Einleitung
Indien beschreitet einen Kurs der rasanten Entwicklung. Wirtschaftswachstum und, damit verbunden, Armutsbekämpfung, Energiesicherheit und die Herstellung eines allgemeinen Zugangs zur Energieversorgung sind zentrale und dringende Anliegen der Regierung. Und das zu Recht. Das Land steht an 128. Stelle auf dem Human Development Index, 34,3 % seiner Bevölkerung leben von weniger als einem US-Dollar pro Tag, und geschätzte 44 % haben keinen Zugang zur Stromversorgung. Der eingeschlagene Weg könnte jedoch enorme "CO2-Fußabdrücke" (Carbon Footprints) hinterlassen und letztlich das weitere Entwicklungspotential mindern.
Der Energieverbrauch wird sich in Zukunft signifikant verändern - und damit auch der Umfang der CO2-Emissionen, die derzeit noch 4,6 % des weltweiten CO2-Ausstoßes ausmachen und bei niedrigen 1,2 Tonnen pro Kopf pro Jahr liegen. Wenn die aktuelle Wachstumsrate anhält (durchschnittlich 8 % in den vergangenen vier Jahren), wird sich Indiens Energieverbrauch bis 2020 mehr als verdoppeln. Sollten außerdem die im 11. Fünfjahresplan definierten Ziele bezüglich Armut, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus erreicht und die 498 Millionen Inder, die keinen Zugang zu Elektrizität haben, mit Strom versorgt werden, wird das zu einem noch viel höheren Energieverbrauch führen. Indien wird bald ein bedeutender Mitverursacher des Klimawandels sein.
Aspekte der indischen Klimapolitik
Keine Treibhausgas-Reduktionsziele: Indien, das die UN-Klimarahmenkonvention und das Kyoto-Protokoll unterzeichnet hat, lehnt es ab, auf internationaler Ebene Treibhausgas-Reduktionsziele zu vereinbaren. Angesichts seiner begrenzten Rolle bei der Entstehung des Problems, seiner übergeordneten Entwicklungsbedürfnisse sowie der historischen Verantwortung der Industrienationen könne nicht von ihm erwartet werden, derartige Ziele mitzutragen. Weiter betont Indien, dass eine Reduktion der Treibhausgase um 9,7 % bis zum Jahr 2036 über 2,5 Billionen US-Dollar kosten würde - selbst einen Bruchteil davon könne es nicht einfach von den Entwicklungsinvestitionen abzweigen. Gleichzeitig wird auf die zunehmenden Emissionen sowie die mangelnde Führungsrolle der Industrienationen hingewiesen. Auf pragmatischer Ebene heißt es, dass die eigenen Emissionen keinen signifikanten Einfluss auf die Klimakurve hätten, da sie überschaubar seien und es bedeutende Umweltverschmutzer außerhalb der internationalen Regelwerke gebe. Freiwillige Maßnahmen zur CO2-Reduktion: Nach Indiens Ansicht kann von den Entwicklungsländern nicht mehr erwartet werden, als freiwillige Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Wirtschaften zu "dekarbonisieren". Unter Dekarbonisierung versteht Indien, dass die mit der Zeit die CO2-Intensität einer Wirtschaft abnimmt - nicht jedoch die absolute Menge an Treibhausgasen. Dazu gehört, dass Energie effizienter genutzt wird, dass eine Verlagerung von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien (einschließlich Wasserkraft) und Atomenergie stattfindet und dass sich Produktions- und Konsumgewohnheiten verändern.
In zahlreichen internationalen Stellungnahmen listet Indien die Maßnahmen auf, die es im Sinne der Dekarbonisierung eingeleitet hat. So gibt es Initiativen zur Förderung erneuerbarer Energien, zur Energieeffizienz und Energieeinsparung; zur Säuberung des Verkehrs (durch Einführung von Euronormen) und zur Umstellung aller öffentlichen Verkehrsmittel in Neu Delhi auf Gasantrieb; zur Entwicklung treibstoffeffizienter Maschinen und Geräte; sowie zur Aufforstung und Wiedernutzbarmachung von Land. Auf verschiedenen Gebieten werden zudem die Möglichkeiten zur weiteren Emissionsreduktion ermittelt, zum Beispiel das Potential im Rahmen des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM, Clean Development Mechanism). Der notwendige Investitionsaufwand für den Übergang zu einem geringeren CO2-Verbrauch wird dabei während des nächsten Fünfjahresplans (2012 bis 2017) auf 25,1 Milliarden US-Dollar geschätzt.
2008 versprach der indische Premierminister Manmohan Singh, dass eine umfassende Neuregelung des öffentlichen Verkehrs kurz bevorstehe und ein nationales Netzwerk verschiedener Institutionen zum Thema Klimawandel gebildet werden solle. Zudem erwäge die Regierung, einen Risikokapitalfonds zu errichten, der grüne Technologien unterstützt. Für Indien sei aber auch ganz klar, dass die für die Entwicklungsländer notwendigen Anstrengungen "nicht ihren Möglichkeiten beschleunigter sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung entgegenstehen sollen". Faire Pro-Kopf-Emissionsrechte und Angleichung der Pro-Kopf-Emissionen: Indien tritt für gleiche Emissionsrechte für alle ein. Der vormalige Premierminister Atal Bihari Vajpayee betonte, "[we] do not believe that the ethos of democracy can support any norm other than equal per capita rights to global environmental resources." Im Hinblick auf eine Verringerung der Unterschiede der Pro-Kopf-Emissionen bedeutet Gleichheit in den Klimaverträgen für Indien, dass die Industrieländer akzeptieren, dass die Emissionen der Entwicklungsländer zunehmen werden und die entwickelten Länder sich bemühen, ihre Emissionen zu senken. Deutschland hat dieser Ansicht zugestimmt - doch nur wenige andere Länder haben dies auch getan oder werden es noch tun. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 verpflichtete sich Indien, dass seine Pro-Kopf-Emissionen die Werte der Industrieländer nicht überschreiten werden. Nach Ansicht des Premierministers werde dies die entwickelten Länder anspornen, innerhalb kurzer Zeit ihre Pro-Kopf-Emissionen zu reduzieren.
Ein entwicklungsorientierter Begriff der Generationengerechtigkeit: Von diesem Aspekt führt Indien eine interessante Variante ins Feld: Sollte sich sich das heutige Wirtschaftswachstum nicht auf gleichbleibend hohem Niveau fortsetzen, so die offizielle Position, werden zukünftige Generationen noch viel stärker vom Klimawandel betroffen sein. Gerechtigkeit würde daher erfordern, dass die heutige Generation der Entwicklung und einem anhaltend hohen Wirtschaftswachstum oberste Priorität einräumt. Laut Premierminister Singh ist es eine "Tatsache", dass nur "mehr und nicht weniger Entwicklung gewährleistet, dass sich die Entwicklungsländer des Umwelt- und Klimaschutzes annehmen". Ein Fonds zur Schaffung sauberer Technologien: Indien schlägt die Schaffung eines "Clean Technology Acquisition Fund" vor. In Gleneagles 2005, bei den UN-Generalversammlungen 2006 und 2008 sowie bei der 15. Sitzung der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung 2007 wiesen die indischen Vertreter darauf hin, dass Indien sich jene Technologien, die helfen könnten, das CO2-Level des Landes zu senken, aufgrund der Urheberrechte und hoher Kosten einfach nicht leisten könne. Da das Thema des geistigen Eigentums bereits im Zusammenhang mit HIV/AIDS in Entwicklungsländern erfolgreich behandelt wurde, plädiert Indien dafür, dass dies nun auch auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung geschehen solle. Der Premierminister hat in jüngerer Vergangenheit immer wieder betont, dass "Klimagerechtigkeit" aus seiner Sicht "eine gerechte, ausgewogene und transparente weltweite Regelung für den Technologietransfer" darstelle.
Die Klimapolitik neu überdacht
Es bestehen immense Unterschiede zwischen den Emissionswerten, den Rohstoffkapazitäten und den Entwicklungsanforderungen der verschiedenen Länder. Und einige entwickelte Länder haben Schwierigkeiten, selbst die bescheidenen Ziele der Klimaverträge zu erfüllen. Aus den jüngsten Nationalberichten (National Communications) der Annex-1-Vertragspartner geht hervor, dass diese Länder als Gruppe ihre Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2005 auf 2,8 % unter die Werte von 1990 gesenkt haben. Der Großteil der Reduktionen wurde allerdings in Ländern erzielt, deren Wirtschaft sich in einer Übergangsphase befindet. Dort liegen die Emissionen um 35,2 % unter den Werten von 1990. In den anderen Annex-I-Ländern sind die Emissionen insgesamt um 11 % angestiegen. Darunter sind zwar die EU-Staaten und möglicherweise auch Japan auf dem Weg, ihre Kyoto-Verpflichtungen zu erfüllen, die anderen jedoch nicht. Die Emissionen der USA liegen 16,3 % über den Werten von 1990, Kanada übertrifft sie um 25,3 %, Australien sogar um 25,5 %. Angesichts der zweifelhaften (oder zu vernachlässigenden) Führungsrolle der entwickelten Länder, der Entwicklungserfordernisse Indiens und des Systems der Lastenaufteilung innerhalb der Klimagesetzgebung ist die indische Position durchaus vertretbar. Indien erwartet, dass die internationale Gemeinschaft angemessene Mechanismen entwickelt, um geschichtliche Fehler anzuerkennen und wieder gut zu machen. Dies allein würde zwar nicht ausreichen, um Umweltschutzziele zu erreichen, doch würde es helfen, das notwendige Vertrauen zu bilden, um den Umweltdialog zu ermöglichen und ihn produktiv zu gestalten. Mit dieser Haltung hinterfragt Indien die vorherrschende und scheinbar neutrale Darstellung der globalen Umweltproblematik durch die entwickelten Länder. Der indische Standpunkt bringt Historizität in die Verhandlungen und hilft so, eine globale Darstellung zu entwickeln, welche die Bedürfnisse der Entwicklungsländer berücksichtigt; insofern spielt Indien hier eine wichtige Rolle.
Insgesamt gesehen ist Indiens Standpunkt jedoch weder klug noch einfallsreich. Und er entspricht ganz gewiss nicht dem bevorzugtem Selbstbild einer selbstbewussten, jungen, dynamischen Nation, die die Welt im Sturm erobern möchte.
An die Armen denken statt "sich hinter ihnen zu verstecken"
Indiens Regierung führt immer wieder seine Armut ins Feld, wenn es um die Weigerung geht, Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen gesetzlich zu regeln. Sie behauptet, die Armen des Landes hätten viel zur Kompensation der Umweltexzesse der entwickelten Welt beigetragen. Bei der UN-Generalversammlung im Februar 2008 merkte der indische Vertreter an: "in terms of climate change (...) blessed are the poor for they have saved the earth." Gleichzeitig vergisst Indien die Bedürfnisse dieser "gesegneten" Armen, von denen es seinen moralischen Anspruch ableitet.
Ärmere Staaten und vor allem deren ärmste Bewohner werden vom Klimawandel am schlimmsten betroffen sein. Tatsächlich ist das die grundlegende Ungerechtigkeit, die der Problematik des Klimawandels innewohnt - dass jene, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, die eigentliche Hauptlast zu tragen haben. In Indien befindet sich weltweit die größte Bevölkerungsgruppe, die täglich mit weniger als einem US-Dollar auskommen muss. Die meisten davon leben in ländlichen Gebieten und sind unmittelbar auf vom Klima abhängige, natürliche Ressourcen angewiesen. Die Armen besitzen die geringste Anpassungsfähigkeit - und der Klimawandel wird Voraussagen zufolge auch in Indien schwere Auswirkungen haben. Dürreperioden, Degradation, Desertifikation, Überschwemmungen und tropische Wirbelstürme werden sich verschlimmern, Malaria und durch Hitze verursachte Todesfälle zunehmen, während die Ernteerträge und die Lebensmittelversorgung unsicherer werden. Zusätzlich wird der steigende Meeresspiegel die Küstenbevölkerung vertreiben und eine dramatische Flüchtlingskrise nach sich ziehen. Schmelzende Himalaya-Gletscher werden anfangs das Überschwemmungsrisiko erhöhen und könnten letzten Endes zu einer Wasserknappheit für ein Sechstel der Menschheit führen, hauptsächlich auf dem indischen Subkontinent.
Der im Auftrag der britischen Regierung 2006 angefertigte Stern-Report (Stern Review on the Economics of Climate Change) hat darauf hingewiesen, dass der Klimawandel einen hohen Tribut von der indischen Wirtschaft fordern könnte. Nur eine geringe Änderung der Temperatur könnte schwerwiegende Auswirkungen auf den Monsun haben, was zu landwirtschaftlichen Einbußen von bis zu 25 % führen könnte. Eine kürzlich von der Regierung beauftragte Studie belegt, dass bis zu 45 % der BIP-Schwankungen in den vergangenen 50 Jahren durch Schwankungen der Regenmenge erklärt werden können. Ein Anstieg der Temperaturen um 2-3,5 °C könnte einen Rückgang des BSP um 0,67 % verursachen, ein Anstieg des Meeresspiegels um 100 cm einen Rückgang des BSP um 0,37 %. Ein Viertel der indischen Wirtschaft ist von der Landwirtschaft abhängig, und jeder negative Einfluss auf diesem Gebiet wird Indiens Möglichkeiten, seine Entwicklungs- und Armutsbekämpfungsziele zu erreichen, stark beinträchtigen.
Die niedrigen Pro-Kopf-Emissionen verschleiern dabei zahlreiche Ungerechtigkeiten. Aus einer Greenpeace-Studie geht hervor, dass die Carbon Footprints der obersten Einkommensschichten Indiens 4,5 Mal so groß sind wie jene der niedrigsten. Indiens arme Bevölkerung kompensiert in dieser Hinsicht nicht nur das Gewicht der Welt, sondern auch das der reichen Inder.
Gegenseitige Beschuldigungen beenden
Ein Argument betet Indien in seinen internationalen Stellungnahmen zur Klimaproblematik immer wieder herunter: "India is certainly not responsible for the mess. We are, in fact, victims of it. So why expect us to tighten our belts?" Darin steckt ein KörnchenWahrheit - zwei Drittel der weltweiten CO2-Emissionen kommen aus den entwickelten Ländern. Es steckt aber auch ein Körnchen Wahrheit in der Feststellung, dass zu derselben Zeit, als die meisten Treibhausgas-Emissionen in die Atmosphäre geblasen wurden, weder die Industriestaaten wussten, dass sie eine Klimaänderung verursachten, noch Indiens arme Bevölkerung, dass sie "die Welt rettete". Die Industrieländer schädigten die Umwelt, da es weder wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gab, dass eine solche Schädigung irreversibel und generationenübergreifend ist, noch internationale Regeln zum Schutz der Natur. Als solches ist also die Frage, inwiefern die Industrieländer für ihren Anteil an der Umweltverschmutzung rechtlich verantwortlich sind, völlig offen. Die entwickelten Länder betonen ihrerseits wiederum die voraussichtlichen Emissionszuwächse in den Entwicklungsländern. Laut World Energy Outlook 2007 werden die CO2-Emissionen, wenn die Richtlinien nicht geändert werden, zwischen 2005 und 2030 um 57 % ansteigen, wobei die USA, China, Indien und Russland für zwei Drittel dafür verantwortlich sein werden. Nach diesen Berechnungen wird Indien bis 2015 der drittgrößte Verursacher von Emissionen werden, nach China und den USA. Unter diesen Umständen würde die Herausforderung des Klimawandels strenge Reduktionsmaßnahmen auch in China und Indien erfordern.
Der Weg der gegenseitigen Beschuldigungen ist gesäumt von umständlichen Beweisführungen und endlosen Ausflüchten. So lobenswert die Ansprüche der Entwicklungsländer auch sein mögen - dieses blame game ist nichts anderes als ein wirksamer Verdrängungsmechanismus, der es sowohl den Industrie- als auch den Entwicklungsländern leicht macht, sich vor dem Problem zu drücken. Die Folge ist ein mit Zweideutigkeiten durchsetzter Bali Action Plan, der zahlreiche Möglichkeiten parat hält, um Kyoto sanft zu Grabe zu tragen. Das US-amerikanische Beharren auf einer Parallelität der Verpflichtungen von Entwicklungsländern und Industrieländern sowie das indische Beharren auf begrenzte Verpflichtungen - basierend auf ihren jeweils bevorzugten Versionen dessen, wer schuld war, ist oder sein wird - hatte zur Folge, dass die Verpflichtungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner heruntergeschraubt wurden anstatt auf ein Maß angehoben zu werden, das den ernüchternden wissenschaftlichen Konsens widergespiegelt hätte. Es ist an der Zeit, dass Indien den ersten Schritt macht, mit den Anschuldigungen aufzuhören. Nur auf diese Weise kann es seine moralische Autorität unter Beweis stellen.
Aktiv werden
Die Schlussfolgerung, dass Entwicklung die beste Antwort auf den Klimawandel ist, trifft durchaus zu: Wenn Entwicklung nachhaltig ist, kann sie die Anpassungsfähigkeit und die Belastbarkeit fördern. Das geht jedoch nur, wenn die Entwicklungspläne entweder eine Anpassung an den Klimawandel oder eine Förderung der Anpassungsfähigkeit ausdrücklich vorsehen. Klimabedingte Anpassungsmaßnahmen müssen in die indischen Planungen allerdings erst noch eingebunden werden. Wenn Entwicklung aber ausschließlich als nachhaltiges Wirtschaftswachstum betrachtet wird, das wie gewohnt CO2-intensiv vonstatten gehen kann, verursacht Indien ein politisches Hemmnis im globalen System. Dann wird es für andere große Entwicklungsländer schwierig und teuer, einen CO2-reduzierten Weg einzuschlagen, und die USA und zumindest einige andere entwickelte Länder werden nicht bereit sein, ernsthafte Maßnahmen zum Klimaschutz einzuleiten. Der Fortschritt in Richtung nachhaltiger Entwicklung wird sich verlangsamen, wenn auf globaler Ebene keine effektive Auseinandersetzung mit dem Klimawandel stattfindet.
Damit soll nicht behauptet werden, dass der Erfolg der internationalen Bemühungen um das Klima allein von Indien abhängt. Das ist eindeutig nicht der Fall, Indien ist nur einer der Hauptakteure. Die Augen der Welt sind jedoch, ob nun gerechterweise oder nicht, auf Indien (und China) gerichtet. Indien könnte diese Chance ergreifen, um eine Führungsrolle einzunehmen oder sich klar zu positionieren. Indiens Zusage, dass seine Pro-Kopf-Emissionen die OECD-Werte nicht überschreiten werden, wird von vielen als Beweis für Letzteres angesehen. Indien ist in einer Position, in der es als Katalysator für Veränderungen wirken oder die Situation der Untätigkeit fortbestehen lassen kann. Eine vorausschauende Politik, die eine emissionsarme Entwicklung anstrebt, wird die noch zögernden Industrieländer von ihrem Lieblings-Feigenblatt entblößen.
Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass Indien Klima- und Anpassungsziele in seine Entwicklungspläne einbindet und konkrete Schritte unternimmt, um einen CO2-reduzierten Weg einzuschlagen. Beides wird Indien befähigen, seine Ziele schneller zu erreichen und sicherstellen, dass es zur Weltspitze zählt; denn es ist unumgänglich, dass weltweit die Weichen auf einen CO2-ärmeren Kurs gestellt werden.
Die Ziele könnten zunächst gesetzlich unverbindliche Zielwerte sein, um die Treibhausgas-Emissionen geringer zu halten, als in einem business as usual-Szenario vorhergesagt; um die Energieintensität in wichtigen Bereichen zu senken (Elektrizität, Zement, Eisen und Stahl, Verkehrswesen usw.); um den Raubbau an den Wäldern einzudämmen; und um den Anteil erneuerbarer Energien (ausgenommen großer Wasserkraftwerke) im Energiemix zu steigern. Von den Maßnahmen, die notwendig sind, um diese Ziele zu erreichen, werden wahrscheinlich auch die lokale Entwicklung und die unmittelbare Umwelt profitieren. Eine Förderung des öffentlichen Verkehrs wird zum Beispiel die örtliche Luftqualität verbessern, Staus und Lärmbelästigung vermindern und Arbeitsplätze schaffen. Finanzquellen zur Umsetzung von klimabedingten Maßnahmen, die gleichzeitig die Entwicklung fördern, sind vorhanden: öffentliche und private Finanzinstitute, die Regierungen entwickelter Länder und Finanzierungsmechanismen im Rahmen der Klimaverträge (wie der o. g. CDM). Der Bali Action Plan sieht vor, Gelder und Technologie auf messbare, nachvollziehbare und verifizierbare Weise bereitzustellen und den Aufbau eigener Kompetenzen (capacity-building) zu fördern. Je ambitionierter Indiens Initiativen sind, desto mehr liegt es in seiner Macht, diese notwendigen Hilfen auch zu erhalten.
Zusätzlich zu diesen Finanzierungsquellen konnte in Indien ein nationaler Anpassungsfonds ins Leben gerufen werden, der nicht, wie im Fall Chinas, aus dem CDM gespeist wird, sondern durch eine bescheidene Abgabe aus dem Inlands-Flugverkehr finanziert wird. Damit soll ein Ressourcentransfer von jenen, welche die höchsten Emissionen verursachen, zu jenen gewährleistet werden, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind. Es ist auch gelungen, ein für weitreichendere CDM-Projekte empfängliches politisches Umfeld zu schaffen. Obwohl mit einem Drittel aller CDM-Projekte die meisten Projekte dieser Art in Indien sind, stammen nur 15 % aller erwarteten Emissionsreduktionseinheiten (CERs) vom Subkontinent. Das ist zwar insofern positiv, als kleinere Projekte eher von Nutzen für die lokale nachhaltige Entwicklung sind und auch geografisch weitere Kreise ziehen, es bedeutet aber auch, dass das Land sein Potential zur Treibhausgasreduktion noch nicht ausschöpft.
Schlussfolgerung
Auch wenn Indiens Position, international wie national, noch einigermaßen konventionell ist und es bis heute noch keinen integrierten Ansatz für einen Übergang zu einer Wirtschaft mit weniger CO2 oder gar "jenseits des CO2" gibt, sind vielversprechende Signale für eine Veränderung erkennbar. Die zunehmende Präsenz dieses Themas in der heimischen Politik fand ihren Niederschlag in einer Parlamentsdebatte über die Auswirkungen des Klimawandels im Mai 2007 und in der Einberufung eines Rates zum Thema Klimawandel durch den indischen Premierminister, der bis zum Juni 2008 einen Nationalen Aktionsplan ausarbeiten soll. Zudem enthält der 11. Fünfjahresplan (2007 - 2012) die Zielvorgabe, die Energieintensität um 20 % zu reduzieren. Gut geplant und umgesetzt, könnte diese Zielsetzung, gepaart mit einem proaktiven Nationalen Aktionsplan, durchaus die Weichen in eine CO2-ärmere Zukunft stellen. Der Premierminister hat zugesagt, dass Indien in der ersten Reihe stehen wird, wenn es darum geht, "etwas zu tun, es jetzt zu tun, und es richtig zu tun". Bleibt Indien diesem Versprechen treu, wird es zu einem umweltbewussten internationalen Akteur aufsteigen, der bereit ist, gemeinsam mit anderen die Rahmenbedingungen auf politischer und auf Verhandlungsebene kreativ zu überdenken und sich eines globalen Problems anzunehmen, das insbesondere für Indiens arme Bevölkerung weitreichende Folgen hat.