Begriffe wie "Klassengesellschaft", "Arbeiterklasse" oder "Proletariat" waren lange Zeit weitgehend aus dem öffentlichen Sprachgebrauch verschwunden. Fast schien es so, als gäbe es sie nicht mehr - Menschen, die in prekären Verhältnissen leben. Die heute als "Prekariat" bezeichneten Betroffenen sind allerdings keine fest umrissene sozialstrukturelle Gruppe oder Klasse. Sie befinden sich in einer "Zwischenzone", pendeln zwischen sicheren und unsicheren Sphären der Arbeitswelt hin und her. Auf unterschiedlichen Ebenen der Gesellschaft schlagen sich Menschen heute mit Minijobs, Praktika, Leiharbeit, befristeten, oft extrem niedrig bezahlten Tätigkeiten oder staatlicher Grundsicherung durch. Sozialwissenschaftler nennen sie "Grenzgänger am Arbeitsmarkt".
Von dieser Entwicklung sind längst auch Kernbereiche der Arbeitsgesellschaft betroffen, die einst als sicher galten. Die seit einigen Jahren zu verzeichnende Erosion der gesellschaftlichen Mitte hat bei den Angehörigen dieser, die Gesellschaft stabilisierenden sozialen Großgruppe zu Verunsicherung geführt. Die Angst davor, die Arbeit zu verlieren und dann vielleicht zu jenen zu zählen, die nur noch von Unterstützungsleistungen leben, diszipliniert nicht nur, sie führt auch zur Entsolidarisierung.
Politikerinnen und Politiker sind aufgefordert, auf Ausgrenzungserfahrungen und Abstiegsängste der Menschen zu reagieren und ein Klima gesellschaftlicher Stabilität zu schaffen. Es gilt, dem sich ausbreitenden Gefühl, die Politik könne nichts ausrichten, tatkräftig entgegenzutreten: Wenn Politikverdruss nicht in Systemverdruss umschlagen soll, dann müssen sich die demokratischen Parteien stärker als bisher für eine integrative, dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit verpflichtete Politik einsetzen.