Einleitung
Die Themen Corporate Citizenship (CC) und Corporate Social Responsibility (CSR) sind nicht nur als polarisierende Aufmerksamkeitsbeschaffer in Publikumsmedien, öffentlichen Veranstaltungen, Unternehmensabteilungen, Beratungsangeboten und Politikformulierungen präsent.
So setzt sich eine kürzlich erschienene Publikation im Rahmen des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs "Medienumbrüche" ausführlich mit Konzepten und Forschungsergebnissen zu Corporate Citizenship und der Rolle von Konsumenten auseinander,
Gleichwohl steht die wissenschaftliche Forschung noch am Anfang und müht sich mit Phänomenbestimmung, Begriffsabgrenzung und Verortung des Phänomens in den Einzeldisziplinen. Auch wenn man von einer Begriffsklärung noch weit entfernt ist - dies gilt sowohl für die Forschungsdisziplinen wie auch für die Demarkation zwischen ihnen -, und auch wenn die Abgrenzung beider Begriffe voneinander sowie zu inhaltsverwandten Konzepten wie Nachhaltigkeit, Wirtschafts- und Unternehmensethik unklar ist, entwickelt sich allmählich eine gemeinsame Diskussionsgrundlage: Beide Begriffe verweisen auf die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft, die einerseits (CC) mit Referenz zum Bürgerschafts-, Bürgergesellschafts-, Bürgerengagement- und Bürgerrechtsbegriff und andererseits (CSR) mit Bezug zum Verantwortungsbegriff spezifiziert wird.
Erste Begriffserläuterungen
Inhaltlich kristallisieren sich zur Erläuterung dieser beiden Referenzpunkte zwei Unterscheidungsdimensionen heraus. Im Grad der Freiwilligkeit bzw. der Verpflichtung sowie im Bezug von Engagement und Verantwortung zur direkten unternehmerischen Tätigkeit ("Kerngeschäft") scheinen Abgrenzungsmöglichkeiten zu liegen.
Unter Corporate Citizenship wird demzufolge vor allem das freiwillige gesellschaftliche Engagement verstanden, das zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen soll. Nicht als Bürgerengagement versteht man deswegen die berufsbezogene Aus- und Weiterbildung von Beschäftigten, Arbeitszeitregelungen, die den im Unternehmen beschäftigten Eltern eine Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit ermöglichen, oder die Einhaltung von Qualitäts-, Umwelt- oder Sozialstandards bei Produktionsprozessen, da diese Aktivitäten unmittelbar zur Erfüllung des Unternehmenszwecks beitragen. Die berufsbezogene Weiterbildung erhöht vor allem die Produktivität der Beschäftigten, und familienfreundliche Arbeitszeiten ermöglichen eine Bindung qualifizierten Personals an das Unternehmen. Obwohl die Einhaltung von Standards, die häufig auf Selbstverpflichtungserklärungen von Unternehmen basieren und damit keine rechtliche Bindung enthalten oder schlichtweg nicht kontrolliert werden können, bis zu einem gewissen Maße als "freiwillig" verstanden werden können,
Die Diskussion um Corporate Citizenship als bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen dagegen betont stärker das gesellschaftliche Gemeinwohl bzw. die Gemeinnützigkeit und überlässt dem Unternehmen eine größere Wahlfreiheit und in diesem Sinne auch Freiwilligkeit des Engagements. Engagiert sich also ein Unternehmen nicht nur im Rahmen von betriebsinternen Regelungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern fördert es auch gemeinwesenweit ein modernes Verständnis der Rollenaufteilung zwischen Männern und Frauen, könnte man dies als emanzipatorisches Engagement im Sinne von Corporate Citizenship verstehen. Um zu betonen, dass es dabei weniger um Mildtätigkeit, sondern um Gesellschaftsgestaltung geht, wird von einigen Autoren auch der Begriff des gesellschaftspolitischen Engagements verwandt
Alter Wein ... ?
Gesellschaftliches Unternehmensengagement ist den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften freilich nicht neu. Gemäß dem Zeitgeist der 1968er Jahre fragte bereits Friedhelm Nyssen nach dem Einfluss der Arbeitgeberverbände im Schulsystem.
Während in den 1970er Jahren also keine gesellschaftliche Gestaltungsrolle von Managern und leitenden Angestellten im Sinne von (Corporate) Citizens erkannt werden konnte, entwickelte sich parallel dazu eine weitere Diskussion, deren Fokus auf "Sozialbilanzen" und der "gesellschaftsbezogenen Berichterstattung", also der Messung und Bewertung gesellschaftlicher Effekte durch Unternehmenshandeln, lag.
Dieser Bezug zur Organisation spielt in zweierlei Hinsicht eine Rolle. Einerseits ist dort, wo Unternehmen von Kunden, politischen Entscheidungsträgern oder Nichtregierungsorganisationen als "good Corporate Citizens" wahrgenommen werden wollen, die Organisation und nicht eine einzelne Unternehmerperson die handelnde Einheit. Anderseits sind es auch Unternehmen, also meist über die Unternehmensmarke identifizierbare corporate actors, die von unterschiedlichen Seiten kritisiert werden. Dieser Organisationsbezug wird bisher kaum in konzeptionellen Überlegungen und noch weniger in der empirischen Forschung berücksichtigt.
Mit der Betonung des Organisationsphänomens ergibt sich ein zweites Merkmal der Konzepte CC und CSR, das sich besonders von den vorhergehenden Diskussionen abhebt: die Betonung der Legitimität von unternehmerischem Eigeninteresse (business case). Denn wenn eine profitorientierte Organisation eine gesellschaftliche Aufgabe oder Rolle erfüllen soll, so die Argumentation, darf diese zumindest nicht in direktem Widerspruch zu den ökonomischen Zielen stehen.
Ein weiterer Aspekt unterscheidet die aktuelle Diskussion von jenen der 1970er bis 1990er Jahre. Heute bestimmt die globalisierte Wirtschaft als entscheidende Rahmenbedingung die Debatte, der auf globaler Ebene weit weniger entwickelte politische und (zivil-)gesellschaftliche Strukturen gegenüberstehen. Der Handlungsraum und damit auch Verantwortungs- und Engagementraum von Unternehmen ist damit ungleich komplexer und differenzierter als noch vor wenigen Jahrzehnten. Vor diesem Hintergrund wird die Aufgabenverteilung zwischen staatlichen, zivilgesellschaftlichen und ökonomischen Akteuren verhandelt und die Rolle von Unternehmen mit den Begriffen CC und CSR umschrieben.
Charakteristika der Forschungslandschaft
Öffentliche Diskussion als Bezugspunkt empirischer Untersuchungen. Kennzeichnend für diese ersten wissenschaftlichen Arbeiten über CC und CSR ist die starke Orientierung an den von der öffentlichen Diskussion geprägten Argumenten und Themen. So wird im wissenschaftlichen Kontext in der Regel auf zwei Definitionsangebote zurückgegriffen, die aus der Praxis stammen: Arbeitsdefinitionen von CC beziehen sich häufig auf das frühe Definitionsangebot von Westebbe/Logan, das 1995 aus Erfahrungen in der Kommunikationspraxis vorgelegt wurde. Im Diskussionskontext von CSR nehmen zahlreiche Autoren auf das von der EU im Grünbuch formulierte Konzeptverständnis Bezug.
Diese Nähe von wissenschaftlicher und öffentlicher Diskussion zeigt sich auch in den ersten (häufig zitierten) Studien, die das Ausmaß und die Beschaffenheit des Engagements von Unternehmen in Deutschland wiedergeben. Deren Auftraggeber sind vor allem gesellschaftspolitische Akteure, etwa die Initiative Soziale Marktwirtschaft.
Innovative Ansätze an den Rändern der Forschungsdisziplinen. Arbeiten zum Thema CC/CSR lassen sich nur schwer den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen zuordnen. Erklärt man wie Rudolph Speth
Nicht so erstaunlich, aber dennoch bemerkenswert ist, dass insbesondere in den Forschungsbereichen, die sich als derartige Überschneidungsbereiche institutionalisiert haben, eine intensive Diskussion zum Thema stattfindet. Dies ist zum einen die Wirtschafts- und Unternehmensethik, zum anderen der Bereich der Nachhaltigkeitsforschung und der Ökologischen Managementforschung.
Mangel volkswirtschaftlicher Beiträge. Besonders auffällig bei der Betrachtung des wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsstands ist das Fehlen volkswirtschaftlicher Publikationen. Trotz der thematischen Anknüpfungsmöglichkeiten makroökonomischer Fragestellungen an das Thema - als Beispiele seien die Analyse von Ressourcenflüssen zwischen Unternehmen und unterschiedlichen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bereichen (Schule, Kultur) genannt oder auch wirtschaftspolitische Überlegungen zur gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt - konnten nur zwei Diskussionspapiere als Beitrag für die Volkswirtschaftslehre ausfindig gemacht werden.
Strategisches Management und Unternehmensführung in der Betriebswirtschaftslehre. In der Betriebswirtschaftslehre wird CC/CSR einerseits als übergeordnetes Thema der Unternehmensführung bzw. der Corporate Governance mit Bezug zu verschiedenen Stakeholdern, andererseits als strategisches Managementinstrument diskutiert. Im strategischen Management wird nach den Marktvorteilen eines engagierten bzw. verantwortlichen Unternehmens gefragt. Die beiden grundsätzlich unterschiedlichen Erklärungsansätze, market-based-view und ressource-based-view, finden sich auch in den Arbeiten zu CC/CSR wieder.
Fokus Global Governance in den Sozialwissenschaften. In den Sozialwissenschaften liegt der Fokus der CC/CSR-Forschung auf der internationalen bzw. der globalen Ebene von gesellschaftlicher Steuerung. Vor allem der von Kofi Annan initiierte United Nations Global Compact
Erste soziologische Problembeschreibungen. Verschiedene theoretische Ansätze aus der Soziologie werden als erste Erklärungsversuche der Entstehung der gesellschaftlichen Phänomene CC und CSR verwendet. Ein theoretisches Primat hat sich dafür, das ist angesichts der jungen Diskussion nicht verwunderlich, bisher nicht etabliert. Als eine mögliche Erklärung für die Entstehung von CC/CSR wird der Druck von Nichtregierungsorganisationen gegenüber international agierenden Konzernen erwogen. Diesem Druck begegnen Unternehmen mit einer Strategie der Entkopplung von Handeln und Kommunikation
Mehrdimensionalität der Diskussion: Empirisches Phänomen und konzeptionelle Idee der modernen Unternehmensrolle. An dieser Übersicht zu den Deutungsangeboten von CC und CSR wird ein Spezifikum der Debatte deutlich, das nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Forschung Verwirrung stiftet: Viele Debatten über die Relevanz und Legitimität der Diskussion um CC/CSR sind durch eine Vermischung von zwei Ebenen gekennzeichnet. Einerseits werden CC/CSR bzw. deren kommunikative Verbreitung als empirisches Phänomen betrachtet. Andererseits dienen sie als Konzept, das - ähnlich dem Bürgergesellschaftsbegriff - die (positive bzw. good) gewünschte gesellschaftliche Rolle von Unternehmen in der Moderne widerspiegelt. So dient im argumentativen Streit der empirisch nachweisbare Mangel an positivem gesellschaftlichem Engagement, der sich in Korruptionsaffären, oder der Ausbeutung von Kindern in Produktionsbetrieben zeigt, als Argument dafür, CC/CSR sei an sich eine neoliberale oder sozialromantisierende Utopie und in der unternehmerischen Praxis vor allem als "Greenwashing"
Herausforderungen für die Forschung
Daher ist für die wissenschaftliche Diskussion die Offenlegung des Referenzpunkts von CC und CSR wichtig. Dies schließt zunächst die Unterscheidung der Konzepte von Unternehmensverantwortung und -engagement ein, aber auch die Reflektion der gesellschaftstheoretischen Basis, denn ein kommunitaristisches Citizenship-Verständnis hat ein völlig anderes Referenzsystem als ein liberales.
Nach der Phase der Begriffsab- und Verständniserarbeitung des Phänomens wird es essentiell sein, zentrale themenspezifische Fragestellungen als empirische Forschungsfragen voranzutreiben. Ausgangspunkte mit Aussicht auf Erkenntnisgewinn verspricht dabei die Berücksichtigung von thematischen Bezügen in unterschiedlichen Disziplinen, auch wenn diese begrifflich nicht als CC/CSR gekennzeichnet sind. In den Sozialwissenschaften ist beispielsweise im Bereich der Elitenforschung Informatives über sich wandelnde Gesellschaftsbilder und Selbstverständnisse von Managerinnen und Unternehmern zu erwarten, die mit organisationstheoretischen Überlegungen erweitert werden müssten. Die Nonprofit-Forschung und die Umweltsoziologie können die Diskussion über die Erstellung von Kollektivgütern und damit zu Chancen und Potentialen von Corporate Citizenship befruchten.
Die Entwicklungssoziologie und die Transformationsforschung sind einerseits auch mit der spezifischen Herausforderung konfrontiert, soziales Handeln vor dem Hintergrund unterschiedlicher kultureller Blickwinkel zu untersuchen, was bei CC und CSR zum Beispiel bei Fragen globalen Engagements relevant ist. Andererseits stehen dort insbesondere gesellschaftliche Wandlungsprozesse im Fokus - eine Perspektive, die für die CC/CSR Forschung erkenntnisreich sein kann.
Trotz der Vielzahl der derzeit am Markt erhältlichen Publikationen zum Thema CC und CSR besteht also beachtlicher Forschungsbedarf. Und trotz der multidisziplinären Anknüpfungspunkte des Themas scheint zu diesem Zeitpunkt vor allem eine profunde fachspezifische Auseinandersetzung notwendig. Ein fachübergreifender Austausch ist freilich begrüßenswert, jedoch gilt es zu verhindern, dass die disziplintypischen Blickwinkel mit ihren jeweils legitimen und eigenlogischen Fragestellungen zu Gunsten einer interdisziplinär harmonisierten Forschungsarbeit geopfert werden.