Die fluchtbedingte Zuwanderung der Jahre 2015/16 nach Deutschland sorgte gewissermaßen über Nacht dafür, dass Migration als Politikfeld wahr- und ernstgenommen wurde. Auf allen politischen Ebenen diskutierte man plötzlich organisatorische, finanzielle und gesetzliche Unzulänglichkeiten oder suchte nach Lösungen für Widersprüche, die seit Jahren bestanden hatten. Das "Wir schaffen das" der Kanzlerin wurde zum Anlass einer intensiven Reflexion der migrations- und integrationspolitischen Infrastruktur in Bund, Ländern und Kommunen.
Doch inwiefern wirkten die Jahre 2015/16 der Fluchtzuwanderung nicht nur als Diskussionsanlass, sondern tatsächlich als Katalysator für institutionellen Wandel in der Migrations- und Integrationspolitik? Welche inhaltlichen und organisatorischen Anpassungen lassen sich auf den verschiedenen politischen Ebenen feststellen? Wie nachhaltig waren und sind diese Veränderungen? Diesen Fragen wird im Folgenden nachgegangen, wobei ein besonderer Fokus auf der Rolle der Kommunen liegt. Hier haben intensive Anpassungsprozesse stattgefunden, wenn auch lokal sehr unterschiedlich ausgeprägt. Es wird aber auch deutlich werden, dass der Veränderungswille der Kommunen allein nicht ausreicht. Sie sind und bleiben abhängig von der Unterstützung übergeordneter Ebenen. Dies gilt einerseits für die Ausstattung mit Kompetenzen und Ressourcen, aber auch für eine Orientierung an inhaltlichen Leitlinien.
Unvollendete Innovationen auf Bundesebene
Der "lange Sommer der Migration" fiel in eine Zeit, als die deutsche Arbeitsmarktpolitik von der Diskussion um einen Fachkräftemangel geprägt war. Entsprechend wurde 2016 im Gesetzentwurf zum Integrationsgesetz des Bundes geradezu hoffnungsvoll formuliert: "Der deutsche Arbeitsmarkt benötigt eine Vielzahl von Fachkräften. Dieser Bedarf kann auch durch die nach Deutschland kommenden schutzsuchenden Menschen teilweise abgedeckt werden." Das Integrationsgesetz sah daher den Schwerpunkt politischer Maßnahmen im "Erwerb der deutschen Sprache sowie einer dem deutschen Arbeitsmarkt gerecht werdenden Qualifizierung der betroffenen Menschen".
Diese Orientierung auf Arbeit und Sprache zeigte sich auch in weiteren Entwicklungen auf Bundesebene. Während in humanitären Bereichen wie der Familienzusammenführung Begrenzungen diskutiert und teilweise umgesetzt wurden, wurde der Zugang zum Arbeitsmarkt für zahlreiche Personengruppen liberalisiert. Außerdem wurden Erfolge von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt, beispielsweise durch den Beginn einer betrieblichen Ausbildung, aufenthaltsrechtlich belohnt: Die "3+2-Regelung" bedeutete, dass Geflüchtete unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens einen Anspruch auf Abschiebungsschutz während der Ausbildung und zwei Jahre danach erhielten. Damit führte Deutschland faktisch den sogenannten Spurwechsel ein und brach mit der Tradition, dass der Wechsel des Aufenthaltszwecks vom Asylverfahren in einen Aufenthalt zu Erwerbszwecken ausgeschlossen war.
Organisatorisch flankiert wurde diese "meritokratische Wende" in der deutschen Flüchtlingspolitik durch den zeitweise erheblichen Einfluss der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Zunächst leitete der damalige Vorstandsvorsitzende der BA, Frank-Jürgen Weise, von Herbst 2015 bis Ende 2016 beide Behörden in Personalunion. Anschließend folgte mit Jutta Cordt bis 2018 eine weitere Führungskraft aus der BA als Präsidentin des BAMF. Durch diese Dominanz der BA wurde das BAMF zumindest zweitweise dem Zugriff des eigentlich zuständigen Bundesministeriums des Innern (BMI) ein Stück weit entzogen. Ökonomisches Effizienzdenken zog in die Asylverfahren und in die Administration von Integrationsmaßnahmen ein.
Einige Beobachtende sahen darin das Potenzial für weitreichende Verschiebungen in der deutschen Migrations- und Integrationspolitik. Vor der Bundestagswahl 2017 wurde einmal mehr diskutiert, ob Deutschland auf Bundesebene ein Integrationsministerium brauche. Alternativ wurde zumindest das Ziel einer stärkeren Koordinierung im Sinne eines "Whole-of-government-Ansatzes" gefordert. Dabei wird versucht, alle beteiligten Ressorts auf abgestimmte Aktivitäten zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen zu verpflichten. Auch eine Zuordnung migrationspolitischer Aufgaben beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wurde diskutiert – wie schon bei der vorherigen Bundestagswahl.
Doch so greifbar grundlegende Innovationen zwischen 2015 und 2018 auch schienen, die Beharrungskräfte traditioneller Zuordnungen waren stärker. Der Fokus auf den Arbeitsmarkt und den Erwerb der deutschen Sprache ist zwar weiterhin erkennbar, beispielsweise durch die Verabschiedung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes 2019. Vor dem Hintergrund sinkender Asylantragszahlen und einer gewissen Ernüchterung hinsichtlich der Arbeitsmarktbeteiligung von Geflüchteten gelang es dem BMI aber, an Boden zurückzugewinnen. Eine im Feld der Migration traditionell starke Sicherheitsorientierung setzte sich wieder stärker gegen eine ökonomische Perspektive durch. Sichtbar wurde dies beispielsweise dadurch, dass mit Hans-Eckhard Sommer im Juni 2018 ein Spitzenbeamter aus dem bayerischen Innenressort als BAMF-Präsident eingesetzt und somit die Dominanz der BA zurückgedrängt wurde. Den Ruf nach einem Integrationsministerium griff Bundesinnenminister Horst Seehofer insofern auf, als dass er das BMI zusätzlich zum "Heimatministerium" machte und damit Integrationsfragen jenseits des Arbeitsmarktes betonte.
Mittlerweile sind die Forderungen nach einer grundlegenden Neuordnung der Migrationspolitik auf Bundesebene beinahe verstummt, die bundesdeutsche Migrations- und Integrationspolitik steht in ihrer Grundausrichtung nicht wesentlich anders da als vor 2015. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hat in seinem Jahresgutachten 2019 insbesondere die asylpolitischen Maßnahmen nach 2015 treffend als "Politik zwischen Lähmung und Reformeifer" bezeichnet. Es bleibt abzuwarten, ob die Neuauflage des von der Bundesintegrationsbeauftragten koordinierten "Nationalen Aktionsplans Integration" der Debatte neuen Schwung mitzugeben vermag.
Bildungsteilhabe: Erfahrungen auf Landesebene
Auf der Ebene der Bundesländer führten die Jahre 2015/16 ebenfalls dazu, dass Migration und Integration erhöhte Aufmerksamkeit erhielten. Organisatorisch wurden auch hier verschiedene Ressortzuschnitte getestet, beispielsweise wurden ausländerrechtliche Aufgaben aus dem Innenressort in das Sozial- oder Familienressort überführt – so etwa in Nordrhein-Westfalen.
In inhaltlicher Hinsicht hatten die Bundesländer nach 2015/16 insbesondere Bildungsfragen zu klären. Dies ging von der Frage, wie schulpflichtige Geflüchtete beschult werden sollten, über die Öffnung von Hochschulen bis hin zur Etablierung von Maßnahmen zur Deutschsprachförderung. So machte sich beispielsweise das Land Hessen daran, "alltagsorientierte und berufsqualifizierende" Formen des Deutschspracherwerbs zu entwickeln, um Alternativen zu den vielfach als ungenügend empfundenen Integrationskursen des Bundes zu testen. Bewegung kam auch in die Schulpolitik. Es ist davon auszugehen, dass die Jahre 2015/16 dafür gesorgt haben, dass flächendeckend viel intensiver über den Einbezug von Schüler*innen mit Migrationserfahrung nachgedacht wurde als in den Jahrzehnten zuvor. Ähnliches gilt für den Hochschulbereich, wo lange vernachlässigte Fragen der Hochschulzugangsberechtigung für Bildungsausländer*innen sowie der Finanzierung des Studiums diskutiert wurden.
Es lässt sich daher festhalten, dass die Landesebene, und mit ihr die Bildungsinstitutionen, seit 2015 erhebliche Lernerfahrungen gemacht haben. Dabei wurde, gerade im Bereich Schule, immer wieder deutlich, dass die neu eingeführten Instrumente mindestens ebenso stark für Schüler*innen aus dem europäischen Ausland nutzbar waren wie für die Geflüchteten. Selbst wenn nicht alle Maßnahmen erfolgreich waren, führte die Zuwanderung der Jahre 2015/16 daher zu einer breiten Sensibilisierung für Herausforderungen und Lösungen bei der Inklusion von Menschen mit nicht-deutscher Bildungsbiografie in das deutsche Bildungssystem.
Veränderungen auf kommunaler Ebene
Die stärksten und möglicherweise nachhaltigsten Auswirkungen der Fluchtzuwanderung des Jahres 2015 zeigen sich auf der Ebene der Städte, Kreise und Gemeinden. Sie standen deshalb im Fokus einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung der Universitäten Hildesheim und Erlangen-Nürnberg, in deren Rahmen wir Verwaltungsmitarbeitende und zivilgesellschaftliche Akteur*innen aus 92 Kommunen in 12 Bundesländern befragt haben und auf deren Ergebnisse ich mich im Folgenden stützen werde.
Unabhängig von ihrer bisherigen Erfahrung mit Migration und Vielfalt fühlten sich viele städtische und ländliche, große und kleine Kommunen zunächst gleichermaßen schlecht vorbereitet auf die Ankunft der zahlreichen Schutzsuchenden. Die veränderten Kontextbedingungen und die politische Aufmerksamkeit führten dann jedoch zu intensiven Anpassungen in der Organisation und inhaltlich-strategischen Ausrichtung kommunaler Migrations- und Integrationspolitik.
Organisatorische Innovationen
In den Interviews gab ein Drittel aller Kommunen, darunter alle beteiligten Landkreise und alle kreisfreien Städte, an, nach 2015 die Organisation ihrer Integrationspolitik angepasst zu haben. Dies reichte von kleineren Reorganisationen bis hin zur Neugründung ganzer Organisationseinheiten. Einen regelrechten Schub erhielten dabei sogenannte Migrationsämter, bei denen die Funktionen der Ausländerbehörden mit denen der Integrationsbeauftragten und gegebenenfalls weiteren migrationsrelevanten Stellen zusammengeführt werden. Man könnte diese neu entstandenen Organisationen als "kommunale Integrationsministerien" verstehen, durch die versucht wird, die systemischen Spannungen zwischen Ausländer- und Sozialbehörden unter einem Dach zu verhandeln. Inkohärenzen lokaler Politik werden auf diese Weise zwar nicht immer gelöst, aber zumindest transparenter diskutiert.
Die Debatten um die (Neu-)Organisation lokaler Integrationspolitik sind keineswegs abgeschlossen, sondern beginnen in einigen Kommunen gerade erst. Nachdem die unmittelbaren Aufgaben der Flüchtlingsaufnahme nach übereinstimmender Auffassung gemeistert wurden, wird vielerorts darüber nachgedacht, welche Lerneffekte für die langfristige Koordination der Integrationsarbeit erzielt werden könnten. Dabei steht die Bearbeitung des Spannungsfeldes Ordnungspolitik versus Sozialpolitik ganz oben auf der Agenda vieler Städte und Landkreise. Aber auch die strukturierte Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen oder eine klarere Aufgabenteilung zwischen Landkreisen und kreisangehörigen Gemeinden sind Gegenstand der Überlegungen. Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Intensität die notwendigen Debatten auch nach einer pandemiebedingten Pause fortgesetzt werden.
Neue Integrationskonzepte
Ein Integrationskonzept legt die strategischen Linien des kommunalen Umgangs mit Migration und migrationsbedingter Vielfalt schriftlich fest. Eine erste "Blütezeit" kommunaler Integrationskonzepte gab es Mitte der 2000er Jahre: Vor dem Hintergrund bundespolitischer Entwicklungen (unter anderem Süssmuth-Kommission 2001, Zuwanderungsgesetz 2005, Nationaler Integrationsplan 2007) und historisch niedriger Asylantragszahlen standen damals vor allem Maßnahmen der sogenannten nachholenden Integration im Vordergrund. Fragen der Steuerung von Zuwanderung im engeren Sinne spielten für die Kommunen eine untergeordnete Rolle. Es ging insbesondere darum, eine vielfältiger gewordene Gesellschaft zu gestalten. Dies hatte zur Folge, dass vor allem größere Städte, in denen mehr "Menschen mit Migrationshintergrund" leben, Integrationskonzepte entwickelten.
Die Jahre 2015/16 sorgten in zweifacher Hinsicht für einen Innovationsschub. Erstens sorgte die Ankunft so vieler Schutzsuchender für die Notwendigkeit, bestehende Konzepte mit Blick auf Aufnahmestrategien anzupassen und um die Gruppe der Geflüchteten zu erweitern. Zweitens sorgte die geografische Verteilung der Asylsuchenden dafür, dass auch bislang kaum migrantisch geprägte Regionen integrationspolitische Aufgaben übernahmen. Daraus entstand häufig der Wunsch, dies konzeptionell aufzuarbeiten.
Im Rahmen unserer Untersuchung gab rund ein Drittel der befragten Kommunen an, auf Basis eines schriftlichen Integrationskonzeptes zu arbeiten – weit überwiegend kreisfreie Städte und Landkreise. Knapp die Hälfte davon entwickelte ihre Konzepte erstmals nach 2015. Hinzu kommt, dass – ähnlich wie bei den organisatorischen Veränderungen – zahlreiche Kommunen gerade erst die Muße finden, sich an die Verschriftlichung eines Konzeptes zu machen. Der "zweite Frühling" kommunaler Integrationskonzepte hält also aller Voraussicht nach noch etwas an.
Aufschlussreich für das Integrationsverständnis ist es stets, an wen sich die Integrationsarbeit einer politischen Ebene explizit wendet. Im Integrationsgesetz der Bundesregierung sind die auf Arbeit und Deutschspracherwerb fokussierten Maßnahmen direkt und nahezu ausschließlich an Migrant*innen gerichtet. Demgegenüber gab rund ein Drittel der untersuchten Kommunen an, sich an die Gesamtgesellschaft zu wenden. Im Sinne eines "Whole-of-society-Ansatzes" wurde davon ausgegangen, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt und Teilhabe von Migrant*innen nur als gemeinsame Anstrengung aller Bürger*innen erreicht werden können. Allerdings muss man hier wie auf der Bundesebene differenzieren: Während in übergreifenden Dokumenten der Bundesregierung durchaus die Bedeutung der gesamten Gesellschaft hervorgehoben wird, zeigen Maßnahmen auf der lokalen Ebene durchaus eine stärker einseitig assimilierende Tendenz – beispielsweise durch die Betonung von Deutschspracherwerb oder Arbeitsmarktqualifizierung.
Schwerpunkte lokaler Integrationspolitik
Kommunen haben in Migrationsfragen sowohl pflichtige als auch freiwillige Aufgaben. Während aufenthaltsrechtliche und existenzsichernde Belange zu den Pflichtaufgaben zählen, sind viele andere Handlungsfelder der Integration im Bereich freiwilliger Aufgaben anzusiedeln. Hier kann die Kommune selbst entscheiden, ob und wie sie handelt. Dies gilt auch für kommunales Handeln in Feldern, die eigentlich von anderen politischen Ebenen bearbeitet werden. In den 92 untersuchten Kommunen spielte diese Flankierung und Ergänzung von Angeboten anderer Ebenen die größte Rolle.
Deutschkurse, Arbeit, Bildung
Als wichtigster thematischer Schwerpunkt lokaler Integrationsarbeit wurde von mehr als der Hälfte der untersuchten Kommunen die Unterstützung beim Deutschspracherwerb angeführt (Tabelle). Dies kann verwundern, da hier eigentlich der Bund mit den Integrationskursen aktiv ist. Allerdings zeigt sich, dass sich die Kommunen keineswegs auf die Organisation der Integrationskurse durch das BAMF oder die Deutschkursangebote in den Schulen verlassen wollten, sondern eigene Maßnahmen für weitere Zielgruppen und/oder Sprachniveaus entwickelten, um Lücken im Angebot auszugleichen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Kommunen die Integrationskurse des BAMF per se ablehnen würden. Sie sehen nur die Notwendigkeit, selbst in die Koordination der Angebote einzusteigen. Trotz zahlreicher neuer Programme und Fördermöglichkeiten zum Deutschspracherwerb hat sich die Situation bezüglich der Koordination der Kurse seit 2015 aus kommunaler Sicht offenbar nicht entscheidend verbessert.
In einem Atemzug mit dem Deutschspracherwerb nannten Kommunen häufig den Bereich von Arbeit und Ausbildung. Damit folgten zahlreiche Städte und Gemeinden dem bundespolitischen Diktum, Integration sei in erster Linie Arbeit und Sprache. Entsprechend bildete die Vermittlung in Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse für knapp 40 Prozent der untersuchten Kommunen einen Schwerpunkt der Integrationsarbeit. Auch hier handelt es sich nicht um eine kommunale Zuständigkeit im engeren Sinne. Vielmehr kann die Kommune hier nur in Kooperation mit diversen Akteur*innen Wirkung entfalten.
Bildung wurde, obwohl zumindest mit Blick auf die Schulbildung eigentlich eine Zuständigkeit des Landes vorliegt, von mehr als einem Viertel der Kommunen als wichtiges Handlungsfeld genannt. Einige Kommunen versuchen Kinder möglichst früh in Kindertageseinrichtungen einzubeziehen oder von der Förderung durch das Bildungs- und Teilhabepaket profitieren zu lassen.
Wohnraummanagement
Ebenfalls mehr als ein Viertel der Kommunen nennt Wohnen beziehungsweise Wohnraummanagement als einen Schwerpunkt ihrer Integrationsarbeit. Inhaltlich geht es längst nicht mehr nur um die Unterbringung Geflüchteter, sondern den Zugang zu Wohnraum, der von den Menschen als befriedigend empfunden und, insbesondere im Falle der Geflüchteten, von den Personen selbst finanziell getragen werden kann. Bei der Beschaffung von Wohnraum für Geflüchtete sind inzwischen viele Kommunen bestrebt, Formen der dezentralen Unterbringung zu schaffen. Sie versprechen sich davon sowohl eine positive Wirkung für die Teilhabe der Geflüchteten als auch für die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung. Gleichzeitig werden derzeit vielerorts Unterkünfte aufgelöst, und die verbleibenden Bewohner*innen müssen eine zentralisierte Unterkunft beziehen. Hier zeigt sich ein Spannungsverhältnis von inhaltlichem Anspruch und ökonomischen Zwängen.
Das Thema Wohnen ist zudem durchaus mit der Bildung von Szenarien für einen potenziellen Wiederanstieg der Flüchtlingszahlen verknüpft. Doch meist hat dies keine konkretisierten Konzepte zur Folge. Gerade in vielen kreisangehörigen Gemeinden scheint man sich aktuell dringlicheren Fragestellungen zuzuwenden. Von einer strukturierten Auswertung der Erfahrungen wird jedoch abhängen, ob die entwickelten Lösungen nachhaltig wirken können. Dies gilt auch für Aspekte des Wohnraummanagements, die über die reine Flüchtlingsunterbringung hinaus reichen. Beispielsweise hat die Fluchtzuwanderung durchaus lokale Debatten über sozialen Wohnungsbau ausgelöst und damit auf breitere Veränderungsprozesse hingewirkt. An dieser Stelle, wie auch in der Zusammenarbeit zwischen Behörden und Zivilgesellschaft, weisen die lokalen Innovationen über das Feld der Integrationspolitik hinaus. Migration kann somit zu einem Keim übergreifender Innovationen werden.
Gesellschaftliche Teilhabe und Gesundheit
Von mehr als einem Drittel der Kommunen wurden Maßnahmen zur Herstellung gesellschaftlicher Teilhabe als Schwerpunkt der Integrationsarbeit genannt. Darunter fallen verschiedene freiwillige Aufgaben, die von Kommune zu Kommune variieren – von politischer Partizipation bis zu einer "Durchmischung der Gesellschaft". Besonders häufig war aber ein Verständnis von Maßnahmen zur Erhöhung gesellschaftlicher Teilhabe als die Aktivitäten, die soziale Kontakte jenseits von Sprachkurs und Arbeit fördern und beispielsweise den Zugang zu (Sport-)Vereinen und Kultureinrichtungen ermöglichen.
Nur 14 Prozent der befragten Kommunen nannten dagegen "Gesundheit" als einen Schwerpunkt der Integrationsarbeit. Wenn, dann umfassten die Angebote unter anderem den diskriminierungsfreien Zugang zum Gesundheitssystem für Menschen mit Migrationshintergrund sowie die interkulturelle Öffnung von Einrichtungen. Die Kommunen, die das Thema überhaupt bearbeiteten, sahen sowohl physische als auch psychische Gesundheit als Handlungsfeld für die Kommune. Es bleibt abzuwarten, ob die Corona-Pandemie dazu führt, dass mehr Kommunen Gesundheitsfragen, möglicherweise auch verknüpft mit Fragen des Wohnraums und/oder von Arbeit und Bildung, in den Fokus rücken.
Gefühlte Innovationskraft als Motivation
In den Interviews wurden die Befragten außerdem gebeten, Bereiche zu nennen, von denen sie glaubten, dass andere Kommunen von ihnen lernen könnten. Knapp ein Drittel fand, dass durchaus Aspekte der eigenen Arbeit als Vorbild für andere Kommunen dienen könnten. Themen waren unter anderem ein ganzheitlicher Ansatz der Integrationsarbeit, das Integrationskonzept oder die Zusammenarbeit der Ehrenamtlichen mit den Sozialarbeitenden. Ebenfalls hervorgehoben wurden einzelne Integrationsprojekte und die Wohnraumbeschaffung für Geflüchtete – sei es, dass in kurzer Zeit genügend Wohnraum bereitgestellt werden konnte (keine großen Massenunterkünfte, dezentral verteilt) oder eigene Modelle erarbeitet wurden, durch die Geflüchteten rasch Wohnraum vermittelt werden konnte. Besonders betont wurde auch der Austausch auf kommunaler Ebene, seien es die funktionierenden Strukturen der Helferkreise, die Zusammenarbeit im Projektverbund, die Vernetzung von Akteur*innen der Integrationsarbeit, der Zugang zur Wirtschaft und die Einbindung in Wirtschaftsnetzwerke oder die als positiv erlebte Zusammenarbeit in Netzwerken.
Dabei ist auffällig, dass die Interviewpartner*innen selten einschätzen konnten, ob sie mit einem Projekt oder Ansatz im Vergleich mit anderen tatsächlich innovative Arbeit leisteten. Meist wurde dies aufgrund eines wenig entwickelten Austausches über Kreisgrenzen hinweg nur vermutet. Doch selbst eine solche nur gefühlte Innovationskraft kann zu einem Quell der Motivation lokaler Arbeit werden. Gerade für die Kooperation der Akteur*innen vor Ort scheint die gegenseitige Versicherung der Innovativität der lokalen Vorhaben wichtiger als die Innovativität selbst.
Tatsächliche und gefühlte Innovation auf kommunaler Ebene haben zur Folge, dass sich das kommunale Selbstverständnis in Fragen der Migration wandelt: Kommunen nehmen sich keineswegs nur noch als "Befehlsempfänger" höherer politischer Ebenen wahr oder als diejenigen, die Fehler anderer korrigieren müssen. Stattdessen suchen sie dezidiert nach Wegen, um Landes- und sogar Bundespolitik in ihrem Sinne zu beeinflussen (so die Angaben von mehr als vier Fünftel der untersuchten Kommunen). Dies gilt keineswegs nur für klassische Integrationsaufgaben oder die Verteilung von Finanzmitteln. Einige Kommunen wollen durchaus mitsprechen, wenn es um Fragen der Steuerung von Zuwanderung geht. Dies betrifft nicht nur die Debatte, wie viele Schutzsuchende Deutschland aufnehmen sollte und wie diese verteilt werden. Darüber hinaus geht es auch um die Gestaltung von Fachkräfte- und EU-Binnenmigration. Integrationspolitik, die sich nur mit den Folgen der Migration auseinandersetzt, weicht mancherorts einer Politik, die auch Einfluss auf Verteilungs- und Wanderungsentscheidungen nehmen will.
Heterogenität kommunaler Integrationsarbeit
Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die Zuwanderung der Jahre 2015/16 in den deutschen Kommunen einen regelrechten Innovationsschub für lokale Migrations- und Integrationspolitik ausgelöst hat. Allerdings steht einer großen Anzahl sehr aktiver Kommunen auch ein nicht unerheblicher Teil eher passiver Städte, Landkreise und Gemeinden gegenüber. Einige ländlichere Landkreise setzen beispielsweise darauf, dass Asylsuchende ohnehin früher oder später in die nächstgrößere Stadt abwandern. Integrationsarbeit ist für sie daher keine Aufgabe, die sie freiwillig annehmen.
Der Flickenteppich kommunaler Integrationspolitik ist also seit 2015/16 keineswegs gleichmäßiger geworden. Zwar haben sich deutlich mehr Kommunen auf den Weg gemacht, Migration und migrationsbedingte Vielfalt zu gestalten, und kommunale Integrationsinfrastrukturen – und damit Teilhabechancen für Migrant*innen – sind heute in vielen Städten, Kreisen und Gemeinden besser ausgebaut als vor fünf Jahren. Gleichzeitig aber ist der Unterschied zu weiterhin passiven Kommunen gewachsen. Dabei lassen sich Unterschiede in der Integrationspolitik weniger an häufig diskutierten Faktoren wie Ländlichkeit, Finanzkraft oder politischen Mehrheiten festmachen. Stattdessen spielen neben den rechtlichen Handlungsspielräumen der jeweiligen Kommune lokale Diskurse und Schlüsselpersonen die wichtigste Rolle. Aus dem Innovationsschub der vergangenen Jahre erwächst daher mehr denn je die Notwendigkeit zur Harmonisierung lokaler Praxis durch die Landes- und Bundespolitik.
Hinzu kommt, dass die neu aufgebauten Strukturen sehr unterschiedlich stabil sind. Während in einigen Kommunen integrationspolitische Aufgaben längst einen festen Platz im kommunalen Haushalt haben, sind andere weiterhin stark von Bundes- oder Landesförderung abhängig. Dies betrifft auch Personalstellen zur Koordinierung integrationspolitischer Aktivitäten. Aber auch dort, wo diese Stellen aus kommunalen Mitteln finanziert werden, herrscht ein hoher Begründungsdruck. Schließlich handelt es sich um freiwillige Aufgaben, deren Sinnhaftigkeit immer wieder neu diskutiert werden muss.
Sollte die Corona-Pandemie die kommunalen Haushalte noch stärker belasten und sollten gleichzeitig die Zuwanderungszahlen niedrig bleiben, dürfte es schwer werden, eine dauerhafte Finanzierung der mühsam aufgebauten Strukturen aus knappen kommunalen Mitteln zu erwirken. Seitens der Bundesländer und mittelbar auch des Bundes wäre daher zu überlegen, ob Integration (in welcher Ausbuchstabierung auch immer) zur Pflichtaufgabe der Kommunen werden sollte. Dies könnte den permanenten Rechtfertigungsdruck reduzieren, für Stabilität sorgen und zudem eine gewisse Harmonisierung und Aktivierung der Praxis bewirken. Kommunen würden dadurch sowohl die Kompetenz als auch die Verantwortung zum Handeln erhalten. Sie würden gleichzeitig in die Lage versetzt und verpflichtet, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen. Dies könnte auch der Verantwortungsdiffusion im Mehrebenensystem der Migrationspolitik entgegenwirken.
Fazit
Die fluchtbedingte Zuwanderung seit 2015 hat alle politischen Ebenen dazu gebracht, ihre migrationspolitischen Strukturen zu reflektieren. Während sich auf Bundesebene Überlegungen zu grundlegenden Veränderungen nicht durchsetzen konnten, wurden auf Landesebene einige Ressorts neu zugeschnitten und traditionelle Zuordnungen hinterfragt. Besonders umfassend und tiefgreifend waren die Änderungen auf kommunaler Ebene. Die Prozesse zur Neuorganisation lokaler Integrationspolitik brachten teilweise neue Organisationseinheiten hervor und sind vielerorts noch in vollem Gange.
Den inhaltlichen Fokus auf Deutschspracherwerb und Arbeitsmarktintegration teilen alle politischen Ebenen. Für die Kommunen bedeutet das häufig, sich in Feldern ohne explizite Zuständigkeit und Ressourcen zu bewegen. Umfang und Qualität der Arbeit sind weiterhin stark vom politischen Willen vor Ort abhängig. Bund und Länder haben daher die Aufgabe zur Harmonisierung der Ansätze – sei es über Diskussionsprozesse wie den Nationalen Aktionsplan Integration, die Verstetigung von Förderprogrammen oder gesetzliche Änderungen zur Stärkung kommunaler Verantwortungsübernahme. Kommunen sind besonders stark in der Pflicht, die Teilhabe von Migrant*innen voranzubringen. Sie können das aber nur effektiv tun, wenn sie von übergeordneten Ebenen gefördert und gefordert werden.