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Hoffnung trotz Jugendwahn - Essay | Ältere: Gesellschaftliches Potential! | bpb.de

Ältere: Gesellschaftliches Potential! Editorial Hoffnung trotz Jugendwahn - Essay Aktives Altern in Europa Beschäftigungspolitik für Ältere: Deutschland und seine Nachbarn Alternsgerechte Arbeitszeiten In Arbeit bleiben - wieder in Beschäftigung kommen Alternde Belegschaften und Innovationskraft der Wirtschaft

Hoffnung trotz Jugendwahn - Essay

Bruno Schrep

/ 9 Minuten zu lesen

Noch immer herrscht in vielen Personalabteilungen eine Art Jugendwahn: Arbeitnehmer, die das fünfzigste Lebensjahr überschritten haben, werden nicht eingestellt. Inzwischen ist jedoch eine Tendenz zum Umdenken erkennbar.

Einleitung

Senator John McCain, Kandidat der Republikaner bei den Präsidentschaftswahlen der USA, ist 71 Jahre alt. Würde er gewählt, wäre er bei Amtsantritt 72. Otto Rehhagel, Trainer der griechischen Fußballnationalmannschaft, wird im August 70 Jahre alt.



Die Republikaner in den USA halten offenbar einen Mann im Alter von über 70 Jahren für durchaus imstande, das mächtigste Land der Welt zu regieren, über Krieg oder Frieden, womöglich sogar über die Zukunft der Menschheit zu entscheiden. Und die fußballverrückten Griechen trauen einem fast Siebzigjährigen zu, im Sommer die Europameisterschaft zu verteidigen.

Warum, fragen sich viele angesichts solcher Beispiele, warum ist ein 45-jähriger Manager den meisten Personalchefs in Deutschland zu alt, viel zu alt? Und warum haben Männer und Frauen, die das 55. Lebensjahr überschritten haben, auf dem hiesigen Arbeitsmarkt so wenig Chancen; von Arbeitnehmern über 60 gar nicht zu reden?

Tatsächlich ist die Situation in Deutschland absurd: Während die Gesellschaft immer älter wird, die Politiker aufgrund demographischer Prognosen schon lange Alarm schlagen, leisten es sich weite Teile der Wirtschaft noch immer, einen bizarren Jugendwahn zu praktizieren. Die Statistik ist eindeutig: Rund 60 Prozent aller deutschen Unternehmen beschäftigen keine Mitarbeiter über 50. Mehr als eine Million Menschen dieser Altersgruppe sind arbeitslos. Unter den neu Eingestellten in deutschen Großunternehmen waren 2007 nur 12 Prozent älter als 50 Jahre, bei den mittelständischen Unternehmen waren es noch weniger.

Es ist ein freiwilliger Verzicht auf Kompetenz und Erfahrung, den sich eine Volkswirtschaft wie die deutsche, die weit mehr von ihren Ideen und ihrer Präzision als von stupiden Dienstleistungen lebt, eigentlich nicht leisten kann. Einerseits. Andererseits bedeutet das rüde Aussortieren, das vorzeitige Wegschicken, für zahlreiche Betroffene eine schwere Kränkung und Demütigung - ein doppeltes Desaster.

Fragen nach den Ursachen des Jugendwahns führen automatisch in die Vergangenheit. Die Studentenbewegung 1968 war ja auch - und zunächst hauptsächlich - eine Jugendbewegung. Das Misstrauen der Studenten gegen die ältere Generation hatte ihre Hauptursache in Deutschlands nationalsozialistischer Vergangenheit und deren Verdrängung. Jeder, der im "Dritten Reich" bereits erwachsen war, musste sich bohrende Fragen gefallen lassen: Väter, Mütter, Hochschulprofessoren, Richter, Politiker.

Und die oft unklaren, beschwichtigenden und vernebelnden Antworten waren häufig nicht dazu angetan, das Misstrauen zu zerstören. Zu viele ehemalige Nazis hatten wieder hohe, einflussreiche Posten ergattert, hatten das Sagen in der Verwaltung, an den Universitäten, in zahlreichen politischen Gremien.

In vielen Köpfen entstand vor diesem Hintergrund die Vorstellung: Alt ist gleich verdächtig. Und, als nächster Schritt: Alt bedeutet uneinsichtig zu sein, starrköpfig, zum Wandel nicht fähig. Die Slogans von damals sind eindeutig: "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren" skandierten die Studenten - und meinten damit nicht nur ihre Professoren und die Institution, sondern auch die rückwärts gewandte Denkweise einer ganzen Generation.

Noch deutlicher wird das Misstrauen gegen die Elterngeneration durch das Motto dokumentiert: "Trau keinem über 30." Wobei es dabei längst um mehr ging als um die braune Vergangenheit: Im Fadenkreuz standen auch das als "Konsumrausch" geschmähte Kaufverhalten der Kriegsgeneration, ihre spießige Sexualmoral, ihr Mangel an Weltoffenheit.

In den siebziger Jahren machten sich die Kleidungsindustrie, die Musikindustrie, die Werbebranche den neuen Trend zu Eigen. Alles benötigte plötzlich, um erfolgreich zu sein, das Prädikat "jung": die Klamotten, die Platten, die Sprüche. Es war der Beginn eines absurden Jugendkults, der bis heute anhält.

Verräterisch ist schon die Sprache. Jemandem den Schneid abzukaufen, ihn lächerlich zu machen, heißt auf Neudeutsch, ihn "alt aussehen" zu lassen. Und alt auszusehen ist heute eines der schlimmsten Vergehen, dessen man sich schuldig machen kann.

Bis zum Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes 2006 eroberte der Jugendwahn auch die Stellenmärkte in den Zeitungen und im Internet. Da wurden Mitarbeiter gesucht, "jung, dynamisch", da suchte das "junge Team" noch Fachkräfte, freuten sich "young professionals" auf gleichaltrige Bewerber. Die Betonung lag auf "jung": Jung, jung, jung!

Seit bei solchen und ähnlichen Anzeigen Klage droht, sind Formulierungen wie etwa "Der ideale Bewerber ist nicht älter als 45 Jahre" aus den Stellenmärkten verschwunden. An der Praxis in den Personalbüros hat sich gleichwohl nichts geändert.

Nach wie vor werden bei den meisten deutschen Unternehmen die Bewerbungen älterer Jobsuchender - und älter bedeutet meist 40 plus - von vornherein aussortiert, wobei die Bewerber natürlich nie den wahren Grund ihrer Nichtberücksichtigung erfahren. Mit freundlichen Worten wird ihnen mitgeteilt, wie interessant und qualifiziert ihre Bewerbung sei, dass man sich aber, leider, leider, doch anderweitig entschieden habe.

Befragt nach den Gründen, argumentieren viele Firmen ähnlich. "Ein 35-Jähriger brennt mehr als ein 55-Jähriger", glaubt etwa der Personalchef eines norddeutschen Industriekonzerns, "da ist einfach mehr Power da." Außerdem, so seine Erfahrung, seien gerade ältere Führungskräfte weitaus teurer als jüngere, dazu oft viel weniger flexibel und verfügbar. "Die haben meistens Familie, die kann man am Wochenende nicht zu einem Geschäftstermin schicken."

Hinzu kommt: Das Risiko, infolge Krankheit auszufallen, steigt ab dem 40. Lebensjahr kontinuierlich und auf Dauer an, eine Entwicklung, die von Krankenkassen bestätigt wird. Insbesondere ab 55 kommt es häufiger zu längeren Fehlzeiten - ein Grund mehr für zahlreiche Unternehmen, Senioren möglichst geräuschlos und mit geringen Abfindungen zu entsorgen.

"Das Prinzip heißt auspowern und wegschmeißen," moniert der Betriebsratsvorsitzende eines großen Hamburger Unternehmens. Zwar sind Kündigungen aus Altersgründen rechtlich nicht durchsetzbar. Aber um Mittel und Wege, ältere Mitarbeiter loszuwerden, sind die wenigsten Unternehmen verlegen.

Das Repertoire reicht von der betriebsbedingten Kündigung - "Wir haben leider keine Aufgabe mehr für Sie" - bis zu subtilen Schikanen: Die Betroffenen werden mit Arbeit überhäuft, die nicht zu schaffen ist, zu abgelegenen Filialen versetzt, zu Tätigkeiten verdonnert, die weit unter ihrer Qualifikation liegen. Oder auch solange ignoriert und ausgegrenzt, bis sie entnervt aufgeben und selbst kündigen.

Die Folgen sind unübersehbar: In Deutschland lebt inzwischen ein Heer von Menschen über 50, die in ihrem Selbstwert tief verunsichert sind, die sich überflüssig fühlen, aussortiert wie Müll; und die verzweifelt versuchen, wieder Anschluss zu finden oder zumindest nach außen die Fassade zu wahren.

Zwei Beispiele seien angeführt: In München fälscht ein 53-jähriger Ingenieur, der durch den Konkurs seiner Firma arbeitslos geworden ist, das Geburtsdatum auf seinem Führerschein und ergattert als vermeintlich 42-Jähriger prompt einen Job. Als der Betrug durch die Aussage eines missgünstigen Kollegen auffliegt, verliert der Mann nicht nur die neue Stelle, sondern wird auch noch wegen Urkundenfälschung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

In Augsburg verlässt ein ehemals hoch dotierter Manager jeden Morgen pünktlich um 7Uhr 30 im Businessanzug sein Haus, damit die Nachbarn glauben, er sei nach wie vor berufstätig. Tatsächlich besucht der 58-Jährige morgens ein Fitnessstudio, um sich zumindest körperlich zu ertüchtigen, geht danach bis zur Feierabendzeit spazieren oder hockt in Cafés und studiert Stellenanzeigen.

Gerade pflichtbewusste ältere Menschen, die ihren Selbstwert größtenteils aus ihrer Tätigkeit bezogen haben, empfinden Arbeitslosigkeit als Schande. Und weil sie wissen, dass ihre Erwerbslosigkeit mit ihrem Alter zusammenhängt, kommt es zum Umkehrschluss: Alt zu werden ist eine Schande, kein natürlicher Prozess mehr, dem jeder früher oder später unterworfen ist, sondern eine tückische Laune der Natur.

"Das Alter ist Schiffbruch" hat Charles de Gaulle einmal gesagt, und genau wie Schiffbrüchige empfinden sich immer mehr Menschen, die aufgrund ihres Alters entlassen werden oder keinen Job mehr finden; und die verzweifelt versuchen, in die Rettungsboote zu gelangen.

Rettung suchen viele in dem verzweifelten Versuch, den Alterungsprozess zumindest hinauszuschieben - durch Aktivitäten mannigfacher Art. Manche versuchen, ihrem Alter buchstäblich davon zu laufen, trainieren verbissen für einen Startplatz beim Marathon, andere strampeln bis zur Erschöpfung auf dem Mountainbike oder quälen sich an Kraftmaschinen von Fitnesscentern, bis die Gelenke schmerzen.

Insbesondere Frauen, aber immer häufiger auch Männer begeben sich in die Hände von Schönheitschirurgen, lassen sich - noch vergleichsweise harmlos - Falten wegspritzen oder - mit vielen Risiken behaftet - die Gesichter zu starren Masken umoperieren. Das kostet viel Geld, hat aber meist nicht den erwünschten Effekt. Es zeigt allerdings das Ausmaß der Verzweiflung und der Hilflosigkeit.

Je weniger Arbeit es für ältere Arbeitnehmer gibt, umso höher steht diese im Kurs. Nichtstun, früher einmal ein neiderzeugendes Privileg Wohlhabender, wird heute als schwerer Makel angesehen. Das gilt kurioserweise auch für Rentner, die bis zum 65. Lebensjahr gearbeitet haben.

Den Ruheständler, der zufrieden auf ein erfülltes Arbeitsleben zurück blickt und sich nun an der wohlverdienten Muße freut, gibt es kaum noch. Der Spruch "Müßigkeit ist aller Laster Anfang" gilt heute mindestens bis zum 80. Lebensjahr, manchmal auch darüber hinaus. "Ich bin jetzt 88 und noch immer nicht im Ruhestand", erklärte kürzlich Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt bei einer Fernsehdiskussion. Schmidt ist Mitherausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" und besucht bis heute regelmäßig die Redaktion.

An der Universität in Oldenburg hat kürzlich eine 77-jährige Frau ihr Studium mit der Promotion abgeschlossen. Bei ihrer Doktorarbeit über das Leben von Missionarsfrauen der Norddeutschen Mission in Togo/Westafrika wurde sie von einem Doktorvater betreut, der 25 Jahre jünger war als sie.

Solche Beispiele sind natürlich die Ausnahme. Sie zeigen jedoch, wie leistungsfähig Menschen im hohen Alter sein können. Und sie zeigen auch, wie leichtfertig es ist, auf so ein Potential zu verzichten. Zumal es sich bei den Menschen, um die es in erster Linie geht, nicht um Methusalems handelt, sondern hauptsächlich um Männer und Frauen zwischen dem 45. und dem 65. Lebensjahr.

Immerhin: Es gibt Hoffnung. In manchen Chefetagen, in manchen Personalbüros, hat sich inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass in Zukunft schon allein aufgrund der demographischen Entwicklung auf ältere Mitarbeiter nicht mehr verzichtet werden kann. Schon heute beträgt in Deutschland der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung über 30 Prozent, Tendenz steigend. Im Jahr 2050 wird jeder zweite Deutsche älter als 50 sein. Spätestens dann wird es an Nachwuchskräften mangeln.

Was heute als riesiges Problem erscheint, kann jedoch auch Chance sein. Mehr und mehr stellt sich nämlich heraus, dass es nicht selten ohne den Sachverstand der Älteren hakt, dass Jüngere, denen es an Erfahrung mangelt, in bestimmten Situationen überfordert sein können. Und dass eine Belegschaft, bei der es eine ausgewogene Mischung zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitern gibt, häufig effektiver arbeitet als eine Truppe, die ausschließlich aus Jungdynamikern besteht.

Langsam setzt sich diese Erkenntnis in Deutschland durch. Nach jahrzehntelangem Jugendwahn ist es zwar noch zu früh, um eine Trendwende auszurufen. Aber eine Tendenz zum Umdenken ist spürbar.

Firmen, denen durch fixe Frühverrentung in den vergangenen Jahren Kompetenz verloren gegangen ist, versuchen inzwischen sogar, ehemalige Arbeitnehmer über Beraterverträge zurückzuholen. Der Fahrzeugteilehersteller Brose ist da schon weiter. Das Unternehmen stellt schon länger ganz gezielt auch ältere Fachkräfte ein, hat sogar vor Jahren im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" eine entsprechende Anzeige geschaltet: "Senioren gesucht."

Auch das schwäbische Ingenieurbüro Fahrion geht seit einiger Zeit diesen Weg, stellt gezielt ältere Ingenieure ein. Dies sei insbesondere bei der Planung neuer Fabriken hilfreich, versichert ein Abteilungsleiter. Junge Leute müssten oft jahrelang lernen, Ältere bräuchten höchstens ein Jahr. Letzteren fehlten oft nur die EDV-Kenntnisse. Urteil des Abteilungsleiters: "Nach entsprechender PC-Schulung sind die besser als alle anderen."

Ältere Arbeitnehmer haben in Deutschland schlechte Karten auf dem Arbeitsmarkt. Kein anderes Land in Europa leistet sich so hohe Arbeitslosenquoten in der Gruppe der Über-54-Jährigen. Nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)waren im Jahr 2006 knapp zwölf Prozent der Männer und 13 Prozent der Frauen in dieser Altersgruppe arbeitslos. In Polen liegt die Quote bei Männern unter der Zehn-Prozent-Marke, bei Frauen bei rund sechs Prozent. Besonders niedrig ist die Altersarbeitslosigkeit in Irland wo die Statistiker nur Werte von 2,5 Prozent (Männer) und zwei Prozent (Frauen) errechneten. In Deutschland haben viele Betriebe mit staatlich geförderten Instrumenten wie Vorruhestand und Frühverrentung ihre Belegschaften verjüngt. Doch allmählich setzt ein Umdenken ein. So beginnen manche Unternehmen das Know-how ihrer älteren Mitarbeiter wieder stärker zu schätzen; zudem wird der demographische Wandel in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach zu einer höheren Nachfrage nach (älteren) Fachkräften führen. Außerdem hat die Politik eine Kehrtwende gemacht und das frühe Ausscheiden aus dem Berufsleben deutlich erschwert.

geb. 1945, Reporter im Ressort Deutschland des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.
E-Mail: E-Mail Link: bruno_schrep@spiegel.de