Die Europäische Union befindet sich in einer der schwierigsten Phasen ihrer Geschichte. Die Corona-Pandemie kostet nicht nur Zehntausende Leben und verursacht enorme wirtschaftliche Schäden, sie legt auch manch anderes Problem offen, das bislang nicht so deutlich sichtbar war. Dies betrifft etwa die Koordinationsfähigkeit auf europäischer Ebene, die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, sich abzustimmen und der Versuchung des Rückfalls in nationale Denkmuster zu widerstehen, sowie grundsätzliche Fragen der europäischen Solidarität. Doch auch ohne Pandemie stünde die Union vor genügend "Baustellen", an denen weiterhin zu arbeiten ist.
Am 31. Januar 2020 trat mit dem Vereinigten Königreich erstmals ein großer Mitgliedstaat aus der EU aus (zuvor allein Grönland 1985). Der Brexit ist damit zwar formal vollzogen, aber noch nicht abgeschlossen. Bis Ende dieses Jahres wollen sich die EU und das Vereinigte Königreich über ihre zukünftigen Beziehungen verständigen – ein "harter Brexit" ist nach wie vor nicht ausgeschlossen. Für die verbliebenen Mitgliedstaaten stellen sich damit ernste Fragen zum Integrationsprozess: Wie lässt sich die Union weiterentwickeln? Wie kann verhindert werden, dass andere dem britischen Beispiel folgen? Und wie geht man mit Mitgliedern um, die sich in Fragen der gemeinsamen europäischen Werte wie der Rechtsstaatlichkeit schon innerhalb der Union von ihr entfernen?
Deutschland, das im zweiten Halbjahr 2020 die EU-Ratspräsidentschaft innehat, kommt in dieser Phase eine Schlüsselrolle zu. Dabei wird nicht nur das Krisenmanagement in der Pandemie für Europas Zukunft entscheidend sein, sondern auch das Vorankommen in den anderen drängenden Angelegenheiten. Zuvorderst ist hier der "Green Deal" zu nennen, ein Kernprojekt der EU. Wenn es nach Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geht, könnte er sich gerade in der jetzigen Krise als Chance erweisen.