Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Sozioökonomische Bedingungen kollektiven sportlichen Erfolgs | Sportpolitik und Olympia | bpb.de

Sportpolitik und Olympia Editorial Randsportarten: Am Tropf der Olympischen Spiele - Essay Olympische Spiele und Politik Olympischer Moment: Werden die Spiele China verändern? Chinas Nutzen aus den Olympischen Spielen Doping: der entfesselte Leistungssport Sozioökonomische Bedingungen kollektiven sportlichen Erfolgs Sportler zwischen Ost und West

Sozioökonomische Bedingungen kollektiven sportlichen Erfolgs

Werner Pitsch Eike Emrich Eike Werner Pitsch / Emrich

/ 15 Minuten zu lesen

Auf den sportlichen Erfolg bei Olympischen Spielen haben sozioökonomische Bedingungen, speziell der Bevölkerungsumfang, die Bevölkerungsdichte und das allgemeine Wohlstandsniveau, einen größeren Einfluss als staatliche Förderung.

Einleitung

Viele gegenwärtige Gesellschaften versuchen, leistungssportliche Eliten systematisch auszuwählen und zu fördern. Im Vergleich weisen dabei die eingesetzten Mittel zur Sportförderung ein ähnliches Spektrum auf, wobei Fördermaßnahmen durchaus in unterschiedlichen Kombinationen und Gewichtungen eingesetzt und hinsichtlich ihrer Legalität und Legitimität abhängig von der kulturellen Wertestruktur der Gesellschaft unterschiedlich bewertet werden können.





Die Struktur der systematisierten Siebung, möglichst erfolgreichen Entwicklung und notwendigen Auffrischung einer sportlichen Leistungselite lässt sich idealtypisch zwischen zwei mehrdimensional beschreibbaren Polen verorten. Diese Pole kann man als Laisser-faire und als rigides System der Sportförderung kennzeichnen. Sportförderung lässt sich so als Kontinuum beschreiben, das theoretisch von völliger staatlicher Behütung (gewissermaßen der "Sportbeamte") bis hin zur völligen Eigenverantwortung des Individuums (als Anbieter seiner sportlichen Leistung in einem offenen Markt) reichen kann. In der ersten Variante wird das Individuum gesichtet, an spezifische Schulungs- bzw. Trainingsorte delegiert, in langfristige Belastungskonzepte wie Rahmentrainingspläne eingebunden, regelmäßig in seiner Leistungsentwicklung untersucht, davon abhängig belohnt bzw. "ausdelegiert". Es gerät so in den Sog einer umfassenden institutionalisierten Betreuung, die auch auf Bereiche der schulischen und beruflichen Bildung (Eliteschulen, spitzensportfreundliche Ausbildungsplätze) bzw. Ausbildung bis hin zum organisierten sportfreundlichen Studium (Partnerhochschulen des Spitzensports) und Arbeitsplatz ausgedehnt wird. Dabei gilt tendenziell: je höher die Leistungsstärke, desto intensiver die Betreuung.

Die rigide Struktur ging im Fall der geschlossenen DDR-Gesellschaft mit zentraler Lenkung des Sports nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus einher. Der Leistungssport wurde intensiv mit Ressourcen ausgestattet, deren großer Umfang über den staatlichen Auftrag zur Demonstrierung sozialistischer Überlegenheit mit Mitteln des sportlichen Erfolges gerechtfertigt wurde. Dabei kam es zur Anwendung von Mitteln und Maßnahmen, die nur vor dem Hintergrund eines totalitären Systems möglich waren und sind. Dazu gehörten neben dem direkt steuernden Zugriff auf die Sportler innerhalb des Leistungssportförderungssystems auch die gelenkte Delegation von Kindern und Jugendlichen hin zu demselben. Flankiert wurde dies durch besondere Anreizstrukturen, wie zum Beispiel die Lockerung von Reisebeschränkungen oder andere Privilegien, die den Sportlern eingeräumt wurden. Eher rigide Sportfördersysteme sind sowohl in der Vergangenheit als auch heute vor allem in geschlossenen, totalitären Gesellschaften zu beobachten, wie zum Beispiel ehemals in der Sowjetunion sowie heute in China. Dass deren politische Struktur eine notwendige Voraussetzung für die weitgehende Verwirklichung eines rigiden Fördersystems ist, kann daraus jedoch nicht geschlossen werden. Eine totalitäre, geschlossene Gesellschaft scheint aber zumindest bessere Voraussetzungen für rigide Fördersysteme zu bieten als eine offene Gesellschaft.

Die in der DDR zum Einsatz gelangten Mittel einer institutionalisierten Sportförderung wie Sportclubs, Kinder- und Jugend-Sportschulen, Rahmentrainingspläne usw. wurden teilweise im Zuge der deutschen Wiedervereinigung in einer Art nachträglicher Konvergenz ohne gründliche Prüfung, ob sie überhaupt mit den Werten und Strukturen einer offenen Gesellschaft vereinbar sind, in das gesamtdeutsche Sportsystem übernommen. Damit kam es zwangsläufig zu typischen Problemen, denn die Prinzipien der Förderinstitutionen standen der Bewahrung individueller Freiheit in einer offenen Gesellschaft zum Teil diametral entgegen. Da es innerhalb der Sportverbände des wiedervereinigten Deutschlands aufgrund ihrer grundsätzlich demokratisch-partizipatorischen Struktur (bottom up) keine zentrale hierarchische, mit Kontroll- und Lenkungsbefugnissen ausgestattete Instanz analog zum demokratischen Sozialismus gibt, kommt es zwangsläufig zu hohen Integrationskosten. Parallel dazu verschwand mit der Auflösung des so genannten Ostblocks die frühere, stellvertretend im Leistungssport ausgetragene Rivalität der Blöcke. Dies führte im Vergleich mit dem Sportfördersystem der DDR zur Reduzierung des Ressourcenzuflusses, so dass sich aktuell die Frage nach der Effizienz aktueller Förderstrukturen verschärft stellt. Im Rahmen der mit einer eher offenen Gesellschaft verknüpften kulturellen Werte- und politischen Entscheidungsstruktur muss nunmehr die Verteilung der knapperen Mittel bei der Produktion sportlicher Eliten ausgehandelt werden, wobei die Ressourcenzuweisung nicht nur von vermuteten oder nachgewiesenen Effekten, sondern auch von der Legitimitätsproblematik beeinflusst wird.

Insgesamt ist deshalb nicht verwunderlich, dass der am DDR-Leistungssport orientierte Versuch einer systematisch gesteuerten Leistungsentwicklung in der offenen Gesellschaft Gesamtdeutschlands aufgrund nicht beabsichtigter Effekte keineswegs problemlos verläuft. So erweist sich eine Nicht-Beachtung von Steuerungsempfehlungen und eine bezogen auf das Lebensalter der Athleten erst später als geplant eintretende Förderung und Betreuung in den vorgesehenen institutionalisierten Instanzen langfristig zumindest nicht als erfolgsschädlich. Offensichtlich entzieht sich die Produktion sportlicher Leistungen dem Versuch der organisierten Kontrolle und Steuerung, weil die extreme Vereinnahmung von Individuen in staatlichem Auftrag nicht unwesentlich an die Besonderheiten einer totalitären und geschlossenen Gesellschaft gebunden ist. In einer offenen Gesellschaft haben Individuen die Wahl. Folgt man der Logik der individuellen Nutzenmaximierung, dann nutzen sie ihre Zeit für diejenigen Aktivitäten, die ihnen subjektiv den höchsten Nutzen versprechen, auch wenn sie außerhalb des Sports liegen, und sie bleiben nur im Sport, wenn der addierte materielle und immaterielle Nutzen des Sporttreibens höher ist als derjenige anderer Aktivitäten. Damit werden in offenen Gesellschaften ökonomische, kulturelle und soziale Rahmenbedingungen individuellen Handelns mitbestimmende Faktoren des Erfolgsniveaus von Athletenkollektiven. Hier wird eine weitere Vergleichsperspektive bedeutsam, nämlich, welche Unterschiede das sportliche Erfolgsniveau verschiedener offener Gesellschaften aufweist und inwieweit diese durch eine je spezifische Konstellation von kulturellen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen erklärbar sind.

Unsere Fragen lauten also: Inwieweit erlaubt im Vergleich offener Gesellschaften die genaue Kenntnis von ausgewählten Rahmenbedingungen Prognosen auf das kollektive sportliche Erfolgsniveau? Und: Welche Unterschiede treten zwischen Prognosemodell und tatsächlichem Erfolgswert auf, und welche Einflüsse lassen sich dahinter vermuten?

Implizit kann damit auch die Frage abgeschätzt werden, in welchem Maß Unterschiede im sportlichen Erfolgsniveau im Vergleich offener Gesellschaften überhaupt von den Mitteln der Sportförderung abhängen und inwieweit sie grundsätzlich in wesentlichem Umfang beeinflussbar sind. Gleiches gilt für die Frage, inwieweit rationale Entscheidungen hinsichtlich der Mittelwahl und des Mitteleinsatzes zu den entscheidenden Bedingungen für den sportlichen Erfolg einer Nation zählen - ob diese Bedingungen also überhaupt beeinflussbar sind.

Sozioökonomische und demographische Determinanten

Soziale, ökonomische und demographische Variablen beeinflussen den sportlichen Erfolg von Nationen bei Olympischen Spielen. Bezüglich deren Einfluss ergibt sich derzeit kein konsistentes Bild, was unter anderem an der unterschiedlichen Methodik der dazu vorliegenden Studien liegt. Für die Bearbeitung unserer Forschungsfrage wurden die Olympischen Sommerspiele 1996, 2000 und 2004 sowie die Winterspiele 1998, 2002 und 2006 ausgewählt. Der sportliche Erfolg wurde über die Zahl der Medaillen bei den jeweiligen Wettkämpfen gemessen. Grundlage der Auswahl an Determinanten waren die folgenden Überlegungen zu einer demographischen und sozioökonomischen Theorie des sportlichen Erfolgs von Kollektiven:

1. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind anlage- und umweltbedingte Leistungsvoraussetzungen für eine Sportart in einer Bevölkerung normal verteilt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Personen mit seltenen genetischen und sonstigen Voraussetzungen, wie sie Voraussetzung für sportliche Spitzenleistungen sind, in einer Bevölkerung vorkommen, ist damit abhängig vom Umfang der Population. Dieser Einfluss wird zwar überlagert vom Einfluss der Altersstruktur sowie von der Tatsache, dass "Länder nicht zu jedem Wettkampf Athleten in Proportion zu ihrer Gesamtbevölkerung entsenden können" und dass im Medaillenspiegel auch Mannschaftserfolge nur als eine Medaille gezählt werden. Das Argument der Wahrscheinlichkeit des Auftretens seltener individueller Anlagen, die die Menschen zu außerordentlichen Leistungen befähigen, bleibt davon jedoch unberührt.

2. Bereits auf regionalem und nationalem Wettkampfniveau kann der Sport Athleten zu Ansehen, aber auch zu finanziellen Einkünften in einem jeweils nationalen Sportmarkt verhelfen, wobei die Medien mit ihrer Sportberichterstattung eine wichtige vermittelnde Funktion einnehmen. Mit wachsendem Umfang der Wohnbevölkerung und zunehmender Größe des Marktes steigen auch die Chancen für Sportler, an Popularität zu gewinnen und mehr Geld zu verdienen. Durch die höheren Anreize sollte es in der Folge auch zu einer höheren "Ausschöpfung" der relevanten Bevölkerung (der sog. "Risikopopulation") kommen, das heißt, es ist zu erwarten, dass mehr Menschen einer Bevölkerung Sport treiben.

3. Die Qualifikation zur Teilnahme an Olympischen Spielen wird meist über den Nachweis hervorragender Leistungen in internationalen Wettkämpfen erworben. Zur Teilnahme an Olympischen Spielen sind jedoch zuvor bei begrenzter Zahl von Teilnehmerplätzen je Nation die Gegner im jeweiligen nationalen Sportsystem zu schlagen. Bei gleicher Ausschöpfung der Risikopopulation hängt aber die Zahl leistungsfähiger Konkurrenten ausschließlich von der Größe der Gesamtbevölkerung ab. Je größer also die Wohnbevölkerung eines Landes, desto rigider dieser Konkurrenzdruck, weshalb sich Athleten aus bevölkerungsreichen Ländern im nachfolgenden internationalen Vergleich durch höhere Erfolgswahrscheinlichkeiten auszeichnen sollten.

4. Sportorganisationen wie Vereine und Verbände, aber auch private und andere öffentliche Sportanbieter, richten entsprechende Angebote nur dann ein, wenn damit zu rechnen ist, dass eine ausreichende Zahl an Personen mit übereinstimmenden Sportinteressen dieses Angebot auch wahrnimmt. Die Bevölkerungsdichte eines Landes sollte also einen Einfluss darauf haben, wie viele verschiedene Sportarten in diesem Land ausgeübt werden und wie vielen Bürgern des Landes die jeweilige Sportstätteninfrastruktur zugänglich ist. Beide Effekte sollten wiederum über die Ausschöpfung der Risikopopulation - also darüber, wie viele Menschen einer Bevölkerung zu erfolgreichen Sportlern werden, - auf das kollektive Erfolgsniveau der Athleten wirken. Der Effekt der Bevölkerungsdichte könnte dabei überlagert werden durch die Anteile der Bevölkerung, die in Städten als typische Verdichtungen von Bevölkerungen leben.

5. Mit steigendem Anteil der täglichen Arbeitszeit, die man zur physischen Existenzsicherung einsetzen muss, sinkt die Bereitschaft, in der Freizeit Sport zu treiben. Sport sollte also prinzipiell umso häufiger als Freizeitaktivität in einem Land auftreten, je niedriger die Belastung durch die Kosten zur Sicherung der Existenz sind. Damit sollte also auch das Niveau des allgemeinen Wohlstandes mittelbar über die Ausschöpfung der Risikopopulation auf das Erfolgsniveau Einfluss haben.

Über die hier skizzierten Einflussmechanismen hinaus kann der Grad der Ausschöpfung der relevanten Bevölkerung innerhalb eines Landes auch durch eine höhere Rigidität legaler Zugriffe politischer und administrativer Stellen auf die Menschen gesteigert werden. Für das Sportfördersystem in Deutschland stellt sich aber die Frage, welche Effektivität (Grad der Zielerreichung) und welche Effizienz (Input-Output-Relation und Frage des Nutzens der alternativen Verwendung eingesetzter Mittel) es unter den aktuell gegebenen Ausprägungen politischer und bürgerlicher Freiheitsrechte erreicht. Aus diesem Grund werden für die folgenden Analysen zum Vergleich ausschließlich diejenigen Länder herangezogen, die im Analysezeitraum über ein ähnliches Niveau bürgerlicher Freiheitsrechte verfügten wie Deutschland.

Die diskutierten Einflussfaktoren stellen durchweg aus der Sicht eines Spitzensportfördersystems unbeeinflussbare Rahmenbedingungen dar, unter denen im jeweiligen Land die Förderung des Spitzensports organisiert werden muss. Sofern diese Determinanten tatsächlich das sportliche Erfolgsniveau von Athletenkollektiven mit bestimmen, ließe sich zum Beispiel für das Spitzensportfördersystem in Deutschland ermitteln, welches Erfolgsniveau (1.) unter den für ein Fördersystem aufgrund der Ausprägung bürgerlicher Freiheitsrechte grundsätzlich gegebenen Beschränkungen und (2.) angesichts der Ausprägung der genannten Einflussfaktoren zu erwarten ist.

Zur Eingrenzung der Analyse auf diejenigen Teilnehmerländer, in denen die Ausprägung bürgerlicher und politischer Freiheitsrechte gleich derjenigen in Deutschland ist, wurde der Freedom House Index genutzt. Bedingung für die Aufnahme eines Datensatzes in die nachfolgende Analyse waren die beiden höchsten Stufen der Ausprägung der bürgerlichen Freiheitsrechte im gesamten Analysezeitraum von vier Jahren vor einem olympischen Jahr sowie in diesem Jahr selbst. Von den Ländern, auf die überhaupt Medaillen entfallen waren, verblieben damit zum Beispiel bei den Olympischen Sommerspielen 2004 nur 35 (von 72) und bei den Winterspielen 2006 nur 18 (von 26) als Basis für die Untersuchung.

Als Methode wurde die Multiple Regressionsanalyse gewählt. Diese erlaubt es, den Einfluss mehrerer Einflussfaktoren auf ein davon abhängiges Phänomen, hier die Zahl der Medaillen, abzuschätzen. Die schrittweise Vorgehensweise macht es dabei möglich, die Anzahl der betrachteten Variablen auf diejenigen mit tatsächlich nachweisbarem Einfluss zu reduzieren.

Bekannte Störvariablen stellten die Altersstruktur und das Auftreten regionaler Verdichtungen dar, die jedoch aus forschungsökonomischen Gründen toleriert werden mussten. Gleiches gilt prinzipiell für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf. Als Maß für den Wohlstand von Individuen in einer Bevölkerung ist es nur begrenzt geeignet, da damit weder die Streuung der ökonomischen Ressourcen in der Bevölkerung noch die spezifische Ausprägung dieser Variablen innerhalb der betreffenden Bevölkerung erfasst wird.

Für die einzelnen Analysen wurden zu den jeweiligen abhängigen Variablen (Zahl der Medaillen) die Ausprägungen der unabhängigen Variablen aus dem jeweils davor liegenden olympischen Jahr gewählt. Damit wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass sich die vermuteten Einflüsse zum großen Teil über längere Zeiträume hin entfalten. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Umfang ökonomischer Ressourcen in einer Volkswirtschaft und der Anzahl der zu Olympischen Spielen entsandten Athleten liegt zwar nahe, ist jedoch nur eine mögliche Wirkung der ökonomischen Ressourcen auf das Erfolgsniveau des Athletenkollektivs. Die Einflussfaktoren, die sich auf den Grad der Ausschöpfung der Risikopopulation beziehen, sind dagegen Einflüsse, die sich über längere Zeiträume hinweg erstrecken, wobei die Breite des Zeitintervalls (noch oder prinzipiell) unbekannt ist.

Zur Analyse der Einflusshöhe der Determinanten wurden jeweils für die einzelnen Olympischen Spiele getrennt Regressionsanalysen mit schrittweisem Einschluss der unabhängigen Variablen gerechnet. Anhand dieser Methode, die hier nur ansatzweise skizziert werden kann, kamen wir zu dem Ergebnis, dass der sportliche Erfolg der verschiedenen Länder zu sehr hohen Anteilen auf der Basis der Vorhersagevariablen (BIP pro Kopf, Bevölkerungsumfang und Bevölkerungsdichte) geschätzt werden kann. Im Vergleich mit anderen Analysen wird deutlich, dass die Bestimmtheit des sportlichen Erfolgs vor allem bei Olympischen Sommerspielen hier sehr hoch ausgeprägt ist. Dies dürfte vor allem mit der Konstanthaltung der Moderatorvariablen "bürgerliche Freiheitsrechte" zusammenhängen.

Abbildung 1 (vgl. PDF-Version) macht deutlich, dass das Erfolgsniveau der deutschen Athleten bei den Olympischen Sommerspielen von 2004 (ebenso wie die Werte von 1996 und 2000) deutlich über dem Vorhersagewert lag. Die Bedingungen für den Spitzensport in Deutschland sind also so gestaltet, dass sportliche Erfolge realisiert werden, die allein aufgrund der sozioökonomischen Prognose nicht zu erwarten sind, und dies konstant bereits über einen längeren Zeitraum hinweg. Eventuell zu Beginn des Analysezeitraums noch vorhandene Mitnahmeeffekte der Spitzensportförderung der DDR wurden in der Folgezeit bei teilweise verschärfter internationaler Konkurrenz offensichtlich kompensiert.

Bezogen auf die Winterspiele 2002 und 2006 liegt Deutschland erheblich über dem vorhergesagten Wert (vgl. Abbildung 2 der PDF-Version). Dies legt nahe, dass weitere, bisher nicht identifizierte Einflussfaktoren das Ergebnis bei Winterspielen wesentlich stärker beeinflussen als bei Sommerspielen.

Resümee

Als bedeutendster Einflussfaktor bei den Sommerspielen stellte sich jeweils der Populationsumfang heraus, während die Populationsdichte und das BIP pro Kopf nur in Einzelfällen, und dann auch nur in wesentlich geringerem Umfang (jeweils ca. sechs Prozent), zur Erklärung beitrugen. Bei den Winterspielen stellte sich ausschließlich das BIP pro Kopf als bedeutender Einflussfaktor heraus. Der Grund für diesen Unterschied könnte die in Wintersportarten stärkere Abhängigkeit von der spezifischen Sportstätteninfrastruktur sein, aufgrund der die relevanten Sportstätten nur für einen kleineren Anteil der Wohnbevölkerung leicht zugänglich sind. Damit sinkt der Einfluss des Bevölkerungsumfangs deutlich. Dagegen sind die bei Olympischen Sommerspielen betriebenen Sportarten nur zu einem kleinen Teil typische Natursportarten und nur in geringem Umfang an eine selten zu findende spezifische Sportstätteninfrastruktur gebunden. In diesen Fällen spielt das Niveau des allgemeinen Wohlstandes (und damit auch die hier als vermittelnde Variable angenommene horizontale soziale Mobilität innerhalb der Bevölkerung) nur eine untergeordnete Rolle. Dies bedeutet weiter, dass örtliche Konzentrationen von Athleten in Sportarten, die selten anzutreffende Anlagen voraussetzen, nur dauerhaft erfolgversprechend sind, wenn die individuellen Kosten der Verlagerung des Lebensmittelpunktes an den Ort der Sportstätte durch die Vorteile der Zentralisierung aufgewogen werden. Im Umkehrschluss heißt dies, dass Zentralisierung in denjenigen Fällen, in denen Sport- und Betreuungsstätten vielerorts verfügbar sind, nur bei überragendem Anreiz gelingen dürfte. Inwieweit überhaupt der sportliche Erfolg bei ansonsten gleichen Rahmenbedingungen allein durch eine über das Vereinssystem hinaus gehende Förderung wesentlich beeinflusst werden kann, muss angesichts des nachgewiesenen großen Einflusses von Rahmenbedingungen offen bleiben.

Die verbreitete Einschätzung, das Fördersystem in Deutschland sei dringend reformbedürftig, die gewöhnlich mit einem mangelhaften Erfolgsniveau begründet wird, kann deshalb hier nicht bestätigt werden. Insofern bleibt notgedrungen auch offen, inwieweit überhaupt eine weitere Steigerung des Erfolgsniveaus durch die Intensivierung bekannter Fördermaßnahmen gelingen kann, da die Gründe für das deutliche Überschreiten des errechneten Wertes bisher (noch) unbekannt sind. Grundsätzlich ist jedoch die Annahme, das Erfolgsniveau könne durch strukturelle Maßnahmen weiter gesteigert werden, umso weniger plausibel, je größer die positive Abweichung der Zahl erzielter Medaillen vom errechneten Wert ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Helmut Digel/Marcel Fahrner/Heike Sloboda, Talentsuche und Talentförderung als Ressource des Hochleistungssports - Ein internationaler Vergleich, in: Eike Emrich/Arne Güllich/Martin-Peter Büch (Hrsg.), Beiträge zum Nachwuchsleistungssport, Schorndorf 2005, S. 15 - 43.

  2. Vgl. Eike Emrich/Vassilios Papathanassiou/Werner Pitsch, Talentförderung zwischen Effizienz des Systems und Freiheit des Individuums, in dies. (Hrsg.), Wie kommen Kinder zum Leistungssport?, Niedernhausen 1997, S. 101 - 107.

  3. Vgl. zum DDR-Sport grundsätzlich Hans J. Teichler, Sport in der DDR, Köln 2004.

  4. Vgl. Eike Emrich/Robert Prohl/Silke Brand, "Mündige Ästheten" in einer lernenden Organisation, in: Sportwissenschaft, 36 (2006) 4, S. 417 - 432.

  5. Vgl. Eike Emrich et al., Spitzensportförderung in Deutschland - Bestandsaufnahme und Perspektiven, in: Leistungssport, 38 (2008) 1, Beilage.

  6. Vgl. Eike Emrich/Werner Pitsch, Zur Effektivität bundesdeutscher Nachwuchsleistungssportförderung - empirische Befunde zum individualistischen und kollektivistischen Steuerungsprimat, in: Sebastian Braun/Stefan Hansen (Hrsg.), Steuerung im organisierten Sport, Hamburg 2008, S. 53 - 64.

  7. Die nachfolgenden Ausführungen stellen eine wesentlich überarbeitete und ergänzte Version des entsprechenden Kapitels in E. Emrich et al. (Anm. 5) dar.

  8. Vgl. Ernst Jokl/Martti J. Karvonen/Jaakk Kihlberg/Aarni Koskela/Leo Noro, Sports in the Cultural Pattern of the World. A Study of the 1952 Olympic Games at Helsinki, Helsinki 1956; Aleksandr D. Novikov/Andrei M. Maximenko, Der Einfluss einiger sozial-ökonomischer Faktoren auf das Niveau der sportlichen Leistung der Länder. Dargestellt am Beispiel der XVIII. Olympischen Spiele in Tokio, in: Theorie und Praxis der Körperkultur, 20 (1971), S. 518 - 529; Beverly J. Colwell, Ökonomische Bedingungen des Erfolgs im internationalen Spitzensport, in: Klaus Heinemann (Hrsg.), Texte zur Ökonomie des Sports, Schorndorf 1984, S. 91 - 100; Markus Lamprecht/Hanspeter Stamm, Weltsystemposition, Legitimität und internationaler Spitzensport: Partizipation und Erfolg an Olympischen Spielen als Korrelate der Integration in die Weltgesellschaft, in: Helmut Digel (Hrsg.), Spitzensport. Chancen und Probleme, Schorndorf 2001, S. 98 - 122; Andrew B. Bernard/Meghan R. Busse, Who Wins the Olympic Games: Economic Resources and Medal Totals, in: The Review of Economics and Statistics, 86 (2004) 1, S. 413 - 417; Paavo Seppänen, Die Rolle des Leistungssports in den Gesellschaften der Welt, in: Sportwissenschaft, 29 (1999) 2, S. 133 - 155.

  9. Vgl. H. Digel/M. Fahrner/H. Sloboda (Anm 1).

  10. Vgl. Wolfgang Maennig/Christian Wellbrock, Sozioökonomische Schätzungen olympischer Medaillengewinne. Analyse-, Prognose- und Benchmarkmöglichkeiten, in: Sportwissenschaft, 38 (2008) 3.

  11. Vgl. ebd.; E. Emrich et al. (Anm. 5).

  12. Unabhängig von der Auftretenshäufigkeit einer genetischen Sonderbegabung für eine bestimmte sportliche Disziplin ist die Wahrscheinlichkeit, eine solche Person im Talentpool vorzufinden, bei einer Bevölkerung von achtzig Millionen achtzig mal höher als bei einer solchen von einer Million.

  13. "Countries can not send athletes in proportion to their populations for each event."/"In medal counts, team events count as one medal."A. B. Bernard/M. R. Busse (Anm. 8), S. 413.

  14. Dies gilt sinngemäß auch für den Fall, dass die Risikopopulation besser beschrieben werden kann als im Fall Olympischer Spiele, etwa bei der Prognose sportlichen Erfolgs bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 durch Josef Schmid/Horst Hedrich/Daniel Kopp, Deutschland wird Vize - Eine sozioökonomische Prognose der Fußballweltmeisterschaft 2006, in: www. wip-online.org/downloads/Hedrich_Kopp_Schmid_ 2006a_ .pdf (10. 7. 2007).

  15. Der Freedom House Index beruht auf einem jährlichen Freedom in the World survey: "The Freedom in the World survey provides an annual evaluation of the state of global freedom as experienced by individuals. The survey measures freedom - the opportunity to act spontaneously in a variety of fields outside the control of the government and other centers of potential domination - according to two broad categories: political rights and civil liberties." Freedom House Index. Freedom in The World, Edition 2007, Methodology, in: www.freedomhouse.org/template.cfm?page=351& ana_page= 333&year=2007 (18. 5. 2008).

  16. Als weitere Datenquellen dienten die Penn World Tables und die CIA World-Factbooks 2002 bis 2007, vgl. Alan Heston/Robert Summers/Bettina Aten, Penn World Table Version 6.2, Center for International Comparisons of Production, Income and Prices at the University of Pennsylvania, September 2006, in: http://pwt.econ.upenn.edu/ (23. 5. 2008); CIA, The World Factbook, in: www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/ (21. 5. 2008).

  17. Vgl. z.B. E. Jokl et al., S. 68; B. J. Colwell; M. Lamprecht/H. Stamm (alle Anm. 8). Die Höhe der Varianzklärung dieser Studien lag im Bereich zwischen 40 und 88 Prozent.

  18. Die Aufnahme der Determinante "Grad der bürgerlichen Freiheitsrechte" als weitere unabhängige Variable in eine multiple lineare Regressionsanalyse vermindert den Umfang der erklärten Varianz. Sie kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass der Grad der bürgerlichen Freiheitsrechte nicht direkt als Einflussfaktor auf das sportliche Erfolgsniveau wirkt, sondern nur indirekt als Moderator den Einfluss anderer Determinanten modifiziert.

  19. Das Erfolgsniveau könnte prinzipiell, trotz derzeitiger Förderstrukturen, unabhängig von den Strukturen oder aufgrund spezifischer Überlagerungen positiver und negativer Effekte einzelner Systemkomponenten zustande kommen. Insofern beinhaltet sowohl die Aussage, das Fördersystem sei reformbedürftig als auch die Aussage, es sei es nicht, jeweils die (ungeprüfte) Annahme systematischer Effekte des Fördersystems auf das kollektive Erfolgsniveau.

Dr. phil., geb. 1962; Akademischer Rat an der Universität des Saarlandes, Sportwissenschaftliches Institut, 66041 Saarbrücken.
E-Mail: E-Mail Link: werner.pitsch@gw.uni-saarland.de

Dr. phil., geb. 1957; Professor für Sportsoziologe und -ökonomie an der Universität des Saarlandes, Sportwissenschaftliches Institut, 66041 Saarbrücken.
E-Mail: E-Mail Link: e.emrich@mx.uni-saarland.de