Einleitung
Unternehmen scheinen seit einigen Jahren die mit Abstand wichtigsten Akteure in modernen Gesellschaften zu sein, und die Gesellschaft erweckt den Eindruck, als würde sie vom Wirtschaftssystem dominiert werden. Das Schlagwort von der "Ökonomisierung der Gesellschaft"
Der CSR-Begriff gründet im wirtschaftlichen Handeln von Unternehmen. Die Einhaltung von arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen, der schonende Umgang mit natürlichen Ressourcen sowie die Formulierung und Implementierung ethischer Standards sind typische CSR-Themen. Das gesellschaftliche Selbstverständnis und das entsprechende Engagement von Unternehmen kommen in der Ausgestaltung betrieblicher Prozesse und Strukturen entlang der Wertschöpfungskette zum Ausdruck. Von diesem CSR-Begriff ist die Vorstellung vom freiwilligen gesellschaftlichen Engagement von Unternehmen in der Gesellschaft, Corporate Citizenship, zu unterscheiden, das über die wirtschaftliche Unternehmenstätigkeit hinausgeht. Grundlegend ist dabei die Annahme, dass sich Unternehmen freiwillig und - über den wirtschaftlichen Unternehmenszweck hinaus - zusammen mit Nonprofit-Organisationen in gesellschaftlichen Angelegenheiten engagieren, "also eine Art Pfadfinderfunktion aus-üben",
Festzuhalten bleibt, dass beide analytisch zu trennenden Begriffe das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen aus zwei unterschiedlichen, sich gleichwohl aber ergänzenden Perspektiven thematisieren: einerseits aus der (betriebs-)wirtschaftlichen Perspektive (CSR) und andererseits aus der gesellschaftlichen Perspektive (CC) eines engagierten Unternehmens. Bei einer derartigen begrifflich-analytischen Differenzierung ist zu bedenken, dass sich CSR und CC "im wirklichen Leben" wechselseitig ergänzen. Implementiert z.B. ein Unternehmen in seinen Betrieben sachlich höhere und qualitativ bessere als die gesetzlich vorgeschrieben Arbeits-, Umweltschutz- und Sozialstandards, dann erfüllt es erstens CSR-Standards und entwickelt es zweitens darüber hinaus - in gesellschaftspolitischer Absicht - gemeinsam mit Nonprofit-Organisationen sowie auch Staat und Verwaltung beispielsweise Ideen und Projekte zur Vereinbarkeit von "Familie und Beruf", dann betätigt es sich als Corporate Citizen.
In diesem, die Dimensionen Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship umfassenden Verständnis des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen werden im Folgenden der traditionsreiche Institutionalisierungspfad des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen nachgezeichnet und dessen Entwicklungspotenziale ausgelotet.
Unternehmerische Fürsorge
Für die Entwicklung der deutschen Gesellschaft ist die relativ späte Herausbildung von Demokratie sowie von Sozial- und Rechtsstaat konstitutiv. Bürgertum und kapitalistisches Unternehmertum entwickelten sich im 19. Jahrhundert unter den Bedingungen einer Monarchie; zugleich wurden aber bereits die institutionellen Grundlagen moderner Staatlichkeit und kapitalistischen Wirtschaftens gelegt.
Die kapitalistische Industrialisierung veränderte die Wirtschaftsstruktur des Kaiserreichs grundlegend. Diese "schöpferische Zerstörung"
Als soziale Klasse drängte das Bürgertum im 19. Jahrhundert auf politische Machtbeteiligung. In der Anfangsphase des deutschen Kapitalismus war die gesellschaftliche Rolle von Unternehmen in erster Linie die eines wirtschaftlichen Akteurs, der darüber hinaus freiwillig und anhand subjektiver - zumeist religiös begründeter - Erwägungen in Art und Umfang höchst unterschiedliche Fürsorgeleistungen für seine Arbeiterschaft gewährte. In der Anerkennung sozialer Risiken und ihrer sachlichen Differenziertheit bildete die unternehmerische Fürsorge eine wesentliche Grundlage für die seit den 1880er Jahren in Deutschland aufgebauten öffentlichen Sozialversicherungen.
Aber bis weit in die Weimarer Republik hinein entwickelten sich Wirtschaft und Politik als eigenständige Systeme nebeneinander. Während die wirtschaftliche Entwicklung dynamisch und rasch verlief, kam es zu einer verspäteten Herausbildung von Demokratie, Sozial- und Rechtsstaat, die aber - was das rasche Ende der Weimarer Republik und der Machtantritt der Nationalsozialisten zeigten - höchst fragil waren. Durch die "Politik der Gleichschaltung" des nationalsozialistischen Regimes wurde das Wirtschaftssystem dem totalitären Staat "einverleibt" und die Dualität von Wirtschafts- und Staatssystem beendet.
Der korporatistische Staat als Platzanweiser
Die DDR folgte - bei aller inhaltlichen Unterschiedlichkeit gegenüber dem Nationalsozialismus - diesem Strukturmuster eines verabsolutierten Staates und einer ihm untergeordneten Wirtschaft. In der Bundesrepublik Deutschland hingegen wurde zunächst am Strukturmuster eines Dualismus von Staat und Wirtschaft aus der Weimarer Republik angeknüpft. Die nachholende Modernisierung in den Bereichen Demokratie, Rechts- und Sozialstaat wurde in der Anfangszeit der Bundesrepublik durch die politischen Vorstellungen der westlichen Alliierten und später durch die innenpolitischen Auseinandersetzungen und die entstehenden sozialen Bewegungen forciert und stimuliert. Gleichzeitig erlebte die deutsche Wirtschaft ein dynamisches Wachstum und zeigte ein entsprechend gestärktes Selbstbewusstsein, das aber bis in die 1970er Jahre hinein unter Verweis auf die aktive Rolle führender deutscher Unternehmen im Nationalsozialismus in Frage gestellt wurde.
In den 1950er und 1960er Jahren konsolidierten sich Wirtschaft und Staat innerhalb kürzester Zeit. Mit der Rentenreform (1957) und der Einführung der Sozialhilfe (1961) wurden die gesetzlichen Grundlagen für die Expansion des deutschen Sozialstaates gelegt.
Der expansive Sozialstaat wiederum begegnete diesen wachsenden Ansprüchen und Herausforderungen mit einer Strategie der Einbeziehung bzw. Inkorporierung privater Organisationen in die staatliche Politik.
Im korporativen Sozialstaat sind Unternehmen an den Entscheidungen und der Ausgestaltung der Arbeits- und Tarifpolitik sowie der sozialen Sicherung, insbesondere der Sozialversicherungen, in institutionalisierter Form dauerhaft beteiligt. Die Institutionalisierungsformen reichen dabei von "informellen" Gesprächen über Selbstverwaltungsstrukturen bis hin zu gesetzlich geregelten Beteiligungsverfahren und -gremien. Im Rahmen der - vereinfach dargestellt - paritätischen Finanzierung der Sozialversicherungen durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer führen Unternehmen Beiträge an die Sozialversicherungen ab. Zudem sind sie als Steuerzahler - wohlgemerkt höchst ungleich - an der Finanzierung staatlicher Aufgaben beteiligt. Unternehmen sind im korporativen Sozialstaat aber nicht nur politische Mitentscheider und wichtige Transferzahler, sondern sie sind - im Rahmen sozialgesetzlicher Bestimmungen - auch Dienstleistungserbringer. Sie betreiben z. B. Kindergärten, bieten Ausbildungsplätze im Rahmen des dualen Ausbildungssystems an und beschäftigen Menschen mit Behinderungen.
Unter den Bedingungen des korporativen Sozialstaates hat das Verhältnis von Wirtschaft und Staat in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1960er Jahren eine neue ordnungspolitische Gestalt angenommen. Der Staat reklamiert für sich - unter Verweis auf seine sozialstaatlichen Erfolge - eine gesellschaftliche "Führungsrolle". Unter dieser staatlichen Prämisse werden dem Wirtschaftssystem und den Unternehmen Rechte und Pflichten zugewiesen. Die Inkorporierung von Wirtschaft und Unternehmen in staatliche Politik bedeutet für beide einerseits einen Autonomieverlust, andererseits können sie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen auf die vom regulierenden und gewährleistenden (Sozial-)Staat reklamierten Zuständigkeiten verweisen. Das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen wird unter dieser sozialstaatlichen Prämisse und in Anerkennung der vermeintlichen Allzuständigkeit und -verantwortung des Staates für die Gesellschaft leicht zur gesetzlichen Pflichterfüllung, die sich darüber hinaus in ritualisierten Forderungen von Unternehmensverbänden an den Staat, das eine zu tun und das andere zu unterlassen, erschöpfen. Es überrascht dann auch nicht, dass in einer derart sozialstaatlich eingehegten Wirtschaft das freiwillige gesellschaftliche Engagement von Unternehmen bzw. ihre Rolle als Corporate Citizen aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwindet, ein Schattendasein führt und vielleicht sogar tatsächlich verkümmert.
Die Dominanz des korporativen Staates, seine Bestrebungen zur Befriedung des Konfliktes zwischen Kapital und Arbeit sowie der Einbezug der entsprechenden verbandlichen Akteure in die staatliche Politik begünstigt aber auch die Entwicklung von Widerspruch und Selbstorganisation. So entwickelte sich in den 1970er und 1980er Jahren in Deutschland - mit leichter Zeitverzögerung parallel zur Expansion des korporativen Sozialstaates - eine nach gesellschaftlichen Anlässen und sozialen Milieus differenzierte Zivilgesellschaft, deren Selbstverständnis anfangs im hohen Maße antistaatlich und antikapitalistisch geprägt war.
Es bleibt festzuhalten, dass das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland bis zur deutschen Vereinigung von der Politik des korporativen Sozialstaates geprägt war, die Wirtschaft und Unternehmen gesellschaftliche Pflichten im Rahmen staatlicher Aufgaben zuwies. Unter diesen Bedingungen verlor das für Unternehmen in Deutschland konstitutive freiwillige gesellschaftliche Engagement auf Seiten von Zivilgesellschaft und Staat an Aufmerksamkeit und Wertschätzung, während es insbesondere in zahlreichen deutschen Familienunternehmen ununterbrochen eine hohe Wertschätzung und faktische Bedeutung erfahren hat.
Die Spielordnung der polyzentrischen Gesellschaft
Spätestens seit den 1990er Jahren - beschleunigt durch die deutsche Vereinigung und die forcierte Globalisierung des Wirtschaftens - erodiert die Bedeutung von Nationalstaaten.
Die Globalisierung des Wirtschaftens und die Grenzen staatlicher Steuerungsfähigkeit beschleunigten in den 1990er Jahren den Übergang von der Vorstellung und der Praxis eines korporatistischen Staates zum Typus einer polyzentrischen und pluralistischen Gesellschaft, in der Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat begrenzte Aufgabenbereiche und ein je spezifisches Steuerungsrepertoire haben. In einer polyzentrischen Gesellschaft verliert der Staat seine selbsternannt dominante Position als gesellschaftliche Steuerungsinstanz und wird zu einem Akteur neben anderen, wobei ihm aber die Verantwortung für die Gewährleistung und Rahmensetzung staatlicher Aufgaben obliegt. Zur Erfüllung dieser Aufgaben kann er - auch im Vergleich mit anderen Akteuren - auf eine weit reichende demokratische Legitimation als Gütekriterium und Alleinstellungsmerkmal verweisen.
Unter diesen Bedingungen bedeutet Steuerung von Gesellschaft nicht mehr und nicht weniger als Interdependenzbewältigung zwischen unterschiedlichen Systemen und Akteuren.
Liaison zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft?
In dieser neuartigen Konstellation zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft kommt es infolgedessen zu einer gravierenden Bedeutungsverschiebung zugunsten von Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
In diesen Aushandlungsprozessen einer polyzentrischen Gesellschaft kommen die relative Autonomie und Ressourcenstärke von Wirtschaft und Unternehmen zum Tragen. Zivilgesellschaft und Nonprofit-Organisationen scheinen unter diesen Bedingungen zunächst "nur" Stakeholder oder sogar kulturell "Fremde" zu sein, während staatliche Akteure angesichts der Handlungsdynamik, Entscheidungsstärke und Ressourcenausstattung wirtschaftlicher Akteure versuchen, in der Position eines politischen Mittlers oder Moderators neue Bedeutung zu erlangen.
Gleichwohl gibt es in einer polyzentrischen Gesellschaft kein die Gesellschaft dominierendes System. Wirtschaft und Unternehmen sind vielmehr Teil der Gesellschaft und befinden sich in einem Interdependenzverhältnis mit Staat und Zivilgesellschaft. Dabei ist zu bedenken, dass Wirtschaft und Unternehmen kein monolithischer Block sind, sondern aus einer Vielzahl und Vielfalt von Organisationen mit zum Teil weit reichenden Handlungsalternativen bestehen. Entsprechend der Größe, der Rechts- und Organisationsform, der Branchenzugehörigkeit und der Stellung im Wirtschaftsprozess variiert auch das gesellschaftliche Selbstverständnis von Unternehmen über ihre Rolle in der Gesellschaft. Das unternehmerische Gesellschaftsverständnis reicht von Korruption über "Trittbrettfahren" und Tauschhandlungen bis hin zu ausgeprägt altruistischen Gemeinwohlorientierungen.
Welche Ausprägungen eines unternehmerischen Gesellschaftsverständnisses sich in einer polyzentrischen Gesellschaft herausbilden, steht in engem Zusammenhang mit den Vorstellungen und Verhandlungspositionen von Zivilgesellschaft und Staat. So ist die Zivilgesellschaft in Deutschland trotz ihrer seit Ende der 1960er Jahre beschleunigten und dynamischen Entwicklung sachlich fragmentiert und organisatorisch vielgestaltig; eine kollektiv geteilte Vorstellung von Zivilgesellschaft konnte sich unter diesen Bedingungen bisher nicht herauskristallisieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland trotz ihrer relativen Unübersichtlichkeit und Intransparenz in der Öffentlichkeit in hohem Maße als vertrauenswürdig angesehen wird. Insofern kann die Zivilgesellschaft in Abstimmungsprozessen mit Wirtschaft und Unternehmen bisher auf einen nicht unerheblichen Vertrauensvorschuss in der Öffentlichkeit verweisen. Der Staat hingegen hat in der nachkorporatistischen Phase zunächst Akzeptanzprobleme, wobei die demokratische Legitimation als spezifischer Vorteil staatlicher Steuerung unterschätzt wird. In den Abstimmungsprozessen zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat ist nur der Staat aufgrund seiner breiten demokratischen Legitimation als potenzieller Gemeinwohlgarant in der Lage, die singulären Interessen von Unternehmen und Nonprofit-Organisationen in ein universalistisches, gemeinwohlverpflichtetes Programm zu transformieren. Die Bedeutung der demokratischen Legitimation staatlichen Handels ist nicht hoch genug zu veranschlagen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen in der Regel mit betrieblichen und wirtschaftlichen Eigeninteressen verknüpft ist und dass Nonprofit-Organisationen zumeist spezifische Gruppeninteressen verfolgen.
Renaissance der Gesellschaftspolitik
In einer polyzentrischen Gesellschaft gibt es weder einen Primat des Staates noch der Wirtschaft. Vielmehr besteht zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat keine wie auch immer geartete Über- oder Unterordnung, sondern ein Interdependenzverhältnis zwischen Systemen und Akteuren, die jeweils auf ihre spezifische Art und Weise in die sozialkulturellen Grundlagen der Gesellschaft eingebettet sind und zur Sozialisation, Identitätsbildung und Integration ihrer Mitarbeiter, Mitglieder und Bürger beitragen.
Das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen hat selbstverständlich wirtschaftliche Anlässe und Begründungen; gleichwohl ist es weitaus mehr als "nur" wirtschaftliches Handeln oder ein so genannter "business case", denn es stiftet kollektiven Sinn, erweitert Lebenschancen und eröffnet gesellschaftliche Perspektiven. Das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen hat - in einem umfassenden Sinne verstanden als Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship - einen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gehalt und wird zukünftig verstärkt Gegenstand von Auseinandersetzungen und Aushandlungen zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat sein.