Einleitung
Wenngleich die Familie für Kinder im Vor- und Grundschulalter zweifelsohne den bedeutendsten Betreuungskontext darstellt, ist die Mehrheit der Kinder in dieser Altersphase in eine Vielzahl außerfamilialer Betreuungsarrangements eingebunden. Einige Kinder, vornehmlich im Vorschulalter, werden regelmäßig von Babysittern oder Tagesmüttern betreut, oder sie besuchen Krippen bzw. den Kindergarten. Kinder im Grundschulalter nehmen an Gemeinde- und Sommerprogrammen teil, lernen in Musik- und Jugendkunstschulen, sind in verschiedenste Vereinsaktivitäten eingebunden oder besuchen die Angebote einer Ganztagsschule.
In der familien- und bildungspolitischen Debatte nehmen die institutionellen, öffentlicher Kontrolle unterliegenden Betreuungsarrangements eine besondere Rolle ein. Über fast alle politischen Lager hinweg ist der weitere Ausbau entsprechender Angebote konsensfähig - seien es im vorschulischen Bereich Krippen- oder Kindergartenplätze, seien es im Primar- und Sekundarbereich Ganztagsschulen. Die Hintergründe sind bekannt: Auf der einen Seite erleichtert es ein bedarfsgerecht ausgebautes Betreuungssystem den Eltern, Familien- und Berufsleben befriedigend miteinander zu vereinbaren. Dies soll, so die Erwartung, dazu führen, das Arbeitskräftepotenzial - vor allem der gut qualifizierten Frauen - besser auszuschöpfen und gleichzeitig positive Impulse dafür setzen, dass sich wieder mehr Paare für Kinder entscheiden.
Auf der anderen Seite ist das deutsche Bildungssystem mit Beginn des neuen Jahrhunderts unter Druck geraten. Die deutsche Schulbildung ist international nicht konkurrenzfähig. In der ersten PISA-Erhebung 2000 erreichten die deutschen Schülerinnen und Schüler unter 32 Ländern in ihrer Leseleistung nur den 22. Rang. Nicht viel besser fielen die Leistungen in Mathematik und den Naturwissenschaften aus. Wenngleich der Hauptadressat der im Nachklang zu PISA geforderten Bildungsreformen die (traditionelle Halbtags-)Schule war, gerieten auch die außerschulischen bzw. außerunterrichtlichen Betreuungsangebote ins Visier. Kritisiert wurde, dass nicht nur in der Schule zu wenig für die Bildung der heranwachsenden Generation getan werde, sondern bereits im Kindergarten wichtige Gelegenheiten zur Förderung versäumt würden. Hinsichtlich der Ganztagsschule wurde die Erwartung formuliert, dass sie auf der Basis spezifischer, individualisierter Lernangebote außerhalb des regulären Unterrichts - wie Hausaufgabenhilfe oder fachbezogener und -übergreifender Förderprogramme - die schulische Leistungsentwicklung verbessern hilft. Im Besonderen sollen davon leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler profitieren - etwa Kinder aus Migrantenfamilien und bildungsfernen Sozialschichten.
Der Diskurs über den weiteren quantitativen Auf- und Ausbau vorschulischer und die klassische Halbtagsschule erweiternder ganztägiger Betreuungs- und Bildungsangebote ist von der Frage der Qualität dieser Angebote nicht zu trennen. Eltern machen ihre Entscheidung, ob ihre Kinder beispielsweise den Kindergarten oder die Angebote einer Ganztagsschule besuchen, davon abhängig, dass sich ihre Kinder dort wohl fühlen und verlässlich betreut werden, aber auch davon, dass sie ihrem Alter entsprechend gefordert und gefördert werden. Die erwünschten Bildungseffekte in den einzelnen Betreuungsarrangements sind dabei an zahlreiche Voraussetzungen und (pädagogische) Standards gebunden. Während diese im schulischen Bereich gut untersucht sind, liegen bislang zur Bildungsqualität der außerschulischen bzw. außerunterrichtlichen Betreuungs- und Bildungsangebote vergleichsweise nur wenige Arbeiten vor.
Aus der gegenwärtigen Situation ergeben sich mit Blick auf die beiden zentralen Bildungs- und Betreuungsarrangements im Vor- und Grundschulalter - Kindertageseinrichtungen und Ganztagsgrundschule - damit u.a. zwei zentrale Fragen: Wie ausgedehnt ist das Netz dieser Betreuungsarrangements, bzw. in welchem Maße werden diese Angebote von Familien in Anspruch genommen? Und werden die mit diesen institutionellen Arrangements verbundenen Erwartungen an deren bildungsbezogene Wirksamkeit erfüllt?
Versorgung mit Betreuungsplätzen im Vor- und Grundschulalter
Während der Besuch von Kindertageseinrichtungen im Alter unter drei Jahren (Krippenalter) in den westlichen Flächenländern
In den östlichen Flächenländern liegen die Besuchsquoten bei allen Altersgruppen der unter Vierjährigen deutlich höher. Hier besuchen bereits 72 Prozent der Zwei- bis Dreijährigen eine Kindertageseinrichtung; bei den Drei- bis Vierjährigen wird eine Quote von mehr als 80 Prozent erreicht. Die Versorgungsquote bei den unter Dreijährigen liegt mit insgesamt 37 Prozent deutlich höher als im Westen. Bei den Kindergartenkindern besteht mit einer Versorgungsquote von 105 Prozent sogar ein Überangebot an Betreuungsplätzen. Die Besuchsquoten in den Stadtstaaten verlaufen im Bereich des Krippenalters bis zu drei Jahren zwischen der für die westlichen und östlichen Flächenländer beschriebenen Entwicklung, bleiben bei den älteren Kindern jedoch hinter den Flächenländern zurück.
Die höhere Versorgung der Familien in den ostdeutschen Bundesländern mit vorschulischen Betreuungsarrangements drückt sich auch darin aus, dass (2002) nahezu alle Plätze in Kindergärten (also für die über Dreijährigen) als Ganztagsplätze eingerichtet sind, also für fast alle Kinder ab drei Jahren die Möglichkeit zu ganztägiger Betreuung besteht. In den westlichen Flächenländern beträgt dieser Anteil nur 24 Prozent (bei den Stadtstaaten 76 Prozent). Das Betreuungsangebot in den östlichen Bundesländern ist damit im Krippenbereich zahlenmäßig und im Kindergartenbereich auch zeitlich umfänglicher. Insgesamt ist der Einschätzung des Bildungsberichts zu folgen, dass in den westdeutschen Bundesländern - vor allem in den Flächenländern, teilweise aber auch in den Stadtstaaten - ein spürbarer Ausbaubedarf an Betreuungsplätzen für unter Dreijährige und an Ganztagsplätzen in Kindergärten für die Drei- bis Sechsjährigen (bis Schuleintritt) besteht.
Auch mit Blick auf die Inanspruchnahme von außerunterrichtlichen Angeboten an Ganztagsgrundschulen unterscheiden sich die Regionen voneinander. Dabei setzt sich der zahlenmäßige Vorsprung in den ostdeutschen gegenüber den westdeutschen Flächenländern, wie er sich bereits hinsichtlich der vorschulischen Betreuung zeigte, fort.
Wirkungen ganztägiger Bildung und Betreuung
Der Aspekt der verlässlichen Betreuung der Kinder stellt für die Familien, wie wir bereits betonten, einen wichtigen, nicht aber den einzigen Grund für die Wahl eines bestimmten Betreuungsarrangements dar. Einige Arrangements bieten spezifische kognitive und soziale Lern- und Fördermöglichkeiten, welche die Eltern mit Blick auf die Entwicklung ihrer Kinder gezielt in Anspruch nehmen. Kinder treffen in der Krippe oder im Kindergarten ihre Freunde, von und mit denen sie gemeinsam lernen, sie erhalten dort die Möglichkeit, ihre motorischen und kreativen Fähigkeiten weiterzuentwickeln oder können - beispielsweise in den außerunterrichtlichen Angeboten der Ganztagsschule - ihre fach- und freizeitbezogenen Interessen vertiefen.
Die Frage, ob diese bildungsbezogenen Erwartungen erfüllt werden können, wird in der Forschung unter dem Begriff der Effektivität von Bildungsangeboten diskutiert. Vor allem von der Schul- und Unterrichtsforschung wurden zahlreiche theoretische Modelle zur Erklärung und Bestimmung von Bildungseffekten vorgelegt.
Kindertageseinrichtungen: Einem solchen Modell folgend wurde untersucht, ob und unter welchen Bedingungen Bildungs- und Entwicklungseffekte im Rahmen vorschulischer Betreuungseinrichtungen - hier: Kindergärten - zu beobachten sind. Die Befunde zeigen, dass die Familie im Kindergartenalter eine bedeutendere Rolle für die Entwicklung der Kinder - bezogen auf soziale Kompetenzen und Sprachentwicklung - einnimmt als der Kindergarten. Jedoch lässt sich eindeutig nachweisen, dass der Besuch eines Kindergartens einen eigenständigen Einfluss auf die Entwicklung der Sozialkompetenz und der Sprachfähigkeit besitzt - und zwar umso mehr, je höher die pädagogische Qualität ausgeprägt ist.
Mit Blick auf die tageszeitliche Erweiterung der vorschulischen Betreuung auf ganztägige Angebote lassen sich Befunde auch aus internationalen Forschungsprojekten anfügen. Bereits seit den 1980er Jahren ist etwa in den USA eine intensive Auseinandersetzung in der Bildungsforschung mit der Frage zu erkennen, welche bildungs- und erziehungsbezogenen Effekte und Wirkungen sich aus der vorschulischen Betreuung - vor allem im Kindergarten - ergeben. In unserem Zusammenhang sind dabei vor allem jene Studien von Interesse, die sich mit der Frage auseinandersetzen, welche Vorteile Ganztags- gegenüber Halbtagskindergärten aufweisen. Obwohl es hier nicht möglich ist, auf Details entsprechender Forschungsarbeiten einzugehen, soll ein kürzlich vom Institute for Early Education Research veröffentlichter Arbeitsbericht herangezogen werden.
Der positive Bildungseffekt des Kindergartens lässt sich nicht nur während der Kindergartenjahre beobachten, sondern er wirkt auch beim Übergang in die Grundschule und während der ersten Jahre dort weiter. Kinder, die einen Kindergarten mit hoher pädagogischer Qualität besuchen, "weisen am Ende der zweiten Grundschulklasse einen höheren Sprachentwicklungsstand auf (...), zeigen eine höhere Schulleistung (...), bewältigen (...) ein breiteres Spektrum von Alltagssituationen besser (...) und sind (...) durch ein höheres Maß an sozialer Kompetenz gekennzeichnet".
Ganztagsgrundschulen: Im Vergleich zur Zahl der Studien im Bereich der vorschulischen Erziehung liegen bislang noch kaum (aktuelle) Forschungsergebnisse zur Wirkung ganztägiger Angebote im Grundschulbereich vor. Eine der wenigen Arbeiten wurde von Radisch, Klieme und Bos vorgelegt.
Allerdings betonen die Autoren, dass ihre Befunde Restriktionen unterliegen. Die Daten zu ganztägigen Angeboten, die durch die Schulleiterbefragung erhoben wurden, stammen aus einer Nacherhebung, in der etwa drei Jahre nach der Erhebung der Schülerleistungen die Situation retrospektiv beschrieben werden sollte. Darüber hinaus konnten keine Angaben zur individuellen Nutzung der ganztägigen Angebote durch die Schüler sowie zur Qualität der Angebote einbezogen werden. Untersucht wurde also hinsichtlich der Wirkung lediglich der Besuch einer Schule mit solchen Angeboten (unabhängig von der tatsächlichen individuellen Nutzung und der Angebotsqualität). Trotz dieser Einschränkungen liegt erstmals ein ernstzunehmender Versuch vor, die kompetenzfördernde Wirkung ganztägigen Schulbesuchs im Primarbereich auf der Basis einer repräsentativen Stichprobe zu untersuchen -wenngleich die Befunde eher als ernüchternd betrachtet werden müssen. Hier wird abzuwarten sein, ob mit zukünftigen IGLU-Erhebungen differenziertere Daten - vor allem mit Blick auf die individuelle Nutzung ganztägiger Angebote - vorgelegt werden.
Die derzeit größte Untersuchung zu Ganztagsschulen wird mit der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) durchgeführt.
In StEG werden allerdings anders als in IGLU keine Leistungsdaten der Schülerinnen und Schüler erhoben. Entsprechend der weit gefächerten Erwartungen an die Ganztagsschule, die sich nicht nur auf die schulische Leistungsentwicklung reduzieren lassen, stehen bei StEG u.a. Aspekte des sozialen und interkulturellen Lernens im Zentrum. Während von der Projektgruppe bislang vor allem Wirkungsanalysen im Bereich der Sekundarstufe I veröffentlicht wurden, stehen entsprechend umfangreiche Analysen zum Grundschulbereich (3. Jahrgangsstufe) noch aus. Daher können im Folgenden nur erste Auswertungen zur Wirkung der Teilnahme an Ganztagsangeboten im Grundschulbereich vorgestellt werden. Wir beziehen uns auf die Entwicklung sozialer Verantwortungsübernahme für die Schulgemeinschaft, welche einen wichtigen Aspekt sozialen Lernens bzw. sozialer Kompetenz abbildet. Unter sozialer Verantwortungsübernahme sind Verhaltensweisen zu verstehen, die sich auf die Unterstützung und Hilfsbereitschaft gegenüber den Klassenkameraden und eine positive Gestaltung des Klassenklimas beziehen. So wurden die Grundschülerinnen und -schüler beispielsweise gefragt, wie oft es vorkommt, dass sie anderen beim Lernen oder bei den Hausaufgaben helfen, oder wie häufig sie Mitschülern geholfen haben, einen Konflikt ohne Gewalt zu lösen. Auf Grund des erweiterten Zeitrahmens sollten in der Ganztagsschule, so eine häufig zu hörende Erwartung, neue Möglichkeiten zu kooperativen und gemeinschaftsorientierten Aktivitäten entstehen, die in besonderem Maße die Erprobung und Herausbildung solcher Verhaltensweisen unterstützen.
Erste Ergebnisse in diese Richtung liefert eine Regressionsanalyse zur Erklärung der sozialen Verantwortungsübernahme unter Berücksichtigung der Teilnahme an Ganztagsangeboten und einigen zentralen Kontrollvariablen, von denen ein Einfluss auf die Verantwortungsübernahme bekannt ist (wie Geschlecht und Alter). Dabei zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler, die die Ganztagsangebote an ihrer Grundschule besuchen, häufiger von entsprechenden Verhaltensweisen in der Klasse und ihren Klassenkameraden gegenüber berichten, als dies Gleichaltrige tun, die nicht an außerunterrichtlichen Angeboten teilnehmen - und dies unabhängig davon, ob sie Mädchen oder Jungen sind, wie alt sie sind (in der 3. Jahrgangsstudie variiert das Alter zwischen acht und zehn Jahren) oder ob sie aus einer Familie mit Migrationshintergrund stammen. Dies lässt sich als erster Befund für die Wirksamkeit der Ganztagsangebote mit Blick auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen lesen. Inwieweit dies von weiteren Faktoren der Angebote - beispielsweise ihrer pädagogischen Prozessqualität (s. oben) - oder der konzeptionellen und strukturellen Gestaltung der Ganztagsschule abhängt, müssen weitere Analysen zeigen.
Resümee
Außerfamiliale Betreuungsangebote bilden eine wichtige Unterstützung für Familien mit Kindern im Vorschul- und Grundschulalter. Wie ist die quantitative Verfügbarkeit (bzw. Inanspruchnahme) derartiger Betreuungsangebote? Welche pädagogischen Bildungs- und Entwicklungswirkungen werden erzielt?
Es zeigt sich, dass sich die außerfamiliale Betreuungssituation für Familien mit Kindern im Vorschul- bzw. Grundschulalter zahlenmäßig insgesamt verbessert hat. Vor allem im Bereich der Ganztagsgrundschulen ist eine erhebliche Zunahme von Angeboten zu verzeichnen. Im Alter ab vier Jahren steht für fast alle Kinder ein Kindergartenplatz zur Verfügung. In den ostdeutschen Bundesländern sind auch für eine Vielzahl von Kindern unter drei Jahren entsprechende Angebote verfügbar. Hier und mit Blick auf ganztägig organisierte Betreuungsangebote - Kindergarten und Ganztagsgrundschule - besteht in den westdeutschen (Flächen-)Ländern Ausbaubedarf.
Hinsichtlich der bildungsbezogenen Wirksamkeit der verschiedenen institutionellen Betreuungsangebote liegen - zumindest im Bereich des Kindergartens - Befunde vor, die die grundsätzlich fördernde Wirkung dieser Angebote belegen. Es zeigt sich, dass sich bei Kindern, die einen in pädagogischer Hinsicht hochwertigen Kindergarten besuchen, nicht nur während der Kindergartenzeit sprachliche und soziale Kompetenzen besser entwickeln, sondern dieser Vorsprung auch im Übergang in die Grundschule und während der ersten Grundschuljahre erhalten bleibt. Die Bildungseffekte der Ganztagsgrundschule lassen sich auf der Basis der verfügbaren Daten nicht eindeutig beantworten. Im Mittelpunkt der hier vorgestellten Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) stehen allerdings weniger die schulische Leistungsentwicklung als andere Bereiche der kindlichen Entwicklung wie zum Beispiel die Entwicklung sozialer Kompetenzen. Erste Befunde hierzu stimmen hoffnungsvoll. Es zeigt sich, dass Grundschülerinnen und -schüler, die Ganztagsangebote besuchen, in stärkerem Maße von Verhaltensweisen berichten, die sich auf eine prosoziale Übernahme von Verantwortung beziehen. Offensichtlich bieten die außerunterrichtlichen Angebote ein spezifisches Potenzial zur Ausbildung sozialer Kompetenzen.