Einleitung
Das kleine Balkanland Mazedonien, das von Josip Broz Tito nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst als sozialistische Teilrepublik innerhalb des jugoslawischen Staates gegründet wurde und das schließlich 1991 die staatliche Unabhängigkeit erklärte, könnte in der europäischen Außenwahrnehmung diffuser nicht erscheinen. Dies beginnt bereits bei der ethnischen Einordnung der "Mazedonier" bzw. der Frage nach der Existenz einer eigenständigen mazedonischen Sprache. Dahinter stehen Konflikte, die seit der Herausbildung der ersten südosteuropäischen Nationalstaaten im 19. Jahrhundert Europa immer wieder erschüttert und in Atem gehalten haben. Vertreten in Deutschland einige Wissenschaftler die These, es habe vor 1944 keine mazedonische Sprache und keine mazedonische Nation gegeben - wie etwa der Südosteuropahistoriker Stefan Troebst -, attestieren vehemente Verfechter der gegenteiligen These - so etwa der Gießener Balkan-Experte Wolf Oschlies - dem Mazedonischen eine bis ins 9. Jahrhundert zurückreichende Geschichte, welches dann ab 1944 nur noch seine letztendliche hoch- und standardsprachliche Kodifizierung erfahren habe.
Nicht minder widersprüchlich war und ist die Wahrnehmung des Landes seit dem Zerfall Jugoslawiens. Von vielen lange Zeit als nicht lebensfähiger Kleinstaat abgetan, mutierte Mazedonien schließlich nach der Kosovokrise 1998/99 zum Vorzeigeobjekt der Europäischen Union (EU) für eine scheinbar gelungene europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Mazedonien galt plötzlich vielen als Hort der Stabilität in einer von Krisen und Konflikten gebeutelten Region. Obwohl sich das Land heute mitten im europäischen Integrationsprozess befindet, erscheint diese Stabilität wieder mehr als fragwürdig - und stellt die EU und die NATO vor neue Herausforderungen.
Jahre der Bewährung (1991 - 1998)
Im jugoslawischen Staat galt Mazedonien als die ökonomisch rückständigste und "balkanischste" Teilrepublik. Dessen ungeachtet wagte die politische Führung in Skopje im September 1991 angesichts des zunehmenden Zerfalls Jugoslawiens den Sprung in die Unabhängigkeit. Das Land, ungefähr so groß wie Hessen, umfasste Anfang der 1990er Jahre etwa zwei Millionen Einwohner aus 23 Ethnien. Rund zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger erklärten sich anlässlich der Volkszählung vom 17. November 1994 der mazedonischen, knapp 23 Prozent der albanischen und 4 Prozent der türkischen Ethnie zugehörig. Rund 7 Prozent entfielen auf Streuminderheiten wie Roma, Serben, Aromunen und andere. Dabei blieb in der innenpolitischen Auseinandersetzung besonders die Zahl der Albano-Mazedonier höchst umstritten. Im Vergleich zu anderen südosteuropäischen Staaten (inklusive Griechenland) wurden den Minderheiten in Mazedonien allerdings von Anfang an beachtliche Rechte und kulturelle Möglichkeiten zuerkannt. Die unter Tito erfolgte sozialistische Modernisierung hatte in Mazedonien nicht alle gesellschaftlichen Strukturen verändern können. Vielerorts, besonders unter der albanischen Bevölkerung Westmazedoniens, war es nicht gelungen, traditionelle Sozialformen aufzubrechen. Die Teilrepublik und die spätere Republik Mazedonien blieb ein widersprüchlicher Staat mit starkem patrimonialem Charakter. Klientelistisch strukturierten Netzwerken kommt in Mazedonien bis heute eine große Bedeutung zu.
Die Unabhängigkeit und die damit einhergehende Demokratisierung des Landes ließ auch unter den Minderheiten den Ruf nach stärkerer politischer Partizipation lauter werden. Tatsächlich sind Teile der albano-mazedonischen Eliten in das staatliche Patronagesystem integriert worden. Seit 1992 wurde stets eine albanische Partei in die jeweilige Regierungskoalition eingebunden. Dies betraf jedoch nur bestimmte albanische Politiker, Familienclans und deren Klientel, während viele andere weiterhin von staatlichen Stellen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft und somit auch bei der bald einsetzenden Privatisierung lukrativer Unternehmen ausgeschlossen blieben. In der Folge radikalisierten sich besonders junge Albaner zunehmend. Forderungen nach größerer politischer Autonomie gegenüber dem slawisch dominierten Staat wurden lauter und gipfelten 1994 in der Proklamation einer letztlich nur auf dem Papier bestehenden "Republik Ilirida" in Südwestmazedonien. Viele Albaner lehnten das in der Verfassung verankerte Staatsverständnis einer "mazedonischen" Staatsnation mit verschiedenen Minoritäten ab. Mazedonien sei ein multiethnischer Staat, in dem Slawo- und Albano-Mazedonier vergleichbare Bevölkerungsanteile stellten. Dies erfordere es, dass Albanisch zweite offizielle Amtssprache werden müsse.
Wesentlich explosiver gestaltete sich 1995 der Streit um die Forderung vieler Albaner nach einer "eigenen" Universität mit albanischer Unterrichtssprache in Tetovo. Ohne ausreichenden Bildungsgrad war es nicht möglich, die erforderlichen Zugangsqualifikationen für den öffentlichen Dienst zu erwerben. Aber der Staat verweigerte zunächst die Einrichtung einer "albanischen" Universität. Ein weiterer Konflikt entlud sich im Sommer 1997 um die Frage, ob vor öffentlichen Gebäuden neben der mazedonischen auch die albanische Flagge gehisst werden könne. Die bis dahin schwerste Probe erlebte der junge Staat jedoch mit der Flüchtlingskrise während des Kosovo-Krieges 1999, als rund 350 000 flüchtende Albaner und Roma ins Land kamen.
Schwieriges Verhältnis zu den Anrainerstaaten
Die junge Republik Mazedonien hatte aber nicht nur mit großen inneren Problemen zu kämpfen, auch die außenpolitische Situation des jungen Staates war von Beginn an schwierig. Im Westen befindet sich das lange Zeit sehr instabile Albanien; im Norden grenzt das kleine Land an Serbien, über das 1992 ein Wirtschaftsembargo verhängt wurde. Letzteres belastete die schwache mazedonische Wirtschaft erheblich; durch ungeahnte Möglichkeiten des Schmuggels wurden ohnehin vorhandene kriminelle Strukturen gestärkt. Hinzu kamen verschiedene andere Streitpunkte. Dazu zählte der immer wieder aufflackernde Konflikt zwischen der Serbisch-Orthodoxen-Kirche und der mazedonisch-orthodoxen Geistlichkeit.
Das bis heute schwierigste Verhältnis entwickelte sich jedoch zum südlichen Nachbarn: zu Griechenland. Dieses stellte die Unabhängigkeit Mazedoniens als eine potentielle Bedrohung, als eine Usurpation griechischer Kultur und Geschichte dar. Immer wieder äußerten griechische Politiker Befürchtungen, der Staatsname Mazedonien könne territoriale Ansprüche auf die gleichnamige nordgriechische Provinz heraufbeschwören. Griechenland blockierte daher lange die Aufnahme Mazedoniens in internationale Organisationen und ging soweit, ab dem 20. Oktober 1993 die griechisch-mazedonische Grenze zuerst teilweise und ab dem 13. Februar 1994 vollständig zu sperren. Angesichts des über Jugoslawien verhängten UN-Embargos traf dies das wirtschaftlich schwache Mazedonien hart, und nur wenige Staaten erkannten unter diesen Umständen den neuen Staat an. Erst im April 1993 konnte Mazedonien unter dem sperrigen Namen Former Yugoslav Republic of Macedonia (FYROM) der UNO beitreten. Das griechische Wirtschaftsembargo endete erst im September 1995. Zuvor hatte Mazedonien notgedrungen in einer Vereinbarung zugestimmt, jegliche territoriale Veränderungen für die Zukunft auszuschließen und sein Staatsemblem zu ändern. Es verzichtete dabei auf die sechzehnstrahlige goldene "Vergina-Sonne", das Emblem des antiken "griechischen" Helden Alexander des Großen, und beschränkte sich fortan auf eine achtstrahlige Sonne. Allerdings "gönnte" sich Mazedonien später die Provokation, dem internationalen Flughafen von Skopje den Namen "Flughafen Alexander der Große" zu geben.
Griechenland stieß mit seinem Alleinvertretungsanspruch auf den Namen "Mazedonien" in den folgenden Jahren immer mehr auf Unverständnis. Ein Großteil der Staatenwelt erkannte Mazedonien nach und nach als "Republik Makedonien" an. Dies bewog Griechenland - unabhängig davon, dass es zum wichtigsten ausländischen Investor im Nachbarland aufstieg - dazu, die Integration des Landes in die EU und die NATO immer wieder zu verzögern. Mazedonien seinerseits lehnte jeden Kompromissvorschlag ab, den Staatsnamen in "Ober-Mazedonien", "Republik Makedonien-Skopje", "Zentralbalkanische Republik" oder ähnliches zu ändern. So blieben beide Seiten weiterhin unversöhnlich, wobei mancher griechische Premierminister die Mazedonien-Frage auch zur innenpolitischen Mobilisierung nutzte und sich gleichzeitig dagegen verwehrte, die rigide Assimilierungspolitik des griechischen Staates gegenüber seinen albanischen und slawischen Minderheiten in Nordgriechenland hinterfragen zu lassen.
Der drohende Bürgerkrieg 2001
Trotz aller Schwierigkeiten hatte sich Mazedonien zehn Jahre lang als verhältnismäßig stabil erwiesen, bis es schließlich doch noch an den Rand eines Bürgerkrieges geriet. Der Kosovo-Krieg, die mit diesem einhergehende Flüchtlingskrise und der in der Folge ungeklärte Status des Kosovos übten auch auf Mazedonien einen extremen Druck aus und forcierten die ethnischen Spannungen. Die mitunter undurchsichtige Politik der internationalen Staatengemeinschaft und der besonders von den USA geförderte Aufbau des Kosovo Protection Corps als Auffangbecken ehemaliger UÇK-Rebellen
Auf Druck der USA und der EU kam es schließlich zu Verhandlungen zwischen der mazedonischen UÇK und der Regierung. In dem am 13. August 2001 unterzeichneten Ohrid-Abkommen wurden am Ende eine Reihe von Maßnahmen und vorzunehmende Verfassungsänderungen vereinbart, um die Stellung der Albaner in Mazedonien zu verbessern.
Der Bürgerkrieg war gebannt worden und erstmals war der EU eine eigenständige Intervention ohne amerikanische Hilfe in einen europäischen Krisenherd geglückt, was die weitere Stabilisierung des Landes für Brüssel umso wichtiger werden ließ. Allerdings sind bis heute viele Fragen offen geblieben. Die Erklärung, radikale Kräfte der UÇK wollten durch eine Destabilisierung Mazedoniens die eigene Stellung innerhalb des Kosovos stärken, greift als Erklärungsmodell für die Krise ebenso zu kurz wie eine angebliche Eskalation des mazedonisch-albanischen Gegensatzes. Rückblickend, im Lichte der von Gewalt begleiteten Kommunalwahlen 2005 bzw. der Parlamentswahlen 2006 und 2008, erscheint der Konflikt von 2001 wesentlich stärker als ein Macht- und Verteilungskampf innerhalb der albanischen Eliten Mazedoniens.
Auf Seiten der christlich-slawischen Bevölkerung blieben derartige Verteilungskämpfe, trotz der nunmehr geschrumpften "Verteilungsmasse" aus, wobei die slawo-mazedonischen Parteien durch ein hohes Maß an Klientelismus und Kleptokratie geprägt sind. Nahezu sämtliche Parteien stehen in mehr oder weniger enger Verbindung zu einem wohlhabend gewordenen Wirtschaftsoligarchen des Landes.
Mazedonien im Fadenkreuz internationaler Energieinteressen
Oligarchen entwickelten sich in den 1990er-Jahren in allen gewinnträchtigen Bereichen, sei es im Bereich des Schmuggels in den jugoslawischen Raum oder bei der Privatisierung verschiedener Staatsunternehmen. Viele bauten sich kleine Wirtschaftsunternehmen auf, wie beispielsweise die Familie von Ljubisav Ivanov.
Auf europäischer Ebene spielte das kleine Mazedonien nur eine sehr geringe Rolle, mit einer Ausnahme: In den 1990er Jahren gewannen die großen Gas- und Erdölvorkommen des kaspischen Raumes und Zentralasiens sowohl für die EU als auch für die USA eine immer größere Bedeutung. Gleichzeitig wurde rasch deutlich, dass der Bosporus als Nadelöhr zwischen Schwarzem Meer und dem Mittelmeer keine Ausweitung des Schiffstransportes mehr zulassen würde. Zum Machtpoker um den Zugriff auf Erdgas- und Erdölfelder setzte zugleich ein Wettstreit um die Transportwege ein, ein Wettstreit bei dem unter der Präsidentschaft von Vladimir Putin Russland wieder eine energische Expansionspolitik betrieben wurde: Das eng mit dem Kreml verknüpfte Unternehmen Gazprom kontrollierte zunehmend alle wichtigen Pipelines nach Europa.
Eingebunden wurde dabei auch Mazedonien, das einerseits mehr und mehr den staatlichen Energiesektor privatisierte, andererseits neben Bulgarien ein wichtiges Transitland wurde. Kernprojekt der EU ist seither aus EU-Sicht der Bau einer so genannten Zentralbalkan-Gaspipeline von der Türkei über Mazedonien nach Kroatien, welche die ebenfalls geplante, von der Türkei über Bulgarien nach Österreich führende, Nabucco-Pipeline ergänzen soll.
Parallel zu diesem Projekt einer Gaspipeline favorisierte die US-Administration seit Mitte der 1990er Jahre eine Erdölpipeline entlang des 8. europäischen Verkehrskorridors von der albanischen Adriaküste über Mazedonien zum bulgarischen Schwarzmeerhafen Burgas, das so genannte AMBO-Projekt (Albania-Macedonia-Bulgaria-Oilpipeline). In beiden Fällen winken Mazedonien hohe Transiteinnahmen. Gleichzeitig ergeben sich neue lukrative Geschäftsfelder beim Bau und der späteren Kontrolle der Pipelines. In Konkurrenz dazu wurde allerdings von russischer Seite eine Ölpipeline von Burgas zum griechischen Hafen Alexandroupolis, die so genannte Transbalkan-Pipeline, vorangetrieben. Eine Begleiterscheinung war, dass Russland Griechenland diplomatische Rückendeckung im Namensstreit mit Mazedonien gab.
Mazedoniens mühsamer Weg in die EU und die NATO
Ähnlich wie die Anrainerstaaten Albanien und Bulgarien strebte auch Mazedonien früh in die EU und die NATO. Spätestens seit Ausbruch der Kosovo-Krise 1998 erkannte die EU die Dringlichkeit, auch den Westbalkan durch eine in Aussicht gestellte Aufnahme zu stabilisieren. In Mazedonien kam die Besorgnis über die bürgerkriegsähnlichen Zustände 2001 hinzu. Im selben Jahr wurde zwischen Mazedonien und der EU ein Assoziationsabkommen unterzeichnet. Allein zwischen 2000 und 2006 erhielt Mazedonien fast 300 Millionen Euro Unterstützung aus Brüssel. Tatsächlich konnte das Land im Reformprozess nach 2001 auch beträchtliche Fortschritte erzielen. Probleme bereitete allerdings weiterhin die gefährliche Rivalität innerhalb der albanischen Eliten, insbesondere zwischen der BDI und der PDSh, die das Land als nur bedingt stabil erscheinen ließen. Hinzu kamen die nur langsam voranschreitenden Reformen im Justizwesen, beim Abbau der überdimensionierten staatlichen Verwaltung sowie die kritische sozioökonomische Lage (eine Arbeitslosenrate von 30 bis 40 Prozent, ein Außenhandelsdefizit, ein zunehmendes wirtschaftliches West-Ost-Gefälle). Entgegen den Bedenken Frankreichs und Großbritanniens, die eine erneute EU-Erweiterung möglichst hinausschieben wollten, und dem bremsenden Einfluss Griechenlands, gestand die EU Mazedonien im Dezember 2005 den Kandidatenstatus zu, ohne jedoch einen Termin zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen zu nennen. Angesichts der gewaltsamen Zwischenfälle während der Parlamentswahlen 2006 hat sich daran bis heute nichts geändert.
Viele bezweifelten, dass die EU selbst fit genug wäre, eine erneute Erweiterung ins Auge zu fassen. Zudem waren die EU-Bürger spürbar erweiterungsmüde. Andererseits bestand die Gefahr, dass die EU, sollte sie die nicht zu leugnenden Reformfortschritte Mazedoniens ignorieren, ihre Glaubwürdigkeit auf dem Westbalkan einbüßen würde. Kroatien und die Türkei hatten den Kandidatenstatus bereits im Oktober 2005 erhalten, deshalb konnte Brüssel an Mazedonien keine anderen Maßstäbe anlegen. Die EU befand sich somit aus sicherheitspolitischen Gründen quasi selbst unter Zugzwang, die einmal in Gang gesetzte Erweiterungsdynamik auf dem Balkan fortzusetzen.
Parallel zu den Anstrengungen um einen EU-Beitritt versuchte Mazedonien möglichst rasch die Aufnahme in die NATO zu erlangen. Die kleine mazedonische Armee wurde seit 1999 modernisiert und in eine Berufsarmee umgewandelt, und konnte sich so mit eigenen Kontingenten an den US- bzw. NATO-Missionen im Irak, in Afghanistan und in Bosnien-Herzegowina beteiligen. Die NATO stellte Mazedonien schließlich für 2008 einen Beitritt in Aussicht. Eine entsprechende Einladung sollte während des NATO-Gipfels in Bukarest Ende März/Anfang April 2008 erfolgen, doch das NATO-Mitglied Griechenland legte sein Veto dagegen ein. Ohne Klärung der Namensfrage ist Athen nicht bereit, einer Aufnahme seines Nachbarn Mazedonien in das Nordatlantische Bündnis zuzustimmen. Dass es damit auch die weitere Stabilisierung des Westbalkans verhindert, von dem es selbst als wichtiger Investor erheblich profitieren würde, ändert offenbar nichts an der sturen Haltung Griechenlands.
Die Politische Krise im Frühjahr 2008
Das griechische Veto auf dem NATO-Gipfel in Bukarest wirkte in Mazedonien mit seinen fragilen innenpolitischen Verhältnissen wie ein Katalysator. In den vorangegangenen drei Jahren war der innere Frieden immer brüchiger geworden, was vor allem auf den albanischen Verteilungskampf zurückzuführen ist. Die PDSh wollte es nicht hinnehmen, von den Schalthebeln der Macht durch die BDI verdrängt zu werden. Sowohl die Parlamentswahlen am 15. September 2002 als auch die Kommunalwahlen im Februar 2005 waren von gewalttätigen Zusammenstößen in den überwiegend albanisch besiedelten Gebieten geprägt. Beide Gruppierungen warfen sich gegenseitig vor, in dunkle Geschäfte verwickelt zu sein. Nunmehr war es die mitregierende BDI, Nachfolgeorganisation der mazedonischen UÇK, die moderate Töne anschlug; die zuvor gemäßigt aufgetretene PDSh vertrat demgegenüber jetzt radikal-nationalistische Positionen. Zum Eklat kam es schließlich während der Parlamentswahlen im Juli 2006. Wieder war der Wahlkampf in den albanischen Hochburgen von Gewalttaten begleitet. Letztlich setzte sich die konservative VMRO-DPMNE gegenüber der bislang regierenden sozialdemokratischen SDSM
Seitens der EU wurden die Wahlen als wichtiger Test dafür bewertet, ob das Land die ausreichende Reife für eine Fortsetzung des Beitrittsprozesses habe. Dies wurde jedoch im Frühjahr 2008 mehr als in Frage gestellt. Über Wochen waren das albanisch dominierte Westmazedonien und die albanischen Viertel Skopjes gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. Es kam zu Schießereien mit einem Todesopfer sowie mehreren Verletzten und zu einem Attentat auf den BDI-Vorsitzenden Ali Ahmeti. Bei den am 1.Juni 2008 stattfindenden Wahlen gewann der Amtsinhaber Nikola Gruevski mit seiner VMRO-DPMNE im Bündnis mit 18 kleinen Parteien die absolute Mehrheit. Dies konnte als Bestätigung seines harten nationalen Kurses im Namensstreit mit Griechenland gedeutet werden. In der Frage der weiterhin bestehenden großen ökonomischen Defizite des Landes (eine hohe Inflation, eine weiterhin über 30 Prozent liegende Arbeitslosenquote, weit verbreitete Korruption) profitierte er in erster Linie davon, dass die oppositionellen Sozialdemokraten ebenfalls kein schlüssiges Programm zur Lösung der Probleme besaßen.
Ungeklärt blieb der Machtkampf zwischen den beiden großen albanischen Parteien. Die PDSh erreichte 10,52 Prozent (105 000 Stimmen), die BDI 11,12 Prozent (111 000 Stimmen), womit beide Parteien etwa 13 Mandate erhalten würden. Hinzu käme ein Mandat einer dritten, albanischen Kleinstpartei, die allerdings die Bereitschaft zeigte, mit der PDSh zu fusionieren. Die Wahlentscheidung blieb indes offen, da die Ergebnisse von nahezu 200 (von 2976) Wahllokalen infolge gefälschter Wahlzettel und Einschüchterungen von Wählern annulliert werden mussten. Rund 170 000 Wähler wurden am 15. Juni noch einmal zu den Urnen gerufen.
Ausblick
Auch wenn mit der Wahl im Juni 2008 erstmals ein mazedonischer Ministerpräsident im Amt bestätigt worden ist, so trügt doch die scheinbare Stabilität: Alle ins Land gekommenen Wahlbeobachter waren sich einig, dass die Wahl nicht internationalen Standards entsprochen hatte. Damit wird die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der EU erneut verzögert, was vielen EU-Politikern allerdings nicht unbedingt ungelegen kommen dürfte. Der griechisch-mazedonische Namensstreit hatte sich bereits in den Wochen nach den Wahlen weiter zugespitzt und es ist unwahrscheinlich, dass sich beide Länder unter den gegenwärtigen Regierungen auf einen Kompromiss werden einigen können. Damit bleibt Mazedonien auch die NATO verschlossen, womit ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung der Region ausbleibt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass im inneralbanischen Machtkampf des Landes auch nach den Wahlen im Juni 2008 kein Friede einkehren wird. Zu mächtig sind die staatlichen Patronagenetze mit ihren Pfründen und Posten für die albano-mazedonische Politikerklasse geworden, nicht erst seit dem Ohrider Abkommen. Es ist zu befürchten, dass undurchsichtige Verbindungen der Parteien zum kriminellen Milieu in Mazedonien sowie zum benachbarten Albanien und Kosovo dazu beitragen werden, dass auch in Zukunft der Machtkampf nicht mit demokratischen Mitteln ausgetragen werden wird.
Auch wenn Mazedonien für die EU und die USA als zentralbalkanischer Stabilitätsfaktor und wichtiges Glied in zukünftigen Energiekorridoren an Bedeutung gewonnen hat, muss der weitere Weg des Landes doch kritisch verfolgt werden. Ob die gesellschaftlichen Eliten des Landes in der Lage sein werden, die sich seit 2001 noch weiter vertiefende soziale Trennung zwischen Albano- und Slawo-Mazedoniern zu stoppen oder ob sie eine ähnlich gefährliche Entwicklung wie im zerrissenen Belgien forcieren werden, ist offen. Der weiterhin ungebrochene Klientelismus in Politik und Wirtschaft, der Einfluss des benachbarten, instabilen Kosovo sowie die einflussreiche Stellung des organisierten Verbrechens und der lokalen Oligarchen werden über Jahre ein schweres Erbe bleiben.