Einleitung
Die Innovationskraft dürfte mit zunehmendem Alter der Mitarbeiter und Unternehmer schrumpfen und das gesamtwirtschaftliche Wachstumspotenzial dürfte sinken, da sowohl Arbeit knapper als auch technischer Fortschritt langsamer werden wird."
Der vorliegende Beitrag setzt sich nicht weiter mit dem Argument der Schrumpfung des Erwerbspersonenpotenzials auseinander. Nur so viel sei dazu festgehalten: Wenn realistische, mittlere Annahmen zur künftigen demographischen Entwicklung
Viel mehr Ältere
Von wesentlich größerer Relevanz ist die absehbare und unabwendbare Alterung des Erwerbspersonenpotenzials - und damit letztlich auch der Belegschaften in den Betrieben. Abbildung 1 (vgl. PDF-Version) zeigt für die 55- bis 64-Jährigen, wie stark die Zunahme der Zahl der Personen im höheren Erwerbsalter sein wird. Verglichen mit dem Jahr 2006 wird die Zahl der Einwohner in dieser Altersgruppe bis 2025 bundesweit um rund 40 Prozent ansteigen. In manchen Landkreisen lässt sich sogar ein Zuwachs um 75 Prozent recht gesichert vorhersagen.
Aus Abbildung 1 (vgl. PDF-Version) lässt sich eine Reihe von Fragen ableiten wie beispielsweise: Werden die Betriebe bereit sein, so viele Ältere bis zur Rente zu beschäftigen bzw. vom externen Arbeitsmarkt einzustellen?
Innovativ trotz Alterung?
Wie gut belegt ist die im Eingangszitat implizite enthaltene These von einer mit der demographischen Alterung (bzw. dem individuellen, biologischen Altern) automatisch verbundenen, abnehmenden Innovationskraft? Zunächst ist festzustellen, dass die empirische Unterfütterung dieser These offenbar äußerst dünn ist, so zum Beispiel, wenn der IfO-Ökonom Hans-Werner Sinn schreibt: "Auch die geistige und wirtschaftliche Dynamik Deutschlands wird erlahmen. Nach einer Untersuchung von Guilford aus dem Jahr 1967 erreichen Wissenschaftler im Durchschnitt aller Disziplinen im Alter von ca. 35 Jahre ein Maximum ihrer Leistungskraft."
Schon ernster zu nehmen sind vielfältige Befunde aus der Umfrageforschung, die mehrheitlich belegen, dass Ältere - sowohl bezogen auf die Erwerbstätigen als auch auf die Gesamtbevölkerung - technischen Neuerungen etwas reservierter gegenüber stehen als Jüngere.
Auf der anderen Seite finden sich in der Literatur auch, und zwar wesentlich mehr gegenteilige Befunde zum Stereotyp der innovationsaversen Älteren. In technologisch wichtigen Bereichen wie dem Maschinenbau und der Elektrotechnik, aber auch bei den Dienstleistungsbranchen hat etwa Klaus-Dieter Fröhner anhand mehrerer Fallstudien festgestellt: "Erstaunlicherweise sind die Innovationsträger älter als das durchschnittliche Alter der Mitarbeiter der Unternehmen."
Beispiele empirischer Studien
Internationale Studien zum Zusammenhang zwischen der Firmenproduktivität und dem Alter der Belegschaft zeigen fast immer ein umgekehrt u-förmiges Alters-Produktivitätsprofil.
Die Mängel oder Fehler, die im Umgang mit älteren oder alternden Mitarbeitern immer wieder betont werden, sind vermehrt in kleineren oder mittleren Unternehmen festzustellen. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese weniger Personalentwicklung betreiben als größere Unternehmen.
Aus diesen Studien ergibt sich, dass sich bislang nur etwa zehn Prozent der individuellen Unterschiede in der Arbeitsleistung allein durch das Lebensalter erklären lassen, das heißt, dass der Einfluss des Alters auf die Produktivität - im Gegensatz zum Arbeitsumfeld - sehr gering ausfällt.
Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass eine Produktivitätssteigerung insbesondere auch durch eine Verbesserung der Arbeitsgestaltung, und zwar in der gesamten Erwerbsbiographie, hin zu alternsgerechten - nicht nur altersgruppenspezifischen, sondern sich auf die gesamte Erwerbsbiographie beziehenden - Arbeitsbedingungen erreicht werden kann.
Weshalb die Diskussion der Innovationsfähigkeit nur schwer von der Frage der Produktivität abzukoppeln ist, zeigen die verschiedenen Parameter von Innovationsfähigkeit, wie sie Gerda Jasper und andere definieren: Die Autoren gehen erstens davon aus, dass Innovationsfähigkeit von spezifischen individuellen Charakteristika abhängt, ergänzen diesen Aspekt zweitens um ein passendes Umfeld und unterstellen drittens, dass strukturelle Bedingungen, also betriebliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Innovationsfähigkeit determinieren. Viertens - und mittlerweile am meisten anerkannt - vertreten sie den Standpunkt, dass Innovationsfähigkeit ebenso wenig nur in der Persönlichkeitsstruktur des Menschen angelegt ist, wie sie allein durch das Arbeitsumfeld hervorgebracht wird.
Entscheidend, um die Innovationsfähigkeit im Erwerbsleben zu erhalten, ist die Arbeitsgestaltung: Es kommt darauf an, das Wissen der Arbeitskräfte immer auf dem neuesten Stand zu halten, Erfahrungswissen mit neuesten Erkenntnissen zu verknüpfen und die Kreativität zu fördern. Voraussetzung dafür ist lebenslanges Lernen. Allerdings unterscheiden sich die Lernbedingungen und -fähigkeiten älterer und lerngewohnter junger Menschen voneinander. Mit fortschreitendem Alter nimmt insbesondere die Lerngeschwindigkeit ab, wie sich aus den Erkenntnissen über die zwei Komponenten der Intelligenz
Die Unternehmen werden Innovationen künftig nicht mehr mit überwiegend jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erzielen können. Das ist sicher. Zur Erhaltung der Innovationskraft ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen die Betriebe daher alternsgerechte und lernförderliche Arbeitsbedingungen anstreben: Das betrifft Arbeitsgestaltung, Organisation, Führung und Personalentwicklung gleichermaßen.
Lebenslanges Lernen als Schlüssel
Die Berliner Erklärung der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsförderung "Innovation und Lernen - Lernen mit dem Wandel" deklariert, kurz gesagt, dass angesichts der Herausforderungen (demographische Entwicklung, Globalisierung, betriebliche Reorganisationen etc.) eine neue Lernkultur gefordert ist, die neue Lernziele, Inhalte, Methoden sowie ein neues Lehr- und Lernverständnis beinhaltet.
"Betriebe sind nicht deshalb innovativ, weil sie das Problem ältere Mitarbeiter` durch Ausgliederung und Vorruhestand lösen, sondern weil es ihnen gelingt, Arbeitnehmer aller Altersstufen in den organisatorischen, hoch innovativen Gesamtzusammenhang zu integrieren."
Gemäß der 3. Europäischen Erhebung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen (CVTS3) haben 2005 deutlich weniger Unternehmen in Deutschland in irgendeiner Form Weiterbildungsmaßnahmen angeboten (70 %) als 1999 (92 %). Der Anteil der Beschäftigten, die an formellen Kursen teilnahmen, ist dabei aber leicht angestiegen.
Auch nach den Beschäftigtenumfragen des so genannten Berichtssystems Weiterbildung ist der Anteil der Erwerbstätigen, die an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen haben, seit 2003 merklich gesunken. Außerdem hat der Umfang der Förderung, vor allem bezogen auf die vollständige oder zumindest teilweise Kostenübernahme durch die Betriebe, abgenommen. Das bestätigen auch die Ergebnisse anderer einschlägiger Befragungen. Für die Innovationsfähigkeit der Betriebe und die Demographiefestigkeit ihrer Personalentwicklung ist das ein Problem.
Ein noch viel größeres Problem als die zu geringe Beteiligung ist in der sozialen Selektivität der Weiterbildungsförderung zu sehen: Ältere und vor allem geringer Qualifizierte nehmen erheblich seltener an Weiterbildungsmaßnahmen teil als Beschäftigte mittleren Alters und höher Qualifizierte bzw. Personen mit höherem beruflichen Status. Dem Berichtssystem Weiterbildung sowie auch dem IAB- Betriebspanel zufolge hat diese Spaltung in den vergangenen Jahren noch zugenommen.
Dass auch die beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsagenturen im Rahmen der Hartz-Reformen radikal - wohl zu radikal - zurückgefahren wurden (2006 wurde nur noch ein Drittel der Maßnahmen von 2001 durchgeführt), verbessert die Lage und die Perspektiven nicht. Sinnvolle Maßnahmen der Arbeitsagenturen wie das präventiv angelegte Programm "WeGebAU" (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen) werden von den Betrieben zu wenig angenommen.
Schließlich ist hinsichtlich der beruflichen Weiterbildung anzumerken, dass Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Länder bei der Beteiligung an beruflicher Weiterbildung deutlich unterdurchschnittlich abschneidet (vgl. Abbildung 2 der PDF-Version). Das gilt sowohl für die von den Beschäftigten selbst getragenen wie für die von den Betrieben bezahlten Maßnahmen.
Für die geringe Beteiligung ihrer Beschäftigten an Weiterbildungsmaßnahmen nennen die Unternehmen zwei Gründe: Erstens entspreche die Qualifikation der Beschäftigten bereits dem Bedarf des Unternehmens, und zweitens sei ihre Arbeitsbelastung momentan zu hoch. Gleichzeitig fällt auf, dass die Anteile der Unternehmen, in denen weder der Qualifikationsbedarf ermittelt wird noch eine Erfolgskontrolle der Weiterbildung erfolgt (jeweils mindestens zwei Drittel) sehr hoch sind.
Auch nach Angaben des European Labour Force Surveys 2004 liegt die Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen in Deutschland um ein Drittel unter dem Durchschnitt der EU-15.
Fazit
Alternde Belegschaften sind nach heutigen Erkenntnissen - entgegen weit verbreiteten stereotypen Vorstellungen - keineswegs der Grund für einen Rückgang oder gar Einbruch der Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Vielmehr sind es die betrieblichen Voraussetzungen in Deutschland, die womöglich dazu führen werden, dass alternde Belegschaften in den Betrieben, die nicht schon heute auf eine alternsgerechte und lernförderliche Arbeitsgestaltung für ihre Mitarbeiter setzen, einen Rückgang ihrer Innovationskraft erleiden werden - mit ungeahnten Folgen für die Unternehmen wie die gesamte Volkswirtschaft.
Weiterhin ist festzuhalten, dass die Innovationsfähigkeit nicht mehr über den Rückgriff auf viele junge Mitarbeiter bewerkstelligt werden kann - ebensowenig auf junge Arbeitskräfte aus den ebenfalls alternden Nachbarländern -, und dass Deutschland im europäischen Vergleich in der Weiterbildung immer weiter ins Hintertreffen gerät. Diese Erkenntnisse sind keineswegs neu oder überraschend. Die dazu führenden Fakten sind lange bekannt, die Reaktion darauf lässt bis heute auf sich warten. Aber: "Gut Ding will Weile haben", und in der Zwischenzeit werden wir einfach älter.