Einleitung
Dank der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert wurde die rechtlich uneingeschränkte Gleichberechtigung 1949 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Ihr juristischer Weitblick sowie die beispiellose Mobilisierung und Unterstützung von Frauen und Frauenverbänden verhinderten die ursprünglich vorgesehene Bestimmung "Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte". Mit dieser, der Weimarer Verfassung entlehnten Formulierung wäre die Gleichberechtigung auch weiterhin nur im staatsbürgerlichen Bereich garantiert gewesen, während die Frauen diskriminierenden Regelungen insbesondere des Bürgerlichen Gesetzbuches nach wie vor Bestand gehabt hätten. Der schlichte Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" (Artikel 3, Abs. 2 GG) machte dagegen den Weg frei für eine umfassende Gleichberechtigung, und das bedeutete auch, entgegenstehendes Recht anzupassen.
Als das erste Gleichberechtigungsgesetz 1958 schließlich in Kraft trat, hatten bereits drei Bundestagswahlen stattgefunden. Die Beteiligung an diesen Wahlen war durchgehend hoch, und die Differenzen zwischen den Geschlechtern fielen im Vergleich zur Weimarer Republik wesentlich geringer aus. Vor diesem Hintergrund konstatierte die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Bremme vor fünfzig Jahren: "Die Wahlergebnisse von 1957 bestätigen mehr noch als die Bundestagswahl 1953, dass die Frauen in ihre politische Verantwortung als Wählerinnen voll hineingewachsen sind."
Ein halbes Jahrhundert später steht fest, dass es für den Staat keineswegs ein vordringliches Anliegen war, der formalen Gleichberechtigung auch in der Praxis zügig zum Durchbruch zu verhelfen. Es bedurfte vielmehr erst einer starken zweiten Frauenbewegung, um das Thema der politischen Machtlosigkeit von Frauen nachdrücklich auf die politische Agenda zu setzen. Und trotz einiger Erfolge liegt Geschlechterparität in der Politik auch heute noch immer in weiter Ferne.
Die politische Beteiligung von Frauen im Zeitverlauf
1960er und 1970er Jahre: Politik als männliche Domäne: Auf der öffentlichen politischen Bühne spielten Frauen während der 1960er und 1970er Jahre nur eine marginale Rolle.
Wie ungewöhnlich es damals war, Frauen in der Politik zu erleben, zeigt auch die Berichterstattung der Medien. Als im März 1966 durch Zufall das Präsidium des Deutschen Bundestages rein weiblich besetzt war, schrieb "Das Parlament": "Hoch über der Stenographenbank thronend, ließen die drei Vertreterinnen des schönen Geschlechts ihre Blicke wachsam über das vorwiegend aus Männern bestehende Plenum schweifen".
Um ihre wirkliche Macht aber mussten die Parlamentarier nicht fürchten, was auch für die Länderebene galt. In acht von elf Landtagen erreichte der Frauenanteil während dieser Jahre keine 10 Prozent; lediglich die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin kamen hier auf etwas höhere Anteile. In den Regierungen der Länder waren Frauen gar nicht oder allenfalls marginal repräsentiert. 1967 konnten allein Hamburg und Bremen jeweils eine Ministerin vorweisen; 1975 gehörten zumindest vier Länderkabinetten je eine Frau an. Eine Ministerpräsidentin jedoch gab es nirgends.
Auch für die kommunale Ebene fällt die Bilanz entsprechend mager aus; der durchschnittliche Frauenanteil in den Kommunalparlamenten betrug 1972 lediglich rund 8 Prozent, 1979 waren es mit einem Anteil von rund 11 Prozent nur geringfügig mehr Kommunalpolitikerinnen. Fragt man nach den Gründen für diese eklatante Unterrepräsentation von Frauen in öffentlichen politischen Ämtern während der 1960er und 1970er Jahre, dann erweist sich das Argument, dass den Parteien damals generell weibliche Mitglieder als Rekrutierungsbasis fehlten, als nicht stichhaltig. Zwar stellten Frauen in den politischen Parteien in der Tat nur eine Minderheit dar, gleichwohl traten insbesondere in den 1970er Jahren im Zuge einer allgemeinen Politisierung der Bevölkerung zunehmend auch Frauen in die Parteien ein, was zu einem deutlichen Anstieg der jeweiligen Frauenanteile führte (vgl. Tabelle 2 der PDF-Version). Für die 1970er Jahre lässt sich somit festhalten, dass Frauen in den Parlamenten und Regierungen nicht nur im Vergleich zur weiblichen Bevölkerungsmehrheit, sondern auch hinsichtlich ihres Anteils an den Parteimitgliedern deutlich unterrepräsentiert waren. Die nur geringen Karrierechancen der weiblichen Parteimitglieder beruhten dagegen vorrangig auf der parteiinternen Nominierungspraxis, die Frauen von politischen Führungspositionen ausschloss.
Der damalige Zustrom an weiblichen - und männlichen - Parteimitgliedern korrespondierte mit einem generellen Anstieg des politischen Interesses, der politischen Kommunikationshäufigkeit sowie einer veränderten Einstellung der Bevölkerung gegenüber einem politischen Engagement von Frauen. Bekundeten 1962 lediglich 17 Prozent der Frauen ein Interesse an Politik, waren es 1978 immerhin 36 Prozent (Männer: 46 bzw. 60 %).
Ein Wandel zeichnete sich gleichfalls bei der Einstellung zum politischen Engagement von Frauen ab. Noch Mitte der 1960er Jahre standen lediglich 27 Prozent der Männer und 32 Prozent der Frauen einer politischen Betätigung von Frauen positiv gegenüber, 1979 waren es immerhin 57 Prozent der Männer und 68 Prozent der Frauen.
1980er und 1990er Jahre: der Aufbruch von Frauen in der Politik: Die Repräsentation von Frauen in Parlamenten und Regierungen erhöhte sich in den 1980er Jahren zunächst nur langsam, stieg dann aber in den 1990er Jahren nahezu sprunghaft an.
In den Länderparlamenten konnte 1984 die 10-Prozent-Marke überschritten werden, und im Jahr der deutschen Vereinigung, 1990, lag der durchschnittliche parlamentarische Frauenanteil in den westdeutschen Bundesländern bereits bei 20 Prozent (ostdeutsche Bundesländer: 17 %) und stieg bis Ende der 1990er Jahre auf rund 30 Prozent (West und Ost) an. Auch die personelle Zusammensetzung der Länderregierungen veränderte sich zugunsten von Frauen, und zwar deutlicher und früher als auf der Bundesebene. In Schleswig-Holstein amtierten beispielsweise bereits 1988 eine Ministerin für Bundesangelegenheiten, eine Finanz- und eine Kultusministerin; in Berlin besetzte Bürgermeister Walter Momper (SPD) Anfang 1989 in spektakulärer Weise acht von dreizehn Senatsposten mit Frauen, und in Hessen wurden 1991 fünf der zehn Ministerien an Frauen vergeben, darunter das Finanz- sowie das Justizministerium. Zudem übernahm 1993 Heide Simonis (SPD) die Regierungsgeschäfte in Schleswig-Holstein und war damit die erste - und bislang einzige - Ministerpräsidentin. Ende der 1990er Jahre erreichte der durchschnittliche Frauenanteil in den Länderregierungen 30 Prozent und entsprach damit dem weiblichen Anteil in den Parlamenten.
Betrachtet man schließlich noch die kommunale Ebene, dann hat auch hier die Präsenz von Frauen kontinuierlich zugenommen. Lag der durchschnittliche Frauenanteil 1983 noch bei rund 13 Prozent, betrug er 1990 bereits knapp 21 und 1996 gut 25 Prozent.
Insgesamt hat sich der Einflussbereich von Frauen in den 1980er und 1990er Jahren somit nicht nur quantitativ ausgeweitet, sondern erstreckte sich auch auf neue Politikfelder. Bereits 1989 kommentierte Eva Kolinsky diese sich abzeichnende Entwicklung so: "West German politics seems to be moving towards a new era of opportunities for women."
Diese neuen Chancen für Frauen in der Politik sind eng verbunden mit der Einführung und konsequenten Umsetzung parteiinterner Maßnahmen zur Frauenförderung. Eine wichtige Rolle spielte dabei die zweite Frauenbewegung, die Ende der 1970er Jahre den faktischen Ausschluss von Frauen aus politischen Spitzenpositionen zunehmend thematisierte. Die breite öffentliche Diskussion um Gleichberechtigung, Quotierung und Förderung von Frauen, die im Kern eine fundamentale Kritik der demokratischen Elitenherrschaft bedeutete, erfasste auch die politischen Parteien und veränderte die bis dahin üblichen Muster der Elitenrekrutierung. So führte die SPD ab 1990 stufenweise eine Quote für alle Kandidaturen um öffentliche Ämter ein (1990: 25 %; 1994: 33 %), und seit 1998 muss ein Frauenanteil von 40 Prozent auf ihren Listen gewährleistet sein. In der CDU beträgt das - allerdings erst 1996 beschlossene - Quorum für öffentliche Ämter ein Drittel. Allein bei den Grünen sowie der Linkspartei ist von Beginn an ein Frauenanteil von 50 Prozent auf den Wahllisten festgeschrieben. Im Unterschied dazu konnten sich FDP und CSU bis heute nicht zu einer solchen verbindlichen Frauenförderung durchringen; sie setzen stattdessen auf rhetorische Frauenförderung, wobei substanzielle Erfolge allerdings ausgeblieben sind. Die während der 1990er Jahre deutlich erhöhte Repräsentation von Frauen in den Parlamenten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene stellt somit in erster Linie ein Ergebnis der quotierten Wahllisten bei SPD, Bündnis90/Die Grünen und PDS dar und spiegelt sich in ihren jeweiligen fraktionsinternen Frauenanteilen eindrucksvoll wider (vgl. Tabelle 4 der PDF-Version).
Zugleich vollzog sich in den Parlamenten ein Generationenwechsel. So resümierte die Autorin 1995 mit Blick auf die weiblichen Abgeordneten des Deutschen Bundestages: "Insgesamt gesehen ... hat eine neue, durch die zweite Frauenbewegung geprägte und deutlich selbstbewusstere Generation von Politikerinnen Einzug in den Bundestag gehalten, die, ausgestattet mit fachlicher Kompetenz, das politische Geschäft versiert und routiniert betreibt. Mussten frühere Politikerinnen noch einen gewissen Mut aufbringen, wenn sie sich als einzelne auf das politische Parkett begaben, so ist auch die gesellschaftliche Akzeptanz der heutigen Politikerinnen zweifellos gestiegen. Diese Entwicklung bedeutet zugleich, dass sich die Zeiten der Alibifrauen in der Politik ihrem Ende nähern."
Seit 2000: Stagnation und Rückschritt: Die vorgezogene Bundestagswahl vom September 2005 war zweifellos von historischer Bedeutung, denn erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kandidierte mit der Christdemokratin Angela Merkel nicht nur eine Frau für das Kanzleramt, sondern diese schaffte zugleich den Sprung an die Spitze der Bundesregierung. Doch ihre Wahl zur Bundeskanzlerin markiert keineswegs eine Trendwende dahingehend, dass Frauen inzwischen gleiche Chancen zur Übernahme politischer Führungspositionen hätten wie Männer. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts kam der Vormarsch von Frauen in der Politik vielmehr weitgehend zum Erliegen.
Im Deutschen Bundestag erreichte der Frauenanteil 2002 mit rund einem Drittel seinen bisherigen Höchststand und lag 2005 wieder leicht darunter (31,6 %). Innerhalb der einzelnen Fraktionen ging der Frauenanteil von 2002 auf 2005 gleichfalls durchgängig zurück, wobei die bekannten Niveauunterschiede zwischen den Fraktionen erhalten blieben (vgl. Tabelle 4 der PDF-Version). Weltweit allerdings gehört Deutschland mit seinem aktuellen parlamentarischen Frauenanteil zu den 20 Ländern, die über 30 Prozent erreichen, darunter acht EU-Staaten.
Auch in der von Kanzlerin Merkel geführten schwarz-roten Bundesregierung sank der Frauenanteil im Vergleich zu 2002, liegt mit zwei Fünfteln jedoch deutlich über dem Frauenanteil im Parlament (vgl. Tabelle 3 der PDF-Version). Zudem bestehen bei der Ressortvergabe noch immer geschlechtsspezifische Muster, denn eine Innen-, Außen-, Verteidigungs- oder Finanzministerin gab es bislang nicht. Entsprechendes gilt für das höchste Amt des Staates, nämlich das des Bundespräsidenten, das noch nie von einer Frau ausgeübt wurde.
In den Länderparlamenten ist zu Beginn des Jahres 2008 ein durchschnittlicher Frauenanteil von rund 32 Prozent zu verzeichnen, was im Vergleich zu 1999 nur eine geringe Steigerung von etwa zwei Prozentpunkten bedeutet. Zwischen den sechzehn Bundesländern existieren zudem nach wie vor erhebliche Unterschiede (vgl. Tabelle 5 der PDF-Version). In den Regierungen der Länder stellen Frauen aktuell im Durchschnitt nur noch ein Viertel - statt 30 Prozent (1999) - aller Kabinettsmitglieder, wobei sich die von der SPD geführten Regierungen in der Regel durch überdurchschnittliche Frauenanteile auszeichnen, während unterdurchschnittliche Frauenanteile eher für CDU-Regierungen typisch sind.
Auf der kommunalen Ebene schließlich sind gleichfalls keine weiteren Fortschritte zu verzeichnen; der durchschnittliche Frauenanteil in den Kommunalparlamenten stagniert bei einem Viertel.
Fasst man abschließend die Entwicklung in den Parteien ins Auge, so gab es in den Jahren seit der Jahrtausendwende auch hier kaum Veränderungen. Während der prozentuale Frauenanteil bei SPD und CSU geringfügig stieg, ist er bei der FDP, der Linkspartei und den Grünen leicht gesunken (vgl. Tabelle 2 der PDF-Version). Absolut gesehen sind heute insgesamt nur noch rund 400 000 Frauen in den Parteien organisiert; 1994 waren es immerhin noch rund 520 000.
Bilanzierend bleibt festzuhalten: In den vergangenen Jahrzehnten haben Frauen in der Politik erkennbar aufgeholt und konnten insbesondere in Parteien, Parlamenten und Regierungen ihren Anteil sowie ihre Akzeptanz spürbar steigern. Verantwortlich dafür sind neben sozialstrukturellen Veränderungen in der weiblichen Lebenssituation und einem damit einhergehenden Bewusstseinswandel zugleich neue Muster der Elitenrekrutierung. Gleichwohl gibt es offensichtliche Kontinuitäten, denn weiterhin stellen Frauen nur eine Minderheit in der Politik, und noch immer existiert zwischen den Geschlechtern ein deutliches politisches Machtgefälle.
Die Gründe der Unterrepräsentation von Frauen in der Politik
Bei der Suche nach den Gründen der anhaltenden Unterrepräsentation von Frauen in der Politik sind zwei Fragen zu unterscheiden: Erstens: Warum treten weniger Frauen als Männer einer Partei bei? Und zweitens: Welche Barrieren erschweren den weiblichen Parteimitgliedern - trotz Quotenregelungen - eine politische Karriere?
Institutionalisierte Politik ist männlich geprägt: Die wichtige Frage, worauf die Distanz von Frauen gegenüber den Parteien beruht, wurde wissenschaftlich bislang nicht umfassend untersucht. Die scheinbar nahe liegende Erklärung, nämlich, dass sich Frauen für Politik nur wenig interessieren und eine aktive politische Partizipation generell ablehnen, ist allerdings unzutreffend, denn im so genannten unkonventionellen Bereich, also bei den Aktionsformen der neuen sozialen Bewegungen (z.B. Demonstrationen, Mitarbeit in einer Bürgerinitiative oder das Sammeln von Unterschriften), beteiligen sich Frauen in nahezu gleicher Weise wie die Männer.
Zu vermuten ist vielmehr, dass sich das nach wie vor geringere politische Interesse von Frauen, wie es in Umfragen immer wieder zum Ausdruck kommt, in erster Linie auf Politik in ihrer institutionalisierten Form bezieht, die Frauen kaum geeignete Voraussetzungen für ihr politisches Engagement bietet. Bereits vor fünfzig Jahren führte Gabriele Bremme hierzu aus: "Tatsache ist ..., dass die Frauen, als sie die politische Gleichberechtigung erlangten, sich einem politisch-parlamentarischen System gegenüber sahen, das in seiner Grundstruktur und Form bereits verfestigt war, und auf dessen Gestaltung sie daher keinen Einfluss hatten."
Auch heute noch sind die Formen der politischen Arbeit, also die Organisationsstrukturen sowie die Versammlungs- und Kommunikationsstile, männlich geprägt, und über die Definition politischer Probleme bestimmen gleichfalls vorrangig Männer. Wenn Frauen sich in diesem Politikfeld engagieren, dann müssen sie sich folglich nach Regeln richten, die ihnen weitgehend fremd sind und die mit ihrer Lebenswirklichkeit nur wenig zu tun haben.
Insofern kann es nicht verwundern, dass Frauen im Vergleich zu Männern den Parteien eher fern bleiben, sondern darüber hinaus auch eine geringere Bereitschaft zur Übernahme eines politischen Amtes zeigen (Frauen: 14 %; Männer: 24 %)
Politische Karrieremuster als Aufstiegsbarriere: Die zweite Frage nach den Aufstiegsbarrieren für weibliche Parteimitglieder lässt sich mit Blick auf die vorherrschenden politischen Karrieremuster klar beantworten. Eine politische Karriere beginnt danach üblicherweise in den lokalen Führungsgremien der Parteien, wobei diese Positionen lange Zeit beibehalten werden und zugleich die Ausbildung spezifisch politischer Qualifikationen ermöglichen. Daneben dient der längere Verbleib auf der lokalen Ebene dazu, eine innerparteiliche Hausmacht aufzubauen, die als eine entscheidende Voraussetzung für eine Nominierung zu einem Landtags- oder Bundestagsmandat gilt. Für den Karrierestart spielt darüber hinaus auch der Beruf des Parteimitglieds eine wichtige Rolle. Fachwissen aufgrund der beruflichen Position sowie einflussreiche Kontakte begünstigen ohne Zweifel die Aufstiegschancen des Mitglieds. Die weitgehende Akademisierung des Bundestages weist zudem darauf hin, dass ohne ein Studium heute kaum noch eine politische Karriere erfolgt. Von zentraler Bedeutung ist schließlich auch die individuelle Abkömmlichkeit, denn im Zuge des schrittweisen Aufstiegs ("Ochsentour") entwickelt sich die politische Arbeit von einer Feierabendtätigkeit immer mehr zum eigentlichen Hauptberuf. Inhaber von Berufspositionen mit einem hohen Maß an Zeitsouveränität sind somit von vornherein privilegiert; der überdurchschnittlich hohe Anteil von Parlamentariern aus dem Öffentlichen Dienst (etwa zwei Fünftel) ist hierfür ein Beleg.
Diese in ihren Grundzügen skizzierte politische Standardkarriere verdeutlicht eine weitgehende Orientierung an der männlichen Biographie. Frauen haben dagegen aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung von Anfang an erschwerte Startbedingungen. Ihre gesellschaftliche Ungleichheit setzt sich in den Parteien fort und mindert ihre Aufstiegschancen.
Bereits die erforderliche Abkömmlichkeit stellt Frauen vor größere Probleme als Männer. Familie, Beruf und Politik miteinander zu vereinbaren, ist für Frauen - und insbesondere für junge Frauen mit Kindern - nach wie vor ungleich schwieriger als für Männer. Folglich war es lange Zeit typisch für Frauen, dass sie später als Männer in die Politik gingen. Zudem war - und ist - der Anteil alleinstehender Politikerinnen im Bundestag weit überdurchschnittlich, der Anteil der verheirateten Frauen mit Kindern dagegen unterdurchschnittlich.
Hinsichtlich der beruflichen Anforderungen für eine politische Karriere haben Frauen beim Studium inzwischen mit den Männern gleich gezogen, in einflussreichen beruflichen Führungspositionen insbesondere der Privatwirtschaft und der Verbände dagegen sind sie weiterhin deutlich unterrepräsentiert.
Daneben gibt es noch weitere, unsichtbare Hürden für Frauen in der Politik. So ist die Einbindung in informelle Entscheidungs- und Machtstrukturen für die Karriere von entscheidender Bedeutung. Gerade Frauen aber sind von diesen informellen Kreisen, sei es in Parteien oder Parlamenten, oftmals ausgeschlossen. Hier üben Männer den Schulterschluss gegenüber den Ansprüchen ihrer Parteikolleginnen und verweigern eine angemessene Unterstützung.
"Integrierte Außenseiterin", mit diesem Begriff lassen sich nach Barbara Holland-Cunz Politikerinnen in Deutschland charakterisieren, denn: "Konventionelle Arenen nötigen Frauen .. auf, sich dem vorgegebenen Habitus anzugleichen; konventionelle politische Partizipation ist bis heute eine anstrengende Gratwanderung zwischen demokratischen Idealen und der fragwürdigen Realität nicht selbstverständlicher Anerkennung und politischer Marginalisierung geblieben."
Vergleichende Untersuchungen zur politischen Beteiligung von Frauen in Europa bestätigen diesen Zusammenhang. Als ein bedeutsamer Einflussfaktor für die politischen Partizipationschancen von Frauen hat sich danach die nationale politische Kultur erwiesen, also im politikwissenschaftlichen Verständnis die Einstellungen in der Bevölkerung gegenüber der Rolle von Frauen in Gesellschaft und Politik. Eine hohe politische Repräsentation von Frauen ist folglich vor allem in den Staaten zu finden, die sich durch egalitäre Einstellungen auszeichnen, und das sind insbesondere die nordischen Staaten. Deutlich niedriger fällt dagegen die politische Beteiligung von Frauen in den europäischen Staaten aus, in denen eher patriarchale Einstellungen vorherrschen, und dazu gehört unter anderem auch Deutschland.
Zusammenfassung und Perspektiven
Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Unterrepräsentation von Frauen in der Politik eng verzahnt ist mit ihrer gesellschaftlichen Ungleichheit, die wiederum auf der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sowie den damit verbundenen traditionellen Rollenvorstellungen beruht. Da Frauen noch immer vorrangig für den so genannten privaten Bereich zuständig sind, haben sie im Vergleich zu den Männern nicht nur schlechtere berufliche Aufstiegs- und Verdienstchancen, sondern zugleich auch schlechtere Chancen zur Übernahme politischer wie gesellschaftlicher Machtpositionen. Die fehlende Entscheidungsmacht wiederum verhindert die Durchsetzung wirksamer Strukturveränderungen in Richtung Gleichstellung.
Diese Analyse gilt auch für die junge Frauengeneration, die zwar deutlich modernere Rollenbilder vertritt als die ältere Generation, bei dem Versuch, diese veränderten Leitbilder auch zu leben, aber mit der Hartnäckigkeit struktureller Rahmenbedingungen insbesondere auf dem Arbeitsmarkt und in der Familie konfrontiert wird.
Soll unsere Demokratie nicht "eine Demokratie am Anfang" (Helge Pross) bleiben, dann zählt eine konsequente Politik der Geschlechtergleichheit auf allen Ebenen des gesellschaftlichen und politischen Systems auch für das 21. Jahrhundert zu den wichtigsten Aufgaben. Die Parteien wären somit gut beraten, Frauen nicht nur in Wahlkampfzeiten als relevante Zielgruppe zu umwerben, sondern ihren Lebenslagen und Interessen in der politischen Praxis permanent Rechnung zu tragen. Aktuell ist davon wenig zu spüren, denn Familienpolitik hat eine eigenständige Frauenpolitik weitgehend ersetzt.
Darüber hinaus kann Gleichberechtigung nur gelingen, wenn die Politik auch Männer in den Blick nimmt und einen Wandel des männlichen Rollenverständnisses intendiert. Erste, wenn auch zaghafte Ansätze hierzu gibt es inzwischen. Und schließlich spielen auch die Medien bei der Veränderung des Geschlechterverhältnisses eine wichtige Rolle: Ihre Berichterstattung über Frauen und Männer in Politik wie Gesellschaft trägt in entscheidender Weise mit dazu bei, die öffentliche Wahrnehmung und damit die Geschlechtersozialisation zu beeinflussen.
Mit schnellen Erfolgen ist allerdings kaum zu rechnen, denn eine grundlegende Veränderung geschlechtsspezifischer Machtstrukturen trifft auf erheblichen Widerstand. Die Erfahrung zeigt dies. Insofern dürfte die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin kaum Recht behalten, wenn sie sagt: "Die Kampfzeiten der Emanzipation sind ein Fall fürs Geschichtsbuch. Vielleicht ein, zwei Generationen lang werden wir noch Nachhutgefechte führen und Gender-Lehrstühle finanzieren. Dann werden sich Mann und Frau auf die gemeinsame Sache konzentrieren müssen."