Die Asylkrise sei "im Großen und Ganzen bewältigt" worden, resümierte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung im Frühjahr 2018. Sie hatte Grund zu danken, was die vielfältige aktive Hilfe durch die Bevölkerung und die Organisationskraft der Bundesländer und Kommunen betraf, von der Versorgung und Kleidersammlung über Beratung und Dolmetschen bis zur Vermittlung von Arbeit. Allein 2015 wurden 890.000 Geflüchtete untergebracht, anfangs auch in Traglufthallen und großen Zelten. Millionen Freiwillige engagierten sich, in spontanen Zusammenschlüssen ebenso wie in kirchlichen und verbandlichen Strukturen. Technisches Hilfswerk und Bundeswehr assistierten infrastrukturell. Die Medien feierten die "Willkommenskultur".
Das BAMF als Nadelöhr
Dagegen wurde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei der Aufnahme der Geflüchteten zum Nadelöhr. Es war 2005 in der Erwartung neu begründet worden, eine zentrale Behörde mit erweiterten Zuständigkeiten werde Asyl und Integration rationaler und effektiver organisieren. Schon bevor 2015 zahlreiche Menschen über die Balkanroute nach Deutschland kamen, war beim BAMF ein gravierender Bearbeitungsstau aufgelaufen. Seit 2008 waren jedes Jahr weniger Asylanträge entschieden worden als eingegangen waren, Ende 2014 waren 169.166 unerledigte Anträge aufgelaufen. Bitten des Behördenchefs um mehr Personal und zeitgemäße technische Ausstattung fanden kein Gehör. Seit Anfang 2015 konnte das BAMF die Antragsteller nicht einmal mehr vollständig registrieren. Fachleute sprachen vom "EASY-Gap", der Diskrepanz zwischen den ersten erfassten Zahlen im Rahmen des Systems der "Erstverteilung der Asylbegehrenden" (EASY) auf die Länder und der Zahl der tatsächlich gestellten Asylanträge. Bis Ende 2015 hatte das BAMF über eine halbe Million Asylbewerber nicht registriert, wie das Amt später selbst dokumentiert hat. In der Asylstatistik erschienen diese Anträge erst 2016 (Abbildung).
Der Bearbeitungsstau blockierte die Integration in allen ihren Aspekten. "All day waiting" zermürbte die Geflüchteten, die mit großen Erwartungen nach Deutschland gekommen und nun über Monate oder sogar Jahre zur Passivität gezwungen waren. Der Enthusiasmus der vielen freiwilligen Helfer, das spontane Interesse vieler Unternehmen und die Organisationskraft der Länder und Kommunen brachen sich an der Ineffizienz der Bundesbehörde, die doch eigentlich eingerichtet worden war, um die Prozesse zu optimieren. Der Vorschlag einer "Altfallregelung" zum Abbau des Staus fand im Bundestag keine Mehrheit.
Die Folgen des Verfahrensstaus zählte die Bundesregierung im Januar 2016 in der Begründung zum "Datenaustauschverbesserungsgesetz" auf: "Die Asylverfahren sind mit einer derzeit durchschnittlichen Dauer von knapp sechs Monaten zu lang. Die betroffenen Personen leben demzufolge entsprechend lange in Unsicherheit über ihr weiteres Schicksal. Jene, deren Anträge letztlich positiv beschieden werden und die deshalb zunächst in Deutschland bleiben dürfen, erhalten so relativ spät Zugang zu Integrationsmaßnahmen und benötigen geraume Zeit, bis sie sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen können. Aber auch für diejenigen, die lange auf einen ablehnenden Bescheid warten müssen, erschwert die Dauer der Verfahren eine Rückkehr in ihre Herkunftsländer. Insbesondere Kinder, die sich schon wegen der Teilnahme am Schulunterricht im Regelfall schneller integrieren, können dann aus einer ihnen gerade vertraut gewordenen Umgebung gerissen werden. Nicht zuletzt deshalb steigt mit der Verweildauer erfahrungsgemäß auch die Wahrscheinlichkeit von Duldungen nach erfolgten Ablehnungen. Dies wiederum beansprucht Ressourcen, die für anerkannte Schutzbedürftige benötigt werden."
Mit dem Gesetz wurde eine andere Schwachstelle geschlossen: die mangelnde Kompatibilität der Datensysteme zwischen BAMF, Polizei und Ausländerämtern. Die dadurch bestehende Möglichkeit zu Mehrfachregistrierungen hatte zu einem gewissen Kontrollverlust geführt. So hatte sich etwa der spätere Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, mit 13 unterschiedlichen Identitäten anmelden können. 2019 folgte ein zweites Gesetz zur Verbesserung des Datenaustausches.
Schnelligkeit vs. Qualität
Im September 2015 trat BAMF-Präsident Manfred Schmidt zurück, im Oktober übergab Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Koordination der Flüchtlingsaufnahme an das Bundeskanzleramt. Frank-Jürgen Weise, der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, übernahm bis Ende 2016 zusätzlich die Leitung des Bundesamtes und konstatierte "unhaltbare Zustände". Mitarbeiter anderer Behörden wurden abgeordnet, um zu helfen. Die neue Leitung digitalisierte die Abläufe, modernisierte die IT-Systeme und beauftragte externe Beratungsunternehmen. Sie entkoppelte die Asylanhörungen von den Entscheidungen, baute Bearbeitungsdruck auf und stellte Personal auf Zeit ein.
Die Bearbeitungszahlen stiegen zwar an, aber die Entscheidungsqualität sank, und es kam zu einer Klageflut vor den Verwaltungsgerichten. Der Personalrat des BAMF kritisierte, dass "Schnelligkeit über Sorgfalt und Qualität" gestellt werde und klagte erfolgreich gegen die Amtsleitung. Hinzu kamen Skandale und Pseudoskandale, die den Ruf der Behörde weiter beschädigten: 2015 ließ sich der rechtsextreme Bundeswehroffizier Franco A. als syrischer Asylbewerber registrieren und bekam Ende 2016 vom BAMF tatsächlich einen Schutzstatus zuerkannt. Nachdem der Schwindel aufflog, ergab sich der Verdacht, dass er in dieser Rolle eine Gewalttat verüben wollte, zumal er in Wien eine Waffe versteckt hatte.
Im Frühjahr 2018 wurde die Leiterin der BAMF-Niederlassung in Bremen beschuldigt, Geflüchteten zu Unrecht Asyl gewährt zu haben. Die Affäre machte über Monate Schlagzeilen und führte im Juni 2018 zur Amtsenthebung von Weises Nachfolgerin Jutta Cordt. Am Ende erwiesen sich die Beschuldigungen als unzutreffend, die Quote widerrufener Bescheide in Bremen lag sogar unter dem Bundesdurchschnitt. Der "Stern" bemitleidete die BAMF-Mitarbeiter als "Sündenböcke vom Dienst".
Ein irritierendes Indiz für die unterschiedliche Qualität der Asylentscheidungen sind bis heute die starken Unterschiede bei den Asylanerkennungen in den lokalen BAMF-Organisationseinheiten (Tabelle 1), für die es keine zureichende Erklärung gibt. Die Bundesregierung legt sie seit 2018 infolge detaillierter Anfragen im Bundestag offen. Die "Asyllotterie", die seit Jahrzehnten in Bezug auf die Unterschiede zwischen den EU-Staaten kritisiert wird, zeigt sich hier schon zwischen den einzelnen BAMF-Außenstellen. In einer Bundestagsanhörung beanstandeten Verwaltungsrichter und Anwälte die mangelnde Qualität vieler Entscheidungen, insbesondere fehlende Tatsachenfeststellungen und Nachfragen bei den Anhörungen.
Gerichte als Korrektiv
So ist es nicht verwunderlich, dass Gerichte einen beträchtlichen Teil der Entscheidungen aufheben. Sie bemängeln nicht nachvollziehbare Bescheide, unzureichende Informationen und die Abwesenheit von BAMF-Vertretern bei den Prozessen. "Das BAMF nimmt seine Rolle in den Asylverfahren nicht wahr", kommentierte etwa Nicola Haderlein, die Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts Düsseldorf. Faktisch sind die Verwaltungsgerichte zu einer ständigen umfassenden Revisionsinstanz geworden. 2019 waren 26,4 Prozent der durch Gerichte entschiedenen Klagen erfolgreich (Tabelle 2). Gegenüber den Vorjahren ist dieser Prozentsatz zwar gesunken, aber es ist ein anhaltender Vertrauensverlust in die Integrität der Asylverfahren entstanden. Die Klagequote gegen ablehnende Asylbescheide ist von knapp 32 Prozent 2015 auf 75 Prozent 2019 angestiegen, weil die hohen Erfolgschancen ein Anreiz sind, Entscheide vor Gericht zu überprüfen.
Selbstbewusst erklärte das BAMF im Oktober 2019: "Die Optimierung der Geschäftsprozesse und Implementierung eines ganzheitlichen Qualitätsmanagementsystems sind im Vergleich mit anderen Behörden nahezu einzigartig." Blickt man auf die Zahlen, so kann man die Einzigartigkeit bestätigen, wundert sich allerdings über den Optimismus der Aussage.
Die Länder werden durch diese Probleme in mehrfacher Weise belastet: Sie tragen die Kosten für die auf eine Entscheidung wartenden Asylbewerber nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, auch wenn der Bund sie zum Teil refinanziert, und bessern BAMF-Entscheidungen in ihren Gerichten nach. Mit der überbordenden Inanspruchnahme der Gerichte durch Asylverfahren wird das Justizsystem insgesamt verlangsamt. So erklärte der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, Michael Hoppe, dem Innenausschuss des Bundestages im Mai 2019, dass 80 Prozent der Verwaltungsgerichtsverfahren inzwischen Asylsachen beträfen.
Reformansätze
Inzwischen ist das BAMF ausreichend mit Personal ausgestattet, seit 2015 ist die Zahl der Mitarbeiter von 2.000 auf 6.980 gestiegen. Der seit Juni 2018 amtierende Präsident Hans-Eckhard Sommer hat die Konflikte mit dem Personalrat bereinigt und das Arbeitsklima verbessert. Gleichwohl beträgt die durchschnittliche Bearbeitungszeit der Asylanträge immer noch mehr als sechs Monate. Das ist umso weniger verständlich, als es heute vielfach um Menschen geht, über die bereits Unterlagen vorliegen. 2019 wurden für 31.417 in Deutschland geborene Kinder von Amts wegen Asylanträge gestellt; der Status der Kinder folgt dabei dem der Eltern. In vielen weiteren Fällen geht es um nachziehende Familienangehörige, die vor der Einreise intensiv überprüft worden sind. 2019 betrafen 80,6 Prozent der Flüchtlingsanerkennungen Menschen mit Familienschutz, das heißt mit behördlicher Erlaubnis Eingereiste oder hier Geborene.
Inzwischen verwendet das BAMF einen großen Teil seiner Arbeitskraft auf Widerrufsverfahren und baut dabei einen neuen Bearbeitungsstau auf. Heute werden alle Entscheidungen noch einmal überprüft, nicht nur anlassbezogene Fälle. Begründet wird diese Schwerpunktsetzung mit dem Verdacht, es seien während der Asylkrise zu viele positive Entscheidungen getroffen worden. Das ist in den bisherigen Verfahren nicht erhärtet worden. Die Fehlerquote bei den positiven Entscheidungen (Tabelle 3) liegt weit unterhalb derer bei den Ablehnungen (Tabelle 2). Gegen die Widerrufsentscheidungen wird wiederum geklagt, und die Erfolgsquote der Klagen gegen Widerrufe war mit 18 Prozent höher als die Widerrufsquote selbst.
Für die betroffenen Menschen bedeutet die Konzentration auf die Widerrufsverfahren eine weitere Verunsicherung. Zudem führen Widerrufe angesichts der langen Aufenthaltszeiten im Allgemeinen nicht zu Ausreisen, sondern nur zur einem veränderten Rechtsstatus. Fassbar werden die fortbestehenden Verzögerungsprobleme insgesamt an der Zahl der Menschen, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz versorgt werden, also nicht in die regulären Systeme eingegliedert sind. Ende 2018 bezogen 411.000 Menschen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das waren zwar weniger als 975.000 Ende 2015 und 469.000 Ende 2017, aber die Zahl der Menschen in einem ungeklärten Aufenthaltszustand, die von den Ländern versorgt werden müssen, ist immer noch hoch. Der Großteil dieser Menschen lebt seit mindestens 2015 in Deutschland, da die Zuzugszahlen seit 2018 gesunken sind.
2017 initiierte das BAMF das Pilotprojekt "Asylverfahrensberatung": Für die Dauer von drei Monaten wurden Asylsuchende in Bonn, Gießen und Lebach durch Mitarbeiter von drei Wohlfahrtsverbänden im Antragsverfahren beraten. Die Evaluation zeigte sehr positive Ergebnisse, insbesondere wurden ein "effektiverer Sachvortag", die höhere "Effizienz des Behördenverfahrens" und ein besseres Verfahrensverständnis bei den Asylbewerbern hervorgehoben. Ende 2017 entschied das Bundesinnenministerium, den Bericht nicht zu veröffentlichen. In einer "politischen Entscheidung" wurde "dem BAMF die Gewährleistung einer unabhängigen Asylverfahrensberatung" übertragen. Der Versuch hatte sich an dem reformierten Verfahren in der Schweiz orientiert. 2019/20 wurden dort 82 Prozent der Verfahren innerhalb von 50 Tagen abgeschlossen, die restlichen 18 Prozent innerhalb von 140 Tagen. Die Rechtsberatung ermöglicht eine Intensivierung der Verfahren und eine Kontrolle durch alle Verfahrensschritte hindurch. Auch der aktuelle Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD von 2018 sieht eine "unabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung" vor. 2019 wurde mit dem "Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" eine Beratung entweder durch das BAMF selbst oder durch Wohlfahrtsverbände gesetzlich normiert. Sie umfasst aber keine beratende Beteiligung bei der Asylanhörung und -entscheidung, wie dies von Fachleuten in einer Anhörung vor dem Innenausschuss des Bundestages übereinstimmend angeregt worden war. Von daher ist nicht abzusehen, dass sich die Qualität der Asylentscheidungen maßgeblich verbessern wird. Die Umsetzung geht länderspezifisch vor sich. Zudem ist zweifelhaft, ob eine Beratung durch das BAMF selbst als unabhängig gelten kann.
Integrationskurse
Seit 2005 ist das BAMF auch für die Integrationskurse zuständig, allerdings nicht als Anbieter, sondern als Auftrags-, Kontroll- und Standardisierungsinstanz. Die Sprachkurse werden ausgeschrieben, die günstigsten Angebote kommen zum Zug. Die Sprachlehrer werden überwiegend als Selbstständige beschäftigt. In der Asylkrise geriet dieses System an seine Grenzen; das BAMF konnte den Bedarf mit seinen Kursen nicht decken, sodass auch hier ein Stau entstand. Zudem durfte es zunächst nur anerkannte Flüchtlinge in die Kurse aufnehmen, ab Ende 2015 dann auch syrische, irakische, iranische und eritreische Asylbewerber. Länder, Kommunen, karitative Verbände und viele Freiwillige sprangen ein, und zwar mit etwa so viel Angebot wie das BAMF.
Die Dringlichkeit rascher Maßnahmen betonte auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Anette Widmann-Mauz: "Unmittelbar nach dem Ankommen brauchen wir Kurse, die Werte und Erwartungen vermitteln, unabhängig von Aufenthaltsdauer und Status." 2018 betrug die Wartezeit bis zur Teilnahme an einem Kurs im Durchschnitt jedoch 8,1 Monate, für Eltern- und Frauenintegrationskurse sogar 11,5 Monate. Auch die Zahl der erfolglosen und "inaktiven" Teilnehmer ist von Jahr zu Jahr gestiegen: von 84.044 im Jahr 2015 auf 197.278 im Jahr 2018.
Die gewachsene Kritik an der Qualität der Integrationskurse griff der Bundesrat im Herbst 2019 in einer Entschließung auf. Er forderte "eine grundsätzliche Neugestaltung der Struktur der Deutschkursangebote" und eine "übersichtliche und bedarfsgerechte Gestaltung eines qualitativ verbesserten umfassenden Sprachprogramms, bei dem die verschiedenen Angebote an Erstorientierungs- und Integrationskursen sowie zur berufsbezogenen Sprachförderung vereinheitlicht, schlüssig aufeinander abgestimmt und miteinander verzahnt sind". Zudem sprach er sich für die frühzeitige Einbeziehung "alle[r] Zuwandernden, einschließlich der Geduldeten" aus. Er forderte die Bundesregierung auf, ihre "Verantwortung für die Vermittlung von Deutschkenntnissen wahrzunehmen und die Angebote der Länder entbehrlich zu machen". Die Forderung nach qualitativer Verbesserung bezog sich vor allem auf die sinkenden Erfolgsquoten bei den Prüfungen, das Auswendiglernen unverstandener Antworten beim Orientierungsteil der Kurse und die mangelnde Unterrichtskontinuität aufgrund der Preiskonkurrenz um die vom BAMF vergebenen Aufträge.
Statt eines rationalen Systems ist ein komplexes Durcheinander unterschiedlicher Angebote entstanden, das die Kommunen auf lokaler Ebene koordinieren müssen. Verwaltungswissenschaftler haben daher vorgeschlagen, die Kursorganisation ganz auf die Kommunen zu übertragen und das BAMF mit Koordinierungsaufgaben zu betrauen. In den Niederlanden hat der Rechnungshof aus Effizienzgründen ebenfalls eine Rückverlagerung auf die Kommunen angeregt, und das Parlament ist ihm jüngst gefolgt.
Arbeitsaufnahme und Sozialhilfe
Seit 1980 war in der Bundesrepublik de facto ein Abwehrregime entwickelt worden, um die Asylzahlen zu senken. Arbeitsverbot, Beschränkung der Bewegungsfreiheit, Abschaffung der Sprachförderung und Absenkung von Sozialleistungen waren die wichtigsten Elemente. Diese Einschränkungen wurden im Zuge des Integrationskonsenses, der sich seit 2005 entwickelte, schrittweise gelockert oder aufgehoben. 2012 erklärte das Bundesverfassungsgericht die abgesenkten Sätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig. "Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren", lautete der Kernsatz des Urteils. Die Leistungen mussten somit auf das Niveau der Hartz-IV-Sätze angehoben werden. Gleichwohl wurde das Asylbewerberleistungsgesetz beibehalten, und Flüchtlinge werden weiterhin mit großem Aufwand vom Asylbewerberleistungs- in das Hartz-IV-System transferiert, sobald sie anerkannt sind.
Angesichts des steigenden Bedarfs an Arbeitskräften war das Arbeitsverbot für Asylbewerber nicht mehr zu vermitteln, und so wurde es im November 2014 teilweise abgeschafft: Sie konnten nun "nachrangig" beschäftigt werden, wenn keine Deutschen oder Gleichgestellten verfügbar waren. Schrittweise wurde das Arbeitsverbot weiter gelockert und 2019 auf die ersten drei Monate nach der Ankunft beschränkt. Fünf Jahre nach ihrem Zuzug haben 67 Prozent der seit 2013 angekommenen Geflüchteten eine erste Erwerbstätigkeit in Deutschland aufgenommen. Die Arbeitsmarktintegration erfolgt damit "etwas schneller als bei Geflüchteten früherer Jahre". Auch die 1982 eingeführte "Residenzpflicht" für Asylberber wurde im Zuge des Integrationskonsenses schrittweise abgeschafft. Allerdings können Asylbewerber ohne "gute Bleibeperspektive" seit 2018 bis zu 18 Monate und in Einzelfällen darüber hinaus in sogenannten Ankerzentren und ähnlichen Einrichtungen untergebracht werden, ohne Zugang zu Integrationskursen oder Arbeitsmöglichkeiten zu haben. Die beengten Lebensbedingungen dort werden als traumatisierend kritisiert, vor allem für die vielen betroffenen Kinder.
Angesichts des Staus bei den Asylverfahren kam es seit 2016 zu Konflikten, wenn Geflüchtete Arbeit gefunden oder eine Ausbildung aufgenommen hatten, die Asylanträge aber abgelehnt worden waren. Unternehmen und Helfer protestierten, wenn gut integrierte Asylbewerber aus der Arbeit abgeschoben wurden. Die Regierungskoalition einigte sich im August 2016 schließlich auf die "3+2"-Regelung: Asylbewerber, die eine Lehrstelle gefunden haben, können demnach die Lehre beenden und anschließend zwei weitere Jahre in Deutschland arbeiten. Dies eröffnet ihnen die Chance auf Aufenthaltsverfestigung und fortgesetzte Integration. Die Umsetzung in den Ländern verläuft unterschiedlich.
Seit 2015 wurde das schwedische Modell des "Spurwechsels" diskutiert, mit dem Asylbewerber zu Arbeitseinwanderern werden können, wenn sie einen Job finden. Leistungsempfänger werden so zu Steuerzahlern. Deutschland übernahm diesen Gedanken für Zuwanderer aus den "Westbalkanstaaten", also aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien. Seit 2015 können sie Visumsanträge stellen, wenn sie ein Arbeitsplatzangebot haben, allerdings nur aus dem Ausland. Die Neuregelung funktioniert mit Schwierigkeiten, weil die Wartezeit für Visa in fünf der sechs deutschen diplomatischen Vertretungen in den betreffenden Ländern mehr als ein Jahr beträgt.
Resümee
Während Länder und Kommunen ihre Aufgaben weitgehend erfüllten und kreativ mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiteten, konterkarierte der Entscheidungsstau beim BAMF die Bemühungen von Geflüchteten, Freiwilligen, Wirtschaft und Kommunalbehörden, führte zu unnötigen Kosten und verzögerte die Integration. Entgegen der Erwartung, Zentralisierung führe zu größerer Einheitlichkeit der Ergebnisse, zeigen sich bei den Asylentscheidungen extreme lokale Unterschiede. Nach wie vor korrigieren die Gerichte viele Entscheide. Bei den Integrationskursen ergeben sich Qualitätsdefizite durch die Ausschreibung nach Kostengünstigkeit. In beiden Bereichen können Ex-Post-Kontrollen die Defizite nicht beheben. Heute ist das BAMF personell und organisatorisch besser aufgestellt als 2015, der Datenaustausch zwischen den Behörden funktioniert. Nach wie vor gibt es aber sowohl bei der zeitlichen wie bei der qualitativen Dimension Defizite. Im Fall großer Zugangszahlen wäre zu befürchten, dass es erneut zu Problemen käme.
Die aktuelle Krise infolge der Covid-19-Pandemie ist vor diesem Hintergrund sowohl eine zusätzliche Herausforderung als auch eine neue Chance. Mit der Schließung vieler Grenzen geht auch die Migration zurück. Es gibt weniger Einwanderung, aber auch weniger Rückwanderungen und Rückführungen aller Art. Weniger Asylanträge werden gestellt, und ganz überwiegend stammen sie von Menschen, die sich schon in Deutschland aufhalten. Allerdings sind große Sammelunterkünfte noch problematischer als bisher, weil Seuchengefahr und Perspektivlosigkeit wachsen. Erste Gerichtsurteile untersagen die enge Belegung in Sammelunterkünften. Das BAMF hat zunächst mit einer Aussetzung der Anhörungen und der Dublin-Überstellungen reagiert. Gleichzeitig hat Deutschland bei der EU eine Verlängerung der Überstellungsfristen angeregt, jedoch ohne Erfolg. Damit etabliert der Bund erneut eine Wartesituation, in der die Länder ankommende Asylbewerber unterbringen und versorgen.
Der zeitweilige Stillstand bietet aber auch eine Chance für eine nachhaltige Konsolidierung und die Auflösung der Ambivalenz zwischen Abwehr und Integration. Rasche Statusklärung, direkter Zugang zu Sprachkursen, Unterstützung bei der Arbeitsaufnahme sind dabei wichtig. Entscheidend aber sind zügige und gute Asylverfahren. Sie brauchen immer noch mehr als sechs Monate – eine Dauer, die die Bundesregierung auf dem Höhepunkt der Asylkrise beklagt hatte.
ist emeritierter Professor für vergleichende Politikwissenschaft und Migrationsforschung an der Universität Münster. E-Mail Link: thranha@uni-muenster.de
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