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Alternde Belegschaften und Innovationskraft der Wirtschaft | Ältere: Gesellschaftliches Potential! | bpb.de

Ältere: Gesellschaftliches Potential! Editorial Hoffnung trotz Jugendwahn - Essay Aktives Altern in Europa Beschäftigungspolitik für Ältere: Deutschland und seine Nachbarn Alternsgerechte Arbeitszeiten In Arbeit bleiben - wieder in Beschäftigung kommen Alternde Belegschaften und Innovationskraft der Wirtschaft

Alternde Belegschaften und Innovationskraft der Wirtschaft

Ralph Conrads Ernst Kistler Thomas Staudinger Thomas Ernst Kistler / Staudinger Ralph Conrads /

/ 14 Minuten zu lesen

Abbauprozesse des Alterns lassen sich kompensieren. "Altern und Innovation" sind keine Widersprüche. Das Beispiel des lebenslangen Lernens zeigt, dass hierbei in Deutschland Möglichkeiten leichtfertig verschenkt werden.

Einleitung

Die Innovationskraft dürfte mit zunehmendem Alter der Mitarbeiter und Unternehmer schrumpfen und das gesamtwirtschaftliche Wachstumspotenzial dürfte sinken, da sowohl Arbeit knapper als auch technischer Fortschritt langsamer werden wird." Norbert Walter, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, bringt mit diesem Satz eine Befürchtung zum Ausdruck, welche die weitgehend pessimistische Sicht der öffentlichen Debatte um den demographischen Wandel prägt: Ein kleiner werdendes und stark alterndes Erwerbspersonenpotenzial bedrohe die Innovationskraft und Produktivität der Wirtschaft, da es älteren Beschäftigten an der Innovationsbereitschaft und -fähigkeit sowie letztlich auch an der nötigen Leistungsfähigkeit mangele.







Der vorliegende Beitrag setzt sich nicht weiter mit dem Argument der Schrumpfung des Erwerbspersonenpotenzials auseinander. Nur so viel sei dazu festgehalten: Wenn realistische, mittlere Annahmen zur künftigen demographischen Entwicklung und der Entwicklung der Erwerbsquoten zu Grunde gelegt werden, ist keineswegs von einer kurz- oder mittelfristigen "demographischen Wende am Arbeitsmarkt" auszugehen. Dass ein eklatanter Mangel an Arbeitskräften die Massenarbeitslosigkeit ablösen werde, scheint also unrealistisch.

Viel mehr Ältere

Von wesentlich größerer Relevanz ist die absehbare und unabwendbare Alterung des Erwerbspersonenpotenzials - und damit letztlich auch der Belegschaften in den Betrieben. Abbildung 1 (vgl. PDF-Version) zeigt für die 55- bis 64-Jährigen, wie stark die Zunahme der Zahl der Personen im höheren Erwerbsalter sein wird. Verglichen mit dem Jahr 2006 wird die Zahl der Einwohner in dieser Altersgruppe bis 2025 bundesweit um rund 40 Prozent ansteigen. In manchen Landkreisen lässt sich sogar ein Zuwachs um 75 Prozent recht gesichert vorhersagen.

Aus Abbildung 1 (vgl. PDF-Version) lässt sich eine Reihe von Fragen ableiten wie beispielsweise: Werden die Betriebe bereit sein, so viele Ältere bis zur Rente zu beschäftigen bzw. vom externen Arbeitsmarkt einzustellen? Können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehrheitlich wirklich bis zum Alter von 65 Jahren oder gar länger arbeiten (Stichworte: Gesundheit, Kompetenz, Motivation)? Was tun die Betriebe dafür, dass das möglich wird (Stichworte: Überwindung der Altersdiskriminierung, Weiterbildungsförderung, Gesundheitsprävention usw.)? Und eben auch: Kann ein Betrieb, eine Volkswirtschaft mit einem so hohen Anteil Älterer die nötige Innovationskraft und Produktivität aufweisen?

Innovativ trotz Alterung?

Wie gut belegt ist die im Eingangszitat implizite enthaltene These von einer mit der demographischen Alterung (bzw. dem individuellen, biologischen Altern) automatisch verbundenen, abnehmenden Innovationskraft? Zunächst ist festzustellen, dass die empirische Unterfütterung dieser These offenbar äußerst dünn ist, so zum Beispiel, wenn der IfO-Ökonom Hans-Werner Sinn schreibt: "Auch die geistige und wirtschaftliche Dynamik Deutschlands wird erlahmen. Nach einer Untersuchung von Guilford aus dem Jahr 1967 erreichen Wissenschaftler im Durchschnitt aller Disziplinen im Alter von ca. 35 Jahre ein Maximum ihrer Leistungskraft."

Schon ernster zu nehmen sind vielfältige Befunde aus der Umfrageforschung, die mehrheitlich belegen, dass Ältere - sowohl bezogen auf die Erwerbstätigen als auch auf die Gesamtbevölkerung - technischen Neuerungen etwas reservierter gegenüber stehen als Jüngere. Von einer auch nur in Maßen verbreiteten "Technikfeindlichkeit" kann jedoch auch auf Basis dieser Untersuchungen bei den Älteren keinesfalls gesprochen werden.

Auf der anderen Seite finden sich in der Literatur auch, und zwar wesentlich mehr gegenteilige Befunde zum Stereotyp der innovationsaversen Älteren. In technologisch wichtigen Bereichen wie dem Maschinenbau und der Elektrotechnik, aber auch bei den Dienstleistungsbranchen hat etwa Klaus-Dieter Fröhner anhand mehrerer Fallstudien festgestellt: "Erstaunlicherweise sind die Innovationsträger älter als das durchschnittliche Alter der Mitarbeiter der Unternehmen." Arbeitswissenschaftliche Befunde zeigen auch immer wieder, "dass zu den erlernbaren individuellen Voraussetzungen technischer Kreativität eine Kombination von konstruktionsmethodischem Können mit praktischer Entwurfserfahrung gehört". Sprich: Neben dem methodischen Können ist also der auf einer gewissen Arbeitserfahrung und Experimentierfreiheit beruhende "Schematransfer" grundlegend für kreative Prozesse (und für später gewinnbringende Innovationen). Hier können ein höheres (Arbeits-)Alter und die dabei erworbene Arbeitserfahrung ein entscheidender Vorteil sein! Als widerlegt kann inzwischen gelten, dass es bei älteren Erwerbstätigen zu einem automatischen Abbau der Leistungsfähigkeit kommen müsse (das so genannte Defizitmodell). Zwar verschieben sich die Leistungsparameter; aber weder in der Bilanz noch bei der Innovationsfähigkeit oder Produktivität ist eine Minderung zwingend! Auch das so genannte Kompetenzmodell, dass auf die Zuwächse altersspezifischer Stärken abstellt, ist keine Gesetzmäßigkeit. "Bei beiden Modellen handelt es sich jedoch um stereotypische Betrachtungsweisen. Beide verallgemeinern und blenden die Kontextabhängigkeit von Fähigkeiten aus. Es gibt den` älteren Arbeitnehmer oder die` ältere Arbeitnehmerin nicht." Es hängt von individuellen und erwerbsbiographisch zu betrachtenden Faktoren, nämlich von den Arbeitsbedingungen ab, ob Betriebe oder auch ganze Volkswirtschaften unter der Maßgabe der Alterung innovativ sind und bleiben können.

Beispiele empirischer Studien

Internationale Studien zum Zusammenhang zwischen der Firmenproduktivität und dem Alter der Belegschaft zeigen fast immer ein umgekehrt u-förmiges Alters-Produktivitätsprofil. Demnach steigt der Wertschöpfungsbeitrag bis ins mittlere Erwerbsalter von ca. 30 bis 50 Jahren an, um dann im Alter wieder abzusinken. Dabei ist Produktivität im Alter nicht allein eine Frage individueller Leistungsfähigkeit, sondern immer auch eine der vorhandenen Angebote und Gelegenheiten im Erwerbsleben. Lutz Schneider warnt daher davor, falsche Schlussfolgerungen aus solchen Ergebnissen zu ziehen. Man kann in diesen Fällen auch von einer "selbsterfüllenden Prophezeiung" sprechen, da sowohl das Fremd- wie das Selbstkonzept der Älteren negativ belastet ist und die Beteiligung dieser Gruppe an Weiterbildungsmaßnahmen dadurch äußerst niedrig ausfällt, dass der Großteil der Betriebe kein konstruktives Altersmanagement betreibt. Selbst von politischer Seite wurden in der Vergangenheit eher Verrentungs- statt Aktivierungsstrategien institutionalisiert.

Die Mängel oder Fehler, die im Umgang mit älteren oder alternden Mitarbeitern immer wieder betont werden, sind vermehrt in kleineren oder mittleren Unternehmen festzustellen. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese weniger Personalentwicklung betreiben als größere Unternehmen. Dennoch greifen die meisten ökonometrischen Studien, die den Zusammenhang von Produktivität und dem Alter der Belegschaft eines Unternehmens untersuchen, zu kurz, indem sie sich auf Löhne der Mitarbeiter und die Wertschöpfung des Unternehmens beziehen. Die viel aussagekräftigere biomedizinische Forschung kann das Ergebnis der Leistungsminderung älterer Arbeitnehmer nicht bestätigen. In der beruflichen Tätigkeit wirken die verschiedenen Fähigkeiten in unterschiedlichsten Kombinationen zusammen, wobei sich vorhandene oder entstandene Defizite durch andere Fähigkeiten kompensieren lassen bzw. dies durch andersartige Arbeitsweisen oder Hilfsmittel in der Arbeit geschieht.

Aus diesen Studien ergibt sich, dass sich bislang nur etwa zehn Prozent der individuellen Unterschiede in der Arbeitsleistung allein durch das Lebensalter erklären lassen, das heißt, dass der Einfluss des Alters auf die Produktivität - im Gegensatz zum Arbeitsumfeld - sehr gering ausfällt. Hinzu kommt, dass für die Produktivitätseinbußen neben dem durch Arbeit verursachten Altern insbesondere länger anhaltende Arbeitslosigkeitsphasen verantwortlich sind, haben diese doch einen starken Einfluss auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit.

Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass eine Produktivitätssteigerung insbesondere auch durch eine Verbesserung der Arbeitsgestaltung, und zwar in der gesamten Erwerbsbiographie, hin zu alternsgerechten - nicht nur altersgruppenspezifischen, sondern sich auf die gesamte Erwerbsbiographie beziehenden - Arbeitsbedingungen erreicht werden kann.

Weshalb die Diskussion der Innovationsfähigkeit nur schwer von der Frage der Produktivität abzukoppeln ist, zeigen die verschiedenen Parameter von Innovationsfähigkeit, wie sie Gerda Jasper und andere definieren: Die Autoren gehen erstens davon aus, dass Innovationsfähigkeit von spezifischen individuellen Charakteristika abhängt, ergänzen diesen Aspekt zweitens um ein passendes Umfeld und unterstellen drittens, dass strukturelle Bedingungen, also betriebliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Innovationsfähigkeit determinieren. Viertens - und mittlerweile am meisten anerkannt - vertreten sie den Standpunkt, dass Innovationsfähigkeit ebenso wenig nur in der Persönlichkeitsstruktur des Menschen angelegt ist, wie sie allein durch das Arbeitsumfeld hervorgebracht wird. Letztendlich zeigt sich, dass Innovationsfähigkeit nicht vom Alter abhängt.

Entscheidend, um die Innovationsfähigkeit im Erwerbsleben zu erhalten, ist die Arbeitsgestaltung: Es kommt darauf an, das Wissen der Arbeitskräfte immer auf dem neuesten Stand zu halten, Erfahrungswissen mit neuesten Erkenntnissen zu verknüpfen und die Kreativität zu fördern. Voraussetzung dafür ist lebenslanges Lernen. Allerdings unterscheiden sich die Lernbedingungen und -fähigkeiten älterer und lerngewohnter junger Menschen voneinander. Mit fortschreitendem Alter nimmt insbesondere die Lerngeschwindigkeit ab, wie sich aus den Erkenntnissen über die zwei Komponenten der Intelligenz im Alter folgern lässt. Das Kurzzeitgedächtnis weist einen leichten Rückgang auf, ebenso die Fähigkeit, Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis zu übertragen und damit neue Informationen aufzunehmen: also zu lernen. Hinzu kommt, dass Kenntnisse, die über längere Zeit nicht abgerufen werden, verloren gehen; manche länger nicht genutzte Fertigkeit wird folglich "verlernt". Es ist daher wichtig, diese durch ausreichende Anwendung im Arbeitsprozess zu erhalten. Wenn dies nicht möglich ist, müssen "Trainingsmöglichkeiten" angeboten werden. Motivation, Lernbereitschaft und Flexibilität bleiben hingegen über die Lebenszeit hinweg konstant; sie hängen nicht vom Alter, sondern von den individuellen Persönlichkeitsmerkmalen und Erfahrungen ab.

Die Unternehmen werden Innovationen künftig nicht mehr mit überwiegend jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erzielen können. Das ist sicher. Zur Erhaltung der Innovationskraft ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen die Betriebe daher alternsgerechte und lernförderliche Arbeitsbedingungen anstreben: Das betrifft Arbeitsgestaltung, Organisation, Führung und Personalentwicklung gleichermaßen.

Lebenslanges Lernen als Schlüssel

Die Berliner Erklärung der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsförderung "Innovation und Lernen - Lernen mit dem Wandel" deklariert, kurz gesagt, dass angesichts der Herausforderungen (demographische Entwicklung, Globalisierung, betriebliche Reorganisationen etc.) eine neue Lernkultur gefordert ist, die neue Lernziele, Inhalte, Methoden sowie ein neues Lehr- und Lernverständnis beinhaltet. Aufgrund der beschriebenen demografischen Entwicklung sind Lösungen gefordert, die Arbeits- und Lebenswelt stärker miteinander in Einklang bringen.

"Betriebe sind nicht deshalb innovativ, weil sie das Problem ältere Mitarbeiter` durch Ausgliederung und Vorruhestand lösen, sondern weil es ihnen gelingt, Arbeitnehmer aller Altersstufen in den organisatorischen, hoch innovativen Gesamtzusammenhang zu integrieren." Das macht neben den oben erwähnten Maßnahmen der Gesundheitsförderung und der Schaffung motivierender Arbeitsbedingungen den Kompetenzerwerb und -erhalt zu einer prioritären Aufgabe im demographischen Wandel. Die Herausforderung betrifft Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Staat gleichermaßen. Dabei ist natürlich nicht nur an die klassisch-formale Weiterbildung zu denken (Kurse, Seminare), sondern auch an die zunehmend Beachtung findenden informalen Lernformen, angefangen beim Lesen von Fachliteratur bis zur Einweisung am Arbeitsplatz. Je informeller allerdings letztere sind, umso schwieriger wird die Grenzziehung zu Vorgängen eher banalen Charakters, die nicht unbedingt als Weiterbildungsmaßnahmen gelten können. Aufgrund dadurch bedingter Unschärfen liegen die empirischen Ergebnisse zur Verbreitung von und Teilnahme an solchen Maßnahmen aus Umfragen, insbesondere solchen, die die Verbände durchführen, immer erheblich höher als diejenigen repräsentativ angelegter Studien. Letztere belegen, dass es um den Erhalt der Innovationsfähigkeit einer alternden Erwerbsbevölkerung durch lebenslanges Lernen in Deutschland nicht zum Besten bestellt ist.

Gemäß der 3. Europäischen Erhebung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen (CVTS3) haben 2005 deutlich weniger Unternehmen in Deutschland in irgendeiner Form Weiterbildungsmaßnahmen angeboten (70 %) als 1999 (92 %). Der Anteil der Beschäftigten, die an formellen Kursen teilnahmen, ist dabei aber leicht angestiegen. Das IAB-Betriebspanel, eine große jährliche repräsentative Unternehmensbefragung, kommt demgegenüber zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Betriebe mit einer Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen seit 1999 leicht angestiegen ist (1999: 39 %; 2005: 42 %). Aber der Anteil der Beschäftigten, die in den Betrieben tatsächlich eine Weiterbildungsförderung erfahren haben, hat im Gegensatz zur CVTS3 leicht abgenommen (vor allem zwischen 2003 und 2005).

Auch nach den Beschäftigtenumfragen des so genannten Berichtssystems Weiterbildung ist der Anteil der Erwerbstätigen, die an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen haben, seit 2003 merklich gesunken. Außerdem hat der Umfang der Förderung, vor allem bezogen auf die vollständige oder zumindest teilweise Kostenübernahme durch die Betriebe, abgenommen. Das bestätigen auch die Ergebnisse anderer einschlägiger Befragungen. Für die Innovationsfähigkeit der Betriebe und die Demographiefestigkeit ihrer Personalentwicklung ist das ein Problem.

Ein noch viel größeres Problem als die zu geringe Beteiligung ist in der sozialen Selektivität der Weiterbildungsförderung zu sehen: Ältere und vor allem geringer Qualifizierte nehmen erheblich seltener an Weiterbildungsmaßnahmen teil als Beschäftigte mittleren Alters und höher Qualifizierte bzw. Personen mit höherem beruflichen Status. Dem Berichtssystem Weiterbildung sowie auch dem IAB- Betriebspanel zufolge hat diese Spaltung in den vergangenen Jahren noch zugenommen.

Dass auch die beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsagenturen im Rahmen der Hartz-Reformen radikal - wohl zu radikal - zurückgefahren wurden (2006 wurde nur noch ein Drittel der Maßnahmen von 2001 durchgeführt), verbessert die Lage und die Perspektiven nicht. Sinnvolle Maßnahmen der Arbeitsagenturen wie das präventiv angelegte Programm "WeGebAU" (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen) werden von den Betrieben zu wenig angenommen.

Schließlich ist hinsichtlich der beruflichen Weiterbildung anzumerken, dass Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Länder bei der Beteiligung an beruflicher Weiterbildung deutlich unterdurchschnittlich abschneidet (vgl. Abbildung 2 der PDF-Version). Das gilt sowohl für die von den Beschäftigten selbst getragenen wie für die von den Betrieben bezahlten Maßnahmen.

Für die geringe Beteiligung ihrer Beschäftigten an Weiterbildungsmaßnahmen nennen die Unternehmen zwei Gründe: Erstens entspreche die Qualifikation der Beschäftigten bereits dem Bedarf des Unternehmens, und zweitens sei ihre Arbeitsbelastung momentan zu hoch. Gleichzeitig fällt auf, dass die Anteile der Unternehmen, in denen weder der Qualifikationsbedarf ermittelt wird noch eine Erfolgskontrolle der Weiterbildung erfolgt (jeweils mindestens zwei Drittel) sehr hoch sind. Hier stellt sich - auch vor dem Hintergund der immer wiederkehrenden Fachkräftedebatte - die Frage, ob in deutschen Unternehmen die Notwendigkeit von und der Bedarf an Qualifikation richtig erkannt oder möglicherweise leichtfertig unterschätzt werden.

Auch nach Angaben des European Labour Force Surveys 2004 liegt die Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen in Deutschland um ein Drittel unter dem Durchschnitt der EU-15. Angesichts eines solchen Befundes kann auch das Argument von der traditionell besseren Bildung und Ausbildung in Deutschland - die Weiterbildung vielfach überflüssig mache - nicht mehr trösten. Es stimmt auch nicht mehr: Viele Länder haben auf diesem Gebiet aufgeholt. Hierzulande wurde zudem der Anteil der Ausgaben für Bildung am Sozialprodukt zurückgefahren; außerdem ist der Anteil der Personen mit tertiärem Bildungsabschluss geringer als in vielen anderen Ländern.

Fazit

Alternde Belegschaften sind nach heutigen Erkenntnissen - entgegen weit verbreiteten stereotypen Vorstellungen - keineswegs der Grund für einen Rückgang oder gar Einbruch der Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Vielmehr sind es die betrieblichen Voraussetzungen in Deutschland, die womöglich dazu führen werden, dass alternde Belegschaften in den Betrieben, die nicht schon heute auf eine alternsgerechte und lernförderliche Arbeitsgestaltung für ihre Mitarbeiter setzen, einen Rückgang ihrer Innovationskraft erleiden werden - mit ungeahnten Folgen für die Unternehmen wie die gesamte Volkswirtschaft.

Weiterhin ist festzuhalten, dass die Innovationsfähigkeit nicht mehr über den Rückgriff auf viele junge Mitarbeiter bewerkstelligt werden kann - ebensowenig auf junge Arbeitskräfte aus den ebenfalls alternden Nachbarländern -, und dass Deutschland im europäischen Vergleich in der Weiterbildung immer weiter ins Hintertreffen gerät. Diese Erkenntnisse sind keineswegs neu oder überraschend. Die dazu führenden Fakten sind lange bekannt, die Reaktion darauf lässt bis heute auf sich warten. Aber: "Gut Ding will Weile haben", und in der Zwischenzeit werden wir einfach älter.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Norbert Walter, Deutsche - immer weniger und immer älter: Was ist zu tun?, in: Peter Speck (Hrsg.), Employability - Herausforderungen für die strategische Personalentwicklung, Wiesbaden 2004, S. 1.

  2. D.h. bei der 11. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung mittlere Annahmen zur Lebenserwartung, eine Konstanz der Geburtenraten und zwischen 100 000 und 200 000 Personen Nettozuwanderung. Das in den allerletzten Jahren niedrigere Wanderungssaldo ist vor allem der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland geschuldet und wird sich wieder erhöhen, sollte der Aufschwung anhalten.

  3. Vgl. Prognos AG, Deutschland Report 2030, Basel 2006.

  4. Unterstellt man die mittleren Szenarien der 11. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung der Statistischen Ämter sowie die Annahmen der Prognos AG zur Entwicklung der altersspezifischen Erwerbsquoten, so wird das Angebot an Arbeitskräften - rein quantitativ - erst nach 2020 in relevantem Maß unter das Niveau des Jahres 2000 absinken.

  5. Die Rente mit 67 und die bisherigen wie künftigen Rentenabsenkungen führen höchstwahrscheinlich zu noch stärkeren Steigerungen der Erwerbsquoten als dort unterstellt (siehe bei Andreas Ebert u.a., Rente mit 67 - Probleme am Arbeitsmarkt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), (2007) 4 - 5, S. 25 - 31.)

  6. Vgl. Andreas Ebert u.a., Ausrangiert - Arbeitsmarktprobleme Älterer in den Regionen, Düsseldorf 2007.

  7. Hans-Werner Sinn, Das demographische Defizit, in: Herwig Birg (Hrsg.), Auswirkungen der demographischen Alterung und der Bevölkerungsschrumpfung auf Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, Münster 2005, S. 64.

  8. Vgl. Ernst Kistler, Die MethusalemLüge. Wie mit demographischen Mythen Politik gemacht wird, München 2006, S. 97ff. - Dies betrifft sowohl den Aspekt von Innovationen im Betrieb als auch denjenigen des Gütermarkts, wo ja die Kundschaft auch älter wird.

  9. Klaus-Dieter Fröhner, Zusammenfassung, in: Christoph von Rothkirch (Hrsg.), Altern und Arbeit: Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft, Berlin 2000, S. 222.

  10. Winfried Hacker, Voraussetzungen technischer Kreativität, in: Stiftung Brandenburger Tor (Hrsg.), Bedingungen und Triebkräfte technologischer Innovationen. Beiträge der gemeinsamen Workshops der Stiftung Brandenburger Tor mit acatech in den Jahren 2006/2007, Berlin 2007, S. 313.

  11. Vgl. Christoph Hubig, Das neue Schaffen - Zur Ideengeschichte der Kreativität, in: Stiftung (Anm. 10).

  12. Martina Morschhäuser, Reife Leistung. Personal- und künftige Qualifizierungspolitik für die künftige Altersstruktur, Berlin 2006.

  13. Vgl. Axel Börsch-Supan u.a., Der Zusammenhang zwischen Alter und Arbeitsproduktivität: Eine empirische Untersuchung auf Betriebsebene, Mannheim 2007; Alexia Prskawetz u.a., The impact of population ageing on innovation and productivity growth in Europe, Wien 2006.

  14. Vgl. Lutz Schneider, Produktivität - Alters- vs. Erfahrungseffekte, Halle 2007.

  15. Vgl. Lutz Bellmann u.a., Betriebliche Sicht- und Verhaltensweisen gegenüber älteren Arbeitnehmern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), (2003) 20, S. 26 - 34.

  16. Vgl. Cornelia Seitz, Generationenbeziehungen in der Arbeitswelt. Zur Gestaltung intergenerativer Lern- und Arbeitsstrukturen in Organisationen, Gießen 2004.

  17. Vgl. World Health Organization, Aging and working capacity, in: Technical Report Series 835, Geneva 2003.

  18. Vgl. Thomas Kieselbach, Arbeitslosigkeit, soziale Exklusion und Gesundheit: Zur Notwendigkeit eines sozialen Geleitschutzes in beruflichen Transitionen, in: Gesundheit Berlin (Hrsg.), Dokumentation 12. bundesweiter Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2007.

  19. Vgl. Gerda Jasper u.a., Innovatives Verhalten Jüngerer und Älterer: Einfluss von Arbeitsumfeld und Erfahrungswissen, in: Annegret Köchling u.a. (Hrsg.), Innovation und Leistung mit älterwerdenden Belegschaften, München-Mering 2000; Hartmut Buck u.a., Demographischer Wandel in der Arbeitswelt. Chancen für eine innovative Arbeitsgestaltung, Stuttgart 2002.

  20. Fluide Intelligenz umfasst Auffassungsgabe, Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen, Abstraktionsfähigkeit sowie das assoziative Gedächtnis. Grundsätzlich ist sie von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausgeprägt, einheitlich ist jedoch ihr Rückgang im Alter. Die kristalline Intelligenz ist weniger biologisch als kulturell determiniert und umfasst im Altersverlauf angeeignetes Erfahrungswissen wie Allgemeinwissen, Wortschatz und Sprachverständnis. Die kristalline Intelligenz nimmt bis zum ca. 60. Lebensjahr zu, um dann in etwa gleich zu bleiben und erst mit 80 Jahren deutlich zurückzugehen. Vgl. Paul Baltes u.a., Die zwei Gesichter der Intelligenz im Alter, in: Spektrum der Wissenschaft, 18 (1995) 10, S. 52.

  21. Vgl. Günther Wachtler u.a., Die Innovationsfähigkeit von Betrieben angesichts alternder Belegschaften: Expertise im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1997.

  22. Vgl. Sara Czaja u.a., Older Worker Training: What we know and don't know, Washington 2006.

  23. Winfried Hacker, Leistungsfähigkeit und Alter. IABColloqium "Praxis trifft Wissenschaft" - "Eine Frage des Alters. Herausforderungen für eine zukunftsorientierte Beschäftigungspolitik" am 20./21. Oktober 2003 in der Führungsakademie der BA, Lauf 2003.

  24. Gerda Jasper u.a., Innovieren mit alternden Belegschaften, in: Josef Moser (Hrsg.) u.a., Vom alten Eisen und anderem Ballast, München-Mering 2001.

  25. Vgl. Ekkehard Frieling u.a., Kreative Impulse für Gegenwart und Zukunft auf dem Berliner Kongress, Quem-Bulletin, 10 (2001)1, S. 1 - 4.

  26. Michael Astor, Innovation - eine Domäne der Jugend? Betriebliche Strategien zur Stärkung der Innovationsfähigkeit, in: Bernhard Badura u.a. (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2002. Demographischer Wandel, Berlin u.a. 2003, S. 166.

  27. Bei Älteren spielen Faktoren wie Motivation zum Lernen und Erfolgsaussichten eine besondere Rolle. Aufgrund der Veränderungen in der Lernfähigkeit mit dem Alter müssen andere Lernformen angewandt werden, dazu gehören die Wahrnehmbarkeit der Informationen (z.B. Schriftgrößen oder Umgebungsgeräusche) sowie das Einbauen des Lernstoffs in vorhandenes Vorwissen. Bei Lernen in Gruppen ist zu beachten, dass altersgemischte Lerngruppen aufgrund der Veränderungen des Lernverhaltens nicht ideal sind. Vgl. Sara Czaja u.a. (Anm. 22), S. 10f.

  28. Hinzu kommt, dass sich einschlägige Verbandsumfragen bei Mitgliedsunternehmen bzw. Mitgliedern praktisch immer auf selbstselektive Stichproben und nicht auf eine saubere Zufallsstichprobe ("at random") beziehen, somit weder wirklich hochrechenbar noch repräsentativ sein können. Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft, Informationsdienst, 33 (2007) 41, S. 4 f.

  29. Vgl. Daniel Schmidt, Berufliche Weiterbildung in Unternehmen 2005, in: Wirtschaft und Statistik, 59 (2007) 7, S. 699ff.

  30. Die Unterschiede zwischen den Frageformulierungen in den diversen Umfragen bedingen erhebliche Ergebnisunterschiede. Das gilt gerade auch für die Abfrage des Betrachtungszeitraums (Maßnahmen im letzten halben Jahr, letzten Jahr, zwei Jahre usw.), was die oben aufgezeigten großen Differenzen in den Prozentangaben mit hervorruft.

  31. Vgl. Margit Lott u.a., Wenig Betrieb auf neuen Wegen der beruflichen Weiterbildung, in: IAB-Kurzbericht, (2007) 23.

  32. Vgl. Daniel Schmidt, Gestaltung und Organisation der beruflichen Weiterbildung in Unternehmen 2005, in: Wirtschaft und Statistik, 59 (2007) 12, S. 1226 - 1235.

  33. Vgl. European Commission, The social situation in the European Union 2005 - 2006, Brüssel 2006.

Dr. rer. nat., geb. 1972; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationales Institut für Empirische Sozialökonomie gGmbH (INIFES), Haldenweg 23, 86391 Stadtbergen.
E-Mail: E-Mail Link: info@inifes.de

Prof. Dr. rer. pol., geb. 1952; Direktor am INIFES.
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Dipl.-Geogr., geb. 1979; wissenschaflticher Mitarbeiter am INIFES.
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