Einleitung
Die vergangenen 50 Jahre als frauenpolitische Fortschrittsgeschichte zu erzählen, wäre unangemessen. Insbesondere die ersten zehn Jahre nach der Verabschiedung des Artikels 3 Grundgesetz (GG) im Jahr 1949 sind aus heutiger Sicht eher als Rückfall in ein emanzipatorisches Mittelalter zu bezeichnen. Wer sich an die 1950er Jahre erinnert oder heute Bilder oder Filme aus jener Zeit sieht, wird gewahr, wie anders, fügsam oder gar ergeben Frauen ihre Rolle gespielt haben, und wie grundlegend sich die Geschlechterbeziehungen im alltäglichen Umgang seither verändert haben. Der Rückruf der Frauen in die Familie als wahren Ort weiblicher Bestimmung beinhaltete nicht nur Beschwörungen über das Wesen der Frau, bizarr anmutende Konventionen und Moden (Petticoat und Stöckelschuhe), sondern auch die klare Anweisung, zu Heim und Kindern zurückzukehren. Nach zwei Weltkriegen und ihren Katastrophen war die Wiederherstellung rigider Geschlechterrollen sowie das Leitbild von Ehe und Kernfamilie als dominante Lebensform wichtiger Bestandteil einer angeblichen "Normalisierung" der Lebensverhältnisse. Und dies geschah, obwohl Frauen, vor allem die Mütter in der Kriegs- und Nachkriegszeit, auf sich allein gestellt, das Leben unter schwierigsten Bedingungen gemeistert hatten, und dies eigentlich die "Stunde der Frauen" war.Doch die Restauration einer konservativen Geschlechterordnung wurde möglich, obwohl oder gerade weil die Gleichberechtigung der Frauen nun im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert war. Das klingt paradox, und doch entspricht dieser Rückfall hinter bereits erreichte Selbstverständnisse einer historischen Erfahrung. Im Auf und Ab sozialer Bewegungen spricht die Bewegungsforschung daher von "Flauten" oder einem "Stillstand".
Bemerkenswert ist, dass die erwähnte "Normalisierung" in allen westlichen Industrienationen, die am Zweiten Weltkrieg beteiligt waren, in der Nachkriegszeit zu einer Restrukturierung traditioneller Geschlechterverhältnisse und Re-Familialisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse geführt hatte. Denn die Bewährung der Frauen in männlichen Domänen, ihre erzwungene Selbständigkeit und ihr neues Selbstbewusstsein hatten die traditionelle Geschlechterordnung "gestört". Sie wurden als Krise der Familie wahrgenommen, die doch angesichts der Integrationsprobleme der aus dem Krieg heimkehrenden Soldaten und einer später als "vaterlos" diagnostizierten Gesellschaft
Die Besonderheit der westdeutschen Entwicklung
Die Rechtsgeschichte des Art. 3 GG kann und soll hier nicht im Einzelnen verfolgt werden,
Die 1970er Jahre: die neue Frauenbewegung
Wenn heute über die Frauenbewegung der 1970er Jahre gelästert wird, all ihre Grenzüberschreitungen und skandalösen Auftritte - von den angeblich lila Latzhosen bis zum Ausschluss von Männern aus den neu entdeckten Frauenräumen - gescholten werden, so wird übersehen, dass es doch einen ungeheuren Spaß gemacht haben und sehr attraktiv gewesen sein muss, dabei zu sein. Denn sonst hätte es die Frauenbewegung wohl nicht gegeben, die in all ihren Mobilisierungsformen, Gruppen, Projekten und Protestveranstaltungen als politische, kulturelle und soziale Bewegung nicht nur neue Lebensformen erfand, sondern auch die verschiedenen Öffentlichkeiten, Politik und Medien zur Auseinandersetzung mit der Geschlechterfrage herausforderte. Es handelte sich auch keineswegs um einen Verein von Klageweibern, weil nun endlich und viel darüber geredet, geschrieben und gelesen wurde, was an Zumutungen, Zwängen und Ungerechtigkeiten für Frauen bis dahin selbstverständlich erschien. Die Gespräche, der Austausch in Gruppen und Seminaren waren vielmehr ein Akt der Befreiung und der Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge. Weil auf diese Weise die Verstrickung in vorgegebene Geschlechterrollen und in gesellschaftliche Strukturen aufgedeckt wurde, entlastete diese Befreiung auch von individuellen Schuldvorwürfen.
Und es war eine Freude, ähnliche oder gleiche Erfahrungen, ja, eine gemeinsame Frauengeschichte und Frauenliteratur wieder zu entdecken, es war ein Spaß, Feste zu feiern und über die staatlichen Grenzen hinweg Freundschaften, Verbindungen und Netzwerke zu knüpfen, die zu neuem Selbstbewusstsein, auch zum Frau-Sein und gemeinsamem Handeln ermutigten. Aber natürlich gab es auch harte Auseinandersetzungen, kam es zu persönlichen Verletzungen und dogmatischen Abgrenzungen, die gerade in den Anfängen, als die Differenzen unter Frauen das "Gemeinsam sind wir stark" gefährdeten, schwer zu verarbeiten waren. Die Kompromisslosigkeit war somit Stärke und Schwäche zugleich: Eine radikale politische Autonomie verhinderte Koalitionen oder Allianzen und stellte damit auch politische Einflussnahme immer gleich unter das Verdikt des "Reformismus", der Anpassung und Eingemeindung.
Bekanntlich hat sich die neue Frauenbewegung zunächst nicht um Gleichberechtigung gekümmert, im Gegenteil, den Kampf um formale Rechte hielt die Mehrheit aus der alltäglichen Erfahrung ihres Scheiterns für untauglich. Denn es ging nicht "nur" um Gleichberechtigung im Sinne einer gerechteren Verteilung der Güter und Zugangsberechtigungen, vielmehr war Emanzipation aus gesellschaftlich nicht mehr hinnehmbaren Verhältnissen das Ziel: die Befreiung aus persönlicher Abhängigkeit sowie Selbstbestimmung in jeder, in privater wie politischer Hinsicht. Die mit Hilfe der Medien inszenierten Kampagnen, für die es internationale Anknüpfungsmöglichkeiten und Vorbilder gab, stellten die geltende hierarchische "Ordnung" im Geschlechterverhältnis, vor allem aber ihre alltägliche Form der Herrschaftssicherung im Privaten in Frage: etwa die im "Stern" veröffentlichte Selbstbezichtigungskampagne prominenter Frauen als Protest gegen die Kontrolle weiblicher Sexualität und Gebärfähigkeit, beispielhaft und symbolisch umkämpft in der Auseinandersetzung um § 218 StGB; die Debatte um "Lohn für Hausarbeit", in der die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als wichtigster Anlass für soziale Benachteiligung zur Sprache kam; schließlich die Aufdeckung der Gewalt/Vergewaltigung in der Ehe wie in den sexuellen Beziehungen überhaupt, die bis heute in den überall in der Bundesrepublik flächendeckend belegten Frauenhäusern zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen ihren skandalösen Ausdruck findet.
Die nachhaltigste Veränderung im Bewusstsein der Menschen und in der Beziehung der Geschlechter hat die Frauenbewegung - aus diesen Gründen ausgestiegen aus der Studentenbewegung - in der Liberalisierung und im Diskurs über die Sexualität, in der Forderung nach dem Recht auf Selbstbestimmung auch über den eigenen Körper sowie mit der Skandalisierung der Gewalt gegen Frauen bewirkt. Das Wissen um den "wunden Punkt" im Geschlechterverhältnis und die sehr viel selbstverständlicheren Freiheiten in den sexuellen Beziehungen kommen nicht zuletzt in einer neuen Vielfalt von Lebensformen zum Ausdruck und stehen für eine kulturelle Revolution in den Geschlechterbeziehungen. Diese ist festzumachen an gesetzlichen Errungenschaften, die vor etwas mehr als 30 Jahren unvorstellbar gewesen wären: Dazu zählen zunächst die Gleichstellung der nicht in einer Ehe geborenen Kinder (seit 1970), dann die Entkriminalisierung der Homosexualität (1969), die Reform des Scheidungsrechts und Umsetzung des Gleichberechtigungsprinzips im Eherecht (1977), sehr viel später die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe und die Verbesserung des Gewaltschutzes für Frauen und Mädchen (seit 1997) und die Anerkennung der eingetragenen Lebenspartnerschaft homosexueller Paare (die so genannte Homo-Ehe) seit 2001. Lediglich die zentrale Rechtsforderung der neuen Frauenbewegung - die Straflosigkeit des selbst bestimmten Schwangerschaftsabbruchs innerhalb einer Frist von drei Monaten - ist in Deutschland gesetzlich nach vielen gescheiterten Reformversuchen (1974, 1976, 1992, 1995) nach wie vor durch strenge Regularien und das Plazet der Ärzte eingeschränkt. Die harten Auseinandersetzungen hierüber - die selbst im Einigungsvertrag noch einen Aufschub brauchten, weil der Schwangerschaftsabbruch in der DDR seit 1972 straffrei war - kennzeichnen diesen Konflikt über die Selbstbestimmung der Frau als letzte Bastion symbolischer patriarchaler Machtpolitik.
Zugleich haben Mädchen und Frauen von der Bildungsexpansion seit dem Ende der 1960er Jahre profitiert, sie haben in allen Sparten von Bildung und Ausbildung enorm aufgeholt, im schulischen Bereich wurden die Jungen sogar überholt. Mädchen haben viel bessere Noten, mehr Frauen als Männer jedes Jahrgangs erlangen inzwischen die Hochschulreife, zugleich stellen sie etwa die Hälfte der Studienanfänger. Dass gleichwohl in allen späteren Karrierestufen - angefangen bei den Studienabschlüssen über die Promotion bis zu den Führungspositionen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik - der Frauenanteil dramatisch abnimmt, was sich etwa bei den Lehrstuhlinhabern in einer Männerquote von immer noch über 90 Prozent ausdrückt,
Im Zentrum der Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis stand und steht daher die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, und zwar in Bezug auf die private Alltagsarbeit wie auch auf den immer noch nach Geschlecht geteilten Arbeitsmarkt. Hier wiederum greift eine für die deutschen Verhältnisse typische Verspätung. Denn die heute im europäischen Vergleich offensichtlichen Versäumnisse der bundesrepublikanischen Familienpolitik sind auf den Beginn der 1980er Jahre zu datieren, als die Regierung Helmut Kohl mit der von ihr selbst so bezeichneten "konservativen Wende" auf die Frauenbewegung reagierte. Unter der moralischen Prämisse "die Mutter ist unersetzlich" nahm sie die Mütter - und zwar nur die Mütter - erneut in die Pflicht. Während zur gleichen Zeit zum Beispiel in den skandinavischen Ländern auf der Grundlage einer entschiedenen und radikalen Gleichstellungspolitik mit dem Ausbau einer familienfreundlichen Infrastruktur, insbesondere der Kinderbetreuung, gleichberechtigte Elternschaft und die so genannte Zweiversorgerfamilie das wohlfahrtsstaatliche Programm bestimmten,
Dabei waren die 1980er Jahre eigentlich dazu angetan, Erfolge zu zeitigen. So deutete sich die Verbreiterung feministischer Anliegen in wachsendem Zulauf zu ganz neuen Gruppierungen an, zunehmend auch in beachtlichen Institutionalisierungserfolgen: Diese Verbreiterung und gleichzeitig größere Heterogenität der Frauenbewegung und ihrer Anhängerinnen und Anhänger ist entgegen allen Unkenrufen vom Ende der Frauenbewegung auch als Mobilisierungserfolg zu interpretieren. Er speiste sich zu Beginn der 1980er Jahre aus verschiedenen Quellen, beispielsweise aus der Friedensbewegung, aus einer neuen frauenpolitischen Orientierung gewerkschaftlicher Frauenpolitik sowie einer die Kirchenoberen beunruhigenden feministischen Theologie, die weltweit in einer ökumenischen Bewegung der Frauen 1983 in Vancouver ein erstes "Gender Mainstreaming" einführte. Außerdem bildeten sich Plattformen für den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Feministinnen und Parteifrauen, zum Beispiel 1980 die Initiative 6. Oktober; und selbst in den Informationen für die Frau, dem Presseorgan des Deutschen Frauenrates, zeichnete sich ab, dass sich auch hier der feministische Einfluss nicht mehr verhindern ließ: etwa in der Behandlung der Problematik der Gewalt gegen Frauen. Mit der Partei DIE GRÜNEN, seit 1983 im Bundestag vertreten, traten erklärte Feministinnen als Funktionsträgerinnen in die offizielle Politik ein. Sie belebten die frauenpolitische Diskussion mit einer neuen Quotierungsdebatte und dem Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes, der jedoch 1986 im Bundestag keine Mehrheit fand.
1989 als Zäsur: Ende oder Anfang eines neuen Feminismus
Das Jahr 1989 stellt mit der weltpolitischen Wende und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr darauf gerade auch für die Frauenfragen, den Feminismus und die Frauenpolitik in Deutschland eine historische Zäsur dar: Es hat die politischen Diskurse und Prioritäten grundlegend verändert. Im "Vereinigungsgeschäft", das Beobachterinnen aus dem In- und Ausland als beispiellose Inszenierung des westdeutschen Patriarchats charakterisierten,
Tatsächlich war die bis dahin westdeutsche Frauenbewegung mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten an einem Ende angekommen, da sie nur für westdeutsche Erfahrungen in Anspruch zu nehmen und verantwortlich zu machen war. Dass es um 1990 nicht gelungen ist, für ost- und westdeutsche Frauenanliegen eine gemeinsame Plattform zu finden, beruhte auf unterschiedlichen Erfahrungen und Interessenlagen.
Zudem ist seit 1989 der Antifeminismus in der politischen Debatte nicht nur in Deutschland wieder laut, populär und opportun geworden.
Tatsächlich haben junge Frauen heute anders als ihre Mütter zumindest bis zum Eintritt in den Beruf bzw. bis zum ersten Kind in der Regel wenig Diskriminierung erfahren und die Geschlechterbeziehung weitgehend als ausgewogen erlebt. Auch in der Lebensführung demonstrieren sie größere Unabhängigkeit als junge Männer, die erwiesenermaßen viel länger im Elternhaus leben. Der Skandal besteht jedoch darin, dass die junge Frauengeneration ungeachtet aller Kämpfe und Einsichten heute den gleichen Barrieren in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gegenübersteht wie die Feministinnen der 1970er Jahre, die - allein gelassen in der Kinderfrage und aus Protest gegen die Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch - einen Aufruf zum Gebärstreik unterschrieben. Denn obwohl Frauen und Männer im jungen Erwachsenenalter heute einander so "gleich" sind wie niemals vorher, übernehmen Frauen in Paarbeziehungen, sobald Kinder geboren werden, den Hauptteil der Familien- und Hausarbeit und stellen ihre beruflichen Ambitionen zumindest zeitweise zurück. Durch die Schwierigkeit, den Eintritt in eine berufliche Laufbahn mit einer Familiengründung zu vereinbaren, kommt es zu einer Weichenstellung im weiblichen Lebenslauf, bei der sich die Berufs- und Familienbiographie der jungen Frauen trotz gleicher Ausgangslage sukzessive von der ihrer männlichen Partner entfernt. Die Konsequenzen sind persönliche Abhängigkeit, niedrigere Einkommen und vorwiegend weibliche Armut im Alter. In der Öffentlichkeit kommen die Probleme gegenwärtig in einer aufgeregten politischen Diskussion über den Geburtenrückgang zum Ausdruck, der zu einer Störung des demographischen Gleichgewichts und damit zugleich zu einer Gefährung des Generationenvertrages sozialer Sicherung führe. Dass Kinderlosigkeit oder die Verschiebung des Kinderwunsches die Antwort vieler gut ausgebildeter Frauen auf die anhaltende Unvereinbarkeit von Familie und Beruf sind, wird viel zu wenig gesehen. Aus dem im internationalen Vergleich von Geburtenraten und Müttererwerbstätigkeit ist zu lernen, dass nicht die Gleichberechtigung der Frau oder ihre Modernität, sondern traditionelle Geschlechterrollen und eine unzeitgemäße Familienverfassung der Grund für niedrige Geburtenraten sind.
Dies zeigt, dass die Modernisierung der Geschlechterverhältnisse in der Bundesrepublik bisher nur sehr einseitig und unvollständig gelungen ist. Sie ist vielmehr durch Widersprüche und Ungleichzeitigkeiten gekennzeichnet. Die angebliche Selbstverständlichkeit, gleichberechtigt zu sein, und die gelebte Geschlechterdifferenz, die weiterhin durch geschlechtshierarchische Strukturen und Institutionen abgestützt wird, passen nicht mehr zusammen. Während sich die in die Strukturen eingelassenen Ungleichheiten nach wie vor an der schlechteren Stellung im Beruf, ihren niedrigeren Einkommen oder der im Vergleich zu Männern miserablen sozialen Absicherung im Alter ablesen lassen, kommen die neuen Lebensmuster junger Frauen einer "kulturellen Revolution" gleich. Doch diese Widersprüche werden durch einen neoliberalen common sense verdeckt. Angesichts neuer Wahlfreiheiten ist danach jeder und jede für sich selbst verantwortlich, weil nur noch Leistung zählt. "Wer heute diskriminiert wird, ist selbst schuld", heißt es da ganz im Sinne dieses Zeitgeistes. Hat demnach die selbstbewusste Überzeugung, die Probleme individuell lösen zu können, unbemerkt wieder zu einer Privatisierung jener Problematiken geführt, die von der neuen Frauenbewegung mühsam auf die Agenda gesetzt wurden?
Resümee
Niemand, auch unverbesserliche Feministinnen können nicht erwarten, dass junge Frauen heute in ihre Fußstapfen treten. Denn ebenso wenig, wie eine soziale Bewegung auf Dauer gestellt werden kann - dann wäre sie ja keine Bewegung mehr -, können ihre Vertreterinnen erwarten, dass Frauen einer anderen Generation ihre Strategien, ihre Vorstellungen von Emanzipation, ihre Vorgehensweisen und Errungenschaften widerstands- und kritiklos übernehmen. Diese Errungenschaften müssen vielmehr neu angeeignet und dabei auch verändert werden. Zur Selbstfindung und zur von vielen Generationen von Feministinnen leidenschaftlich erstrittenen Freiheit und Selbstbestimmung gehören Kritik und die Distanzierung zu Vorgefundenem sowie neuartige Zugänge und Strategien. Lernprozesse sind daher notwendig und produktiv. Doch wenn wir weitere Verspätungen und Rückschritte im Hindernislauf weiblicher Emanzipationsbewegungen vermeiden wollen, sollten wir speziell in Deutschland dem Geschichts- und Gedächtnisverlust entgegenwirken, aber auch das bereits erworbene Wissen und die Einsichten in die gesellschaftliche Zusammenhänge und das wechselseitige aufeinander Angewiesensein bewahren. Die Geschichte der Frauen und der Frauenbewegungen ist nicht nur ein "Fundus" schlechter Erfahrungen oder von "Beispielen für soziale Ungerechtigkeit", sondern vielmehr von "Verbundenheit" und Solidarität und damit auch eine "Quelle mannigfaltiger Einsichten und Anregungen", die unersetzlich für die Mitgestaltung der politischen Rahmenbedingungen sind.
Ohne Zweifel hat der neue Feminismus der 1970er Jahre viel erreicht: Er hat eine kulturelle Revolution in den Geschlechterverhältnissen ausgelöst, die Leitbilder und Lebensentwürfe junger Frauen grundlegend verändert, und dabei Männer, alt und jung, in mancher Hinsicht weit hinter sich gelassen. Zugleich ist die ungleiche Teilhabe von Frauen im Hinblick auf berufliche Karrieren, politische Entscheidungsmacht und die häusliche Arbeitsteilung noch immer fest mit alten Gewohnheiten und Machtverhältnissen verzurrt. Einzelne Frauen können daher zwar - allerdings nur mit Hilfe anderer Frauen, entweder der immer weniger verfügbaren Großmütter oder eben illegaler oder prekär beschäftigter Frauen