich sie in der Minderheit sind.

Die Zersplitterung von Kultur und Gesellschaft hat sich zugespitzt. Israel ist zur blutigen Arena der Terrorbekämpfung und von Anschlägen geworden, die das Alltagsleben und die Städte zum Schauplatz von nationalen und internationalen Direktübertragungen, zum zentralen Teil einer schwierigen und schmerzhaften Nationalgeschichte machten, die schnell zu einer internationalen wurde. Medien aus der ganzen Welt waren darauf gut vorbereitet, etwa CNN und ähnliche westliche Medien, aber auch arabische Satellitensender wie Al-Dschasira, das internationalen Zuspruch gefunden hat. Es waren vor allem internationale Medien und die Weltöffentlichkeit, die in Israel, den USA und den entwickelten westlichen Ländern die Mitverantwortlichen für den Ausbruch der Terrorwelle sahen - eine Haltung, die Osama Bin Laden und die Anführer des islamistischen Terrors vor allem im Iran vertraten. Gleichzeitig distanzierte sich die Öffentlichkeit in den meisten Staaten der Welt von der israelischen Position im Nahostkonflikt und sieht in Israel eine Gefahr für den Weltfrieden, wie dies auf dramatische Weise aus der Umfrage "Euro-Barometer" hervorgeht, die 2003 in Europa durchgeführt wurde.

Terroranschläge in den Medien

Israels Medien haben zentrale gesellschaftliche und kulturelle Aufgaben übernommen: Sie vermitteln der Gesellschaft ein Gefühl der Solidarität und leben Engagement für das Kollektiv und das nationale Leben vor. Seit dem Herbst 2000 ist die eigentliche Front, an der die Medien tätig sind, die Auseinandersetzung mit den Palästinensern. Dabei war es nicht die Intifada, die das Gesicht der Medien veränderte. Ähnlich wie bei der Ersten Intifada stellten Redakteure und Kommentatoren der Nachrichtensendungen ihr Arbeitsinstrument in den Dienst von Regierung und Establishment. Und selbst wenn sie dies kritisch taten, halfen sie jenen beim Überleben. Die Ziele der Terroristen, das israelische Bewusstsein und Leben zu erschüttern, wurden verfehlt. Dazu trugen die Marathonübertragungen der Anschläge bei, die sich im Charakter der Übertragung von ihren Vorgängern unterschieden. Die Auseinandersetzung mit den Terrorangriffen betrieb Sinngebung, stärkte Identitäten und schuf kulturelle und innergesellschaftliche Solidarität. Zusammen mit einem paradoxen Prozess der Entpolitisierung in Bezug auf die Auseinandersetzung und den Konflikt hat sie zum Aufspüren von Wurzeln und "tiefgehenden" Verankerungen geführt.

Die im Folgenden beschriebenen Prozesse laufen wie bei allen Gesellschaften in einer ähnlich kritischen Lage parallel. Die Momente unmittelbar nach einem Terroranschlag sind immer von Ungewissheit geprägt und mit ängstlicher Erwartung gefüllt. Innerhalb von wenigen Minuten strahlen alle israelischen Fernsehsender Sondersendungen aus. Diese sind keine Nachrichtensendungen, obgleich sie aus Nachrichtenstudios und von Nachrichtensprechern gesendet werden. Es handelt sich um das Gegenteil: rituelle Zeremonien, bei denen der Moderator als eine Art Priester fungiert, der die Zeremonie leitet. Alle Augen sind auf ihn gerichtet: im Studio, mit Hilfe von Kameras und Spotlicht und von draußen, durch die Zuschauer, ob bei der Arbeit, im Café oder zu Hause. Die Sendung beginnt mit vermeintlichen Fakten. Dann werden Fragen gestellt, es wird berichtet. Und doch liegt ihre Bedeutung im Aufruf an die Zuschauer, sich zu vereinen, zu Freunden innerhalb eines Kollektivs zu werden.

Die Übertragungen von Anschlägen folgen klaren Regeln, die jedoch niemals im Voraus niedergeschrieben sind und deren Ende nicht bekannt ist. So wird das Drama gewahrt. Im weiteren Verlauf der Sendung verschwindet die Ungewissheit.

Bei Übertragungen von Anschlägen verschwinden maßgebliche journalistische Werte wie Objektivität, Professionalität, oder Neutralität, welche die Arbeit des Nachrichtensprechers auszeichnen. Nun wird Anteilnahme und Identifikation verlangt. Die Phasen der Zeremonie wiederholen sich: der Wettlauf zur Klärung von Informationen und Einzelheiten, das Verstehen seiner Bedeutung, erste organisatorische Aktivitäten, Räumungs- und Rettungsarbeiten, die Wiederherstellung der Ordnung, gefolgt von Heilung, Bestattung, Trauerarbeit und Anteilnahme. Dem stehen Anschuldigungen, Verzweiflung und Wut, angekündigte Vergeltung und Rache gegenüber. Der Sprecher im Studio und die Korrespondenten vor Ort werden von bekannten Teilnehmern und Interviewpartnern begleitet, die gute Wünsche oder ihr Bedauern aussprechen oder beten. Später erklingen den Umständen entsprechende Lieder und Melodien. Der Ort des Anschlags ist eine Art Altar, auf dem Opfer gebracht wurden. Innerhalb des Rituals werden Muster erkenntlich, die derartige Fernsehübertragungen ans rettende Ufer, zur wiedereinkehrenden Routine, führen, die sich selbst und den Zuschauern eine neue Dimension gibt, ihre Mitgliedschaft im Kollektiv verfestigt und bestätigt, sie vielleicht sogar neu "erfindet".

Dimensionen der Bedeutungsgebung

Das Fernsehen mit sämtlichen Medien im Gefolge hat sich seit Beginn der Anschläge im Herbst 2000 dafür engagiert, Terroranschlägen eine gesellschaftliche, kulturelle und letztlich auch nationale Bedeutung zu verleihen. Dadurch wird der Terroranschlag von einem anonymen, statistischen Vorfall zu einer besonderen Geschichte mit Namen, Identität und Kontext.

Der Anschlag auf das Delfinarium im Juni 2001 in Tel Aviv etwa, bei dem mehr als zwanzig Jugendliche "aus der Sowjetunion" während eines Diskothekenbesuchs ums Leben kamen, wurde eindringlich in das kollektive nationale Gedächtnis gemeißelt - eine Art "Eintrittskarte" für die Einwanderer aus Russland in die israelische Gesellschaft und Kultur. Die negativen Stereotypen von Russen, die in Israel vor dem Anschlag kursiert hatten, verschwanden größtenteils aus dem Mediendiskurs. Der Anschlag, der 2002 am Seder-Abend des Passover-Fests auf das Park-Hotel in Netanya verübt wurde, hat 27 Menschen das Leben gekostet und wurde mit der Shoah in Zusammenhang gebracht, weil Überlebende der Shoah zu Opfern wurden. Der Anschlag auf das Jerusalemer Beth-Israel-Viertel im selben Monat und der auf die ultraorthodoxe Siedlung Emanuel im Dezember 2001 wurden als Versuch dargestellt, Judentum und Juden, ihre Religion, ihre Feste und Traditionen zu treffen. Gleiches galt auch für den Jerusalemer Anschlag im August 2003, bei dem vor allem Ultraorthodoxe getötet wurden, die plötzlich von explizit säkularen Israelis als "edelmütige Brüder" umarmt wurden.

Nach den Anschlägen auf die Jerusalemer Cafés "Moment" im März 2002 und "Hillel" im Sommer 2003 sprachen die Medien von dem Versuch des fanatischen Islams, das säkulare Leben zu treffen. Man sprach von der liberalen Tradition des Rehavia-Viertels, von der Emek-Refaim-Straße und ihrem besonderen Charakter in Jerusalems Stadtbild. Gleiches traf auch für den Anschlag auf das Tel Aviver Dizengoff Center oder auf das Fischrestaurant "See-Food-Market" zu. Der Anschlag auf den Zionsplatz oder die Ben-Jehuda-Straße in Jerusalem im Jahr 2001 erinnerte die Medien an den Anschlagsversuch auf das "Herz der israelischen Hauptstadt" und an die Explosion zur Zeit des britischen Mandats. Nach dem Anschlag auf die Hebräische Universität am Skopusberg riefen führende Persönlichkeiten den fatalen Anschlag auf die Kolonne 1948 in Erinnerung. Nach den Anschlägen auf die Haifaer Restaurants "Maza" im März 2002 und "Maxime" Anfang Oktober 2003 - beide sind in gemischtem jüdisch-arabischen Besitz - sprach man von dem Versuch, der Koexistenz von Juden und Arabern in Haifa und in Israel überhaupt zu schaden. Nach dem Anschlag auf den alten Busbahnhof in Tel Aviv im Januar 2003 wurde über die in Israel lebenden ausländischen Arbeiter und deren Bezug zu Israel diskutiert, über ihre Nöte und das Dilemma, ihnen zu helfen oder sie zum Verlassen des Landes zu bewegen, sowie von der Problematik, der sich Verletzte und Zeugen gegenüber sahen, die sich illegal in Israel aufhielten.

In anderen Fällen berief sich der Staat auf Symbole, die mit dem Anschlag verbunden wurden. Nach dem Anschlag auf das Jerusalemer "Sbarro"-Restaurant im August 2001 wurde die Geschichte einer holländischen Familie erzählt, die ihr Schicksal mit Israel verband und drei Söhne bei dem Anschlag verlor. Es wurden auch die Geschichten der Eltern von Ermordeten ausgebreitet, die vom Innenministerium zur Ausreise gezwungen wurden. Nach dem Attentat auf Minister Rehavam Zeevi im Oktober 2001 erhielt ein rechtsextremistischer Minister plötzlich "Eigenstaatlichkeit", wurde zur Gründungselite des Landes, stand allen und allem nah - dem Boden, der israelischen Geschichte und den Literaten. Bei anderen Anschlägen wurden herzzerreißende Kindergeschichten erzählt. Dies traf insbesondere für den Jerusalemer Terroranschlag am 19. August 2003 zu, der umgehend als "Kinderanschlag" tituliert wurde. Bei dem Anschlag auf ein Restaurant in Haifa im Oktober 2003, in dem Familien zusammen am Sabbatabend aßen, wurden Geschichten von "ganzen Familien" erzählt, die ausgelöscht wurden.

Den Orten der Anschläge oder dem gewählten Zeitpunkt wurden ebenfalls Bedeutungen beigemessen: Autobusse, Märkte und andere Orte, an denen sich vor allem Arme aufhalten, wie Tel Avivs alter Busbahnhof oder das Stadtzentrum von Beersheva, das im August 2004 von einem Anschlag heimgesucht wurde. Sie wurden zu Symbolen grausamen Terrors gegen einfache Menschen, gegen Alte, Ausländer und Mittellose. Dagegen klammerten die Medien bestimmte Gruppen von der Berichterstattung aus: Die Siedler hatten schon immer behauptet, dass den Medien ihr Schicksal und die vielen Anschläge in Judäa und Samaria gleichgültig waren - Gebiete, die von den Medien als "Niemandsland" angesehen werden, in dem Anschläge "natürlich" oder gar gerechtfertigt seien. Die Entfremdung zwischen "Israelis" und Nationalreligiösen, die seit dem einseitigen Rückzug aus Gush Katif (August 2005) und der gewaltsamen Räumung der Siedlung Amona (Februar 2006) sehr tief ging, riss bei dem Jerusalemer Anschlag auf die Talmudschule Merkaz ha-Rav im März 2008 wieder auf. Dieser Anschlag wurde ausgiebig, jedoch ohne emotionale Identifizierung behandelt.

Zudem bekam die negative Einstellung gegenüber Europa Aufwind, das als "antisemitisch" galt. Dagegen identifizierte man sich verstärkt mit den Juden im Ausland, was vor Beginn von Intifada und Terror fast gar nicht mehr der Fall gewesen war. Auch die wohlwollende Einstellung gegenüber "normalen Beziehungen" zu Deutschland ging zurück. Deutschland wurde in den Jahren der Intifada - zur Amtszeit von Gerhard Schröder - Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal Israels vorgeworfen, obgleich es historische Verantwortung trage. Außenminister Joschka Fischer revidierte diesen Eindruck durch häufige Israelbesuche und seine energischen Verurteilungen des Terrors. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Israel im März 2008 besuchte, äußerte sich überaus israelfreundlich und bewirkte eine Änderung. Dennoch ist die israelische Gesellschaft zur Schlussfolgerung gelangt, dass Israel von der internationalen Gemeinschaft mit seinem Schmerz allein gelassen wird. Die Medien trugen dazu bei, das Gefühl des "Opfers", das Israel in jenen Jahren überkam, zu vertiefen.

Zusammenhalt des Kollektivs

Die Bedeutungen, die den meisten Terroranschlägen unmittelbar nach ihrem Eintreten verliehen werden, sind nicht politisch: Politiker vermeiden es, an den Ort des Geschehens zu gehen. Die Bedeutungen haben vielmehr symbolischen Charakter: Sie tragen zur Solidarität und zum Zusammenhalt des israelischen Kollektivs bei, ohne die politischen Beweggründe der Täter, ihrer Sendboten und Befürworter zu behandeln. Die Terroristen spielen den Medien in die Hände: Bin Laden nennt die Anschläge "Gottesdienst", und für Hamas und ihre Partner sind Selbstmordattentäter "Shahiden", ihr Kampf ein "Dschihad". Sie sprechen von "Ketzern" und Juden statt von Israel, drücken die Politik an den Rand und machen es Israelis leichter, im Zuge der Anschläge zu unpolitischen Schlussfolgerungen zu gelangen.

Die Medien, die Empathie, Trost, Teilnahme produzieren, Eintrittskarten zum "israelischen Stamm" ausstellen und soziale Hierarchien und Schichtzugehörigkeiten (vorübergehend) aufheben, beginnen mit einem Prozess der Sinngebung für schmerzhafte und anonym erscheinende Vorfälle, die nicht so heroisch sind wie Kriege und Gefechte. Die Aufhebung der Trennung zwischen öffentlichem Bereich und Privatsphäre, die in der Berichterstattung einen zentralen Platz einnimmt, die Aufhebung von Hierarchien sind Ausdruck des Anspruchs der Medien, an der "Stunde nationaler Not" teilhaben und "auf Augenhöhe" von "uns" und "ihnen" (dem Establishment) berichten zu wollen.

Meinungsumfragen ergeben immer wieder, dass sich Israelis keineswegs entmutigt fühlen und mit ihrem Leben recht zufrieden sind. Die Mehrzahl der Israelis ist weiterhin konsequent für eine politische Lösung mit weitgehenden Zugeständnissen an die Palästinenser. Dazu gehören Verhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (nicht mit Hamas) und die Räumung der Siedlungen. Gleichzeitig befürwortete eine große Mehrheit den Bau des Trennzauns und tut dies auch weiterhin.

Auch die palästinensische Gesellschaft zeigt trotz interner Kämpfe, trotz Blutvergießens, trotz Differenzen, Korruption, Fundamentalismus und der schlimmen wirtschaftlichen Lage keine Zeichen von Zusammenbruch, Aufstand oder einem Eingeständnis der Niederlage. Während die Anschläge in Israel als Sondersendungen mit großem Einfluss ausgestrahlt werden, erscheint das, was in Israel als "Vergeltungsmaßnahme", Terrorvereitlung, Liquidierung, als Schikanen an den Grenzübergängen und als Intifada-Vorfälle bezeichnet wird, im Rahmen der nationalen und regulären Nachrichten. Für sie treffen die medialen Rahmenbedingungen zu: Sie werden in wenigen Minuten von einem israelischen Korrespondenten abgehandelt und von israelischen Kommentaren begleitet. Dann geht der Sprecher zum nächsten Thema über. Die Schlussfolgerung ist eindeutig: Wir wissen alles über die Ereignisse - auch über die auf palästinensischer Seite -, entwickeln aber keine Empathie, Solidarität und Anteilnahme.

Die Demokratie in Israel steht vor einer der schwierigsten Herausforderungen ihrer Geschichte. Kriege und deren soziale und politische Bedeutung sind nicht mehr gegen Staaten und Armeen gerichtet, sondern bedrohen mit Hilfe einer neuen Kampfführung die Fähigkeit der Gesellschaft, demokratisch zu bleiben. Die Kultur des Terrors und deren Bedeutung schafft Bedrohungen, die kein externer, sondern ein interner Feind sind. Zur Zeit, da diese Zeilen verfasst werden, ist unklar, ob wir sie überwinden werden.

Übersetzung aus dem Hebräischen: Antje Eiger, Tel Aviv/Israel.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Gabriel Weimann, Terror on the Internet: The New Arena, the New Challenges, Washington, D.C. 2006.

  2. In den 1930er Jahren gab es im Land Israel mehr deutsch- als hebräischsprachige Zeitungen. Dennoch leisteten die deutschstämmigen Juden ihren Hauptbeitrag zur Presse auf Hebräisch. Hier sind vor allem Gershom Schocken (Haaretz), Azriel Carlebach (Maariv) und Uri Avneri (Haolam Haseh) zu nennen. Vgl. David Witzthum, Deutsche Presse in hebräischer Sprache: Drei Wenden und ihre Bedeutung, in: Moshe Zimmermann/Yotam Hotam (Hrsg.), Zweimal Heimat: Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und Nahost, Frankfurt/M. 2005, S. 287 - 294.

  3. Vgl. Charles D. Liebman/Elieser Don-Yihya, Civil Religion in Israel, Berkeley 1983.

  4. Vgl. u.a. Baruch Kimmerling: The Invention and Decline of Israeliness, Berkeley 2001.

  5. Die israelische Gesellschaft lässt sich selbstverständlich auch anders analysieren. Die Araber unterteilen sich in mehrere ethnische und religiöse Gruppen, die Russen nach Herkunftsstaaten und Integrationsstatus, die Ultraorthodoxen in unzählige Rabbinerhöfe, die "Israelis" in verschiedene Untergruppen; die äthiopischen Einwanderer sind gar nicht aufgeführt.

  6. Auf unverbindliche Weise lassen sich folgende Prozentsätze anführen: Araber ca. 18 %, Russen ca. 14 %, Ultraorthodoxe ca. 6 - 8 %, orientale Religiöse ca. 10 %, Nationalreligiöse 7 - 8 %, "Israelis" etwas über 40 %. Viele der jungen Russen sehen sich als Israelis und Zionisten, gleiches gilt auch für Juden orientalischer Herkunft, selbst wenn sie religiös sind, und für die weniger extremen Nationalreligiösen.

  7. The European Commission, Iraq and Peace in the World, Flash Barometer 2003.

  8. Vgl. David Witzthum, Mahadura Meyuchedet (Breaking News), Jerusalem 2006.

  9. Vgl. Tamar Liebes, Reporting the Arab Israeli Conflict, London 1997.

  10. Vgl. Tamar Liebes/Paul Frosh (Hrsg.), Meeting the Enemy in the Living Room, Tel Aviv 2007 (Hebräisch).

  11. Die Fakultät für Medien an der Hebräischen Universität ist in der Erforschung dieses Bereichs (leider) führend. Vgl. beispielsweise: Tamar Liebes, Television Disaster Marathons: A Danger for Democratic Processes?, in: ders./J. Curran (Hrsg.), Media, Ritual, and Identity, London 1998; Menahem Blondheim/Tamar Liebes, From Disaster Marathon to Media Event: Live Television's Communications. Lessons from September 11, 2001, in: A. Michael Noll (Hrsg.), Crisis Communications. Lessons from September 11, London 2003; Tamar Liebes/Menahem Blondheim, Myths to the Rescue, How Live Television Intervenes in History, in: Eric W. Rothenbuhler/Mihai Coman (Hrsg.), Media Anthropology, London u. a. 2005..

  12. Vgl. zum Folgenden D. Witzthum (Anm. 8).

  13. So Arie Shavit in Haaretz vom 10.3. 2002.

  14. Vgl. Fori-Umfragen sowie die Umfrage der EU-Delegation in Israel 2004; Merkels Rede (auf Deutsch) in der Knesset am 18.3. 2008 wurde vom israelischen Fernsehen direkt übertragen.

  15. Gleiches hat sich parallel in den palästinensischen Gebieten ereignet: Die Medien gingen ähnlich wie die israelischen vor, wobei sich die Palästinenser als Opfer der israelischen Gewalt betrachten, ohne Verantwortung für die Terroristen, die aus den Gebieten kommen.

  16. Vgl. David Witzthum, Die israelisch-palästinensische Konfrontation und ihre Widerspiegelung in der öffentlichen Meinung Israels, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, (2004) 20, S. 29 - 37.

M.A., geb. 1948; Chefredakteur und Moderator, Foreign Affairs Commentator, Israel Broadcasting Authority, Television House, Rommema, Jerusalem 91071/Israel.
E-Mail: E-Mail Link: witzthum@gmail.com