Einleitung
In den nächsten zwanzig Jahren wird die Zahl der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland gegenüber 2005 um rund 40 Prozent ansteigen, regional sogar um bis zu 75 Prozent.
Die Politik greift diese Entwicklungen mit speziellen Arbeitsmarktprogrammen für ältere Menschen auf, deren Effekte nur schwer nachweisbar sind. An den Rahmenbedingungen, die es ermöglichen müssen, dass Menschen länger arbeiten und länger in Arbeit bleiben, wird kaum angesetzt. Auch die Frage des Zugangs zu Erwerbsminderungsrenten sowie der Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand findet keine ausreichende Beachtung. Gleichzeitig sind - nicht zuletzt infolge von Rentenkürzungen, Niedriglöhnen und der nach wie vor bestehenden Massenarbeitslosigkeit - immer mehr Menschen von Altersarmut bedroht.
In diesem Beitrag werden Strategien zur Integration Älterer in den Erwerbsprozess untersucht und neue Wege aufgezeigt, um alters- und alternsgerechtes Arbeiten zu ermöglichen. Arbeitsfähigkeit darf deshalb nicht nur unter der Perspektive altersgerechten Arbeitens, also bezogen auf die Arbeitsbedingungen älterer Menschen, betrachtet werden. Vielmehr muss der Blick auch auf alternsgerechtes Arbeiten gerichtet werden, also auch auf den Prozess des Älterwerdens am Arbeitsplatz. Dieser Aspekt findet bisher zu wenig Niederschlag.
Die Beschäftigungssituation älterer Menschen
Arbeitslosenquote und Beschäftigungsquote: Die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen (vgl. Schaubild 1 der PDF-Version):
Weil weniger Ältere aufgrund der positiven konjunkturellen Entwicklung ihren Job verloren haben, sinkt zwar seit Juli 2007 die Arbeitslosigkeit der Älteren stärker als die Arbeitslosigkeit insgesamt.
Arbeitsmarktpolitische Instrumente
Die bisherigen politischen Maßnahmen sind keinesfalls ausreichend, um die Beschäftigungssituation älterer Menschen durchgreifend zu verbessern. Eine Reihe 2001
Grundsätzlich können Eingliederungszuschüsse ein erfolgreiches Instrument für die Arbeitsmarktintegration sein. Wie aber die Evaluierung der nach dem SGB III erbrachten Lohnkostenzuschüsse zeigt, tragen Lohnkostenzuschüsse kaum zur Verbesserung der Chancen insbesondere von Älteren auf dem Arbeitsmarkt bei:
Die Förderung per Eingliederungszuschuss ist insgesamt rückläufig und erfolgt sozial selektiv. Diese Entwicklung wird auch nicht annähernd durch den Ausbau anderer Lohnkostenzuschüsse oder durch adressatengerechten Einsatz des Eingliederungszuschusses kompensiert.
Insbesondere die auf die Integration Älterer zielenden Instrumente Entgeltsicherung und Beitragsbonus
fristen ein "Schattendasein". Die Ursachen dafür sind - neben handwerklichen Schwächen in der gesetzlichen Ausgestaltung der Instrumente - vor allem in Unzulänglichkeiten des Beratungs- und Vermittlungsprozesses und seiner Steuerung zu suchen.
Diese Unzulänglichkeiten betreffen vor allem fehlende bzw. unzureichende, die Agenturen übergreifende Richtlinien der Förderkriterien und -konditionen und deren Transparenz nach außen, das heißt gegenüber Arbeitsuchenden und Betrieben.
Auf der einen Seite besteht auch beim Eingliederungszuschuss nach dem 7. SGB III-Änderungsgesetz die Gefahr, dass Mitnahmeeffekte gefördert werden. Auf der anderen Seite macht der neue Rechtsanspruch auf eine Eingliederungsleistung deutlich, dass eine "Gegenleistung" für gezahlte Beiträge im Versicherungssystem nicht nur in der Lohnersatzleistung, sondern auch in einer besseren Eingliederungsunterstützung besteht. Dem faktischen Ausschluss der älteren Erwerbslosen von den vielfältigen Angeboten der Arbeitsförderung wird damit das Recht von älteren Erwerbslosen entgegengesetzt, die Eingliederung verlangen zu können. Zusätzlich sind erwerbsfähige Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, nunmehr unverzüglich in eine Arbeit oder Arbeitsgelegenheit zu vermitteln.Aber auch für unter 58-Jährige sollte eine möglichst schnelle Arbeitsvermittlung selbstverständlich sein. Die verstärkte Vermittlung Älterer in Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (so genannte "Ein-Euro-Jobs"), die in der Regelung mit regulärer Arbeit gleichgestellt werden, ist auch nach der Neuordnung der Ein-Euro-Jobs durch die Geschäftsanweisung Nr. 29 der Bundesagentur für Arbeit vom 31. Juli 2007 keine Alternative zu Arbeit, die eine eigenständige Existenzsicherung ermöglicht.
Die Erstattungspflicht des Arbeitslosengeldes durch Arbeitgeber bei "Freisetzungen" langjährig beschäftigter Älterer (ehemalige Regelung in § 147a SGB III) wurde auch durch das 7. SGB III-Änderungsgesetz nicht wieder eingeführt. Dieses Element des "Forderns" auch für Arbeitgeber wurde im Februar 2006 abgeschafft. So wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei selbst verschuldetem Verlust des Arbeitsplatzes eine Sperrfrist hinnehmen müssen, sollten auch Arbeitgeber bei Entlassungen ohne zwingenden Grund zur Kostenerstattung herangezogen werden. Die Arbeitgeber werden aber nach wie vor in keiner Weise an den Kosten der von ihnen verursachten Arbeitslosigkeit beteiligt. Eingliederung von Erwerbslosen im Bereich des SGB II: Nach dem Gesetzestext ist die Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II als aktivierendes Arbeitsmarktinstrument angelegt, die ein Fallmanagement "auf Augenhöhe" ermöglicht. In Verbindung mit § 14 Satz 2 SGB II, wonach die Agentur für Arbeit einen persönlichen Ansprechpartner für jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen) benennen soll, sind die gesetzgeberischen Grundlagen für die einzelfallbezogene Feinsteuerung gelegt. Angestrebt wurde die Betreuung von 75 "Kunden" bzw. "Kundinnen" durch einen Fallmanager. Davon ist die Praxis zumeist weit entfernt. Da die für die Eingliederungsvereinbarung vorgesehenen Regelungen auch durch Verwaltungsakt erlassen werden können (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II), handelt es sich hier auch nicht um eine gleichberechtigte vertragliche Vereinbarung - mit der Folge, dass sich das Instrument des "Förderns" in eines des "Forderns" verwandelt, das gegebenenfalls mehr Druck erzeugt als Unterstützung gibt. Die Eingliederungsvereinbarung ist damit exemplarisch für den verfehlten Ansatz im Grundsicherungsrecht, für geringe Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt viel von den erwerbslosen Hilfebedürftigen zu verlangen. Die "Initiative 50plus" vor Ort: Bei der Suche nach Perspektiven und intensiver Betreuung setzt das Programm "Perspektive 50plus - Beschäftigungspakte für Ältere in den Regionen" an, das Regionalprojekte zur berufliche Wiedereingliederung Älterer ab 50 Jahren fördert. Dieses Programm richtet sich insbesondere an ältere Langzeitarbeitslose. Die Chancen älterer Menschen hängen stark vom regionalen Arbeitsplatzangebot ab. Folgerichtig wird hier angesetzt. Es gibt mittlerweile einige sehr positive Beispiele,die zeigen, dass es in hohem Maße auf die Qualität der Arbeitsvermittlung vor Ort ankommt. Diese muss auch über die Vermittlung von Arbeitsplätzen hinaus die intensive Betreuung der Arbeitssuchenden ermöglichen: Potenziale entdecken, Resignation abbauen, Motivation fördern.
Förderung der Aus- und Weiterbildung: Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleiben bei der Fort- und Weiterbildung meist unberücksichtigt. Qualifizierung beschränkt sich zudem überwiegend auf die kurzfristige Verwertbarkeit erworbener Kenntnisse. Selten wird an die Vermeidung von Arbeitslosigkeit gedacht. Hier setzt die Möglichkeit des § 417 Abs. 1 SGB IIIan. Danach finanzieren die Arbeitsagenturen Weiterbildung nicht - wie im Regelfall - bei eingetretener oder bei drohender Arbeitslosigkeit, sondern für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab Vollendung des 45. Lebensjahres in Betrieben mit weniger als 250 Arbeitnehmern. Vor 2007 galt dies erst ab Vollendung des 50. Lebensjahres und in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmern. Diese Förderung setzt wie bisher das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses, die Freistellung durch den Arbeitgeber während der Maßnahme und die Weiterzahlung des Arbeitsentgelts auch in der Zeit voraus, in der der Arbeitnehmer wegen der in Anspruch genommenen Weiterbildung keine Arbeitsleistung erbringt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, übernimmt die Arbeitsagentur die vollständigen Weiterbildungskosten, im Einzelfall sogar die Kosten für die auswärtige Unterbringung. Der Arbeitgeber kann unter den Voraussetzungen des § 235 c SGB III für diese Zeit aber bei der örtlichen Arbeitsagentur auf Antrag Zuschüsse erhalten. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten jetzt wie bei Weiterbildungsförderung für Arbeitslose einen Bildungsgutschein, mit dem sie unter zertifizierten Weiterbildungsanbietern wählen können.
Dennoch reichen auch hier Zuschüsse allein nicht aus. So hat der DGB im vergangenen Jahr im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit ein Sonderprogramm "Weiterbildung Geringqualifizierter sowie älterer Arbeitnehmer in Unternehmen (WeGebAU)" durchgesetzt.Die Bilanz ist allerdings ernüchternd: Von den bereitgestellten Mitteln in Höhe von 200 Millionen Euro wurden bis zum Herbst 2007 gerade einmal zehn Prozent abgerufen. Fördergelder in Millionenhöhe für die innerbetriebliche Weiterbildung liegen ungenutzt auf den Konten der Arbeitsagenturen. Ohne aktive Arbeitgeber und Interessenvertretung bewegt sich nichts. Das Instrument der Betriebs- und Dienstvereinbarung bietet die Chance, verbindliche und diskriminierungsfreie Festlegungen zur Fort- und Weiterbildung zu schaffen. Eckpunkte neben Regelungen zur Mitbestimmung und eines verbindlichen Verfahrens für eine kontinuierliche Qualifizierung können sein: Sicherung und Entwicklung beruflicher Perspektiven für alle Beschäftigten unabhängig von Alter und Rentennähe;
Weiterentwicklung der Qualifikation, der Kompetenzen und des Leistungspotenzials der Beschäftigten;
Förderung der fachlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen der Beschäftigten;
Vorbereitung des Einstiegs in neue Tätigkeitsfelder.
Auch der Abschluss entsprechender Tarifverträge kann hilfreich sein, um bei Defiziten in der Fort- und Weiterbildung anzusetzen.
Dass darüber hinaus der berufliche Abschluss für die Chancen auf dem Arbeitsmarkt entscheidend ist, ist allgemein bekannt. So waren in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen im Jahr 2005 in Deutschland 59,1 Prozent der Menschen mit einem hohen Bildungsgrad erwerbstätig, bei einem mittleren Bildungsgrad waren es noch 38,8 Prozent und mit einem niedrigen Bildungsgrad nur noch 26,8 Prozent.Stärkung der individuellen Rechte älterer Beschäftigter
Diskutiert wird der Ausbau der individuellen Rechte von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von älteren Erwerbslosen wie zum Beispiel bei Schwerbehinderten oder Erziehenden in der Elternzeit. Zu denken ist hier an gesetzliche Regelungen wie einen verbesserten Schutz vor Kündigungen, Zusatzurlaub, zusätzliche Freizeit, die Beschränkung der Möglichkeit der Anordnung von Nacht- und Schichtarbeit oder einen Anspruch auf Qualifizierung. Zusätzliche Einstellungshindernisse für ältere Menschen sind jedoch zu vermeiden.
Im Bereich des Erwerbsminderungsrentenrechts müssen die durch die Reform 1999/2000 erfolgten erschwerten Bedingungen bei der Inanspruchnahme dieser Renten rückgängig gemacht werden. Zum Verständnis der Philosophie von "in Arbeit bleiben" gehört es auch, Ausstiegsmöglichkeiten für diejenigen Beschäftigten zu schaffen, die physisch oder psychisch "nicht mehr können". Beschäftigungssicherung für Ältere durch Tarifverträge: Mittlerweile haben sich die Tarifvertragsparteien des demographischen Wandels angenommen und versuchen, mit tariflichen Regelungen die Beschäftigung von Älteren zu sichern. Tarifverträge sind nach wie vor eines der wichtigsten Instrumente zur Beschäftigungssicherung und zur sozialverträglichen Gestaltung des Übergangs vom Erwerbsleben in die Rente, ihre Reichweite bei der Bewältigung der anstehenden Veränderungen darf aber nicht überschätzt werden. Möglichkeiten und Grenzen tariflicher Regelungen: Tarifverträge können gezielt zur Beschäftigungssicherung für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgeschlossen werden. Zur Gestaltung des demographischen Wandels eignen sie sich nur bedingt, weil mit ihnen sowohl Menschen ohne Arbeit als auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vieler Branchen aus unterschiedlichen Gründen nicht erreicht werden können. Zudem können Zielkonflikte dadurch entstehen, dass mit tarifvertraglichen Regelungen einerseits alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen gefördert werden, andererseits ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben ermöglicht wird. Der richtige Weg führt wohl in beide Richtungen und erfordert differenzierte Lösungen. Ein vorzeitiges Ausscheiden ist durch die Senkung des Rentenniveaus und die Anhebung des Rentenzugangsalters für Beschäftigte im unteren Einkommenssegment bzw. mit geringen Rentenanwartschaften ausgeschlossen. Gleichzeitig wird sich durch alternde Belegschaften der Druck auf die Unternehmen erhöhen, Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung zu ergreifen und gegebenenfalls auch tariflich zu regeln.
Wo können tarifliche Regelungen ansetzen? Ein wichtiger Gegenstand tariflicher Regelungen ist und wird auch künftig die Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in die Rente sein. Hier wird die tariflich geregelte Altersteilzeit weiterhin ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument sein, zumal die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit von Aufstockungsbeträgen künftig erhalten bleibt.Derzeit werden aber auch Kombinationen mit Teilrenten diskutiert. Dazu müssen allerdings zuerst die rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert werden.
Aber nicht nur dann, wenn keine Möglichkeiten zum vorzeitigen Ausscheiden bestehen, sind Regelungen erforderlich, die den Verbleib älterer Beschäftigter im Arbeitsleben zu sichern. Im Folgenden werden so genannte "Tarifverträge zur sozialverträglichen Gestaltung des demographischen Wandels" beschrieben und bewertet:
Ansätze, die in die richtige Richtung weisen, enthält der "Tarifvertrag zur Gestaltung des demographischen Wandels" der Tarifvertragsparteien in der Eisen- und Stahlindustrie vom 21. September 2006. Der Tarifvertrag vereinbart beispielhaft aufgezählte Maßnahmen zur Förderung gesundheits- und altersgerechter Arbeitsbedingungen mit einer Absichtserklärung zum gleitenden bzw. vorzeitigen Übergang in die Rente, hält also Wege in beide Richtungen offen. Er enthält Empfehlungen für die Entwicklung einer zukunftsgerichteten betrieblichen Alterskultur und kann helfen, bestehende Defizite zu korrigieren. Die tarifgebundenen Unternehmen sind gehalten, Altersstrukturanalysen (Bestandsaufnahme, Prognose und Analyse) durchzuführen. Dieses Instrument erfasst das Alter aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter differenziert nach Qualifikation, Tätigkeit und Abteilung. Auf der Grundlage der Ergebnisse sind die Verantwortlichen in der Lage, die Altersentwicklungen feststellen und ggf. betriebliche Maßnahmen für die älter werdenden Mitarbeiter ableiten, entwickeln und umsetzen zu können. Konkrete Maßnahmen können beispielsweise die Arbeitszeitgestaltung, die Qualifizierung und die Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz sein. Der Tarifvertrag setzt zudem auf Impulse über die Einrichtung und Finanzierung eines betrieblichen "Fonds demographischer Wandel", der sich aus Mitteln der Beschäftigten und Arbeitgeber speist. Verwendet werden können die Fondsmittel unter anderem für die betriebliche Altersvorsorge, für Einzahlungen in Arbeitszeitkonten oder für Qualifizierungen der Mitarbeiter, soweit es über den betriebsnotwendigen Bedarf hinausgeht. Schließlich sieht der Tarifvertrag eine paritätisch besetzte Kommission vor, welche die Umsetzung der Tarifregelungen begleiten soll.
Der "Tarifvertrag zur Erweiterung des Schutzbereichs des Beschäftigungssicherungstarifvertrages"(Tarifvertrag zur Erweiterung des Schutzbereichs des BeSiTV) zwischen der Tarifgemeinschaft von Transnet und der Gewerkschaft deutscher Bundesbahnbeamten und Anwärter (GDBA) einerseits und dem Deutsche Bahn Konzern (DB Konzern) andererseits ist in seinem Kern ein(Re-)Integrations-Tarifvertrag. Für von krankheitsbedingtem Arbeitsplatzverlust bedrohte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer regelt er im Kapitel "Alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen" die Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM). Hierzu besteht eine Konzernrichtlinie, die das Verfahren und die Einbeziehung der Betriebsräte sicherstellt. Gelingt es nicht, auf diese Weise eine neue Beschäftigung zu finden, wird ein umfangreiches Verfahren mit dem Ziel in Gang gesetzt, im DB Konzern einen so genannten leidensgerechten Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin zu finden. Prävention bedeutet nach dem Tarifvertrag, einer drohenden Kündigung Vorschub zu leisten. Der Tarifvertrag setzt demnach erst an, wenn Krankheit und Leistungswandlung bereits eingetreten sind. Damit ist er vergleichbar mit den zahlreichen Integrationsvereinbarungen, die in den vergangenen Jahren in Unternehmen und Verwaltungen für Menschen mit Behinderungen, Leistungsgewandelte und Langzeitkranke abgeschlossen worden sind. Der Tarifvertrag erfüllt vor allem die gesetzlichen Vorgaben und setzt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) um, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, Betroffene auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu versetzen. Dennoch hat das Verfahren zur Verhinderung krankheitsbedingter Kündigungen Vorbildcharakter.
Der Präventionsgedanke muss aber bei einem Tarifvertrag, der sich die sozialverträgliche Gestaltung des demographischen Wandels auf die Fahnen geschrieben hat, wesentlich weiter gefasst werden. Wollen sich die Tarifvertragsparteien dem demographischen Wandel wirklich stellen, ist bereits das Entstehen (arbeitsbedingter) Erkrankungen zu verhindern.Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Folgende Sachverhalte lassen sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit benennen, die Gegenstand solcher tarifvertraglicher Regelungen sein können: Beschäftigungssicherung insbesondere für ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer;
Biographieorientierte Arbeitszeitmodelle
und Nutzung von Arbeitszeitkonten; Regelungen zur biographieorientierten Arbeitsgestaltung, ausgerichtet auf Lebensphase und Tätigkeitsanforderungen und hin zu einer das Älterwerden einplanenden Gestaltung von Arbeitsplätzen (das heißt auch eine Abkehr vom Ausweichen auf sogenannte "Schonarbeitsplätze");
Regelungen zur Fort- und Weiterbildung;
Regelungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung;
Reduzierung von belastenden Arbeitsbedingungen, etwa durch Belastungswechsel und Reduzierung von Belastungsspitzen durch vorausschauende Arbeitsplanung;
flächendeckende gesundheits- und altersgerechte Einsatzplanung (das heißt, nicht immer nur auf den Einzelfall bezogen reagieren);
Bildung von altersgemischten Teams.
In bestehenden Tarifverträgen sind Regelungen zu beseitigen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund ihres Alters direkt oder indirekt diskriminieren.Alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen
Im Kontext der Anhebung des Rentenzugangsalter ("Rente mit 67") wurde auch viel über die Frage der Erhaltung der Gesundheit als einem Baustein für die Arbeitsfähigkeit(neben Kompetenz und Qualifikation) diskutiert. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass sich die Arbeitsbedingungen durch Personalknappheit, Zeitdruck, Zunahme prekärer Beschäftigung etc. weiter verschlechtern und diese Faktoren die Gesundheit der Beschäftigten zusätzlich belasten. Welche Konsequenzen aber werden daraus gezogen? Weit entfernt von "Guter Arbeit": Von alters- und alternsgerechten Arbeitsbedingungen sind wir weit entfernt. Dies bestätigen insbesondere die Ergebnisse des DGB-Index "Gute Arbeit": Nur 50 Prozent der Befragten meinten, dass sie ihre Arbeit bis zum Rentenalter ausüben können, 17 Prozent waren sich dessen nicht sicher und 33 Prozent antworteten, dass sie dies für nicht wahrscheinlich halten. Gesundheitliche und insbesondere psychische Belastungen am Arbeitsplatz nehmen weiter zu. Wie Schaubild 3 belegt (vgl. PDF-Version), schätzen die Beschäftigten ihre eigene Zukunft auch sehr realistisch ein:
Instrumente: Betriebliche Gesundheitspolitik und Prävention sind in vielen Unternehmen noch immer kein Bestandteil der Unternehmenspolitik. Der Verpflichtung, für wiederholt und lange Zeit kranke Beschäftigte einBetriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen, gehen die meisten Arbeitgeber nur widerwillig und häufig nur zur Vorbereitung einer krankheitsbedingten Kündigung nach. Die seit 1996 vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung wird nur in wenigen Unternehmen unter voller Berücksichtigung der gesetzlichen Anforderungen durchgeführt. Damit fehlen von vornherein wichtige Grundlagen zur Aufdeckung und zum Abbau gesundheitsgefährdender Arbeitsbedingungen. Hierbei gibt es kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit. Solange Verstöße gegen die gesetzlichen Regelungen (z.B. BEM und Gefährdungsbeurteilung) keine Sanktionen für den Arbeitgeber nach sich ziehen, ist kaum ein Anreiz vorhanden, in den betrieblichen Gesundheitsschutz zu investieren oder gar betriebliche Gesundheitsförderung zum Teil der Unternehmenspolitik zu machen. Die kurzsichtige Ausrichtung auf die schnelle Gewinnmaximierung unter möglichst flexiblem Einsatz der Arbeitskräfte steht dem entgegen. Anzusetzen ist bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen und bei der Überwachung von Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz:Gesundheitliche Prävention muss früher einsetzen und nicht erst, wenn der Arbeitsplatz in Gefahr ist.
Das gute Instrument des BEM ist aus dem SGB IX herauszulösen, um zu unterstreichen, dass es sich nicht nur an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderungen richtet. Es darf nicht an einen bestimmten Krankenstand anknüpfen, sondern muss früher einsetzen. Dazu sind Kriterien zu entwickeln. Die Unterlassung der Durchführung muss sanktioniert werden.
In einem Präventionsgesetz ist die Verpflichtung der Unternehmen zu regeln, die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen.
Die unterlassene oder ungenügend durchgeführte Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz muss sanktioniert werden. Die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmung ist unter Einsatz des dafür erforderlichen Personals effektiv zu überwachen.
Verstöße gegen Arbeitsschutzgesetze (z.B. das Arbeitszeitgesetz) sind konsequent aufzudecken und zu sanktionieren.
Fazit
Damit Ältere in Arbeit bleiben können oder der Wiedereinstieg in Beschäftigung gelingt, ist auf unterschiedlichen Ebenen anzusetzen:
1. Die unberechtigten Vorurteile gegenüber älteren Beschäftigten müssen abgebaut werden.
2. Bereits vorhandene gesetzliche Regelungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung müssen genutzt und verbindlicher ausgestaltet werden.
3. Notwendig ist eine breite Diskussion über Arbeitsbedingungen, die das "Altern in Arbeit" ermöglichen.
4. Die arbeitsmarktpolitischen Ansätze zur Förderung älterer Menschen sind kritisch auf ihre Wirkung zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob nicht auch die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen sind, anstatt sie ausschließlich zu fördern, wenn sie ältere Menschen beschäftigen.
5. Zu denken ist auch an mehr individuelle Rechte Älterer, vor allem den sachgerechten Zugang zur Erwerbsminderungsrente. An diesem Punkt zeigt sich auch, dass alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen einerseits und der flexible Übergang in die Rente andererseits kein Widerspruch sind, sondern sich sinnvoll ergänzen.