Der Solidaritätszuschlag ist ins Getriebe der bundesdeutschen Steuerdebatte geraten. Als finanzieller Integrationsbeitrag 1991 beziehungsweise 1995 eingeführt, ist er über die Jahre zu einem Lieblingsobjekt der Steuersenkungsbefürworter geworden. Im November 2019 beschlossen Bundestag und Bundesrat seine Teilabschaffung ab 2021 – ohne dass in diesen Diskussionen noch der ursprüngliche Grund seiner Einführung eine wesentliche Rolle gespielt hätte. Vielmehr dominierten verfassungsrechtliche, steuertechnische, haushalterische und verteilungspolitische Fragen den Gesetzgebungsprozess. Auf die regional nach wie vor bestehenden Ost-West-Unterschiede wurde nur noch partiell eingegangen. Dieser Fokuswandel in der Debatte über den Solidaritätszuschlag steht damit beispielhaft für die anhaltende Entfremdung zwischen Ost- und Westdeutschland seit der Wiedervereinigung, die die Politik zuletzt offenbar immer weniger kommunikativ aufzufangen und zu überbrücken vermochte – selbst wenn bereits die argumentative Begründung zur Ein- und Fortführung dieser Ergänzungsabgabe nicht immer glücklich war.
Dieser knappe Problemaufriss verdeutlicht, dass der Solidaritätszuschlag eine vielschichtige Materie ist, die über die Jahre nicht nur als Projektionsfläche politisch-kultureller Divergenzen diente, sondern eben auch grundlegende Aspekte des föderalen Verfassungsgefüges, haushalterische Verteilungskonflikte zwischen den Ebenen sowie Fragen der (steuerlichen) Einkommens(um)verteilung berührt. Im Folgenden sollen diese unterschiedlichen Dimensionen des Solidaritätszuschlags jeweils kurz beleuchtet werden, um die daraus resultierenden politischen Dilemmata aufzuzeigen, die er bis heute in sich trägt.
Genese
Nicht einmal zwölf Monate nach dem Fall der Berliner Mauer sollte die Vereinigung der beiden deutschen Staaten qua Einigungsvertrag vollzogen werden. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wurden die fünf "neuen" Bundesländer gegründet und die Stadt Berlin fusioniert. Der finanzielle Status der neuen Gebietskörperschaften wurde zunächst provisorisch geregelt – zu unübersichtlich waren die unmittelbaren Finanzbedarfe der neuen Länder, die im Wesentlichen auf Basis von Schätzungen festgesetzt werden mussten. Mehrfach sollte sich innerhalb kurzer Fristen herausstellen, dass diese zu niedrig veranschlagt worden waren. So wurde 1990 zunächst der "Fonds Deutsche Einheit" als Sondervermögen des Bundes zugunsten der ostdeutschen Bundesländer aufgelegt, der in den Jahren 1990 bis 1994 zwei Mal aufgestockt werden musste und am Ende ein Gesamtvolumen von 160,7 Milliarden D-Mark umfasste.
Erst 1995 wurden Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin in den Bund-Länder-Finanzausgleich integriert. Dessen grundlegende Ausgleichsmechanik wurde dabei nicht verändert, auch wenn die Umverteilungsvolumina massiv erhöht wurden – ein Umstand, der bis heute als enorme Anpassungs- und Integrationsleistung gilt.
Keine vier Jahre nachdem der Solidarpakt I beschlossen worden war, gelangte das Thema erneut auf die politische Agenda. Dahinter standen Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die sogar das Bundesverfassungsgericht anriefen. Nach langwierigen Verhandlungen umfasste die Einigung auch einen Solidarpakt II. Dem vorausgegangen war ein Gutachtenstreit, da sich Bund und Länder nicht auf die Höhe der fortbestehenden Sonderbedarfe der ostdeutschen Länder einigen konnten. So hatten die neuen Länder und Berlin 1999 gemeinsam vier Wirtschaftsforschungsinstitute mit der Erstellung von Gutachten zum infrastrukturellen Nachholbedarf Ostdeutschlands betraut.Trotz zum Teil stark voneinander abweichender Einzelergebnisse kam ein gemeinsamer Abschlussbericht zu dem Schluss, dass die neuen Bundesländer auch nach Ende des Solidarpakts I einen Kapitalstock zwischen 275 und 335 Milliarden D-Mark benötigen würden, um in etwa das Infrastrukturniveau der alten Bundesländer erreichen zu können.
Für den Verhandlungserfolg der ostdeutschen Bundesländer dürften mehrere Gründe ausschlaggebend gewesen sein. Zum einen erwiesen sich die Gutachten zum infrastrukturellen Nachholbedarf Ostdeutschlands offenbar als veritables Druckmittel in der politischen Auseinandersetzung. Zum anderen hatte ein zeitgleich vorgestelltes Papier des damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) die politische Diskussion bestimmt, dessen Kernaussage in der Feststellung bestand, dass "Ostdeutschland auf der Kippe" stehe.
Neben der eigentlichen Höhe der Finanzbedarfe für die ostdeutschen Länder wurde kontrovers über die Transferwege zwischen den föderalen Ebenen sowie die Refinanzierung diskutiert. Besonders unmittelbar vor und nach der Vereinigung 1990 war die Frage, wie die öffentliche Hand ihre enormen Finanzbedarfe decken sollte, vor allem zwischen der damaligen Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP sowie der SPD als größter Oppositionsfraktion im Bundestag hoch umstritten. Während der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) eine Finanzierung der Deutschen Einheit über eine öffentliche Kreditaufnahme und die Sozialversicherungen präferierte, vertrat SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine die Auffassung, dass Steuererhöhungen aufgrund der Dimension der zu stemmenden Aufgabe unumgänglich seien.
Erst im März 1991 rang sich die Bundesregierung angesichts der enormen Haushaltsbelastungen dazu durch, einen Entwurf für ein Gesetz zur Einführung eines befristeten Solidaritätszuschlags und zur Änderung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen (Solidaritätsgesetz) in den Bundestag einzubringen.
1993 entschied der Bund, den Solidaritätszuschlag erneut einzuführen. In seiner Kommunikation vollzog er dabei einen Schwenk. So hieß es in der Gesetzesbegründung: "Zur Finanzierung der Vollendung der Einheit Deutschlands ist ein solidarisches finanzielles Opfer aller Bevölkerungsgruppen unausweichlich. Die Bundesregierung schlägt deshalb mit Wirkung ab 1. Januar 1995 einen – mittelfristig zu überprüfenden – Zuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer für alle Steuerpflichtigen vor. Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit der richtige Lösungsweg. Der Zuschlag ohne Einkommensgrenzen belastet alle Steuerpflichtigen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit."
Rechtliche Dimension
Der Solidaritätszuschlag stellt finanzverfassungs-und steuerrechtlich eine Ergänzungsabgabe zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer dar. Der Bund kann solche Abgaben auf Grundlage von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG im Wege eines einfachen Einspruchsgesetzes einführen. Entsprechende Erträge stehen ihm allein zu. Da das Instrument der Ergänzungsabgaben vor Einführung des Solidaritätszuschlags erst zwei Mal in der Geschichte der Bundesrepublik genutzt wurde, bestehen verfassungsrechtliche und -politische Meinungsverschiedenheiten bezüglich der steuerrechtlichen und haushalterischen Behandlung. In der Finanzwissenschaft wurden diese Auslegungskontroversen in der jüngsten Vergangenheit im Sinne einer notwendigen Abschaffung dieser vermeintlich eindeutig verfassungswidrigen Abgabe rezipiert.
Hauptstreitpunkte in der Diskussion über den Solidaritätszuschlag waren dabei immer wieder die Befristung solcher seit 1955 zulässigen Ergänzungsabgaben, die politische Begründung und Zweckbindung sowie die Finanzierungsbedürftigkeit des Bundes. Die Frage der notwendigen Befristung von Ergänzungsabgaben leitet sich für viele Beobachter bereits aus ihrer Bezeichnung ab. Zudem hatte der Gesetzgeber bei der Einführung dieses Instruments bereits in seiner Gesetzesbegründung festgestellt, dass die Ergänzungsabgabe dazu diene, "anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken, den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes in begrenztem Rahmen eine elastische, der jeweiligen Konjunkturlage und dem jeweiligen Haushaltsbedarf angepaßte Finanzpolitik zu ermöglichen und das Steuerverteilungssystem im Verhältnis zwischen Bund und Ländern dadurch zu festigen, daß die Notwendigkeit einer Revision der Steuerbeteiligungsquoten (…) auf solche Mehrbelastungen des Bundes beschränkt wird, die nicht aus dieser beweglichen Steuerreserve gedeckt werden können".
Ähnlich stellte der Bundesfinanzhof 2011 fest, dass es von Verfassung wegen nicht geboten sei, "eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen oder sie nur für einen kurzen Zeitraum zu erheben (…). Unerheblich ist, ob die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag zweckgebunden für den ‚Aufbau Ost‘ verwendet wurden. Der Solidaritätszuschlag ist eine Steuer, die dem Bund zur Deckung seiner Ausgaben zur Verfügung steht. Die Entscheidung darüber, welche Aufgaben in Angriff genommen werden und wie sie finanziert werden sollen, gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich grundsätzlich der gerichtlichen Nachprüfung entzieht (…)."
Die derzeitige Bundesregierung hat insofern auf die Kritik am Solidaritätszuschlag reagiert, als sie sich im steuerpolitischen Teil ihres Koalitionsvertrags verpflichtete: "Wir werden insbesondere untere und mittlere Einkommen beim Solidaritätszuschlag entlasten. Wir werden den Solidaritätszuschlag schrittweise abschaffen und ab dem Jahr 2021 mit einem deutlichen ersten Schritt im Umfang von zehn Milliarden Euro beginnen. Dadurch werden rund 90 Prozent aller Zahler des Solidaritätszuschlags durch eine Freigrenze (mit Gleitzone) vollständig vom Solidaritätszuschlag entlastet."
Ökonomische Dimension
In den Verhandlungen zum Solidarpakt II 2001 bestand unter den beteiligten Akteuren weitgehend Konsens, dass Ende 2019 mit dem Auslaufen der milliardenschweren Sonderförderung für die fünf neuen Bundesländer und Berlin eine Angleichung sowohl der Wirtschafts- und Finanzkraft als auch der Lebensverhältnisse erreicht sein müsste, sodass kein weiterer Solidarpakt erforderlich sei. Nicht umsonst wurde der Solidarpakt II degressiv ausgestaltet, sodass das Gesamtvolumen der Mittelzuweisungen von 10,5 Milliarden Euro 2005 auf 2,1 Milliarden Euro 2019 abgeschmolzen wurde. Daraus wurde verschiedentlich der Schluss abgeleitet, dass für die ostdeutschen Bundesländer ab 2020 eine (fiskalische) "Normallage" ohne weitere finanzielle Sonderbehandlung anzunehmen sei. So stellte beispielsweise der Bundesrechnungshof in einem Gutachten für die Bundesregierung 2019 fest: "Ab dem Jahr 2020 werden die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern auf eine neue Grundlage gestellt. Die spezifische Ausrichtung des bisherigen Finanzausgleichs mit einer Schwerpunktsetzung auf die neuen Länder wird ersetzt durch einen vertikalen Finanzausgleich, in dem der Bund mittels einer Reihe von z.T. neuen Bundesergänzungszuweisungen sowie der zusätzlichen Abgabe von Umsatzsteueranteilen alle Länder unterstützt. (…) Ab dem Jahr 2020 liegt dem Finanzausgleich damit wieder eine finanzverfassungsrechtliche Normallage zugrunde. Ein besonderer Finanzbedarf des Bundes zur Abdeckung neuer spezifischer Ausgabenbedarfe ist derzeit nicht erkennbar."
Tatsächlich war in den entsprechenden Verhandlungen 2017/19 die mögliche Neuauflage eines weiteren Solidarpakts kein Thema mehr. Gleichwohl wurden bei der Neuausrichtung des Bund-Länder-Finanzausgleichs einzelne Ausgleichsmechanismen so konstruiert, dass sie den spezifischen Finanzbedarfen der ostdeutschen Bundesländer in besonderer Weise Rechnung tragen.
Die fortbestehenden wirtschaftlichen und fiskalischen Eigenarten der ostdeutschen Bundesländer werden Jahr für Jahr im Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit dokumentiert. Ein Blick auf einschlägige ökonomische Indikatoren verdeutlicht dabei, dass zwischen "alten" und "neuen" Bundesländern nach wie vor ein deutliches Gefälle besteht. So lag 2018 das BIP je Einwohner in Ostdeutschland bei 74,7 Prozent des westdeutschen Vergleichswertes. Seit 2010 lässt sich hier nur noch eine sehr verlangsamte, eher stagnierende Angleichung auf hohem Niveau konstatieren.
Selbst wenn diese aggregierten Indikatoren nur ein unzureichendes Bild der Situation in Ostdeutschland geben, da sie regional zum Teil erheblich variieren, sind die Ursachen für diese Eigenarten in der Wirtschafts- und Finanzstruktur – gerade auch im Vergleich mit strukturschwachen Regionen in Westdeutschland – vielfältig. Jenseits der boomenden Wachstumsregionen um Jena, Leipzig, Dresden, Erfurt und Potsdam leidet die Wirtschaftsstruktur Ostdeutschlands nach wie vor unter dem einheitsbedingten Wegbruch produzierender Großunternehmen. Keines der DAX-Unternehmen hat seine Unternehmenszentrale in den fünf ostdeutschen Bundesländern. Da dort zudem ausländische Direktinvestitionen deutlich niedriger als in Westdeutschland sind, verfügen Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern als "verlängerte Werkbänke" oft allenfalls über entsprechende Produktionsstätten. Ansonsten wird die ostdeutsche Wirtschaftsstruktur vornehmlich durch klein- und mittelständische Unternehmen dominiert. In der Folge betrug 2019 die originäre Finanzkraft der ostdeutschen Bundesländer im Verhältnis zum Gesamtdurchschnitt pro Kopf nach wie vor zwischen 72,0 Prozent in Brandenburg und 55,2 Prozent in Sachsen-Anhalt – im Saarland als finanzschwächstes westdeutsches Bundesland waren es 71,3 Prozent.
Ohne einen föderalen Finanzausgleich einschließlich entsprechender Zuweisungen des Bundes wären die ostdeutschen sowie ein Teil der westdeutschen Bundesländer kaum in der Lage, die sich aus ihrer Eigenstaatlichkeit ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen. Neben regionalökonomischen Spezifika bestehen zwischen Ost und West auch Unterschiede hinsichtlich der demografischen Struktur sowie der politischen Kultur – Faktoren, die auch Wechselwirkungen mit der wirtschaftlichen Entwicklung entfalten.
Ausblick
Die wiederkehrenden Debatten über den Solidaritätszuschlag und den Solidarpakt verdeutlichen geradezu exemplarisch: Die Solidarität zwischen West- und Ostdeutschland scheint auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ein fragiles Gut zu sein. Denn die Diskussionen kreisen im Kern nicht nur um die Frage nach Maß und Grenzen interregionaler und interpersonaler Solidarität. Vielmehr sind sie auch immer wieder durch kommunikative Ungeschicklichkeiten, politisch intendierte Missverständnisse, wechselseitige Enttäuschungen und divergierende Interessen geprägt gewesen. Die zeitliche Dauer, das verbreitete Gefühl einer "solidarischen Einbahnstraße" – insbesondere in Westdeutschland – sowie ein unzureichendes wechselseitiges Gespür für politische Sensibilitäten haben allenfalls bedingt dazu beigetragen, dass hier Solidarität im Sinne eines "inneren Zusammenhalts einer Gruppe, Gemeinschaft oder der Gesellschaft insgesamt" etabliert wurde.
Die Diskussion über das Für und Wider des Solidaritätszuschlags ist über die Jahre allerdings auch immer stärker ins Fahrwasser der bundesdeutschen Steuerdebatte geraten, die sich seit jeher durch eine starke parteipolitische Polarisierung auszeichnet. Während die bürgerlich-konservativen Parteien und vor allem die FDP programmatisch für Steuersenkungen und -vereinfachungen stehen, propagieren die Parteien links der Mitte vor allem die Besteuerung höherer Einkommensgruppen. Die letzte große Einkommen- und Körperschaftsteuerreform wurde allerdings im Jahr 2000 ausgerechnet von einer rot-grünen Bundesregierung umgesetzt. Zu einer derart einschneidenden Entlastung der Steuerzahler ist es seitdem nicht mehr gekommen. Ein Grund dafür ist nicht zuletzt die Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz, die 2009 im Zuge der Föderalismusreform II erfolgte und sich mithin als "Steuersenkungsbremse" erweist. Aufgrund seiner spezifischen Ausgestaltung entwickelte sich der Solidaritätszuschlag deshalb insbesondere für die Parteien und Interessengruppen, die stets über zu hohe Steuerquoten klagen und eine Entlastung von Unternehmen und Bürgern verlangen, zu einer willkommenen Projektionsfläche für entsprechende Forderungen. Zweckbindung und Begründungsbedürftigkeit dieses steuerpolitischen Instruments bieten dabei hinreichende Angriffspunkte, um eine vollständige Abschaffung zu fordern. Trotz der Grundsatzjudikatur des Bundesverfassungsgerichts scheint es nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass die im November 2019 gesetzlich verabschiedete Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags von Karlsruhe perspektivisch als verfassungswidrig eingestuft werden könnte – zumal dort bereits eine Klage vom Bund der Steuerzahler anhängig ist und die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" Ähnliches anstrebt.
Eine langfristige Beibehaltung des Solidaritätszuschlags in seiner jetzigen Form dürfte deshalb politisch kaum durchzuhalten sein. Problematisch erscheint auch eine bloße "Umetikettierung" in Gestalt einer neu zu formulierenden und gegebenenfalls weiter zu fassenden Zweckbestimmung. Umso dringlicher scheint es, auf einer Metaebene die Lehren aus den Diskussionen über diese Ergänzungsabgabe zu reflektieren. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf die spezifischen Bedarfe Ostdeutschlands gerichtet werden, die auch in Zukunft fortbestehen werden – selbst wenn diese nicht mehr vorrangig investiver und infrastruktureller Natur sein mögen. Stattdessen braucht es ein strukturpolitisches Instrumentarium, das viel stärker auf eine integrierte Förderung von regionalökonomischen und sozialen Aspekten abhebt und dabei demografischen, soziokulturellen und zivilgesellschaftlichen Spezifika Rechnung trägt. Ein so ausgerichtetes Förderinstrumentarium kann dann auch über die strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland hinaus genutzt werden.
Darüber hinaus braucht es aber auch eine steuerpolitische Debatte, die den "Fiskalzweck" von Steuern als gegenleistungsfreie Leistungen ernst nimmt und anerkennt, dass der Staat zur Finanzierung von öffentlichen Aufgaben auf die Vereinnahmung von Steuern angewiesen ist. Vor Forderungen nach Steuersenkungen hat damit notwendigerweise immer eine Diskussion über die zukünftigen Aufgaben des Staates zu stehen. In der Debatte über den Solidaritätszuschlag wurde dieser Nexus faktisch immer stärker abstrahiert und auf eine Gegenrechnung von Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag und Ausgaben für den Solidarpakt reduziert. Dass sich dabei die Situation in Ostdeutschland inzwischen grundlegend politisch verändert hat, blieb in dieser Verkürzung außen vor. Angesichts einer Debatte über gesellschaftliche Transformationsnotwendigkeiten infolge "glokal" wirkender Megatrends, massiver Verschiebungen im deutschen Parteiensystem und einer scheinbar wachsenden Entfremdung zwischen Bürgern und staatlichen Institutionen, ist eine grundlegende Auseinandersetzung über das, was "Staat" leisten und finanzieren kann und soll, unausweichlich. Dies schließt verteilungspolitische Grundsatzfragen genauso ein wie die Möglichkeit des Bundes zur kurzfristigen, flexiblen und bedarfsbezogenen Erhebung von Ergänzungsabgaben. Aber auch die Einnahmenverteilung zwischen den föderalen Ebenen muss weiter und grundsätzlich diskutiert werden. Denn in einem Bundesstaat sollten im Idealfall natürlich alle Gebietskörperschaften über eine hinreichende Finanzausstattung verfügen, die es ihnen erlaubt, nicht nur phasenweise und projektbezogen aufgrund von Förderprogrammen, sondern verlässlich und auf Basis einer stabilen Einnahmenbasis autonom eine Politik zu gestalten, die sich an regionalen Bedarfen orientiert.