Einleitung
Eine 2004 im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erstellte Studie dokumentierte erstmals auf Bundesebene einen neuen, problematischen Trend unter Kindern und Jugendlichen: Im Zeitraum 1999 bis 2002 hatte sich die Anzahl von 10- bis 19-Jährigen, die aufgrund einer schweren Alkoholintoxikation (Alkoholvergiftung) in bundesdeutschen Kliniken behandelt werden mussten, signifikant erhöht. Eine Studie mit 17 ausgewählten Kliniken belegte beispielsweise einen Anstieg von 162 auf 350 Fälle jährlich, wobei der Anstieg bei den Mädchen ausgeprägter verlief als bei den Jungen.
Seit 2005 ist auch das so genannte "Binge Drinking" - der rasche Konsum von mehr als fünf Getränken bei einem Trinkanlass - stark angestiegen. Während 2005 noch 20 Prozent der Jugendlichen ein Mal im letzten Monat dieses Konsumverhalten zeigten, waren es 2007 schon 26 Prozent.
Alkoholkonsum mit lebensbedrohlichen Folgen
Durch übermäßigen Alkoholkonsum kann es sowohl zu akuten als auch zu langfristigen Schädigungen kommen. Neben dem Risiko einer Chronifizierung von schädlichen Konsummustern bis hin zur Abhängigkeit sind für die Mehrzahl der Jugendlichen besonders die akuten Gefahren von Bedeutung: Unfälle, Gewalt, Erfrieren, Ertrinken, Suizid oder ungeschützter Geschlechtsverkehr. Insgesamt werden Betrunkene häufiger Opfer von Gewalttaten als Andere, besonders Mädchen werden schnell Opfer sexueller Gewalt. Nach Aussagen von Medizinerinnen und Medizinern können Kinder und Jugendliche, die kaum oder gar nicht an Alkohol gewöhnt sind, bereits ab einem Blutalkoholwert von 1,5 Promille das Bewusstsein verlieren. Immer wieder kommt es zu Todesfällen, wenn Betrunkene in komatösem Zustand an Erbrochenem ersticken, weil lebenswichtige Reflexe ausgeschaltet sind. In einigen Fällen führt die hohe Alkoholkonzentration im Blut zum Versagen der Atmung oder der Herzmuskulatur, was intensivmedizinische Maßnahmen zur Lebensrettung erforderlich macht. Eine europäische Studie dokumentiert den Umfang der Problematik: Über 10 Prozent der Todesfälle unter jungen Frauen und ca. 25 Prozent der Todesfälle unter jungen Männern stehen in Zusammenhang mit Alkoholkonsum.
Hohe gesundheitliche, soziale und auch ökonomische Schädigungen durch Alkohol sind kein neues Phänomen, sondern es gibt sie - mehr oder weniger ausgeprägt - seit die Menschheit den Alkohol für sich entdeckt hat. Was schädlichen Alkoholkonsum betrifft, lässt sich in den vergangenen Jahren in manchen Bereichen sogar eine positive Entwicklung beobachten. So hat sich der jährliche pro-Kopf-Verbrauch von reinem Alkohol unter der bundesrepublikanischen Bevölkerung seit 1980 von 12,9 Liter auf 10,1 Liter im Jahr 2006 reduziert.
Trinken bis zur Bewusstlosigkeit bei Jugendlichen bindet durch seine besondere Dramatik die gesellschaftliche Aufmerksamkeit, die sich aktuell stärker als vor einigen Jahren auf mögliche Schädigungen durch Alkohol richtet. Die aktuelle Berichterstattung in den Medien erzeugt ein Bild, wonach exzessives bis lebensbedrohliches Trinkverhalten vorwiegend ein jugendspezifisches Phänomen darstellt. Dies ist nicht der Fall. Unter 40-Jährigen kommen alkoholbedingte Klinikaufenthalte noch immer drei Mal häufiger vor als bei Jugendlichen.
Dessen ungeachtet sind aufgrund der deutlich wachsenden Anzahl von Jugendlichen mit exzessiven Trinkmustern gezielte Präventionsmaßnahmen gefragt. Bei dieser Teilgruppe hat sich in den vergangenen Jahren ein Trinkverhalten entwickelt, bei dem der Rausch eine andere Qualität hat. Innerhalb kurzer Zeit werden große Mengen Alkoholika getrunken, meist Spirituosen, oft mit dem expliziten Ziel, sich möglichst schnell in einen tiefen Rausch zu versetzen. Häufig findet das Trinken aber auch quasi "nebenbei" statt und die Jugendlichen sind sehr überrascht, oft erschrocken, von der teilweise lebensbedrohlichen Eskalation des Geschehens.
Trinken aus Spaß und Zeitvertreib
Im persönlichen Gespräch im Krankenhaus nennen die Jugendlichen unterschiedlichste Motive. Manche berichten von Trinkspielen und Wetttrinken, wobei im Vergleich zu früher auch Mädchen stolz sind, wenn sie viel Alkohol vertragen und mit ihrem Körper nicht zu "zimperlich" umgehen. Viele nennen als Motive einfach Spaß haben wollen, die Lust am Rausch, Kick und an Grenzerfahrungen. Häufig wird als Grund auch Langeweile genannt, die durch leicht verfügbaren Alkohol und den schnellen Rausch behoben wird. In manchen Gesprächen wird deutlich, dass Alkoholexzesse, besonders am Wochenende, dazu dienen, aus einem sehr reglementierten Alltag in Schule oder Ausbildung auszubrechen. Und oft, besonders bei den Jüngeren, spielt auch Unerfahrenheit im Umgang mit Alkohol eine Rolle. Für manche endet der erste Kontakt mit Alkohol gleich im Krankenhaus. Manchmal wollen sich die Jüngeren in einer Clique durch einen demonstrativ hohen Alkoholkonsum auch die Gruppenzugehörigkeit "ertrinken". Und bei einer kleinen Teilgruppe deuten die Schilderungen und Begleitumstände darauf hin, dass Alkohol gezielt eingesetzt wird, um Probleme zu vergessen oder "sich weg zu trinken" aus einer Situation, die als überaus belastend und ausweglos erlebt wird. Eine Studie, bei der über 500 Jugendliche in den Kliniken befragt wurden, fasst die genannten Motive in vier Hauptgruppen zusammen:
Präventionsfachkräfte stellen in der Arbeit mit diesen Jugendlichen fest, dass es sich keinesfalls nur um "Problemjugendliche" handelt. Die Mehrzahl verfügt über gute persönliche Ressourcen und wächst in einem fürsorglichen und stabilen Umfeld auf. Etwa ein Drittel der Jugendlichen wird von den sozialpädagogischen Fachkräften jedoch als sehr belastet eingeschätzt. Damit steigt das Risiko, dass sich das schädliche Trinkverhalten chronifiziert und eventuell in eine Sucht mündet. Die Präventions- und Hilfeangebote leiten sich aus der Analyse und Bewertung der jeweiligen Lebenssituation der Jungen und Mädchen ab. Dies bedeutet, dass manche Jugendliche und ihre Eltern nach Möglichkeit in weitergehende Hilfen (Familienberatung, sozialpädagogische Familienhilfe etc.) vermittelt werden.
Insgesamt berichten die betroffenen Kinder und Jugendlichen nichts, was Fachleute überrascht oder sich auffällig von den Trinkmotiven früherer Generationen unterscheidet. Das heißt, auf individueller Ebene sind keine Motive erkennbar, welche den drastischen Anstieg schwerer Intoxikationen innerhalb weniger Jahre plausibel erklären können.
Erwachsene - wenig vorbildlich
Auf gesellschaftlicher Ebene findet sich auf der Suche nach Erklärungen Vertrautes aber auch Neues. Dass Alkohol in unserer Gesellschaft anerkannt ist, über Werbung und das Vorbild der Erwachsenen als Mittel für Spaß, Leichtigkeit und Ausbruch aus dem Alltag positiv besetzt ist, ist bekannt. Zugenommen hat vermutlich die Griffnähe. Alkohol ist günstiger zu bekommen, verbreiteter und der Erwerb durch Jugendliche weniger durch soziale Kontrolle eingeschränkt als in der Vergangenheit. Im Vergleich zum verfügbaren Taschengeld sind Alkoholika leicht erschwinglich und bezogen auf die Entwicklung der Lebenshaltungskosten in den vergangenen Jahren günstiger geworden.
Für die massive Zunahme eines neuen riskanten Trinkmusters innerhalb weniger Jahre sind vermutlich eine Reihe veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen verantwortlich, kombiniert mit neuen Freizeittrends und "Trinkmoden" unter Jugendlichen. So ist zu vermuten, dass durch die massive Bewerbung von Alkopops bei der jungen Generation die Hemmschwelle gesenkt wurde, Hochprozentiges wie Rum und Wodka zu konsumieren. Vor Einführung der Sondersteuer konsumierten 30 Prozent der weiblichen und 27 Prozent der männlichen Jugendlichen Alkopops.
Spirituosen als trendige Spaßgetränke
In einem locker aufgemachten, erotisch gefärbten Werbespot setzt sich beispielsweise eine mexikanische Schönheit mitten am Tag mit einer Flasche Tequila an einen Tisch, schenkt sich ein Glas ein und leert es in einem Zug.
Cola- und Orangensaftmixgetränke in Bars und Diskotheken waren einst relativ teuer, der Konsum dadurch limitiert. Hochprozentiges pur wurde insbesondere von Erwachsenen konsumiert und hatte häufig das Image des Luxuriösen (ein edler Cognac, ein alter Whiskey) oder des Medizinischen (Verdauungsschnaps, Magenbitter). Eine auffällige Entwicklung ist, dass Alkoholika von Jugendlichen häufig nicht mehr aus Gläsern, sondern direkt aus der Flasche getrunken werden. Dies geschieht in öffentlichen Räumen (U-Bahn, Plätze, Parks), häufig auch im Gehen. Durch das Trinken nebenbei wird Alkoholkonsum beliebig, wirkt unbedeutend, als lockere Selbstverständlichkeit ritualisiert. Dadurch fällt die kulturell definierte Sonderrolle alkoholischer Getränke weg, wonach Alkohol nur in einem bestimmten Kontext, etwa bei Festen, zu Mahlzeiten, in Gaststätten, getrunken wird. Gleichzeitig verlieren die Jugendlichen die Kontrolle über die getrunkene Menge. Bis vor etwa einem Jahrzehnt war lediglich der Bierkonsum aus der Flasche gesellschaftlich akzeptiert. Ansonsten wurde Alkohol aus Gläsern getrunken, die Glasform meist angepasst an die jeweilige Substanz. Mit den kleinen Alkopopflaschen hat sich diese bis dahin geltende Regel verändert - was den Übergang zum mittlerweile unter Jugendlichen selbstverständlichen Konsum von Spirituosen aus der Flasche eingeleitet haben kann. Trinken in der Öffentlichkeit aus der Flasche ist unter Erwachsenen nach wie vor tabuisiert und wird sozialen Randgruppen zugeordnet und mit einer Suchtproblematik in Verbindung gebracht.
Wenn Jugendliche eine Party planen, gehören zum alkoholischen Getränkesortiment neben Bier und Sekt meist auch Spirituosen, insbesondere Wodka. Dass Destillate als entscheidender Verursacher von schweren Alkoholvergiftungen eine Rolle spielen, belegt die Befragung von betroffenen Jugendlichen in den Kliniken: Über 90 Prozent haben Spirituosen, pur oder gemixt, konsumiert.
Jugendliche brauchen Freiräume - und Geborgenheit
Zu den neuen Angeboten und Trends auf dem Getränkemarkt gesellen sich veränderte Erziehungsstile, die auf eine frühere und größere Autonomie von Kindern und Jugendlichen zielen, auf ihre eigenständige Gestaltung der Freizeit außerhalb der Familie. Dies verkürzt den Schonraum Kindheit, und die großen Spielräume - einen Platz finden in der Clique, außer Haus übernachten, die ersten Partys, Flirten, Experimentieren mit Alkohol - können manche Teenager überfordern. Gerade bei Mädchen beginnt die Pubertät oft schon im Alter von 10 bis 12 Jahren, einige Jahre vor dem eigentlichen Jugendalter. Der Anteil der 14-jährigen Mädchen an den stationär behandelten Alkoholvergiftungen ist mit 22,8 Prozent doppelt so hoch wie bei den gleichaltrigen Jungen. Neben ihrem früheren Eintritt in die Pubertät ist vermutlich auch ihr geringeres Körpergewicht und eine schlechtere Verträglichkeit von Alkohol dafür verantwortlich.
Die Identitätsentwicklung im Jugendalter wird erschwert durch einen vor allem von den Medien propagierten Lebensstil der Superlative und des Außergewöhnlichen, an dem Heranwachsende ihre eigene Biographie und ihre Perspektiven messen. Eine immer kürzere Halbwertszeit von Trends und die wachsende Bedeutung von teuren Statussymbolen setzen viele Jugendliche - und oft auch ihre Eltern - unter Druck. Bereiche, in denen Jugendliche ihren Hunger nach Freiräumen, körperlichen Herausforderungen und Grenzerfahrungen leben können, werden im Zuge der Verstädterung, aber auch der Kommerzialisierung und Institutionalisierung jugendlichen Freizeitverhaltens immer schwieriger und durch digitale Pseudo-Erfahrungen nur ungenügend ersetzt.
Aus den oben beschriebenen Veränderungen ergibt sich, dass sich die Probierphase mit Alkohol bei Kindern und Jugendlichen zeitlich vorverlagert und in vielen Fällen aus der Familie in den öffentlichen Raum verschoben hat. Veränderte Strategien der Alkoholindustrie zeigen Wirkung unter Jugendlichen. Eine Vorbildfunktion oder angemessene Reglementierung durch - fremde - Erwachsene als Gegengewicht bleibt meist aus. Das Jugendschutzgesetz, das den Zugang zu Alkohol erschwert und durch seine Grenzsetzung zudem eine pädagogische Signalwirkung haben könnte, wird nicht konsequent eingehalten. Ein Viertel der befragten unter 16-Jährigen in den Kliniken hat den Alkohol selbst eingekauft - meist Spirituosen, welche nur an Volljährige abgegeben werden dürfen.
Der jugendtypisch ausgeprägte Wunsch nach Freiheit und Risiko, gepaart mit einem von den Medien propagierten Lebensstil der Grenzenlosigkeit, fehlende Möglichkeiten für das körperliche Ausleben emotionaler Bedürfnisse und der noch fehlende innere und oftmals äußere Halt bilden eine riskante Mixtur, in der sich exzessiver Alkoholkonsum perfekt einfügt. Binge Drinking könnte aus dieser Perspektive als eine Antwort auf unerfüllte jugendliche Sehnsüchte interpretiert werden.
Prävention auf unterschiedlichen Ebenen
Die genannten Ursachen machen deutlich, dass schwere Alkoholintoxikationen unter Jugendlichen nicht allein durch den Ausbau von Aufklärung für diese Zielgruppe zu verhindern sind. Prävention schließt unterschiedliche gesellschaftliche Ebenen ein, und gefragt sind hier insbesondere Erwachsene, da sie die Umwelt, in der Jugendliche aufwachsen, gestalten. Daraus leitet sich für die Vorbeugung schädlichen Trinkverhaltens unter Jugendlichen eine breite Palette von Ansatzmöglichkeiten ab. Für langfristige und nachhaltige Veränderungen sind bildungs- und sozialpolitische Weichenstellungen ebenso erforderlich wie die Umsetzung wirksamer Maßnahmen der Alkoholpolitik auf nationaler Ebene: die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen, Steuern, Verkaufseinschränkungen, Werbeverbote. Diese Ansätze müssen mit regional verankerten Präventionsmaßnahmen gekoppelt werden - ein Ansatz, wie ihn das HaLT-Projekt darstellt.
Das Ziel des im Jahr 2003 entwickelten HaLT-Projektes besteht darin, dass Jugendliche sich in Zusammenhang mit ihrer altersbedingten Risikobereitschaft und Verletzlichkeit durch ihren Alkoholkonsum keinen Schaden zufügen. Das Projekt bietet Jugendlichen nach stationär behandelter Alkoholintoxikation daher zunächst ein Einzelgespräch und anschließend ein eineinhalbtägiges Gruppentreffen an. Diese zeitnahe Reaktion und das sich anschließende Gruppen-Angebot sowie Beratungsgespräche werden als "reaktiver Baustein" bezeichnet.
Kommunale Präventionsansätze
Wenn Jugendliche mit einer schweren Alkoholvergiftung notärztlich behandelt werden müssen, ist schon einiges schief gegangen. Um gefährliches Rauschtrinken im Vorfeld zu verhindern, wurde ergänzend zu den individuellen Hilfen der so genannte "proaktive Baustein" von HaLT entwickelt. Hierbei zielen kommunal verankerte Präventionsmaßnahmen auf die Verhinderung von Alkoholexzessen und einen bewussteren, unschädlichen und genussorientierten Umgang mit Alkohol in der Gesellschaft. Dies gelingt durch die Sensibilisierung breiter Bevölkerungsgruppen, Verantwortung und Vorbildverhalten von Erwachsenen sowie die Ausschöpfung möglicher steuernder Maßnahmen kommunaler Alkoholpolitik. Die strukturelle Verankerung von Standards führt zu Automatismen und ist damit, einmal implementiert, ohne zusätzlichen Aufwand nachhaltig wirksam. Beispiele hierfür sind die Integration von Präventionsmaßnahmen gekoppelt an Festgenehmigungen durch die Ordnungsämter, die Festlegung von Standards in Schulen und Vereinen oder die Integration von Jugendschutzseminaren in der Ausbildung im Einzelhandel.
Auf die Einhaltung bestehender gesetzlicher Bestimmungen wird besonderes Augenmerk gelegt, da ihre systematische Umsetzung erwiesenermaßen eine hohe Wirksamkeit zeigt:
Durch die Auswahl von Getränken - beispielsweise den Verzicht auf Spirituosen und süße Mixgetränke und durch attraktive alkoholfreie Alternativen - können Veranstalter den Alkoholkonsum steuern. Zusätzlich geht es um einfach und kostengünstig durchführbare Maßnahmen für Alterskontrollen beim Einlass und der Abgabe von Alkohol. Eltern- oder Peer-Aktionen führen zu einer Sensibilisierung der Gäste. Zum Präventionsansatz gehört auch eine rechtzeitige und umsichtige Reaktion bei aufkommendem aggressiven Verhalten einzelner Gäste oder um die sichere Heimfahrt gerade von betrunkenen Jugendlichen (Ansprechen der Clique, Infos über Busverbindungen, Taxinummern).
Alkoholprävention als Alltagshandeln
Die Verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Teams in den jeweiligen Institutionen und das Verkaufspersonal werden als Expertinnen und Experten vor Ort betrachtet, die von den Präventionsfachkräften Know-How und unterstützende Materialien erhalten, um die Ziele von HaLT aktiv und eigenverantwortlich umzusetzen. HaLT ist kein Abstinenzansatz: "Kein Alkohol für Kinder" und die konsequente Einhaltung des Jugendschutzgesetzes stehen neben Zielen einer "schönen Festkultur" und eines verantwortungsbewussten, genussorientierten Umgangs mit Alkohol. Das Zusammenwirken von Entscheidungsträgern, Fachkräften und Akteurinnen und Akteuren in ihrem alltäglichen Umfeld führt zu Akzeptanz und zu einer nachhaltigen Präventionsarbeit in der Praxis.
Zusammenarbeit von Medizin und Pädagogik - eine Chance für die Prävention
Für die Überleitung betroffener Jugendlicher in das HaLT-Projekt stellen die Scham der Jugendlichen, häufige Schuldgefühle der Eltern, das Prinzip der Freiwilligkeit sowie Datenschutzbestimmungen eine große Herausforderung dar. Grundlage für eine erfolgreiche Kooperation ist ein sensibles Informationsgespräch des Arztes oder der Ärztin mit den Jugendlichen und ihren Eltern. Ziel ist es, über das Präventionsangebot von HaLT zu informieren und für eine tiefere Auseinandersetzung mit der Problematik zu motivieren. Rechtliche Voraussetzung ist das Unterzeichnen der Schweigepflichtentbindung, die an die HaLT-Fachstellen gefaxt wird.
Erster Kontakt am Krankenbett
Der erste Kontakt der Präventionsfachkräfte zu den Jugendlichen, das "Brückengespräch", findet meist noch am Klinikbett statt, in der Regel werden auch die Eltern mit einbezogen. In der Arbeit mit den Jugendlichen und ihren Familien geht es sowohl darum, den Vorfall aufzuarbeiten, Auslöser zu identifizieren und Jugendlichen das Rüstzeug zu vermitteln, um eine Wiederholung mit möglichen lebensbedrohlichen Folgen zu verhindern. Dabei werden in Familiengesprächen auch das Erziehungsverhalten, die Balance von Freiräumen und Grenzen sowie das elterliche Vorbild im Umgang mit Alkohol angesprochen. Ziel ist darüber hinaus, bei einer komplexeren Problematik weitergehende Hilfen einzuleiten, um einer möglichen Suchtentwicklung vorzubeugen.
Der Reiz von Rausch und Risiko
Ein 12-stündiges Gruppenangebot, der "Risiko-Check", gibt betroffenen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, die komatöse Alkoholvergiftung gemeinsam mit anderen aufzuarbeiten. Ziele sind, die Sensibilität der Jugendlichen für die Grenze zur Selbstschädigung zu erhöhen, ihr Verantwortungsgefühl für das eigene Tun zu stärken und den individuellen Punkt des Ausstiegs aus Risikosituationen in der Zukunft innerlich zu verankern. Bei der Konzipierung von Angeboten für Jugendliche wird berücksichtigt, dass gesundheitsschädigende Verhaltensweisen nur dann aufgegeben werden, wenn die angestrebten unschädlichen Alternativen mit positiven und lustvollen emotionalen Erlebnissen verbunden sind. Aus diesem Grund wird ein zwei- bis vierstündiger erlebnispädagogischer Baustein integriert, der neue emotionale Erfahrungen ermöglicht, welche die Jugendlichen danach unter sozialpädagogischer Anleitung auf Alltagssituationen übertragen.
Die Chance von Frühintervention
Mehrere Studien belegen die Wirksamkeit von Frühintervention bei Alkoholmissbrauch. Thomas Babor weist darauf hin, dass Kurzinterventionen im Rahmen von ein bis drei Beratungssitzungen vor oder kurz nach dem Einsetzen alkoholbezogener Probleme beginnen sollten und bestätigt, dass sie zu deutlichen Veränderungen im Trinkverhalten führen.
"Wer trinkt sich ins Krankenhaus?"
Ein halboffener Fragebogen, welcher von den HaLT-Fachkräften im Erstgespräch eingesetzt wird, eröffnet Ansatzpunkte für gezielte Präventionsmaßnahmen.
Prognos: Wie HaLT funktioniert
Prognos
Von der lokalen Initiative zum Bundesmodellprojekt
Das HaLT-Projekt wurde vom Lörracher Präventionszentrum Villa Schöpflin als Reaktion auf einen zunächst lokal festgestellten Trend entwickelt. In Lörrach hatten Ärzte im Jahr 2002 über die Medien Alarm geschlagen: Die Zahl von Teenagern mit schwerer Alkoholvergiftung in der dortigen Kinderklinik hatte sich zwischen 1999 und 2002 von 16 auf 56 erhöht. Das HaLT-Konzept wurde daraufhin gemeinsam mit vielen lokalen Partnern in unterschiedlichen Bereichen entwickelt: Klinik, Kommune und Ordnungsamt, Polizei, Festveranstalter und Schulen. Das Projekt ist zunächst in einer 18-monatigen Pilotphase auf lokaler Ebene erprobt und dabei im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums durch das Forschungsinstitut Prognos evaluiert worden. Nachdem sich der Ansatz als qualitativ hochwertig und praxisnah bewährt hatte, wurde seine Übertragbarkeit im Rahmen einer zweieinhalbjährigen Modellphase von zehn weiteren Institutionen in neun Bundesländern getestet. Diese Modellphase ist im Wesentlichen durch das Bundesminsterium für Gesundheit (BMG) und die beteiligten Bundesländer finanziert worden. Prognos bestätigte die erfolgreiche Übertragbarkeit, vorausgesetzt, bestimmte Umsetzungsstandards würden eingehalten, und bewertete das Projekt als europäische Best-Practice der Alkoholprävention
Trendwende als Ziel
Der Trend ist gesetzt: Binge-Drinking und das Trinken von Spirituosen, Trinken aus der Flasche und als Zeitvertreib sind unter der jetzigen Jugendlichen-Generation verbreiteter als früher. Die hohe Präsenz und gesellschaftliche Einbindung von Alkohol bilden zwar einen Risikofaktor, bieten aber gleichzeitig gute Ansatzpunkte für die Prävention. Die bisherigen Erfahrungen mit den Jugendlichen im HaLT-Projekt legen nahe, dass sich riskantes Rauschtrinken zum großen Teil eindämmen lässt, wenn diese einen unschädlichen Umgang mit Alkohol erlernen. Dabei ist es die Aufgabe und die Verantwortung der Erwachsenengeneration, Jugendlichen diesen Umgang zu lehren: durch ihr Vorbild, durch Glaubwürdigkeit und durch die Einhaltung von Gesetzen, welche Jugendliche schützen (Jugendschutzgesetz). Es deutet einiges darauf hin, dass Jugendliche in den vergangenen Jahren zu früh zu große Freiräume und zu wenig Orientierung für ihren Umgang mit Alkohol und ihre Freizeitgestaltung erhalten haben. Nur verantwortliches Alltagshandeln aller kann ein Gegengewicht setzen zum - nachvollziehbaren - Konzept der Alkoholindustrie, welche mit großem Werbeaufwand junge Zielgruppen früh an ihre Produkte binden möchte.